Pohl, Heinrich
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Heinrich Johann Pohl (auch: Johann Heinrich; 4. Februar 1883 in Linz am Rhein; 20. März 1931 in Breslau) war ein deutscher Jurist und Staatsrechtler sowie Professor der Rechtswissenschaften in Greifswald, Rostock, Tübingen und Breslau (öffentliches Recht, Politik und Kirchenrecht sowie Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht).
Inhaltsverzeichnis
Leben
Kurzchronologie
- 1901 Abitur am Gymnasium Thomaeum, Kempen am Rhein
- 1901–1904 Studium der Rechtswissenschaft, Nationalökonomie und Geschichte, Universität München, Universität Bonn
- 1904 Erstes Juristisches Staatsexamen (preußische Referendarexamen), Köln
- 1904/1905 Promotion zum Dr. iur. an der Universität Bonn mit der 1905 veröffentlichten Arbeit (ggf. schon 1904 promoviert) „Die Entstehung des belgischen Staates und des Norddeutschen Bundes“, in: „Abhandlungen aus dem Staats- Verwaltungs- und Völkerrecht“, Band I, Herausgegeben von Dr. jur. Philipp Zorn (Geheimer Justizrat und Professor der Rechte) und Dr. jur. Fritz Stier-Somlo (Professor, Dozent der Rechte).
- zuweilen wird die Arbeit „Kritische Rundschau über ältere deutsche Ansiedlungen in den Tropen zur Feststellung der Bedeutung von Togo, Kamerun und Deutsch-Ostafrika für die deutsche Auswanderung“ angegeben.[1] Diese Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde bei der Hohen Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn wurde jedoch am 25. Mai 1904 von dem in Essen wohnhaften Gymnasial-Oberlehrer a. D. H(einrich) Pohl ( 29. Juni 1871 in Kaiserswerth) eingereicht, der am 23. Januar 1905 zum Dr. phil. promoviert wurde. Pohl war seit 1903 Hauptschriftleiter der alldeutsch-schwerindustriellen „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“ (RWZ) in Essen, die Theodor Reismann-Grone gehörte. Dr. phil. Reismann-Grone ernannte Dr. Pohl Mitte 1910 zum Hauptschriftleiter der der freikonservativen Zeitung „Die Post“ in Berlin, die er im April 1910 erworben hatte. Hauptschriftleiter der RWZ wurde der 1878 in Wien geborene Alwis Nießner (1933/34 Verlagsdirektor in Berlin).[2]
- 1904–1908 preußisches Referendariat in Rheinbach, Köln und Bonn
- 1908 Zweites Juristisches Staatsexamen (Assessorexamen ), Berlin
- 1908–1910 Gerichtsassessor, anschließend juristischer Hilfsarbeiter am Amtsgericht Sinzig, dann Mitarbeiter eines Rechtsanwaltes in Bonn.
- 1910 Habilitation (Öffentliches Recht) an der Universität Bonn mit der Arbeit „Der internationale Prisenhof – Eine Untersuchung zum deutschen Seekriegsrecht“.
- 1910–1912 Privatdozent für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, Universität Bonn
- 1912–1919 ao. Professor für Öffentliches Recht, Universität Greifswald
- 1914–1919 Kriegsdienst im Reichsmarineamt (Sachverständiger für Völkerrecht, ab 1915 als Marine-Intendanturrat); u. a. Ritter des Eisernen Kreuzes II. Klasse am weißen Bande für Nichtkämpfer
- 1919 Mitglied der deutschen Delegation in Versailles; Die deutsche Delegation durfte allerdings an den Verhandlungen nicht teilnehmen, sondern konnte erst am Schluß durch schriftliche Eingaben wenige Nachbesserungen des Inhalts des Versailler Schandvertrags erwirken.
- 1919–1920 Professor, Universität Rostock
- 1920–1929 o. Professor für Öffentliches Recht, Universität Tübingen
- 1922/23 Dekan der Staatswissenschaftliche Fakultät
- 1923 Ehrendoktor (Dr. sc. pol. h. c.) der Universität Tübingen
- 1929–1931 o. Professor für Öffentliches Recht, Universität Breslau
Württembergische Biographien
- Pohl, dessen Familie ursprünglich aus Schlesien kam und von dem Komponisten Johann Joseph Pohl (1686–1775, aus Breslau und Hirschberg) abstammte, entstammte dem rheinischen Katholizismus; sein Vater, der klassische Philologe und Gymnasialdirektor Joseph Pohl, gab 1902–1922 die erste kritische Gesamtausgabe (7 Bände) des Mystikers Thomas Hemerken (1380–1471) aus Kempen (Thomas von Kempen/Thomas a Kempis) heraus. Heinrich Pohl übersetzte als Student die von seinem Vater eingeleiteten „Gebete und Betrachtungen über das Leben Christi“ des Thomas von Kempen. Zur Verwandtschaft gehörte auch der (geadelte) kaiserliche Admiral Hugo von Pohl (1855–1916). Pohl studierte in München und Bonn Rechtwissenschaften und schloss sich der Schule des konservativen Bonner Völkerrechtlers Philipp Zorn an, der seine Promotion und Habilitation betreute; kirchenrechtlich war Pohl ein Schüler des Bonner Kanonisten Ulrich Stutz. Wohl nicht zuletzt aufgrund der Verwandtschaft zu dem Befehlshaber der Flotte, wurde das (für die Kaiserliche Marine wichtige) Völkerrecht zum Schwerpunkt von Pohl. Auf dieser Zeit beruhte eine Zusammenarbeit mit Heinrich Triepel, der an der Kaiserlichen Marineakademie Kiel im Nebenamt Völkerrecht lehrte. Pohl beriet das Auswärtige Amt und gehörte zur deutschen Friedensdelegation in Versailles. Er lehrte zunächst auf einem völkerrechtlichen Extraordinariat in Greifswald, wechselte aber 1919 nach Rostock als Nachfolger des Stutz-Schülers Edwin Mayer-Homberg (1881–1920), wo ihm ein eigenes völkerrechtliches Seminar angeboten wurde. Pohl betonte, Preußen, das er als den „einzigen deutschen Großstaat, der – zumal in den kommenden Zeiten unserer nationalen Ohnmacht und Schwäche – eine großzügige Hochschulpolitik zu treiben fähig ist“ bezeichnete ungern zu verlassen; tatsächlich wechselte er nach nur einem Semester zum 1. Oktober 1920 nach Tübingen als Nachfolger von Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein (anstelle des ursprünglich vorgesehenen Rudolf Smend), wobei er letztlich dem ehemaligen Greifswalder Carl Sartorius folgte, ebenfalls ein Bonner Habilitand von Zorn. Mit Sartorius gab er auch eine Sammlung völkerrechtlicher Vorschriften heraus. Aber auch von einer Vermittlung des ehemaligen Tübingers Heinrich Triepel, mit dem Pohl 1918/19 eine Quellensammlung zum Seekriegsrecht herausgab, ist auszugehen. In Tübingen blieb Pohl weiterhin als außenpolitischer Berater der Reichsregierung tätig. Das von ihm geleitete völkerrechtliche Seminar nahm unter Pohl eine führende Stellung im Reich ein. 1925/26 war Pohl zur Erarbeitung eines Werkes über die Rechtsverhältnisse in den besetzten Gebieten des Reichs beurlaubt. Zu den Doktoranden von Pohl gehörten die späteren Widerstandskämpfer Bertold Graf von Stauffenberg und Rüdiger Schleicher; der spätere SPD Politiker Carlo (Karl) Schmid war ab 1927 und 1928/29 Hilfsassistent an dem von Pohl geleiteten Seminar, Pohl betreute auch Schmids Tübinger juristische Habilitation von 1929 (Die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Rechtssätzen dargestellt, Buch 1932), die er trotz teilweise abweichenden Auffassungen zur Bedeutung des „Internationalen Gerichtshofes“ in Den Haag nachdrücklich unterstützte: Schmid verspreche „nach seinen bisherigen Leistungen […] der Mann des Allgemeinen Teils des Völkerrechts in Deutschland zu werden.“ 1929 verließ Pohl Tübingen für ein Ordinariat in Breslau (als Nachfolger des nach Bonn berufenen Friedrich Heyer); den Ruf hatte er bereits 1928 angenommen. Dort bleiben ihm jedoch nur wenige Jahre; Anfang 1931 verstarb er überraschend.
- Sein für die Staatsrechtslehrertagung in Halle an der Saale über den Wahlgesetzentwurf des Reichsinnenministers vorgesehenes Referat konnte er nicht mehr persönlich halten; es wurde von Friedrich Giese verlesen. Begraben wurde Pohl auf dem Friedhof von Bonn-Poppelsdorf, wohin die Familie nach seinem Tode wieder zog. Gleichwohl stellt die Tübinger Zeit den unbestreitbaren Schwerpunkt von Pohls Biographie dar; an keiner Hochschule lehrte er länger und fand mehr Schüler. Besondere Verdienste erwarb er sich um die Vereinigung der Staatswissenschaftlichen (an der auch die öffentlich-rechtlichen Ordinariate angesiedelt waren) mit der Juristischen Fakultät; die Vereinigung, auf die Pohl bereits in den Berufungsverhandlungen gedrängt hatte, konnte 1923 vollzogen werden; Pohl war 1922/23 der letzte Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät. Pohl wohnte in Tübingen zunächst an der Neckarhalde 1924, dann von 1925 bis 1926 in der Melanchthonstraße 24, bis zu seinem Fortgang nach Breslau dann viele Jahre in der Waldhäuserstraße 26. 1906 bestritt Pohl in einem Aufsatz für das Archiv des öffentlichen Rechts (in Auseinandersetzung mit der Gesamtaktstheorie von Johannes Emil Kuntze, 1824–1894) pointiert, dass „Legitimität […] Wesensmerkmal der Staatsgewalt“ sei; die Formel wurde wiederholt aufgegriffen, zuletzt 1919 durch das Lehrbuch von Meyer/Anschütz. Politisch war Pohl, dessen Elternhaus der Zentrumspartei nahestand, ein Mitglied der DVP, als dezidierter Befürworter der Weimarer Republik Sartorius vergleichbar, den er noch in seinem letzten Lebensjahr wegen seines Amtes als Vorsitzender der Staatsrechtslehrervereinigung als „unserer erhabener Duce Sartorius“ ironisch titulierte (VVDStRL 7, 131 f.). Ebenso aber war Pohl ein Gegner des „Schandvertrages“ von Versailles, den er mit ausschließlich wissenschaftlichen und publizistischen Mitteln bekämpfte. Vom Nationalstaat ausgehend, befürwortete Pohl eine Geltung des Völkerrechts nur, sofern sich die einzelnen Staaten daran binden. Von einem Internationalen Gerichtshof habe Deutschland „nichts zu erwarten.“ Als „Mann der nationalen Rechten“ kann Pohl allerdings, nach damaligen und heutigen Maßstäben, nur mit Einschränkungen bezeichnet werden. Bemerkenswert ist, dass die Tübinger Doktoranden Stauffenberg (Russische Handelsvertretungen. Eine Studie zum Internationalen Recht, 1929) und Schleicher (Das internationale Luftfahrtrecht, 1923) unabhängig voneinander den Weg in den Widerstand fanden. Pohls Werk, insbesondere seine zahlreichen völkerrechtlichen Arbeiten sind „bisher nirgends gewürdigt worden.“[3]
Familie
Heinrich war der Sohn des klassischen Philologen Dr. phil. Michael Joseph Pohl (1835–1922) aus Billig bei Euskirchen[4] und dessen Frau Auguste Friederike Wilhelmine, geb. Cremer.
Ehe
Prof. Dr. Pohl heiratete 1913 seine aus Köln stammende Verlobte Katharina Emilie Maria Theresia Auer (1892–1967). Aus der Ehe sind fünf Kinder entsprossen:
- Joseph ( 7. Januar 1914 in Greifswald), Dr. phil., Kunsthistoriker; verfaßte: Die Verwendung des Naturabgusses in der italienischen Porträtplastik der Renaissance, Diss. phil. Bonn 1938. Er war als Feldwebel der Wehrmacht am 26. April 1945 in Genua an der Italienfront, einen Tag nach der Kapitulation durch Generalmajor Günther Meinhold („Kampfgruppe Meinhold“), seinen schweren Verwundungen erlegen.
- Maria ( 1915), verh. Weischer, Bonn
- Veronika ( 1918)
- Therese ( 1920)
- Johanna (1927–1963)
Werke (Auswahl)
- Thomas von Kempen – Gebete und Betrachtungen über das Leben Christi. Aus dem Lateinischen übersetzt von Heinrich Pohl. Mit einer Einleitung von Dr. Joseph Pohl, 1904 (2. Aufl. 1904, 3. Aufl. 1913)
- Bundesstaatsschöpfung und Kuntzes Gesamtaktstheorie, in: AöR 20 (1906), 173–192
- Der Fall Mannesmann – Bericht und Gutachten auf Ersuchen des Marokko-Minensyndikats GmbH, 1910
- Der politische Verein nach dem Reichsvereinsgesetz, 1910
- Deutsche Prisengerichtsbarkeit – Ihre Reform durch das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907, 1911
- Der Monroe-Vorbehalt, in: „Festschrift für Paul Krüger“, 1911, 447–472
- Aus Völkerrecht und Politik – Gesammelte Aufsätze, Berlin 1913
- Die deutsche Auslandshochschule, 1913
- Deutsches Landkriegsrecht – Quellensammlung mit Sachregister, 1915
- Deutsches Seekriegsrecht – Quellensammlung mit Sachregister, 1915
- England und die Londoner Deklaration, 1915
- Englisches Seekriegsrecht im Weltkriege, 1917
- Amerikas Waffenausfuhr und Neutralität, 1917
- Quellen und Studien zur Geschichte und Dogmatik des Seekriegsrechts, 1918/19 (vier Hefte zus. mit Heinrich Triepel)
- Rechtsschutz auf dem Gebiet der auswärtigen Verwaltung, 1919
- Zur Geschichte des Mischehenrechts in Preußen, 1920
- Die Auflösung des Reichstags, 1921
- Modernes Völkerrecht, 1922 (zus. mit Carl Sartorius)
- Bürgerkunde (zus. mit Arnold Thelen/Ludwig Kleinertz; 2. Aufl. 1924, 5. Aufl. 1930
- Luftkriegsrecht, 1924
- Reichsverfassung und Völkerversöhnung, 1924
- Der deutsche Einmarsch in Belgien – Ein völkerrechtlicher Rückblick, 1925
- Der deutsche Unterseebootkrieg, 1925 (ND: 1976)
- Die katholische Militärseelsorge Preußens 1797–1888, 1926 (ND: 1962)
- Die belgischen Annexionen im Versailler Vertrage, 1927
- Die Elsaß-Lothringische Frage. Eine Studie zur Kritik des Versailler Vertrags, 1927
- Reichsverfassung und Versailler Vertrag, 1927
- Neues Völkerrecht auf Grundlage des Versailler Vertrages, 1927
- Philipp Zorn als Forscher, Lehrer und Politiker. Bilder zu seinem Gedächtnis, 1928
- Das Recht des Reichstags, 1928
- Völkerrecht und Außenpolitik in der Reichsverfassung, 1929
- Die Staatsangehörigkeit im internationalen Recht, in: „Recht und Staat im neuen Deutschland“, 2, 1929, 408–439
- Fälle und Fragen des Völkerrechts, 1930 (zus. mit Arthur Wegner)
- Englands Konterbandepolitik auf der zweiten internationalen Friedenskonferenz, in: „Festgabe für Paul Heilborn“, 1931
- Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen – Eine Studie zur deutschen Verfassungsgeschichte, in: „Festgabe für Philipp Heck, Max Ruemelin, Arthur Benno Schmidt“, 1931, 277–303
- Fälle und Fragen des Völkerrechts, 1930 (zus. mit Arthur Wegner)
- Das Reichstagswahlrecht, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hg.). „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“, Bd. 1, 1930, ND 1999, 386–400
- Wahl, Amtsdauer und persönliche Rechtsstellung des Reichspräsidenten, in: ebda. 467–482
- Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, in: ebda. 482–502
- Die Reform des Wahlrechts, 1932 (zus. mit Gerhard Leibholz)