Iringlied
Das Iringlied (auch Iringsage) berichtet von der Königsburg „Scithingi“ als Sitz des Thüringer-Königs Hermenefred (auch Irminfried) und als Schauplatz der großen Schlacht der Germanen, die des Volksstammes der Thüringer gegen die der Franken und Sachsen im Jahre 531 und dem Untergang des Thüringer Königreiches.
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Die Burg wurde oft mit dem Ort Burgscheidungen in Verbindung gebracht, allerdings läßt sich zum damaligen Zeitpunkt keine Burg dort belegen. Dennoch soll die Schlacht zumindest in der Nähe am Fluß Unstrut stattgefunden haben. Teile der Iringsage finden sich im Nibelungenlied wieder. Jacob Grimm faßte die mündlichen Überlieferungen erstmals Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen und veröffentlichte sie gemeinsam mit seinem Bruder in dem Sammelwerk „Deutsche Sagen“:[1]
Quelle
Als Quelle für den Untergang des Thüringer Königreiches dient die Sachsensage des mittellateinischen Textes der Kapitel 9 bis 13 des ersten Buches von Widukind von Corvey seiner im Jahre 968 vollendeten Sachsengeschichte. Dieser Teil beinhaltet eine Heldensage, das „Iringlied“, das die Geschichte Irings erzählt, eines Gefolgsmanns des Türingerkönigs Irminfrid, der seinen Herrn erst verriet und dann rächte. Nach Iring heiße, so Widukind die Milchstraße.
Der Stoff liegt in mehreren Überlieferungen vor, einer von Widukind von Corvey (in seiner res gestae saxonicae, hier die Kapitel 9-13 des ersten Buches) darüber hinaus gibt es eine ähnliche Version in der Sächsischen Weltchronik. Diese wurde auch in die Quedlinburger Annalen übernommen. Weiterhin gibt es die Schriftfassung eines gewissen Gregor von Tours:
Ums Jahr 530 unterwarf der Frankenkönig Theoderich, Chlodovechs Sohn, das Reich der Thüringer unter Irmenfried. Das Andenken des großen Ereignisses verfiel der Dichtung, wiederum in verschiedenem Sinne bei Siegern und Besiegten und noch anders bei den Sachsen, die den Franken Zuzug geleistet hatten. Von der fränkischen Dichtung läßt Gregor uns nur Bruchstücke erkennen: vor dem Aufbruch erregt der Frankenkönig die Kriegslust seiner Leute durch eine flammende Rede, die sich in den Motiven mit der Aufreizung des Hamöir und Sörli durch ihre Mutter berührt und vielleicht von der Svanhilddichtung beeinflußt ist; die gefallenen Thüringer bilden einen Leichendamm durch die Unstrut, und die Franken ziehen über die Leiber ihrer Feinde hinüber ans jenseitige Ufer (Gregor 3, 7). Das fränkische Lied scheint von jener Art gewesen zu sein, von der uns die schon erwähnten Bruchstücke des Hunnenschlachtliedes eine Anschauung geben; es hatte nicht bloß ein Auge für die Führer, sondern auch für die Scharen der Streiter und das Bild der Schlacht. Gregor verknüpft mit seiner dürftigen Inhaltsangabe historischer aussehende Notizen wie die, daß die Franken durch verdeckte Gräben aufgehalten wurden, und daß man den gefangenen Irmenfried hinterrücks von einer Mauer stürzte. Außerdem macht er wichtige Angaben über einen früheren Zug Theoderichs nach Thüringen. Dort hatte Irmenfried seinen Bruder Berthar von der Herrschaft ausgeschlossen und töten lassen. Er hatte aber noch einen zweiten Bruder, Baderich, mit dem er die Regierung teilte. Eines Tages fand er den Tisch nur halb gedeckt, und als er seine Gemahlin Amalaberga — eine Gotin — fragte, was das bedeuten solle, antwortete sie: ,,Wer das halbe Reich nicht sein nennt, muß auch den Tisch nur halb gedeckt haben“. Durch solche und ähnliche Reden aufgereizt, verband sich Irmenfried durch heimliche Botschaft mit Theoderich, und beide zusammen stürzten den Baderich, der durch das Schwert fiel. Auch diese Erzählung zeigt Spuren volkstümlicher Tradition, aber sie hat mit dem Liede vom Thüringerfeldzug nichts zu tun. Dagegen ist sie in der thüringischen Überlieferung mit der Kunde von Irmenfrieds Fall verschmolzen. Nach den Namen zu urteilen, waren nämlich Berthar und Baderich Irmenfrieds Stiefbrüder. Macht man die naheliegende Annahme, daß sie aus einer unebenbürtigen Ehe stammten, so konnte Amalaberga zur Aufreizung ihres Gemahls darauf hinweisen, seine Brüder seien als Mägdesöhne nicht zur Herrschaft berechtigt, sondern eigentlich Irmenfrieds Diener. Denselben Vorwurf macht in der thüringischen Sage, wie sie u. a. bei Widukind und in den Quedlinburger Annalen vorliegt, Amalaberga dem Theoderich, der hier ihr unebenbürtiger Bruder ist. Da Theoderich tatsächlich ein unehelicher Sohn war, so liegt die Vermutung nahe, daß das Verhältnis des Paares Irmenfried-Amalaberga zu den Brüdern des ersteren den Anlaß zu dieser Erfindung gegeben hat. Die heimische Sage hat die inneren Streitigkeiten über dem Frankenkrieg vergessen. Wer weiß, ob nicht noch mehr Züge der jüngeren Überlieferung von jenem Bruderzwist ausgegangen sind. Vielleicht hat Baderich durch die Hand eines ungetreuen Dieners geendet, und das Bündnis zwischen Theoderich und Irmenfried wiederholt sich in Form eines Anerbietens bei Widukind. Doch wenden wir uns zur Iringsage selbst.
Als Chlodovech, der Frankenkönig, gestorben war, schickte Hugdietrich, sein ältester Sohn, Boten nach Thüringen zum König Irmenfried, die sollten Irmenfried Freundschaft entbieten und ihn zum Erbmahl laden, mit dem Dietrich nach alter Sitte zugleich den Vater ehren und feierlich die Herrschaft antreten wollte. Von der Ankunft der Boten vernahm Amalaberga, des Thüringerkönigs stolze Gemahlin und Dietrichs Schwester. Sie ließ den Iring vor sich kommen, das war Irmenfrieds Ratgeber, ein Mann ebenso schlau und wortgewaltig wie löwenkühn, und dieser Iring sprach zum König: ,,Ein Mägdesohn schickt sich an, Amalaberga ihr Vatererbe zu entziehen; willst du einem leibeigenen Knechte die Hand reichen wie deinesgleichen?“ Wie nun die Gesandten vor Irmenfried traten und ihre Botschaft ausrichteten, da gab ihnen der König vor versammelten Mannen die Antwort: ,, Zuerst komme Dietrich selber zu uns mit einem Haufen roter Ringe und kaufe sich die Freiheit von meiner Frau!“ Der Gesandte versetzte: „Mein Herr wird kommen, wie du wünschest, König, und wenn sein Gold nicht schwer genug ist, so legt er dir noch einen Berg von Thüringerköpfen auf die Wage!“ und die Franken schritten schwertklirrend hinaus unter dem Schweigen der Königsmannen. Als sie daheim ihrem Herrn Meldung machten, sprach dieser mit unveränderter Miene : „Gehn wir also und dienen dem Irmenfried !“ Es dauerte nicht lange, so fiel der fränkische Heerbann in Thüringen ein. Irmenfried eilte ihm entgegen, und die Schlacht entbrannte. Zwei Tage lang blieb sie unentschieden, am dritten erhielten die Franken sächsische Hilfe, und nun mußten die Thüringer weichen. Irmenfried warf sich mit dem Rest der Seinen in die Feste Scheidungen an der Unstrut und schickte den Iring als Unterhändler an den Feind. Iring bestach heimlich die Ratgeber Dietrichs und scheute sich nicht, als dieser unerweichlich schien, sein Mitleid für die Schwester anzurufen. Da endlich reichte der Franke die Hand zum Frieden. Aber ehe Iring das fränkische Lager verließ, forderte der König ihn zu einer heimlichen Unterredung. Er gefalle ihm, sagte er, ob er in seinen Dienst treten wolle? Mit des Thüringers Glück sei es aus. Und er habe eine besondere Aufgabe für Iring : Irmenfried werde vor ihm, seinem alten Diener, am wenigsten auf der Hut sein ; da solle er in dem Augenblick, wo jener kniee, ihn töten. Und er versprach ihm Haufen Goldes und Ehren und Güter in Fülle. Iring sah die roten Ringe, und er bedachte, daß Irmenfried ein gefallener Mann sei. Lange schwankte er, endlich sagte er zu. Er ließ Irmenfried sagen, er, Iring, habe das Vertrauen des Königs Dietrich gewonnen und bleibe bei ihm, um für seinen Herrn zu sprechen; er solle getrost kommen, der Franke sichere ihm das Leben zu. Und als nun Irmenfried kam und vor Dietrich kniete, da hob Iring, der neben diesem stand, sein Schwert und spaltete dem Knienden das Haupt. Dietrich rief, so daß alle es hörten: ,, Diese Neidingstat wird dir niemand lohnen; ich habe nichts mit dir gemein; sei froh, wenn du heil von hinnen kommst!“ Erhobenen Hauptes antwortete Iring: „Wohl bin ich ein Neiding, aber deine Ränke haben es gemacht. Wohlan, mein Herr soll nicht ungerächt liegen!“ Und mit dem Schwerte, das er noch blutig in der Hand hielt, schlug er den Frankenkönig zu Boden. Über seinen Leichnam legte er den toten Irmenfried, „damit“ — so sagt Widukind — „der wenigstens im Tode siege, der im Leben unterlag. Und mit dem Schwerte sich eine Gasse bahnend, ging er davon“. . . .
Bemerkt sei, daß der Hauptzeuge, Widukind, die Sage viel ausführlicher erzählt. Bei ihm treten seine Landsleute, die Sachsen, sehr in den Vordergrund. Augenscheinlich ist die Verleihung einer epischen Rolle an das Sachsenvolk und einzelne seiner Mitglieder eine verhältnismäßig späte Neuerung. Ich habe den Versuch gemacht, sie auszuscheiden und den ursprünglichen Zusammenhang des alten thüringischen Liedes, das wahrscheinlich den Grundstock der Erzählung bildet, wiederherzustellen. Thüringer waren es, die die Schuld am Kriege auf eine landfremde Frau schoben, die den Widerstand bis zum dritten Tage und die Übermacht des Feindes betonten, die alle Hauptszenen im eigenen Lande spielen ließen. Aber es ist charakteristisch für diese Dichtung wie für die germanische Heldenpoesie überhaupt: sie läßt auch dem Feinde sein Recht, sie macht sogar den Verräter zum bewunderten Helden. Nicht das nationale Interesse herrscht, sondern das allgemein menschliche, das ästhetische. Iring wird schon die Schöpfung eines thüringischen Sängers sein (7. Jahrhundert?), nicht erst eines sächsischen Erzählers. Unter den germanischen Sagenhelden müssen wir ihm einen Ehrenplatz einräumen. Er ist ein Typus für sich, entfernt verwandt übrigens mit dem deutschen Hagen. An diesen erinnert seine überlegene Heldenart zusammen mit der Dienstbereitschaft gegen die Königin, wobei das Interesse des Königs hintangesetzt wird. Die Mordtat am eigenen Herrn hat er gemein mit dem nordischen Starkad. Die tragische Gestalt der Sage ist nicht er, sondern der König, Irmenfried, dem Rodulf vergleichbar. Aber der Liebling der Erzähler und Hörer ist Iring, der jeder Lage Gewachsene, der das Schicksal eines Landes auf seiner Zunge trägt, in seinem starken Ichbewußtsein schimpflicher Pflichtvergessenheit nicht unfähig, aber mit blitzschneller Erfassung des Augenblicks seine Ehre heil davontragend durch die gezückten Schwerter. . . . Wenn das Volk die Milchstraße, den Iringsweg, am Himmel sah, so dachte es bei dem Namen an Iring, den Töter zweier Könige.
Siehe auch
Literatur
- Felix Genzmer: Das Iringlied