Aust, Stefan
Stefan Aust ( 1. Juli 1946 in Stade, Reichsgau Ost-Hannover) ist ein deutscher Journalist und Autor. Er war von 1994 bis 2008 Chefredakteur des Umerziehungs-„Nachrichten“magazines „Der Spiegel“.[1] Seine in Buchform dargelegten Darstellungen der RAF sind bekannt für Geschichtsklitterung. Bei einem weiteren Buch erwies er sich als Plagiator.[2] Vom 1. Januar bis Anfang September 2016 war er kommissarisch Chefredakteur der vom Axel Springer Verlag herausgegebenen Tageszeitung „Die Welt“.[3][4]
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Stefan Aust wurde am 1. Juli 1946 in Stade als Sohn eines Landwirts geboren. Nach dem Abitur in Stade studierte er Soziologie und beendete es ohne Abschluß.
Wirken
Sein berufliches Wirken begann Stefan Aust 1966 als Redakteur bei der Zeitschrift „konkret“ und bei den „St. Pauli-Nachrichten“. Seit 1970 war er Mitarbeiter des NDR und arbeitete 1972-1986 insbesondere für das Politmagazin „Panorama“. Viele seiner Beiträge - so der Hans-Filbinger-Report oder das Interview mit dem Berliner Hausbesetzer Klaus Jürgen Rattay - erregten Aufsehen. Beachtung fand auch die Filmdokumentation „Sag Nein“ über das Hamburger Friedens-Festival des Jahres 1983.[5]
Als Autor machte Stefan Aust, der als „konkret“-Reporter persönliche Kontakte zur sogenannten ersten Generation des deutschen Terrorismus hatte (Rote Armee Fraktion), 1985 mit der Dokumentation „Der Baader-Meinhof-Komplex“ auf sich aufmerksam. Das Erfolgsbuch mit Austs Feststellung, der Terrorismus habe die Republik verändert (Bundesrepublik Deutschland), wurde von Reinhard Hauff unter dem Titel „Stammheim“ (Drehbuch: Stefan Aust) verfilmt und auf den 36. Filmfestspielen Berlin im Februar 1986 mit dem Goldenen Bären und dem Preis der Internationalen Kritikervereinigung FIPRESCI ausgezeichnet. Austs Theaterfassung „Stammheim - Die ungestüme Herrlichkeit des Terrors“ kam im Dezember 1987 in Kiel zur Uraufführung.[5]
Stefan Aust beschäftigte sich auch mit dem Fall des mysteriösen Privatagenten Werner Mauss, der seit Mitte der 1960er Jahre für verschiedenste Auftraggeber tätig war und in seiner bewegten Laufbahn in der Grauzone zwischen Polizei, Geheimdiensten und Untergrund-Szene u. a. mit der Entdeckung des Terroristen Rolf Pohle (1976 in Athen) und der verschollenen, hochgiftigen „Seveso-Fässer“ erfolgreich war. 1988 legte Stefan Aust sein 392-Seiten-Protokoll über Mauss und dessen Operationen in Buchform unter dem Titel „Mauss - Ein deutscher Agent“ vor. In der ARD-Reportagenreihe „Miterlebt“ schilderten und analysierten die Journalisten Christoph Maria Fröhder und Aust im Februar 1988 von „konkreten Fällen“ ausgehend die Methoden von Mauss.[5]
Im Mai 1988 übernahm Stefan Aust die Leitung des vom Start weg erfolgreichen Politmagazins „SPIEGEL-TV“ (zunächst auf RTL, ab 1990 auch auf SAT.1; produziert vom SPIEGEL-Verlag in Zusammenarbeit mit der dctp Entwicklungs GmbH für TV-Programme von Alexander Kluge). Begrüßt als „neuer Farbtupfer“, stieg die durchschnittliche Zuschauerzahl pro Sendung innerhalb eines Jahres von 220.000 (5/1988) auf rund 950.000, und am 22. April 1990 erreichte die 100. Sendung 2,3 Millionen Zuschauer. 1994 waren es dann bis zu 4,3 Millionen Zuschauer. Wenn es etwas gebe, das SPIEGEL-TV von allen anderen vergleichbaren Magazinen unterscheide, „dann ist es die sezierende, gerichtspsychiatrische Art der Bild- und Textführung“ urteilte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (10. Juli 1990) über das erfolgreiche Sendekonzept. „Wir problematisieren - anders als der öffentlich-rechtliche Rundfunk - eine Konfliktlage anhand von Geschichten“ formulierte Stefan Aust immer wieder als Credo, und Beobachter attestierten ihm, mit der Form des dokumentarischen Erzählens den deutschen Fernsehjournalismus verändert zu haben. Im Laufe der Jahre schuf Aust um das Politmagazin SPIEGEL-TV ein kleines TV-Imperium mit verschiedenen Ablegern, so bei VOX, wo er selbst einige Monate lang 1994 Programmregie geführt hatte, und bei SAT.1 und RTL.[5]
Für großes Aufsehen in den Medien sorgte Ende 1994 die Führungskrise beim Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, nachdem Herausgeber Rudolf Augstein die sofortige Entlassung des Chefredakteurs Hans Werner Kilz gefordert und Stefan Aust als seinen Wunschkandidaten für die Nachfolge benannt hatte. Erst im Sommer 1994 war die Redaktionsspitze umgebildet worden. Die Mehrheit der SPIEGEL-Redakteure leistete zunächst Widerstand gegen die Ersetzung von Kilz durch Stefan Aust. Am 13. Dezember 1994 beugten sich die Vertreter der Mitarbeiter-KG einem Ultimatum Augsteins, der mit seinem Rückzug als Herausgeber und Geschäftsführer gedroht hatte, und am 16. Dezember 1994 setzte Augstein' Stefan Aust als neuen SPIEGEL-Chefredakteur durch. Allerdings sollte Aust selbst keine Artikel schreiben, sondern die Redaktion organisieren, die richtigen Leute auf die richtigen Stellen setzen und als Blattmacher die Fäden in der Hand halten. Die Vorbehalte in der SPIEGEL-Redaktion gegenüber Stefan Aust wurden seinem autoritären Führungsstil und der allgemeinen Besorgnis zugeschrieben, Aust könne eine Popularisierung des traditionsreichen Nachrichtenmagazins durch eine Anpassung an die Gewohnheiten der Fernsehzuschauer anstreben.[5]
Entgegen den Befürchtungen präsentierte sich „Der Spiegel“ in den ersten Monaten nach dem Führungswechsel zwar bunter, doch ganz auf die klassischen Themen eines Nachrichtenmagazins orientiert. Vor allem durch die politischen Titelgeschichten konnte das Magazin entgegen dem Trend die Auflage über der Million halten. Selbstbewusst zeigte sich Aust auch gegenüber dem FOCUS-Konkurrenten aus München und erklärte in der Presse: „Ich habe als Erstes den albernen Kleinkrieg abgeschafft. Beide Magazine haben ihren Platz. Die Überschneidung der Leser ist sehr viel geringer als allgemein angenommen“.[6] Mit der Ausgabe vom 29. Mai 1995 brachte „Der Spiegel“ erstmals sein Kulturmagazin SPIEGEL Extra heraus. Der SPIEGEL konnte seine Rolle als meinungsführendes Magazin im öffentlichen Leben behaupten, wie eine Umfrage des Handelsblatts (5. August 1997) zeigte, nach der „Der Spiegel“ Rang eins als am häufigsten zitiertes Medium in ARD, ZDF, RTL und SAT.1 einnahm, während Konkurrent FOCUS auf Platz vier landete. Doch nicht alle SPIEGEL-Projekte hatten Erfolg: So scheiterte das 1994 neu eingeführte Produkt SPIEGEL Special im Herbst 1999 wegen Auflagen- und Anzeigenproblemen, und das daraufhin entwickelte Monatsmagazin SPIEGEL Reporter unter der Chefredaktion von Aust musste im Mai 2001 wieder eingestellt werden. Seinen Chefredakteursposten bei SPIEGEL-TV hatte Aust nach seinem Wechsel zum Zeitungsmagazin zunächst unbesetzt gelassen und weiterhin die redaktionelle Verantwortung geführt. Zum Jahresende 1996 gab er die Doppelfunktion auf und blieb einer von vier Geschäftsführern der SPIEGEL TV GmbH. Im Laufe der Jahre geriet auch der einstige Vorreiter SPIEGEL-TV (2001: 65 Millionen Umsatz, 250 Mitarbeiter) wegen des wachsenden Markts an Politsendungen und Boulevardformaten unter Druck. Man steuerte mit populären Themen entgegen und musste sich den Vorwurf gefallen lassen, den „Massengeschmack“ zu bedienen. Nach einem kurzen Intermezzo als Nachfolger von Gastgeber/Moderator Erich Böhme bei der sonntäglichen SAT.1-Talkshow „Talk im Turm“ konzentrierte sich Aust ab Februar 1999 auf Wunsch von Rudolf Augstein wieder verstärkt auf seine Tätigkeit als SPIEGEL-Chefredakteur.[5]
Am 7. Mai 2001 startete in Berlin der Hauptstadtkanal XXP als Gemeinschaftsunternehmen des SPIEGEL-Verlags und der Alexander-Kluge-Firma dctp. Während sich Aust offiziell nur als Sprecher des neuen XXP-Projekts sah, zitierte „Die Woche“ Kluge mit den Worten: „Damit geht für mich wie für Stefan Aust ein Wunsch nach inhaltlicher Tiefe in Erfüllung. (...) Der Sender ist unsere Leidenschaft und es wäre schön, wenn wir mit ihm dazu beitragen könnten, Berlin in der Welt als Metropole zu verankern“ (4. Mai 2001). XXP war zunächst in Berlin, Hamburg und Bremen sowie später über Kabel deutschlandweit zu empfangen. Am 1. September 2006 endete das Projekt XXP: Der amerikanische „Pay“-TV-Betreiber Discovery Communications, der XXP Anfang 2006 für 45 Millionen Euro mehrheitlich (98 %) übernommen hatte, wandelte den Sender in den Doku-Kanal DMAX um.[5]
Im letzten Quartal 2001 überholte der SPIEGEL mit seiner Auflage von durchschnittlich 1,106 Millionen Exemplaren erstmals seinen Hamburger Konkurrenten „stern“. Während andere große Zeitungsverlage in die Verlustzone gerieten, erzielte der SPIEGEL noch kleine Gewinne, und der Medienwissenschaftler Peter Glotz bestätigte, daß Stefan Aust „die Meinungsführerschaft des Blattes zwar nicht durch eigene Kommentare, aber durch kluge und kooperative Führung wiederhergestellt“ habe.[7] Vor allem die Reportagen über die Terroranschlägen in den VSA am 11. September 2001 sorgten für hohe Verkaufszahlen. Diese Hintergrundberichte und Rekonstruktionen zu den Attentaten gab Aust 2002 zusammen mit Cordt Schnibben unter dem Titel „Der 11. September - Geschichte eines Terrorangriffs“ auch als Buch heraus. Als erfolgreich erwies sich auch das Weltnetzangebot „Spiegel Online“, das zum Vorbild für ähnliche Angebote im Netz wurde.[5]
Für verlagsinterne Diskussionen sorgten im Sommer 2002 Überlegungen Austs, daß sich der SPIEGEL-Verlag zusammen mit dem Heinrich Bauer Verlag und dem Springer-Verlag an der Übernahme der KirchMedia, der Mediengruppe von Leo Kirch, die Anfang 2002 Insolvenz angemeldet hatte, beteiligen solle. Die SPIEGEL-Redaktion rebellierte jedoch gegen diesen Plan, so daß der Bauer-Verlag schließlich allein ein Angebot abgab, das allerdings später von dem jüdischen Medien-Investor Haim Saban überboten wurde.[5]
Im März 2008 schieden Aust und „Der Spiegel“ nach langen Vorwürfen der propagandistischen Hetze gegenüber Stefan Aust.
Der TV-Konzern ProSiebenSat.1 trennt sich, im Juni 2010, von seinem Nachrichtensender N24. Die Anteile würden von einem Bieterkonsortium übernommen, dem unter anderem N24-Geschäftsführer Torsten Rossmann und Stefan Aust angehören.[8]
Ab Oktober 2011 schrieb Stefan Aust für die jüdische Wochenzeitung „Die Zeit“.[9][10]
Vom 1. Januar 2016 bis Anfang September 2016 war Aust kommissarisch Chefredakteur der vom Springer-Verlag herausgegebenen Tageszeitung „Die Welt“ bzw der Redaktion von „WeltN24“. Die Zeitung hat seit Jahren mit erheblichen Rückgang ihrer Auflage zu kämpfen. Zwischen 2008 und 2015 verlor das Blatt 35 Prozent seiner Abonnenten und sogar mehr als 60 Prozent seiner Kioskkäufer. Man erhoffte sich, daß Aust die Schrumpfkurs der Zeitung stoppen würde.[3] Ulf Poschardt trat die Nachfolge Austs an, dessen Stellvertreter er bereits zuvor war.[4]
Privates
Stefan Aust verbringt seine Zeit gerne auf dem Land. Er züchtet Pferde.
Auszeichnungen
- 1991 – DIVA Deutscher Entertainment-Preis
- 2003 – Goldene Feder des Hamburger Bauer-Verlages, für seine langjährige journalistische Tätigkeit
- 2005 – Goldene Kamera der Fernsehzeitschrift „HÖRZU“ in der Kategorie TV-Journalismus; Deutscher Wirtschaftsfilmpreis, für „Fall Deutschland“.
- 2005 – Deutscher Wirtschaftsfilmpreis
- 2008 – Ernst-Schneider-Preis ✡, mit Claus Richter, ZDF (7.500 Euro dotiert)
- 2014 – Georg-August-Zinn-Preis (5.000 Euro dotiert)
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Kennwort 100 Blumen – Verwicklung des Verfassungsschutzes in den Mordfall Ulrich Schmücker. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1980
- Hausbesetzer: Wofür sie kämpfen, wie sie leben und wie sie leben wollen. Hoffmann und Campe, Hamburg 1981
- Brokdorf: Symbol einer politischen Wende. Hoffmann und Campe, Hamburg 1981
- Der Baader Meinhof Komplex. Hoffmann und Campe, Hamburg 1985 sowie 1997; Taschenbuchausgabe 1998
- Mauss – ein deutscher Agent. Hoffmann und Campe, Hamburg 1988
- Der Pirat: Die Drogenkarriere des Jan C.. Hoffmann und Campe, Hamburg 1990; Taschenbuchausgabe 2000
- Der Lockvogel: Die tödliche Geschichte eines V-Mannes zwischen Verfassungsschutz und Terrorismus. Rowohlt, Reinbek 2002; Taschenbuchausgabe 2003
- Irak: Geschichte eines modernen Krieges. Spiegel-Buchverlag, Hamburg 2003
- Der Fall Deutschland: Abstieg eines Superstars. Piper, München 2005
- Wettlauf um die Welt: Die Globalisierung und wir. Piper, München 2007
Zwei seiner Bücher wurden zu Filmen verarbeitet: Der Pirat im Jahr 1997 von Regisseur Bernd Schadewald und Der Baader Meinhof Komplex 2008 von Uli Edel.
Filmographie
Aust hat als Autor bzw. Regisseur verschiedener Dokumentarfilme und Spielfilme gewirkt:
- 1976: Tod in Stammheim – der Weg der Ulrike Meinhof
- 1980: Der Kandidat – Co-Drehbuch, Co-Regie mit Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Alexander von Eschwege
- 1982: Krieg und Frieden – Co-Drehbuch, Co-Regie mit Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Axel Engstfeld
- 1983: Sag Nein – Regie
- 1986: Stammheim – Drehbuch (Regie: Reinhard Hauff)
Ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären auf den Filmfestspielen Berlin - 1986: Baader-Meinhof – Drehbuch und Regie (zweiteilige WDR-Dokumentation über die RAF)
- 2007: Wettlauf um die Welt – dreiteilige Spiegel TV/ZDF-Dokumentation (mit Claus Richter)[11]
- 2007: Die RAF – zweiteilige Dokumentation für die ARD (mit Helmar Büchel)
- 2008: Der Baader Meinhof Komplex - Berater und Buchvorlage (mit Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck)
Verweise
- „Stefan Aust und die Turbulenzen beim ‚Spiegel‘“, NDR Zapp, 23. November 2005
- „Hoch zu Ross. Der Chefredakteur von Deutschland“, taz, 12. März 2005