Raucheisen, Michael
Michael Raucheisen ( 10. Februar 1889 in Rain, Bayern; 27. Mai 1984 in Beatenberg) war ein deutscher Pianist und Klavierbegleiter.
Wirken
Seine Laufbahn begann Michael Raucheisen als Geiger und Bratschist. Die ersten Töne brachte ihm der Vater bei, der in Rain, einem kleinen Ort in Oberbayern, als Kirchenchorregent wirkte. Und die musikalische Ausbildung seines einzigen Sohnes war ihm so viel wert, daß er 1902 mit seiner Familie nach München übersiedelte. Und hier begann alsbald Michael Raucheisens außerordentliche Musikbegabung zu strahlen, als ob er sich dem Ruhm der ebenfalls aus Rain stammenden Lachner-Brüder (Franz, Ignaz, Vincenz) verpflichtet fühlte.
Bereits 1906 spielte der Student der Musikhochschule im Prinzregenten- und im Hoftheater die erste Geige, machte er als Organist von St. Michael auf sich aufmerksam. Von 1908 bis 1912 gehörte er als Bratscher dem renommierten „Münchner Streichquartett“ an. Der große Dirigent Felix Mottl vermittelte dem 22jährigen eine Kapellmeisterstelle in Karlsruhe. Aber die Eltern waren gegen einen Wegzug aus München. Mottl, der den Geiger Raucheisen schätzte, wußte aber auch von dessen pianistischen Fähigkeiten. Er schickte ihm Sänger zur Einstudierung ihrer Rollen, und bald trat Raucheisen als deren Begleiter bei Liederabenden hervor.
Schon 1912 gründete Raucheisen die berühmt gewordenen musikalischen Matineen, gestaltete viele selbst und trat mit Künstlern wie Leo Slezak, Karl Erb, Paul Bender, Sigrid Onegin und Maria Ivogün, seiner späteren Frau, auf.
Etwa seit dem Jahre 1916 widmete sich Raucheisen dann fast ausschließlich der pianistischen Begleitung.
In allen europäischen Ländern musizierte er und darüber hinaus auch in Japan und China. Durch seine meisterhafte pianistische Begleitung berühmter Sänger und Sängerinnen hatte er sich internationalen Ruf erworben.[1] Zweimal unternahm er mit seiner Gattin, er war mit Maria Ivogün verheiratet, Gastspielreisen nach den Vereinigten Staaten. Als ihn eines Tages ein Berliner Agent anrief, er möchte eine junge unbekannte Italienerin aus Amerika begleiten, die in Berlin ihr erstes Konzert geben wollte, bat die Künstlerin zu sich und stellte bei der Probe fest, daß es sich um eine Begabung ersten Ranges handelt. Die Sängerin jedoch selbst war ganz verzagt, da der Kartenvorverkauf nicht ihren Erwartungen entsprach. Raucheisen trommelte alle seine Bekannten mehrere Hundert an der Zahl - zusammen. Es gab einen großen Erfolg. Über Nacht war ein unbekanntes Talent entdeckt: Dusolina Giannini.
Professor Raucheisen hatte gelegentlich einmal von der Schwere seiner Aufgaben geplaudert, von deren Verantwortung das breite Publikum meist gar nichts merkt.
- „Ich stelle mich immer genau auf den Solistenbein, es muß so klingen, als ob wir jeden Tag zusammen musizierten, trotzdem ich fast jeden Abend mit einem anderen musiziere und den betreffenden Solisten vielleicht erst am Konzerttage in irgendeiner Stadt kennen gelernt habe. Es muß eben immer ein Wurf sein. Man muß mit dem Sänger atmen, vorausahnen, ob er plötzlich schneller oder langsamer wird; auch ist es nicht immer der Fall, daß auf dem Podium genau so konzertiert wird, wie es in der Probe besprochen wurde, in der der Sänger oft nur markiert und sich für den Abend schont. Da muß der Begleiter eben manchmal vieles erraten. Wie ich schon sagte: Geistesgegenwart ist nötig. Dazu kommt noch, daß ich schon mit vielen ausländischen Künstlern musiziert habe, die nicht die landläufigen Sprachen sprechen, und mit denen ich mich daher überhaupt nicht verständigen konnte. Aber oft schlingt eben die Musik das Band der Verständigung und alles geht vortrefflich. Wahre Kunst wird eben von allen verstanden.“[2]
Im Jahre 1920 erhielt Michael Raucheisen seine Berufung nach Berlin, wo er bis 1958 wohnhaft blieb. Er begleitete Starsängerinnen wie Claire Dux und Elena Gerhard, Sänger wie Lauritz Melchior und Tito Szipa, die Geiger Joseph Szigeti, Joan de Manèn, Erica Morini, den Cellisten Gregor Piatigorsky, um nur einige Namen zu nennen. Als revolutionäre Neuerung galt Raucheisens Begleitung mit offenem Flügel, um eine andere, bessere Klangverbindung zwischen Stimme und Instrument zu erreichen. Endgültig „oben“ war er nach seiner Konzertreise durch Nordamerika 1923/24 und nach der Welttournee mit dem Violinvirtuosen Fritz Kreisler.
Michael Raucheisen avancierte zum meistgesuchten Begleiter; was Rang und Namen hatte, trat mit ihm auf. Doch er widmete sich weiterhin auch der instrumentalen Kammermusik und errang insbesondere mit den „Meistertrio“, zu dem noch der Geiger Vása Prihoda und der Cellist Paul Grümmer gehörten, große Erfolge. Viele Jahre lehrte Raucheisen auch an der Musikhochschule Berlin.
Ab 1933 strebte er eine umfassende Dokumentation des deutschsprachigen Liedes auf Schallplatte an, für die er ab 1940 als Leiter der Abteilung „Lied und Kammermusik“ am Berliner Reichssender die dortigen Studios zur Verfügung hatte. 1936 rief er in der Zeitschrift „Die Musik-Woche“ zur Wahl von Adolf Hitler am 20. März 1933 auf.
Am 20. April desselben Jahres ernannte ihn Hitler zum Professor. Seit 1940 war Raucheisen Leiter der Abteilung Kammermusik beim Deutschlandsender und ab 1942 zusätzlich Leiter der Gruppe Musikalische Solisten beim Reichsrundfunk. Zusammen mit dem Geiger Váša Příhoda und dem Cellisten Paul Grümmer gründete er 1942 das Meistertrio. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs nahm ihn Hitler im August 1944 in die Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Pianisten auf, was ihn vor einem Kriegseinsatz bewahrte.
Nach dem Krieg hatte Raucheisen wegen seiner möglichen Verquickungen im Dritten Reich einige Jahre Berufsverbot und trat auch später selten öffentlich auf. Raucheisen wirkte zunächst vor allen in München, bevor er 1950 eine Professur an der Berliner Hochschule für Musik übernahm. 1958 beendete er diese Tätigkeit und seine künstlerische Laufbahn und siedelte nach Immensee, später nach Thun (Schweiz) über.
Im Jahre 1958 zog er sich nach einer begeistert aufgenommenen Tournee mit Elisabeth Schwarzkopf in das Privatleben zurück und übersiedelte mit seiner Frau Maria Ivogün in die Schweiz.
Aus Anlaß seines 95. Geburtstages wurde ihm am 10. Januar 1984 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Rain verliehen. Michael Raucheisen und seine 1987 verstorbene Gattin sind auf dem Städtischen Friedhof Rain bestattet.
Auszeichnungen
- 1970: Ehrenmedaille
- 1984: Ehrenbürger d. Stadt Rain.