Technokratie
Artikel aus dem Staatspolitischen Handbuch
Folgender Text stammt aus dem Staatspolitischen Handbuch, Band 1: Begriffe. |
Technokratie ist ein aus dem Griechischen abgeleiteter Neologismus, der soviel wie »Herrschaft durch Technik« bedeutet. Er wurde wahrscheinlich zuerst durch den amerikanischen Soziologen Thorstein Veblen benutzt, der 1912 die Funktion des »Technokraten« als die eines Ingenieurs beschrieb, der am besten in der Lage sei, eine moderne Gesellschaft optimal – das heißt nach den Gesetzen technischer Rationalität – zu führen. Dieser Definition entsprechend, war die »Technokratische Bewegung«, die nach dem Ersten Weltkrieg in den USA entstand, zuerst eine Sache von Ingenieuren, die einen bis dahin ungewohnten Führungsanspruch erhoben, der sich nicht nur im Bereich der Wirtschaft, in Gestalt des »Taylorismus« oder »Fordismus« etwa, auswirken sollte, sondern auch in der Politik. Eine erste Organisation entstand schon im Winter 1918/19 mit Gründung der Technical Alliance durch Howard Scott (1933 in Technocracy Inc. umbenannt). Unter dem Eindruck der Großen Depression gewann die Idee der T. einen gewissen Anhang auch und gerade bei den Verfechtern des New Deal, aber mehrere Spaltungen der Bewegung hemmten jede stärkere Wirkung. Im Europa der Zwischenkriegszeit gab es Tendenzen, die dem Technocratic Movement ähnelten, aber entweder sektiererisch wurden (wie zum Beispiel die »Atlantropa«-Bewegung um Herman Soergel) oder auf eine mittelbare Wirkung beschränkt blieben; so haben Entwürfe für umfassende »Pläne« zur Behebung der Wirtschaftskrise bei Sozialisten (Hendrik de Man, Emile Vandervelde) wie Nationalrevolutionären (Hans Freyer, Ernst Jünger, Werner Kreitz) eine Rolle gespielt. Die Vorstellung, daß T. die Möglichkeit biete, eine neue Ordnung jenseits von Kapitalismus ( Markt) und zu etablieren, blieb auch später einflußreich, so in dem zuerst 1941 erschienenen, aufsehenerregenden Buch The Managerial Revolution (dt.: Das Regime der Manager, 1949) von James Burnham. Burnhams These, daß nach dem Zweiten Weltkrieg alle ideologischen Konflikte aufhören müßten und an ihre Stelle – im Osten wie im Westen – die an Sachzwängen orientierte Lenkung der modernen Gesellschaften trete, um eine effizientere als die vergangene Politik möglich zu machen, besaß damals eine hohe Plausibilität. Ähnliche Vorstellungen wie bei Burnham fanden sich nach 1945 bei so verschiedenen Denkern wie Alexandre Kojève oder Arnold Gehlen. Gehlen galt in Deutschland auch als der bedeutendste Vertreter eines »technokratischen Konservatismus«. Während die Argumentation Helmut Schelskys populärer, aber sehr stark von der Gehlens abhängig war, wird man bei Ernst Forsthoff, dem zweiten wichtigen Repräsentanten des »technokratischen Konservatismus«, eher darauf hinweisen müssen, daß er die These Carl Schmitts vom Ende des Staates aufgenommen hatte und in dem Sinn abwandelte, daß die Industriegesellschaft durch die Technik jene Stabilität wiedergewinnen könne, die die politische Ordnung im eigentlichen Sinn nicht mehr gewährleiste. Hier gebe es noch eine Möglichkeit, das Ausüben von Zwang unter Hinweis auf objektive Gegebenheiten zu rechtfertigen. Obwohl der »technokratische Konservatismus« vorübergehend – am Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre – geeignet schien, den Ansturm der Linken mit einer betont rationalen Argumentation zurückzuweisen, wird man das Projekt letztlich doch als gescheitert betrachten müssen. Wichtige Gründe dafür waren nicht nur die Demokratisierungsrhetorik und die prinzipiell negative Wertung des Begriffs »T.« in der Öffentlichkeit, sondern auch die Widerstände im eigenen Lager, vor allem die kulturkritische Tradition, die im 20. Jahrhundert gerade als Kritik an der »Perfektion der Technik« (Friedrich Georg Jünger) einflußreich geworden war. |
Zitate
- „Der harte Kern des heutigen sozialen Ganzen ist nicht mehr der Staat, sondern die Industriegesellschaft, und dieser harte Kern ist durch die Stichworte Vollbeschäftigung und Steigerung des Sozialprodukts bezeichnet.“ — Ernst Forsthoff
- „Gegenüber dem Staat als einem universalen technischen Körper wird die klassische Auffassung der Demokratie als eines Gemeinwesens, dessen Politik vom Willen des Volkes abhängt, immer mehr zu einer Illusion. Der »technische Staat« entzieht, ohne antidemokratisch zu sein, der Demokratie ihre Substanz.“ — Helmut Schelsky
Literatur
- James Burnham: Das Regime der Manager [1941/1948], zuletzt Stuttgart 1951
- Ernst Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, München 1971
- Hans Freyer: Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hrsg. von Elfriede Üner, Weinheim 1987
- Michael Großheim: Ökologie oder Technokratie? Der Konservatismus in der Moderne, Berlin 1995
- Armin Mohler: Der Weg der »Technokratie« von Amerika nach Frankreich, in: Hans Barion u. a. (Hrsg.): Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Berlin 1958, S. 579–596
- Patrick M. Wood: Technocracy Rising. The Trojan Horse Of Global Transformation, Coherent Publishing, Mesa (Arizona, USA) 2015, ISBN 978-0-98637-390-9