Johann Ambrosius Barth Verlag
Der Johann Ambrosius Barth Verlag; Gründungsname Johann Philipp Haug; später Barth Verlagsgesellschaft, in Leipzig war von 1780 bis 1999 ein bedeutender Fachverlag.
Geschichte
1780, ein Jahrzehnt, ehe der Name Johann Ambrosius Barth zum ersten Mal auftauchte, wurde zu Leipzig der Verlag Johann Philipp Haug gegründet. Sein erstes Buch, ein Kuriosum in seiner Art, erschien merkwürdigerweise mit der Jahreszahl 1779, obwohl der Verlag offiziell 1780 gegründet wurde.
Auch inhaltlich ließ es nicht ahnen, daß es der Auftakt eines Verlages sei, der 135 Jahre später der völkischen Forschung in ihrer reinsten Prägung eine sichere Heimstätte bot. Die Tätigkeit des Verlages Haug erschöpfte sich größtenteils in der Herausgabe sauberer, zierlich und artig geschmückte Übersetzung aus dem Französischen. Heute läßt es sich nicht mehr nachweisen, ob der Verleger damit nur eine Zeitströmung frönte, oder ob es vielleicht seine elsässische Abstammung war, die hierin ihren Ausdruck fand. Wie dem auch sei, von einem nennenswerten Beitrag kann noch nicht gesprochen werden. Bedeutungsvoller ist nach seinem Tode die auffälligen Hinwendung des Verlages zu wissenschaftlichen Literatur in den Jahren 1788/89, einmal, weil sie die Grundlage für die Weiterentwicklung schuf, zum anderen, weil hier vermutlich zum ersten Mal ein Barth richtungsgebenden Einfluß ausübte.
Johann Ambrosius Barth, der erste der Reihe, war der zweite Mann der Catherine Wilhelmine Haug. Er übernahm 1790 die Firma und verlieh ihr fort an seinen eigenen Namen und damit auch nach außen hin seines Geistes Richtung.
Schon in den ersten Jahren begegnen Namen von gutem Klang. Wilhelm Gottlieb Tennemann ließ seine elfbändige Geschichte der Philosophie bei Barth erscheinen; sie war damals die gründlichste ihrer Art. Auch mit den Schriften des Philosophen F. A. Carnus hatte Johann Ambrosius Werke verlegt, die über den Tag hinaus wirkten. Wenn man die Werke nur zählte, ohne Sie an ihre Wirkung zu messen, lag der Nachdruck seiner Verlagstätigkeit auf theologische Gebiet. Das Schwergewicht aber ruhte, ob bewußt oder nicht, auf den Naturwissenschaften.
Von weitertragenden Bedeutung war es, daß Johann Ambrosius das „Journal da Physik“ Friedrich Albert Greens erwarb.
Als er endlich 1809 Gilberts „Annalen der Physik“ angliederte, hatte er, wohl ohne es zu ahnen, die ernsten physikalischen Forschung in seinem Verlag für immer ein Heimatrecht gegeben. Ungeheuer fruchtbar sind die Anregung gewesen, die diese Zeitschrift in den nahezu 150 Jahren ihres Erscheinens dem Verlag vermittelt. Was sie der Wissenschaft, gab, ist so viel, daß es hier nicht andeutungsweise zu erfassen wäre, es sei denn allein durch das Gewicht der Namen eines Poggendorff, eines Helmholtz, eines Planck und der anderen, denen die Annalen das Sprachrohre zur naturwissenschaftlichen Welt waren.
In Gilbert besaß die Zeitschrift damals einen Herausgeber, der sie, entgegen der damaligen Modeströmungen bei Journalen, auf der Höhe wissenschaftlicher Strenge zu halten trachtete. Dadurch war sie zum natürlichen Gegenspieler der romantischen Naturphilosophie Hegels und Schellings geworden, deren gefährlich verschwommene Ideologie Gilbert nicht ohne Erfolg bekämpfte.
So oblag die Zeitschrift auch eine kulturelle Aufgabe, deren Gelingen anfänglich keineswegs abzusehen war. Daß sich Johann Ambrosius trotzdem für Gilbert und Gren einsetzte, stellt sein verlegerischen Weitblick ein gutes Zeugnis aus.
Die unberührbare Geradlinigkeit zeigte sich bei ihm im Großen wie im Kleinen. Seine Handlungen haben nichts des Sprunghaften an sich, sie sind das Ergebnis ruhiger, nüchterne Überlegungen, die den geraden Weg vorgezeichnet weiß und ihn nicht mehr verläßt, wenn er einmal betreten ist. Wenn gleich bei seiner Wesensart die Frage, ob von ihm auch anregende Wirkung ausgegangen sei, psychologisch zur Bejahung drängt, ist sie doch schwer durch Belege zu beantworten. Nur in dem einen, sicher aber typisch Falle der berühmten „Enzyklopädie für praktische Ärzte“ von Consbruch läßt sich seine Initiative nachweisen.
Durch Johann Ambrosius ausgeprägtem kaufmännischen Geschick, sei es in der gewissenhaften Art seine Buchführung oder in der umsichtigen Vertriebswiese, oder Endlich in der Art, wie er bei Verlagsverträgen seine Bedingungen, Forderung und Zugeständnisse abstreckte, dem allein ist es zuzuschreiben, daß er 1813 seinen Sohn Wilhelm Ambrosius ein gefestigtes Unternehmen hinterließ, nach innen und außen wohl verstrebt und gesichert.
Der Erbe sollte es zu ungeahnter Höhe – und nahezu zum Untergang führen. Welche Fehler indessen immer das Bild seiner Persönlichkeit beeinträchtigen mögen, der Dienst an der Wissenschaft war ihm unteilbarer Lebensinhalt. Seine mannigfachen Änderungen oder – wenn Worte wenig bedeuten – sein ganzes Verlagswerk gesellen ihn jenen Buchhändlern zu, denen die Sache vor dem Erwerb, die ideale Verantwortung vor dem Gewinn steht. Was ich bei Wilhelms Vater nur vermuten oder notdürftig belegen ließ, das liegt bei ihm deutlich zutage: Er machte bei vielen Werken persönlich seinen Einfluß geltend, wirkte selber anregend und gewann für seine Verlagsidee geeignete Verfasser.
Er war der begabteste, vielseitigste, ja der genialster der Barths. Aber er hat in seinem umstillbaren Drang, immer wieder Neues zu schaffen, des Vaters willensklare Zielbewußtheit nicht besessen. Er ließ sich von eigenwilligen Entschlüssen leiten, wo sein Vater praktisch Realitäten anerkannte.
Anfänglich schien sich alles in vorgezeichneten Bahnen zu entwickeln. Das vom Vater Begonnene wurde fortgesetzt und erlebte teilweise neue Auflagen. Die eigene Verlagstätigkeit stand mit Werken von Otto Linné Erdmann, Carl Friedrich Plattner, Carl Gustav Carus und den Brüdern Schlagintweit auf einer achtunggebietenden Höhe. Der Wert ihrer Werke wuchs über das Zeitgenössische weit hinaus. Erdmanns „Grundriß der allgemeinen Warenkunde“ (1833), Plattners „Probierkunst mit dem Lörrohre“ (1835) wurden, daß eine in 19., das andere in 18. Auflage noch hundert Jahre später verlegt.
Im Jahre 1824 stand Wilhelm vor einer schweren Entscheidung. Kurz nach dem Tode Gilberts bot sich ihm J. C. Poggendorff als Herausgeber der Annalen an. Herrisch fügte er hinzu, eine Absage müsse er mit der Gründung einer eigenen Zeitschrift beantworten, die der Mitarbeit bedeutendster Naturwissenschaftler sicher wäre. Wilhelm nahm das Angebot des noch völlig unbekannten an und verbrachte damit eine verlegerische Tat von großer Tragweite. Da ihm sein klarer Verstand gestattet, am Geistesleben seine Zeit teilzuhaben, gelang es ihm, die geistigen Strömungen einzufangen und seinen Verlag nutzbar zu machen.
Aber nur mit zuschwimmen, achtete sein allzeit wacher Geist für zu gering; er leistete selbst Richtungsweisendes. Das und nichts anderes ist es doch, wenn er die von Friedrich Heinrich von der Hagen besorgte Sammelausgabe der Minnesinger herausbrachte. Im Zeichen der Romantik, aber auf der Initiative Wilhelms, entstand auch die Gesamtausgabe der Werke Jakob Böhmes, den er – ein Zeichen seines Fingerspitzengefühls – früh „im Denken der Zeit als lebendigen Faktor“ erkannte. Die Beziehung zur Gegenwart seiner zeitgenössischen Gegenwart, die Kampfstellung gegen Pfefferrei, Despotie und Feudalismus hatte ihn schließlich zu jener berühmten Regisschen Ausgabe des „Gargantua und Pantagruel“ von Rabelais angeregt. Der damit bewiesenen Weite seines geistigen Blickfeld entsprach seine Regsamkeit im herstellerischen Denken.
Seine organisatorische Befähigung hatte er als Vorsteher der Börsenvereins (1831–1834) erwiesen. Stets auf Fortschritt bedacht, regte er unermüdlich zeitgemäß, ja der Zeit weit vorauseilende Verbesserung an 70 Jahre ehe die Deutsche Bücherei erstand, verfolgte er den Gedanken einer Börsenvereinsbibliothek, der jeder Verleger jede Neuerscheinung stiften müsste! Nicht genug damit, gehörte er mit Perthes und Campe zu den weitschauenden Buchhändlern, die die Gründung des Börsenvereins betrieben. Allein sein letztes Streben galt nur dem eigenen Verlag. Hätte er doch ein Teil der nüchternen Bedachtsamkeit seines Vereins besessen.
So aber war der Verlag durch kostspielige, wenn gleich mutige und Ideale Unternehmungen überlastet, die Bewegungsfreiheit durch finanzielle Aktionen aufs äußerste gehemmt werden. Nach mehreren Fehlschlägen stellte er schließlich die Zahlung ein; 1851 nahm er sich das Leben.
Der Verlag aber, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, war aus schwerste erschüttert. In dieser Not griff Wilhelms Sohn, Dr. Adolf Ambrosius Barth, ein, der in Berlin als Naturwissenschaftler lebte. Fachlich unvorbereitet, ein Außenseiter, ging er mit einer Sicherheit und Bestimmtheit ans Werk, die an den Großvater erinnert. Neue Werke, die den Verlag der letzten Rücklagen beraubt hätten, wurden vorläufig nicht verlegt, dafür einiger Ballast teils abgestoßen, teils im Preis ermäßigt. So war nach harten Jahren vorsichtige Sparpolitik das Schlimmste abgewendet und sogar ein Grundstück für den Neuaufbau geschaffen worden.
Es zeigte sich in dessen bald, daß für seine Verlagstätigkeit von Nutzen war, was ihm im Kaufmännischen zu hemmen schien. Seine wissenschaftliche Fortbildung gestattete ihm, von hoher Warte über einen angeboten Manuskript zu urteilen; selbst methodische Mängel entgegen seinem geschulten Denkvermögen nicht. Er war über den Gang der Forschung unterrichtet, aber ebenso vollständig überblickte er das vorhandene Schrifttum und vermochte danach zu entscheiden, ob es ein Angebot zu bereden suchte. Wäre ihm dies gelungen, würde der Gewinn für die Wissenschaft nicht abzuschätzen sein. Immerhin blieb der gewiss seltene Fall, daß der Verleger die Tragweite einer großen Entdeckung eher erkannte als der Entdecker selbst, und es ist deshalb wenigstens eine bescheidene Genugtuung, daß sie fünf „Grundlegenden Abhandlungen über die X-Strahlen“, jene klassischen Marksteine eines neuen Zeitalters der Medizin, später doch noch den Weg in den Verlag fanden.
Indessen ließ sich darin diese Werte schaffende Verlegertätigkeit nicht genug sein. An sich lege es nicht auf der Linie diese Untersuchung, der außerhalb des Verlages sich erstreckenden Tätigkeit Arthur Meiners nachzugehen. Aber es ist mehr als eine seltsame Fügung, daß nach den noch unzeitgemäßen Anregungen eines Wilhelm Barth nun aus dem gleichen Verlag durch Arthur Meiner der entscheidende Anstoß zur Gründung der Deutschen Bücherei mit ausging. Der Blick für das praktische Notwendige, aber auch das feinnervige Tatgefühl für den Pulsschlag der Geisteslebens gestattet ihm, Hinweise zu geben, wo nach seine Auffassung nach dankbare Aufgaben der Erfüllung harrten.
Man muß eben wissen, daß die kritisch prüfende und die schöpferische Gabe Arthur Meiners beide auf einem Grunde ruhen, dem Boden eines von keinen Dogmar befangenen Arbeitens aus den Quellen selbst, den Quellen seine Zeit. Gewaltige Sammelwerke der Chirurgie, Tropenmedizin, Hygiene, Endokrinologie und Physik verdanken ihm ihre Entstehung.
Im Frühjahr 1923 trat Wolfgang Meiner in die Firma ein.
- „Der jüngere Generation brachte neuzeitliche Gedanken mit in den Verlag unser neue Aufgaben und Ziele. Wenn ich naturgemäß auch mehr am Alten hänge, so macht es mir doch Freude, auch der Jugend ihr recht zu gönnen.“[1]
Mit diesen Worten leitete Arthur Meiner 1930 selbst in die neuen Zeit hinüber, in der Wolfgang Meiner mit seinen engsten Mitarbeiter und den derzeitigen Verlagsleiter Curt Berger die Geschicke des Verlages in die Hand nahm. Mag der Gegenwart andere Wege vor geschrieben haben, eines war seit dem immer gleich geblieben: die Planmäßigkeit des Aufbaus.
Zu den gekauften Verlagsverträgen gehörte Breitkopf & Härtel.[2] Von 1949 bis 1999 wurde der Kalender für Sternfreunde herausgegeben.
Der Johann Ambrosius Barth Verlag war bis 1987 eine Kommanditgesellschaft. Nach dem Tod der letzten Gesellschafterin wurde das Unternehmen 1988 dem Volkseigenen Betrieb Verlage für Medizin und Biologie Berlin, Leipzig, Jena angegliedert; es setzte jedoch unter eigenem Namen seine Tätigkeit fort. Im Juli 1990 erfolgte die Bildung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit ausländischer Beteiligung der Hüthig Verlagsgemeinschaft Decker & Müller GmbH in Heidelberg. Die in Leipzig noch bestehende Außenstelle des Verlags wurde 1999 geschlossen.
Schriften (Auswahl)
- Franz von Holtzendorff: Die Deportationsstrafe im römischen Altertum. Hinsichtlich ihrer Entstehung und rechtsgeschichtlichen Entwicklung dargestellt, Leipzig 1859
- Franz von Holtzendorff: Die Deportation als Strafmittel. in alter und neuer Zeit und die Verbrechercolonien der Engländer und Franzosen in ihrer geschichtlichen Entwickelung und criminalpolitischen Bedeutung, Leipzig 1859
- Franz von Holtzendorff: Das irische Gefängnisssystem. Insbesondere die Zwischenanstalten vor der Entlassung der Sträflinge, Leipzig 1859
- Franz von Holtzendorff: Französische Rechtszustände. insbesondere die Resultate der Strafgerechtspflege in Frankreich und Zwangscolonisation von Cayenne, 2 Vorträge, Leipzig 1859
- Franz von Holtzendorff: Die Kürzungsfähigkeit der Freiheitsstrafen und die bedingte Freilassung der Sträflinge. in ihrem Verhältnis zum Strafmasse und zu den Strafzwecken, Leipzig 1862
- Gustav Robert Kirchhoff, Ludwig Boltzmann (Hg.): Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1882
- Gustav Robert Kirchhoff, Ludwig Boltzmann (Hg.): Gesammelte Abhandlungen. Nachtrag, Leipzig 1891
- Bruno Petermann: Das Problem der Rassenseele. Vorlesungen zur Grundlegung einer allgemeinen Rassenpsychologie, Leipzig 1935, Mit 80 Abbildungen und 20 Tabellen im Text