Verhaltensbiologie

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Die Verhaltensbiologie oder Verhaltensforschung ist eine Teildisziplin der Biologie und erforscht das Verhalten der Tiere und des Menschen. Sie beschreibt das Verhalten, stellt Vergleiche zwischen Individuen und Arten an und versucht, das Entstehen bestimmter Verhaltensweisen im Verlauf der Stammesgeschichte zu erklären, also den bleibenden (und deshalb genetisch verankerten) „Nutzen“ für das Individuum.

Erläuterung

Wissenschaftshistorisch betrachtet ist die Verhaltensbiologie eine Nachbardisziplin der Verhaltensgenetik und der Psychologie. Ihre heutigen, äußerst vielgestaltigen Zweige wurzeln in der Tierpsychologie des späten 19. Jahrhunderts und der „klassischen“ vergleichenden Verhaltensforschung des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Aussagen und Ergebnisse der Verhaltensforschung finden über die Biologie hinaus auch in mehr oder weniger weit entfernten wissenschaftlichen Disziplinen wie der Soziologie und der Pädagogik Beachtung.

Die zentrale Frage: Welche Ursachen hat ein Verhalten?

Verhaltensbiologen analysieren insbesondere

  • welche inneren und äußeren Faktoren das Verhalten auslösen
  • wie Verhalten gesteuert wird und
  • wie Umwelt und Verhalten einander beeinflussen.

Der Grund für die heute festzustellende Vielfältigkeit der Teildisziplinen der Verhaltensbiologie und ihrer Arbeitsmethoden wird anhand einer knappen Frage rasch erklärlich: Warum bebrüten Vögel Eier? Diese Frage läßt sich nämlich allein durch veränderte Betonung vierfach aufspalten:

  1. Warum bebrüten Vögel Eier?
  2. Warum bebrüten Vögel Eier?
  3. Warum bebrüten Vögel Eier?
  4. Warum bebrüten Vögel Eier?

Die Verhaltensbiologen müssen sich in diesem Fall also u.a. beschäftigen mit folgenden Aspekten des Verhaltens:

  1. Woran erkennt ein Vogel (s)ein Ei? Wie unterscheidet er es, zum Beispiel, von einem Stein?
  2. Welche physiologischen Prozesse hindern den Vogel daran, das Ei kurzerhand aufzufressen? Warum scheint der Vogel zu wissen, daß er beim Brüten auf dem Ei sitzen muß und daß das Ei zerbrechlich ist?
  3. Warum zeigen gerade die Vögel solches Brutverhalten, nicht aber Hunde und Schildkröten?
  4. Welchen Anpassungswert hat das Erbrüten von Jungen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Brutverhalten, Flugfähigkeit und „maximal zulässigem Fluggewicht” einer werdenden Vogelmutter?

Nikolaas Tinbergen beschrieb 1963 in seinem Buch On aims and methods of ethology die vier Ebenen der Erklärung von Verhalten so:

Die klassische vergleichende Verhaltensforschung („Ethologie“) beschäftigt sich vorwiegend mit der Frage, wie etwas passiert: also mit den Mechanismen der Verhaltenssteuerung (vergl. hierzu Instinkttheorie), d. h. mit den proximaten Ursachen des Verhaltens.

Die neueren Zweige der Verhaltensbiologie (insbesondere die Verhaltensökologie und die Soziobiologie) beschäftigen sich vorwiegend mit der Frage, warum etwas passiert: also mit der evolutionären Angepaßtheit eines Verhaltensmerkmals, d. h. mit den ultimaten Ursachen des Verhaltens.

Die wichtigsten Zweige der Verhaltensbiologie

Die Verhaltensbiologie ist eine synthetische Wissenschaft, deren Arbeitsmethoden und Fragestellungen in erheblichem Maße Überlappungen mit anderen Fachgebieten aufweisen.

Vergleichende Verhaltensforschung

Die anfangs Tierpsychologie und später Ethologie genannte, „klassische“ vergleichende Verhaltensforschung wurde in den 1930er Jahren von Oskar Heinroth, Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen begründet. Diese Forscher gingen von dem damals grundlegend neuen Ansatz aus, daß die äußerst vielfältig und komplex erscheinenden Verhaltensabläufe der Tiere aus bestimmten Grundbausteinen des Verhaltens aufgebaut sind, den sogenannten „Erbkoordinationen“ oder Instinktbewegungen. Daher bemühten sie sich vor allem um eine genaue Beschreibung der Verhaltensweisen einzelner Tierarten mit Hilfe von Ethogrammen, wozu auch experimentell gearbeitet wurde (u.a. zum Phänomen der Prägung). Ferner gingen sie, in krassem Gegensatz zum Behaviorismus, davon aus, daß innere, spontane Antriebe für das Verhalten sowohl eingrenzbar, als auch beschreibbar seien.

  • Der Begriff “Ethologie” wird gelegentlich auch als gleichbedeutende Bezeichnung (als Synonym) für die gesamte Verhaltensbiologie verwendet.

Humanethologie

Die Humanethologie erforscht insbesondere jene Verhaltensweisen des Menschen, die als angeboren gelten und die daher als Anpassungen an die natürliche Umwelt verstanden werden. Solche Verhaltensweisen müssen sich im Verlauf der Stammesgeschichte entwickelt haben und sollten daher bei Menschen unterschiedlichster Kulturen in ähnlicher Ausprägung nachweisbar sein. Tatsächlich haben sich im Kulturenvergleich (→ Kulturbiologie) zum Beispiel zahlreiche Gesten und viele Aspekte der Gesichtsmimik als erstaunlich ähnlich herausgestellt.

Neuroethologie (Verhaltens-Neurologie)

Die Neuroethologie ist in gewissem Sinne eine Fortsetzung der “klassischen” vergleichenden Verhaltensforschung mit den Methoden der Neurologie. Beispielsweise untersucht sie die neurophysiologischen Entsprechungen für Phänomene wie spontanes Instinktverhalten und angeborene Auslösemechanismen (AAM), aber auch Rezeption (Aufnahme), Fortleitung und Verarbeitung von Lichtsinneseindrücken. Arbeitsmethoden sind hierfür u.a. die Ableitung von elektrischen Impulsen aus einzelnen Zellen, die Nutzung moderner bildgebender Verfahren, die elektrische Reizung bestimmter Hirnareale und das Untersuchen von Ausfallerscheinungen.

Ethoendokrinologie (Verhaltens-Endokrinologie)

Die endokrinologische Verhaltensforschung untersucht die Wechselwirkungen von Hormonsystem und Verhalten, also beispielsweise den Einfluß von Adrenalin und Serotonin sowie der Endorphine auf das Verhalten und - umgekehrt - den Einfluß des Verhaltens auf die Ausschüttung von Hormonen. Bekannt (aber nicht verstanden) sind solche Wechselwirkungen beispielsweise schon lange aus dem Gebiet des Sexualverhaltens und der Erforschung von Stressoren.

Ethoökologie (Verhaltens-Ökologie)

Die Verhaltensökologie (Verhaltensökobiologie, Ethoökologie) beschreibt und analysiert das Verhalten der Lebewesen in einer spezifischen Umwelt und untersucht die evolutionäre Angepaßtheit des Verhaltens an spezifische Umweltbedingungen. Grundlage für diese Forschungsrichtung ist die Evolutionstheorie, was besagt, daß die Angepaßtheit eines Merkmals an die Umwelt des Merkmalsträgers (des Individuums) letztlich das Ergebnis einer Selektion ist, die zur Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit (zur Fitnessmaximierung) führt. Unter anderem versucht man in mathematischen Modellen zu beschreiben, wie sich optimal angepaßte Individuen verhalten sollten.

Soziobiologie

Die Soziobiologie kann als Teilbereich der Verhaltensökologie aufgefaßt werden; sie beschäftigt sich mit dem Sozialverhalten der Tiere und des Menschen: Untersucht werden zum Beispiel die Bedingungen, unter denen soziale Gruppen (Sozialverbände, Insektenstaaten) und Hierarchien entstehen; das Phänomen der Territorialität und des Altruismus (siehe hierzu auch: Eintrageverhalten); Fortpflanzungsstrategien (Monogamie, Polygamie, Polygynie).

Evolutionäre Psychologie

Die Evolutionäre Psychologie versteht sich als biologische Grundlage für viele Disziplinen innerhalb der Psychologie und versucht, menschliche Handlungsweisen aus der Perspektive der evolutionären Entwicklung zu verstehen. Ein originelles Teilgebiet ist beispielsweise das Erforschen der Fähigkeit zum Unterscheiden von Mengen bei Tieren, da das sprachliche Zählvermögen beim Menschen im Verlauf seiner Stammesgeschichte nicht plötzlich neu (de novo) aufgetreten sein kann, sondern aus physiologischen Vorläufern entstanden sein muß.

Weitere Teilgebiete

Weitere Zweige der Biologie, die der Verhaltensforschung nahe stehen, sind die Verhaltens-Genetik, die Psychobiologie, die Chronobiologie, die Biologie des Orientierungsverhaltens und - sehr allgemein formuliert - die Biologie der Individualentwicklung (Ontogenese), des Lernens und der Kommunikation.

Die Methoden der Verhaltensbiologie

Beobachtung und Beschreibung

Am Beginn vieler verhaltensbiologischer Studien steht auch heute noch die Beobachtung der Tiere, und zwar am besten unter natürlichen Bedingungen und ohne Einflußnahme durch den Beobachter. Das beobachtbare Verhalten wird so genau wie irgend möglich beschrieben und quantifiziert, in der Regel mit Hilfe von Verhaltensprotokollen.

Schwierig ist häufig

  • die eindeutige Zuordnung von Verhalten zu bestimmten Verhaltensweisen bei stationären (bewegungsarmen) Zuständen;
Beispiel: Darf die Putzbewegung einer offensichtlich schlafenden Maus als Körperpflege bewertet werden?
  • die Zuordnung von Reiz und Reaktion, wenn innere (endogene) Reize die unmittelbaren Auslöser waren und äußere (exogene) Reize - wenn überhaupt - nur eine Nebenrolle spielen;
Beispiel: Die Tageslänge beeinflußt den Hormonspiegel, der das Zugverhalten bei Zugvögeln steuert: Was ist hier die „wirkliche“ Ursache des Zugverhaltens?
  • die Interpretation von Verhaltensweisen, die man als Reaktion auf Reize auffassen kann, die schon vor Beobachtungsbeginn auftraten und deren Folgen während der Beobachtungszeit registriert werden;
Beispiel: Ist ein bestimmtes beobachtetes Verhalten angeboren oder erlernt?
  • die Interpretation von Verhaltensweisen, deren physiologische Ursachen noch völlig unerklärlich sind;
Beispiel: Das Verhalten von Zugvögeln, die – aus Deutschland kommend – über Frankreich und Spanien Richtung Westen fliegen und in der Höhe von Gibraltar abrupt nach Süden abbiegen.

Experimente

Von Verhaltensbiologen werden sowohl Freiland- als auch Laborexperimente durchgeführt. Letztere dienen häufig dem Erforschen der physiologischen Grundlagen des Verhaltens, also zum Beispiel der Feststellung von Hormonkonzentrationen im Blut und von Aktivitätsmustern der Nervenzellen sowie zur Klärung von Verwandtschaftsbeziehungen. Verhaltensexperimente, wie zum Beispiel der Open-Field-Test, werden in der Regel an lebenden Tieren durchgeführt, gelegentlich – zur Klärung von Detailfragen – aber auch an isolierten Geweben oder an einzelnen Zellen.

Eine noch immer wichtige Vorgehensweise der Verhaltensbiologen kann als physiologische Variante der Black-Box-Methode bezeichnet werden, da trotz der stetig wachsenden Erkenntnisse von Neurophysiologie und Gehirnforschung die spezifischen, das Verhalten steuernden inneren Strukturen noch immer unbekannt sind: Man erforscht den Zusammenhang bestimmter Reize mit bestimmten Reaktionen, blendet aber viele Details der inneren Regelungsprozesse aus der Analyse aus.

Beispiele:

  • Kreuzung von (grauen) Wildmäusen mit (weißen) Labormäusen, um Verhaltensunterschiede zwischen diesen und den Mischlingen zu erforschen: Ähneln die Mischlinge eher den Wildmäusen oder eher den Labormäusen?
  • Können Schimpansen Kisten so stapeln und an ihnen empor klettern, daß sie an eine hoch hängende Banane heran kommen? (siehe hierzu: Werkzeuggebrauch bei Tieren)
  • Wie wirkt sich die Gabe einer bestimmten Menge eines Medikamentenwirkstoffs auf das Schlafverhalten einer Ratte aus?
  • Wie schnell lernt ein Hund, daß nach einem Klingelton Futter gereicht wird? Welche Veränderungen sind dabei in seinem Gehirn nachweisbar?
  • Ein Tier erhält für eine gewisse Zeit kein Futter. Wann und wie intensiv zeigt es Unruhe, die man als Futtersuche deuten kann?
  • Ein Lichtblitz wird gegen ein Auge gerichtet; zugleich wird mit Hilfe von Elektroden gemessen, in welchen Gehirnbereichen der Reiz verarbeitet wird.

Nur durch Experimente kann ferner beispielsweise geklärt werden, ob auch Tiere „Wissen über ihr eigenes Wissen“ besitzen, also zur Metakognition befähigt sind.

Schlußfolgerungen und Modellbildung

Wie in jeder experimentell arbeitenden naturwissenschaftlichen Disziplin werden auch die Einzelbefunde einer verhaltensbiologischen Studie zuletzt zu einem Modell des Verhaltens zusammengefaßt, aus dem neue Schlußfolgerungen abgeleitet werden können. Diese Schlußfolgerungen sind häufig Ausgangsbasis für weitergehende Experimente. Da kein Experiment ohne gewisse Vorüberlegungen begonnen wird, basieren Experimente stets auf bestimmten (bewußten oder unbewußten) Grundannahmen, den Arbeitshypothesen.

Ein häufig wiederkehrender, grober Fehler derartiger Modellbildungen ist die allzu rasche Verallgemeinerung von Erkenntnissen: Da schon bei nah verwandten Arten unterschiedliches, artspezifisches Verhalten auftritt, ist es grundsätzlich (das heißt: bis zum Beweis des Gegenteils im Einzelfall) nicht möglich, Erkenntnisse der Verhaltensforschung von einer Art auf andere, nah oder entfernt verwandte Arten oder gar auf den Menschen zu übertragen. Groteskerweise haben gerade die Vertreter der klassischen vergleichende Verhaltensforschung (der Ethologie im engeren Sinne) einerseits wertvolle Erkenntnisse über Verhaltensunterschiede nah verwandter Arten geliefert, zugleich aber immer wieder einzelne Beobachtungen bei bestimmten Tierarten ohne jedes zusätzliche Experiment auf den Menschen übertragen.

Beispiele:

  • Kaninchen bilden größere soziale Verbände, Hasen sind Einzelgänger, und auch ihr Nestbau und ihre Jungenaufzucht unterscheidet sich erheblich. Trotz der nahen Verwandtschaft dieser beiden Tierarten kann also nicht vom Verhalten der einen auf das Verhalten der anderen geschlossen werden.
  • Aus dem Verhalten der dem Menschen am nächsten verwandten Tierart, der Schimpansen, kann nach Millionen Jahren getrennter Evolution nicht auf Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens der Menschen geschlossen werden.

Einige Schlaglichter aus der Geschichte

Die genaue Beobachtung und die Analyse des Verhaltens der Tiere durch den Menschen reicht vermutlich bis in die früheste Vorzeit zurück, war dies doch lebensnotwendig, wenn man Tiere jagen wollte. Sicher belegt ist die Erforschung des Tierverhaltens seit dem klassischen Altertum. Schon Aristoteles (384–322 v. d. Z.) hielt in seiner „Historia animalium” beispielsweise fest, daß es zu untersuchen gelte, ob das Verhalten durch innere Antriebe gesteuert werde und wie man dessen Ursachen erklären könne.

Jahrhundertelang wurde das Verhalten von Mensch und Tier allerdings häufig kurzerhand so interpretiert:

  • vitalistisch: alle Lebewesen besitzen eine weder physikalisch noch chemisch faßbare „Lebenskraft”, lat.: vis vitalis, frz.: elan vitale, chin.: ;
  • teleologisch: die Natur handelt bewußt, also ziel- und zweckgerichtet;
  • anthropozentrisch: der Mensch hat eine Sonderstellung inne und ist allen anderen Lebewesen überlegen; der Hiatus (Abgrund) zwischen Tier und Mensch sei fundamental und begrifflich nicht reduzibel;
  • anthropomorph: Den Dingen der Außenwelt werden menschliche Eigenschaften wie Absicht, Einsicht, Tugend, Verstand, Gerechtigkeitsempfinden u.ä. zugeschrieben.

Eine im modernen Sinne rationale Verhaltensforschung kam erst als Folge des Darwinschen Hauptwerkes „Über die Entstehung der Arten” (1859) auf: Charles Darwin hatte aufgrund eigener, jahrelanger Kreuzungsexperimente (vor allem an Tauben) auch den Weg dafür geebnet, Verhalten als in gleicher Weise vererbbar wie körperliche Merkmale zu betrachten. Dies führte allerdings noch nicht zu einer Verselbständigung der Verhaltensforschung; im 19. und auch noch im frühen 20. Jahrhundert blieb die Erforschung des Tierverhaltens ein (Rand-) Gebiet der Psychologie.

Weitere Stufen der Entwicklung des Faches:

  • „Das objektive Ziel, der ‚Zweck’ der Tätigkeit bestimmt ihren Ablauf in seinen Einzelheiten …“ (Bertrand Russell, 1872-1970): Diese teleologische Erklärung von Verhalten wird aus einer vorweg ganzheitlichen Definition des Instinktbegriffs deduktiv gewonnen, da dieser einer kausalen Erforschung nicht zugänglich sei. Mit anderen Worten: „Wir erkennen den Instinkt, aber wir erklären ihn nicht.“ (Johan Bierens de Haan, 1883-1958).

Die moderne Verhaltensbiologie geht hingegen davon aus, daß Verhalten grundsätzlich kausal erforschbar ist (bzw. irrationales Verhalten als gestörtes, nicht-lebensdienliches Verhalten gekennzeichnet werden darf).

  • Der im 19. Jahrhundert noch immer weit verbreitete anthropomorphe Ansatz erklärte das beobachtbare Verhalten durch psychische Vorgänge, wie sie auch dem Menschen zugute gehalten werden. So schreibt Alfred Edmund Brehm (1829-1884) dem Löwen menschliche Eigenschaften wie Mut, Kühnheit, Tapferkeit, Heldensinn, Adel, Großmut und Ernst zu.

Da psychisches Erleben nur subjektiv durch Introspektion erfahrbar ist, lehnt die moderne Verhaltenslehre psychische Vorgänge als letzte Ursache von Verhalten ab, ohne ihre Existenz aber grundsätzlich zu bestreiten. Psychische Vorgänge können Verhalten begleiten, sind aber nicht objektiv erforschbar.

  • Reflexologie (1905): Der russische Physiologie Iwan Pawlow (1849-1936) führt an Hunden seine Versuche zum Speichelreflex durch und entwickelt die Reflexkettentheorie: Auch komplexes Verhalten sei nichts anderes als eine einfache Kette von Reizen und reflexartigen Reaktionen.
  • Behaviorismus (AE behavior, Verhalten): John Broadus Watson (1878-1958) begründete Anfang des 20. Jahrhunderts diese methodische Ausrichtung der Psychologie. Der Behaviorismus betont eher die Umwelteinflüsse in der Individualentwicklung (Ontogenese) des Organismus und sieht Lernerfahrungen als prägend an (siehe Konditionierung und Verhaltensanalyse). Jedoch vertraten weder Watson noch B. F. Skinner (1904-1990) eine Tabula-rasa-Position[1]. Skinner selbst sah in der Formung des Verhaltens durch die Konsequenzen des Verhaltens (selection by consequences) in der Ontogenese eine Fortsetzung der biologischen Evolution (als der Formung des Organismus in der Phylogenese, der Artentwicklung).
  • Ethologie: Im Gegensatz zu den Behavioristen, beachteten die Vertreter der sogenannten klassischen vergleichenden Verhaltensforschung seit den 1930er-Jahren vor allem die angeborenen Anteile im Verhalten von Tier und Mensch. Die von dieser Schule entwickelte Instinktlehre besagt, daß Instinktbewegungen im Erbgut verankert seien und in der Regel durch Schlüsselreize ausgelöst werden, solange eine innere aktionsspezifische Energie vorhanden ist. Die Zweckmäßigkeit des Verhaltens diene letztlich der Arterhaltung und erkläre sich aus der Evolutionstheorie. Der bekannteste Vertreter der Ethologie war Konrad Lorenz.
  • Karl von Frisch führt vor allem die experimentelle Verhaltensphysiologie zur Vervollkommnung (Methode der konditionierten Diskriminierung).
  • Auch William D. Hamilton (1936-2000) ging 1964 davon aus, daß Verhalten eine genetische Grundlage aufweise, richtete den Blick aber auf die Fitness des Individuums: Verhalten diene der möglichst erfolgreichen Weitergabe der eigenen Gene. Mit dem Prinzip der Verwandtenselektion (kin selection) konnte er auch altruistisches Verhalten erklären. Ebenso legen John Maynard Smith, George C. Williams und Robert L. Trivers die theoretischen Grundlagen für ein neues Teilgebiet der Verhaltensforschung. Edward O. Wilson prägte 1975 mit seinem Buch Sociobiology – the new synthesis den Begriff Soziobiologie.
  • Einen originellen Ansatz zur Erklärung von Verhalten legten die israelischen Forscher Amotz und Avishag Zahavi vor, unter dem Schlagwort „Das Handicap-Prinzip“: Da bei der Partnerwahl stets die Fitneß des potentiellen Sexualpartners beachtet wird, entstehen im Prozeß der Evolution unmißverständliche Signale, anhand derer das Ausmaß an Fitneß ablesbar ist. Solche Signale seien aber nur dann zuverlässig, wenn sie für den Signalgeber ein echtes Handicap darstellen: ein sperriges Geweih, ein farbenfrohes Gefieder, eine laute Stimme (ein teurer Sportwagen).

Literatur

  • Peter M. Kappeler: Verhaltensbiologie. 2., überarb. u. korr. Aufl., Springer, 2009, ISBN 978-3-540-68776-4
  • Rolf Gattermann (Hrsg.): Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen. Elsevier, 2006 (2. Auflage), ISBN 3827417031
  • John Alcock: Animal behavior. An evolutionary approach. Sinauer Associates, 2005 (8th edition), ISBN 978-0878930050
  • David McFarland: Biologie des Verhaltens. Evolution, Physiologie, Psychobiologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999 (2. überarb. Auflage), ISBN 3-8274-0925-X
  • Aubrey Manning, Marian Stamp Dawkins: An Introduction to Animal Behaviour. Cambridge University Press, 1998 (5. Auflage), ISBN 0521578914
  • Grzimeks Tierleben, Sonderband „Verhaltensforschung“. Kindler Verlag, Zürich 1974
  • Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Kritische Edition, Einleitung, Nachwort und Kommentar von Paul Ekman. Übersetzt von Julius Victor Carus und Ulrich Enderwitz. 1. Auflage. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8218-4188-5
  • Friederike Range: Wie denken Tiere? Faszinierende Beispiele aus dem Tierreich. Ueberreuter, Carl, Verlag GmbH (30. September 2009), ISBN 978-3800074259

Verweise

Fußnoten

  1. Morris, E. K., Lazo, J. F. & Smith, N. G. (2004). Whether, when, and why Skinner published on biological participation in behavior. The Behavior Analyst, 27, 153-169.