Andreotti, Giulio

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Giulio Andreotti (1978)

Giulio Andreotti (* 14. Januar 1919 in Rom; † 6. Mai 2013 ebenda) war ein italienischer Publizist und Politiker (MdP, UDC) sowie mehrmaliger Ministerpräsident (1972-1973; 1976-1979; 1989-1992).

Jugend

Giulio Andreotti wurde als jüngstes von drei Kindern des Lehrers Philip Andreotti († 1920) in Rom geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs Andreotti in bescheidenen Verhältnissen in seiner Geburtsstadt auf, wurde Messdiener und erarbeitete sich später in allerlei Beschäftigungen die Mittel zum Studium. An der Universität Rom studierte er Rechtswissenschaften, war in der katholischen Studentenbewegung engagiert und legte 1941 sein juristisches Examen ab. Eigentlich wollte er Journalist werden, setzte dann aber, vom Wehrdienst freigestellt, das Studium mit einer Spezialisierung auf Kanonisches Recht fort. Seine Abschlußarbeit zum „Dottore“ befaßte sich mit dem „Ziel der Kirchenstrafen“.

Zur Zeit der Regierung Mussolini war er Chefredakteur der Wochenzeitschrift des katholischen Studentenverbandes Fuci, deren Wochenschrift „Azione Fucina“ er herausgab. 1944 wurde er Leiter der Jugendorganisation der italienischen Christdemokraten.

Leben und Wirken

50er Jahre

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Andreotti im Juni 1946 in die Verfassunggebende Versammlung Italiens und im April 1948 in die Abgeordnetenkammer des neuen italienischen Zweikammerparlaments gewählt (bis 1991 wurde er insgesamt zehn Mal wiedergewählt). 1947-1954 war er Unterstaatssekretär beim Regierungschef, anschließend bis 1968 immer Kabinettsmitglied — mit der einzigen Ausnahme der Achtzehn-Monate-Regierung von Mario Scelba 1954/1955. Im Kabinett von Amintore Fanfani im Jan./Febr. 1954 leitete er das Innen-, unter Antonio Segni und Adone Zoli (alle DC) von Juli 1955 bis Juli 1958 das Finanzressort.

In dieser Zeit soll er, Berichten zufolge, am Zustandekommen der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschafts- (EWG) und Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), die am 25. März 1957 unterzeichnet wurden, entscheidenden Anteil gehabt haben. Im zweiten Kabinett Fanfani von Juli 1958 übernahm der erklärte Europäer dann das Schatzamt. Im Jahr 1958 kam es auch zu einem ersten Skandal um Andreotti, weil er einen zwei Jahre zuvor pleite gegangenen Bankier begünstigt und vor der Strafverfolgung geschützt hatte, wegen seiner Immunität jedoch nicht belangt werden konnte. Im Februar 1959 im zweiten Kabinett Segni übernahm er das Verteidigungsministerium.

60er Jahre

Bis 1966 war Andreotti Verteidigungsminister. Auch in diesem Amt geriet er mehrmals nach putschartigen Vorfällen in der Armee ins Zwielicht, doch verliefen die Ermittlungen über seine Kenntnisse darüber im Sande. Der sogenannten Linksöffnung der Christdemokraten stand Andreotti fanatisch ablehnend gegenüber, konnte sich aber nicht durchsetzen. Anfang 1966 gab er das Verteidigungsministerium ab und leitete im dritten Kabinett Moro, sowie im zweiten Kabinett Leone bis Dezember 1968 das Ressort für Industrie und Handel. 1968 übernahm er den Fraktionsvorsitz seiner Partei in der Abgeordnetenkammer.

70er Jahre

Bis 1972 blieb er Fraktionsvorsitzender und wurde 1973 Abgeordneter im EU-Parlament und 1974 erneut Verteidigungsminister. 1976 bildete Andreotti ein Minderheitskabinett unter Duldung der Kommunisten und leitete ein umfassendes Steuererhöhungsprogramm ein. 1978 trat er als Regierungschef zurück, da die Kommunisten ihre Zustimmung zu seinem Wirtschaftsprogramm verweigerten. Eine erneute Regierungsbildung stellte Andreotti auf eine breite Parlamentsbasis (5 Parteien, inklusive Kommunisten). Die ersten Wochen der neuen Regierung waren überschattet von der Entführung und späteren Ermordung Aldo Moros (9. Mai 1978). In diesem Kontext geriet Andreotti ins Zwielicht, weil er Verhandlungen mit den linksterroristischen Roten Brigaden nachdrücklich verweigerte und damit dem Gerücht Vorschub leistete, er habe den Tod Moros wegen innerparteilicher Rivalitäten provoziert.

Mit Beginn des Jahres 1979 entschied sich Andreotti — auf weitere deutsche Finanzhilfe bauend — für einen Beitritt Italiens zum Europäischen Währungssystem (EWS). Bereits 1979 trat Andreotti erneut zurück und übernahm den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuß der Parlamentskammer.

1980er Jahre

1983 trat Andreotti in die neue Regierung des Sozialisten Craxi ein und wurde Außenminister. An der Spitze des Außenamtes bemühte sich Andreotti, den Spielraum der italienischen Außenpolitik zu erweitern, v.a. im Osten und in Nahost. Die pro-arabischen Akzente seiner Politik lösten Befremden in Washington aus und brachten Andreotti zunehmend in Konflikte zu der atlantischen Orientierung von Verteidigungsminister Giovanni Spadolini. Andreotti äußerte öffentlich: „Der Pangermanismus muß überwunden werden. Es gibt zwei deutsche Staaten und zwei sollen es bleiben“.[1]

Während der halbjährigen EG-Präsidentschaft Italiens 1985 legte Andreotti großes Gewicht auf den politischen und institutionellen Ausbau der Gemeinschaft — so brachte er im Mai des Jahres den Beitritt Spaniens und Portugals durch — und stellte in der Wirtschaftspolitik u.a. die Schaffung des europäischen Binnenmarktes heraus. 1987 erhielt er den Auftrag zur Regierungsbildung, scheiterte aber und wurde erneut Außenminister. In den Jahren von 1982 bis 1987 befaßten sich mehrere Untersuchungsausschüsse mit Andreotti, jedoch kam es in keinem Fall zu einer Immunitätsaufhebung[2].

Im Juli 1989 wurde Andreotti zum sechsten Mal Regierungschef Italiens. Wie von ihm gewohnt, bewährte sich Andreotti diesmal wieder als gewiefter Taktiker, der sein Regierungsschiff geschickt durch alle Untiefen steuerte, jedoch weiterhin ein strategisches Konzept für die Lösung der immer gravierenderen Probleme Italiens (marode Wirtschaft und Staatsfinanzen, schwerfällige Bürokratie, schludrige Parteienwirtschaft, unzureichende Infrastruktur und nicht zuletzt das Organisierte Verbrechen der Mafia u.a.) vermissen ließ.

1990er Jahre — Andreotti und die Mafia

Am 3. August 1990 bestätigte Andreotti im Rahmen einer Parlamentsanfrage öffentlich die Existenz der bis dahin geheimen NATO-Terrororganisation Gladio.

Eine Regierungskrise im März 1991 war relativ schnell überwunden, und bereits am 12. April konnte Andreotti seine siebte Regierung — das 50. italienische Nachkriegskabinett — vorstellen. Gegen das zunehmend dreiste Gebaren der Mafia fand Andreotti jedoch kein Rezept und geriet zunehmend unter Druck. Nachdem Andreotti am 31. Mai 1991 von Staatspräsident Francesco Cossiga für seine politischen Verdienste zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden war, wechselte der angeschlagene Premier im Juni während der laufenden 10. Legislaturperiode in die zweite italienische Parlamentskammer, den Senat. Mit dem Mailänder Schmiergeldprozeß („mani puliti“, dt. „saubere Hände“) wurde ab 1992 eine Kette von Korruptionsaffären aufgedeckt, der reihenweise prominente Politiker zum Opfer fielen, so daß bald vom Bankrott des etablierten italienischen Parteiensystems und einer tief greifenden Staatskrise die Rede war.

Ende März 1993 wurde auch Andreotti, der bereits als der „wichtigste italienische Politiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“[3] gepriesen wurde, vom Strudel der Ereignisse erfaßt, als die Staatsanwaltschaft in Palermo gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts „mafioser Tätigkeit“ einleitete (u.a. Geheimloge P2). Mehrere abtrünnige Mafiosi hatten Andreotti schwer belastet, indem sie ihn als eine Art Vertrauensmann der Mafia darstellten, der an verschiedenen konspirativen Treffen der „Cosa Nostra“-Bosse teilgenommen habe. Belastend für ihn wirkte sich vor allem seine freundschaftliche Verbindung zu dem von der Mafia ermordeten sizilianischen Christdemokraten Salvo Lima (12.03.1992) aus, der nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als politischer Interessenvertreter der Mafia gewirkt haben soll. Anfang April 1993 wurde Andreotti zudem der Korruption beschuldigt.

Am 13. Mai 1993 wurde Andreottis Immunität als Senator — mit seiner ausdrücklichen Zustimmung — aufgehoben. Nach mehr als zweijährigen Ermittlungen erfolgte in Palermo die Anklageerhebung gegen ihn wegen vermuteter Mafia-Verstrickungen (u.a. sollte er sich als Regierungschef auf höchster Justizebene für Milde in Mafia-Prozessen eingesetzt haben, im Gegenzug sollte die Cosa Nostra auf Sizilien für Wählerstimmen zu Gunsten seiner Partei gesorgt haben), und im September wurde der Prozeß gegen ihn eröffnet.

In einem Parallelverfahren in Perugia lautete die im Nov. 1995 erhobene Anklage gegen Andreotti: Beteiligung an der Ermordung des Journalisten Carmine "Mino" Pecorelli (20.03.1979), der für Andreotti belastende Details über den Fall Moro gewußt haben soll[4]. Beide Prozesse schleppten sich jahrelang hin. Die Staatsanwaltschaft stützte sich in erster Linie auf Aussagen ehemaliger Mafiosi (u.a. behauptete der ehemalige Mafia-Boß Giovanni Brusca im Juli 1997, Andreotti sei „der wichtigste Bezugspunkt der Cosa Nostra in der Politik“ gewesen), während dieser seine Unschuld beteuerte. Als im April 1999 schließlich die Strafanträge vorgelegt wurden, hielt die Staatsanwaltschaft in Palermo eine Haftstrafe von 15 Jahren wegen Mitwirkung Andreottis in der Mafia für angemessen, die Staatsanwaltschaft in Perugia forderte (wegen Anstiftung zum Mord an dem Journalisten Pecorelli) sogar eine Gefängnisstrafe auf Lebenszeit. Andreotti wurde in Perugia nach der Einvernahme von 231 Zeugen im September 1999 zunächst in allen Punkten freigesprochen, da ihm nach Meinung der sechs Geschworenen nicht nachgewiesen werden konnte, den Auftrag zur Ermordung des Journalisten erteilt zu haben.

Einen Monat später erging auch in Palermo ein Freispruch in Sachen Mafia-Kontakte. Nie wurden die Prozesse neu aufgerollt, nachdem die Staatsanwaltschaft jeweils Revision eingelegt hatte. Am 17. November 2002 erging dann in Perugia das spektakuläre Urteil, wonach Andreotti von einem Schwurgericht der Anstiftung zum Pecorelli-Mord für schuldig befunden und zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde, die er aber nie antreten mußte[5]. Die Berufungsinstanz in Palermo sprach Andreotti am 2. Mai 2003 vom Vorwurf der Zusammenarbeit mit der „Cosa Nostra“ frei. Am 30. Oktober 2003 folgte sein Freispruch im Pecorelli-Prozess durch den Kassationsgerichtshof in Rom, und am 15. Okt. 2004 fanden die Verfahren gegen Andreotti nach über zehn Jahren mit dem letztinstanzlichen Freispruch vom Vorwurf der Mafia-Verstrickungen ihren Abschluß.

Redakteur und Kolumnist

Nach der Parlamentswahl vom April 2006 trat Andreotti für das Amt des Parlamentspräsidenten im Senat an, unterlag aber dem christdemokratischen Gewerkschaftsführer Franco Marini im dritten Wahlgang mit 165 zu 156 Stimmen. Ende Febr. 2007 sorgte die „Eule“ (als solche wurde Andreotti aufgrund seines Äußeren gerne karikiert) noch einmal für öffentlichen Wirbel, als er sich bei einer ersten Abstimmung im Senat über den zukünftigen außenpolitischen Kurs der Regierung spontan der Stimme enthielt und so zu einem Beinahe-Abgang Prodis beitrug[6].

Auch nach der Wahl vom April 2008 blieb „Divo Giulio“ („Göttlicher Julius“), der als ebenso bissig-ironischer wie unermüdlicher „Workoholic“ beschrieben wurde, dem Parlament als Senator erhalten. Außerdem setzte der mit seinen Büchern inzwischen zum Beststellerautor avancierte Andreotti seine Tätigkeit als Chefredakteur beim internationalen religiösen Monatsjournal „30 giorni nella Chiesa e nel mondo“ (dt.: „30 Tage in Kirche und Welt“) fort und übernahm Kolumnen beim „Corriere della Sera“.

Zitat

  • Die Macht verschleißt denjenigen, der sie nicht hat.

Werke (Auswahl)

  • "Concerto a sei voci. Roma 1944-1945" (45 dt. "Sechsstimmiges Konzert")
  • "De Gasperi e il suo tempo" (56, dt. 67)
  • "A Ogni morte di Papa" (80 dt. "Meine sieben Päpste", 82)
  • "Diari, 1976-79" (81)
  • "Visti da vicino" (83)
  • "De Gasperi visto da vicino" (86)
  • "Onorevole, stia zitto!" (88)
  • "Lives: Encounters with History Makers" (engl. Ausg. 89)
  • "The U.S.A. Up Close" (89, engl.)
  • "Il potere logora ... Ma è meglio non perderlo" (90, Zitate)
  • "Cosa loro. Mai visti da vicino" (95)
  • "De (Prima) Re Publica" (97)
  • "I quattro del Gesù" (99)
  • "Volti del mio tempo" (00)
  • "Sotto il Segno di Pio IX" (00)
  • "Piccola storia di Roma" (01)
  • "I nonni della Repubblica" (02)
  • "La fuga di Pio IX e l'ospitalità dei Borbone" (03)
  • "Altri cento nonni della Repubblica" (03)
  • "Nonni e nipoti della Repubblica" (04)
  • "1947. L'anno delle grandi svolte nel diario di un protagonista" (05)
  • "1948. L'anno dello scampato pericolo" (05)
  • "1949. L'anno del Patto Atlantico" (06)
  • "De Gasperi" (06)
  • "1953. Fu legge truffa?" (07)
  • "2000. Quale terzo millennio?" (07)

Auszeichnungen

Auszeichnungen (kleine Auswahl): La Madonnina (87, 88), Friedenspreis des italienischen Roten Kreuzes (87), Jean-Monnet-Preis (90), Goldener Olympiaorden des IOC (90), "The Best 90" für "Eleganz in Lebens- und Arbeitsstil" (90), Solemare (91)

Mitgliedschaften / Ämter

Andreotti war Vorsitzender des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in Rom 1960. Ferner übernahm er die Präsidentschaft des Centro di Studi Ciceroniani, der Fondazione Fiuggi per la Cultura und der Fondazione Alcide De Gasperi (03), er wurde Ehrenvorsitzender des Centro Internazionale Ricerche sulle Strutture Ambiental "Pio Manzù" sowie Ehrenpräsident des Instituto Italo-Cinese per gli Scambi Economici e Culturali (00). Andreotti trat dem internationalen Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem bei.

Familie

Andreotti heiratete 1945 Livia Danese, mit der er vier Kinder bekam: Lamberto, Stefano, Marilena und Serena. Die Familie ließ sich in einem Palazzo nahe des Parlaments und des Vatikan in Rom nieder[7]. Über Andreotti wurde berichtet, daß der strenggläubige Katholik, der ab Pius XII. alle Päpste persönlich gekannt haben soll, regelmäßig die Heilige (Früh-)Messe besuche und Briefmarken des Risorgimento (1815-1870) sammele.

Literatur

  • Regine Igel: "Andreotti. Politik zwischen Geheimdienst und Mafia" (96)
  • Hans-Peter Oschwald: "Giulio Andreotti: Aufstieg und Fall eines Mächtigen" (96)
  • Gerhard Frey: Prominente ohne Maske international, FZ-Verlag 1989, ISBN 3924309108
  • Massimo Franco: "Andreotti. La vita di un uomo politico, la storia di un'epoca". 2008

Fußnoten

  1. In Angst vor der Einheit, Der Spiegel, 18. Dezember 1989
  2. Insgesamt wurden 29 Versuche unternommen die Immunität von Andreotti aufzuheben; erst der letzte führte zum Erfolg
  3. FAZ, 19.11.2002
  4. Der Spiegel, 27.9.1999
  5. Handelsblatt, 19.11.2002
  6. Süddeutsche Zeitung, 23.Februar 2007
  7. Corso Vittorio Emanuele II 326, 00186 Rom, Italien