Mommsen, Wolfgang J.
Wolfgang Justin Mommsen ( 5. November 1930 in Marburg an der Lahn; 11. August 2004 in Bansin auf Usedom) war ein deutscher Historiker.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Wolfgang J. Mommsen, ev., und sein um Minuten älterer Zwillingsbruder Hans wuchsen in Marburg/Lahn auf. Ein Urgroßvater war der Althistoriker und Liberale Theodor Mommsen („Römische Geschichte“), der 1902 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte. Mommsens Großvater war Bankdirektor, und sein Vater Wilhelm Mommsen arbeitete als Marburger Ordinarius über das 19. Jahrhundert, gehörte zu den wenigen Befürwortern der Weimarer Republik unter den Historikern.
Anders als der Mehrheit seiner Kollegen wurde ihm nach 1945 die Rückkehr auf seinen Lehrstuhl verweigert. Mommsens Jugend war entsprechend von materiellen Sorgen und dem erfolglosen Mühen des Vaters um die Rückkehr auf den Lehrstuhl überschattet. Nach dem Abitur an einem Marburger Realgymnasium studierte Mommsen auch daher erst mit dem Berufswunsch Brückenbau-Ingenieur Mathematik und Physik in seiner Heimatstadt. Bald wandte er sich aber doch einem Studium der Geschichte, Philosophie, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte zu. 1959 promovierte er in Köln bei Theodor Schieder, dessen Methode einer Verbindung von politik- und ideen- mit sozialgeschichtlichen Aspekten der Geschichte Mommsen beeinflusste. Schieders Ansatz hatte ihm sein Vater empfohlen. Mommsens Dissertation über „Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920“ verband politische Ereignisschilderung und Biographisches – Weber war als Schwiegersohn Theodor Mommsens Familienmitglied – und erläuterte Webers Begründung eines liberalen Verfassungsstaates. Mommsens Arbeit galt als neuartige historische Darstellungsform, weshalb sie in der Zunft international Aufsehen erregte. Weber blieb für Mommsens Arbeiten in Geschichtstheorie und Ideengeschichte wegweisend. 1967 habilitierte er sich wiederum bei Schieder in Köln mit einer Arbeit über Theobald von Bethmann Hollweg als Kriegskanzler im Ersten Weltkrieg. Zeitgleich entstand die umfassende Darstellung „Das Zeitalter des Imperialismus“ (1968). Darin belegte Mommsen Wechselwirkungen von Außen- und Innenpolitik, von Wirtschaftsinteressen und realpolitischem Machtkalkül.
Die akademische Laufbahn begann Mommsen in Köln und Leeds/England, 1959 wurde er Schieders Assistent in Köln, und 1967/1968 war er dort Privatdozent. 1968 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Geschichte nach Düsseldorf; den Lehrstuhl hatte er bis zur Emeritierung 1996 inne. Mommsens Bruder Hans spezialisierte sich als Ordinarius in Bochum (1968–1996) auf die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus. Der 1976 verstorbene ältere Bruder Karl Mommsen lehrte in Basel Regionalgeschichte.
Mit Hans Mommsen und anderen (Nipperdey, Wehler, Winkler) arbeitete Mommsen an einer erneuerten deutschen Historiographie, die sich westlichen Traditionen wie der Hinwendung zu Gesellschaftsgeschichte und sozialen Fragen öffnete.
Familie
Wolfgang Mommsen war seit 1965 mit Sabine, geb. v. Schalburg, verheiratet und hatte vier Kinder (Hans, Kai, Kerstin und Johanne). Er ertrank am 11. August 2004 beim Schwimmen in der Ostsee.
Schriften
- Fischer Weltgeschichte, Bd. 28: Das Zeitalter des Imperialismus. Frankfurt a. M. 1969, ISBN 3-436-01216-5
- Imperialismustheorien. 3. Aufl. Göttingen 1987, ISBN 3-525-33533-4
- Nation und Geschichte. Über die Deutschen und die deutsche Frage. München 1990, ISBN 3-492-11115-7
- Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Kultur und Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt a. M. 1992, ISBN 3-596-10525-0
- Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850 bis 1890. Berlin 1993, ISBN 3-549-05817-9
- Grossmachtstellung und Weltpolitik 1870–1914. Die Außenpolitik des Deutschen Reiches. Berlin 1993, ISBN 3-548-33169-6
- Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde 1870–1918. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich. Berlin 1994, ISBN 3-548-33168-8
- Bürgerstolz und Weltmachtstreben. Deutschland unter Wilhelm II. 1890 bis 1918. Berlin 1995, ISBN 3-549-05820-9
- Imperial Germany 1867–1918. Politics, Culture, and Society in an authoritarian State. London et al. 1995, ISBN 0-340-59360-1
- 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1849. Frankfurt a. M. 1998, ISBN 3-10-050606-5
- Max Weber und die deutsche Revolution 1918/19. Heidelberg 1998, ISBN 3-928880-17-9
- als Herausgeber: Die ungleichen Partner. Deutsch-britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1999, ISBN 3-421-05287-5
- Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933. Frankfurt a. M. 2000, ISBN 3-596-14951-7
- Der große Krieg und die Historiker. Neue Wege der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg. Essen 2002, ISBN 3-89861-098-5
- Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920. 3. Aufl. Tübingen 2003, ISBN 3-16-148480-0
- Die Urkatastrophe Deutschlands. Der erste Weltkrieg 1914–1918. (Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 17), Stuttgart 2004, ISBN 3-608-60017-5
- Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-596-15773-0
- War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten. Berlin 2005, ISBN 3-548-36765-8
Gesamtausgabe Max Weber
- Horst Baier, Mario Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen: Max Weber-Gesamtausgabe (MWG), 41 Bände, Tübingen: Mohr-Siebeck, 1984ff. (bisher [2008] noch nicht alle Bände erschienen)
Literatur
- John Breuilly: Wolfgang Mommsen. 1930–2004. In: German History. 22/2004, S. 595–599.
- Fritz Klein: Erinnerung an Wolfgang Mommsen. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 52/2004, S. 1035–1037.
- Wolfgang J. Mommsen (Interview): Die Jungen wollen ganz unbefangen die alte Generation in die Pfanne hauen. In: Rüdiger Hohls, Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus. Stuttgart 2000, S. 191–2117, ISBN 3-421-05341-3 (im Weltnetz).
- Stefan Rebenich: Die Mommsens. In: Volker Reinhardt (Hg.): Deutsche Familie. Historische Portraits von Bismarck bis Weizsäcker. München 2005, S. 147–179, ISBN 3-406-52905-4.
- Hans-Ulrich Wehler: Wolfgang J. Mommsen 1930–2004. In: Geschichte und Gesellschaft. 31/2005. S. 135–142.
- Christoph Cornelißen (Hrsg.): Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation. Berlin 2010.[1]