Benes-Dekrete
Die nach wie vor rechtskräftigen Beneš-Dekrete sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und seit Jahrzehnten der Hauptstreitpunkt zwischen Vertriebenenverbänden in Deutschland einerseits und der Tschechoslowakei bzw. deren Nachfolgestaaten Tschechei (Tschechien genannt) und der Slowakei andererseits.
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Die bis heute umstrittensten Erlässe sind die Dekrete Nr. 5/1945, Nr. 12/1945, Nr. 33/1945, Nr. 71/1945 und Nr. 108/1945, die den Entzug der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und die Enteignung des Vermögens besonders der deutschen aber auch der ungarischen Minderheiten regelten. Kritisiert wird von Seiten der Vetriebenenverbände vor allem, daß sich die Dekrete gegen eine Gruppe von Personen nicht wegen persönlich begangener konkreter Taten, sondern allein wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit wandten. Damit mißachteten sie das Prinzip der Unschuldsvermutung und verweigerten den Betroffenen zudem das Recht, sich vor einem unabhängigen Gericht zu verteidigen. Demnach läge also nicht nur eine Negierung der Unschuldsvermutung vor, sondern auch eine Beweislastumkehr zuungunsten der durch die Erlässe betroffenen Bevölkerungsgruppen, was rechtsstaatlichen Prinzipien widerspräche. Zwar wurden in Einzelfällen Ausnahmen gemacht; allerdings fiel das feste Eigentum bei sogenannter „selbstgewählter“ Ausreise dennoch an den sich neu formierenden tschechoslowakischen Staat. An beweglichen Sachen konnten die angeblich „freiwillig“ Ausreisende soviel mitnehmen, wie sie wollten oder konnten, während „Verrätern“ an der Ersten Tschechoslowakischen Republik lediglich 40 Kilogramm pro Person zugestanden wurden. Als Verräter galten jene, welche die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zugunsten einer anderen, also meist jener des Deutschen Reiches, aufgegeben hatten.
In der Vergangenheit hatte man die Aufhebung der Dekrete stets von einer Nichtigerklärung des Münchener Abkommens von 1938 ex tunc (also von Anfang an) abhängig gemacht. Das wurde jedoch von der Bundesrepublik Deutschland, nicht jedoch der ehemaligen DDR und auch von den Regierungen nach der deutschen Wiedervereinigung abgelehnt. Hauptgrund dafür sind jedoch vor allem die dann möglicherweise zu erhebenden erheblichen Entschädigungsforderungen der vertriebenen Deutschen und nicht etwa ein plötzlicher „Sinneswandel“ in der Politik des Besatzungskonstruktes BRD. Als Folge dieser Situation verbleiben beide Seiten, insbesondere nach dem EU-Beitritt der Tschechei, bislang im Status quo.
Der österreichische Völkerrechtler Felix Ermacora, der lange als Gutachter der UNO tätig war und sich danach unter anderem bei den österreichischen Landsmannschaften engagierte, kam in einem Rechtsgutachten im Jahre 1991 zu dem Ergebnis, daß die Vertreibung in den Jahren 1945/46 den Tatbestand des Völkermordes erfüllt hat.
Vorgeschichte
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion 1945 wurde im Zuge der sogenannten Beneš-Dekrete die deutsche Bevölkerung völkerrechtswidrig vertrieben und das deutsche Eigentum geraubt. Insgesamt wurden 3 Millionen der über 3,2 Millionen Sudetendeutschen gewaltsam vertrieben. Unzählige Deutsche wurden im Zuge dieser Vertreibung bestialisch ermordet. Die Deutschen wurden über Nacht rechtlos. Sie mußten Armbinden tragen (mehrheitlich weiße oder gelbe, Antifaschisten dagegen rote) und Repressalien, Einschränkungen und Verfolgungen nahmen zu. Prügeleien, öffentliche Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mißhandlungen Deutscher waren an der Tagesordnung. Beispielhaft für die Grauen dieser Verbrechen an Deutschen ist der Brünner Todesmarsch.
In das gewaltsam und völkerrechtswidrig annektierte deutsche Gebiet zogen nach 1945 überwiegend Tschechen, Slowaken und Zigeuner ein. Viele erhielten den Zuschlag auf die jeweiligen vorher geraubten deutschen Immobilien unentgeltlich über ein Auslobungsverfahren, das die Regierung unter der tschechischen und slowakischen Bevölkerung durchführte. Teilweise wurden deutsche Häuser noch unter Anwesenheit der deutschen Besitzer gewaltsam enteignet und die Bewohner dabei ermordet oder vertrieben.
Durch diese sogenannte „Neuverteilung“ des geraubten deutschen Landes kam es bei vielen Tschechen zu einem erheblichen „Wohlstandszuwachs“, d. h., im Durchschnitt eigneten sich je zwei Tschechen das gesamte Vermögen eines Sudetendeutschen an.
Am 16. Mai 1945, läßt Edvard Beneš anläßlich seiner Ansprache am Altstädter Ring in Prag keinen Zweifel an seinen Absichten:
- „Es wird erforderlich sein, die Anzahl der politischen Parteien gegenüber der Zeit vor dem Kriege zu reduzieren, das Verhältnis der Tschechen und Slowaken neu zu gestalten und die Deutschen in den böhmischen Ländern als auch die Ungarn in der Slowakei zu liquidieren, so wie sich die Liquidierung nur durchführen läßt ...“
Zusammenfassung der umstrittenen Dekrete
- Dekret Nr. 5 vom 19. Mai 1945: Dekret des Präsidenten über die Nichtigkeit mancher vermögensrechtlicher Handlungen aus der Zeit der Unfreiheit und über die Nationalverwaltung der Vermögenswerten der Deutschen, Ungarn, Verräter und Kollaborateure und mancher Organisationen und Institutionen
- § 2 (1) Das im Gebiet der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekrets unter nationale Verwaltung gestellt [...]
- § 4 Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen:
- a) Personen deutscher oder magyarischer (=ungarischer) Nationalität [...]
- § 6 Als Personen deutscher oder magyarischer Nationalität sind Personen anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit dem Jahre 1929 zur deutschen oder magyarischen Nationalität bekannt haben oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischer Parteien geworden sind, die sich aus Personen deutscher oder magyarischer Nationalität zusammensetzen.
Bereits vier Wochen später waren sämtliche deutschen und ungarischen Unternehmen in Böhmen und Mähren nationalen Verwaltern unterstellt (insgesamt etwa 10.000 Betriebe mit etwa einer Million Beschäftigten).
- Dekret Nr. 12 vom 21. Juni 1945: Dekret des Präsidenten über die Konfiskation und beschleunigte Verteilung des Landwirtschaftsvermögens der Deutschen, Ungarn, sowie auch Verräter und Feinden des tschechischen und slowakischen Volkes
- § 1 (1) Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht:
- a) aller Personen deutscher und magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, [...]
- (2) Personen deutscher und magyarischer Nationalität, die sich aktiv am Kampf für die Wahrung der Integrität und die Befreiung der Tschechoslowakischen Republik beteiligt haben, wird das landwirtschaftliche Vermögen nach Absatz 1 nicht konfisziert.
- (3) Darüber, ob eine Ausnahme nach Absatz 2 zulässig ist, entscheidet auf Antrag der zuständigen Bauernkommission der zuständige Bezirksnationalausschuß [...]
- Dekret Nr. 16 vom 19. Juni 1945: Dekret des Präsidenten über die Bestrafung der nationalsozialistischen Verbrecher, Verräter und ihrer Helfer und über die außerordentlichen Volksgerichte
- Dekret Nr. 28 vom 28. Juli 1945 Dekret des Präsidenten über die Siedlungstätigkeit der landwirtschaftlichen Nutzflächen der Deutschen, Ungarn und anderen Feinden des Staates durch tschechische, slowakische und andere slawische Landwirte
- Dekret Nr. 33 vom 2. August 1945: Verfassungsdekret des Präsidenten über Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen mit der deutschen und ungarischen nationalen Zugehörigkeit
- § 1 (1) Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Besatzungsmacht die deutsche oder magyarische Staatsangehörigkeit erworben haben, haben mit dem Tage des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren.
- (2) Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt [...]
- § 2 (1) Personen, welche unter die Bestimmungen des § 1 fallen und nachweisen, daß sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen und sich entweder aktiv am Kampf um seine Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben, bleibt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten.
- Dekret Nr. 71 vom 19. September 1945: Dekret des Präsidenten über die Arbeitspflicht der Personen, die die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben
- § 1.1 Zur Beseitigung und Wiedergutmachung der durch den Krieg und die Luftangriffe verursachten Schäden, wie auch zur Wiederherstellung des durch den Krieg zerrütteten Wirtschaftslebens wird eine Arbeitspflicht der Personen eingeführt, die nach dem Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik vom 2. August 1945, Slg. Nr. 33, über die Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen deutscher und magyarischer Nationalität, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. Die Arbeitspflicht erstreckt sich auch auf Personen tschechischer, slowakischer oder einer anderen slawischen Nationalität, die sich in der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik um die Erteilung der deutschen oder der madjarischer Staatsangehörigkeit beworben haben, ohne dazu durch Zwang oder besondere Umstände gezwungen zu sein.
- § 2.1 Der Arbeitspflicht unterliegen Männer vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr und Frauen vom vollendeten 15. bis zum vollendeten 50. Lebensjahr.
- § 2.2 Von der Arbeitspflicht sind befreit:
- a) körperlich oder geistig untaugliche Personen, solange dieser Zustand dauert;
- b) schwangere Frauen, vom Beginn des vierten Monates der Schwangerschaft
- c) Wöchnerinnen, für die Zeit von sechs Wochen nach der Niederkunft und
- d) Frauen, die für Kinder unter sechs Jahren zu sorgen haben.
- Dekret Nr. 108 vom 25. Oktober 1945: Dekret des Präsidenten über die Konfiskation des feindlichen Eigentums und die Fonden der Nationalwiederaufbau
- § 1 (1) Konfisziert wird ohne Entschädigung [...] für die Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögensrechte (wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das bis zum Tage der tatsächlichen Beendigung der deutschen und magyarischen Okkupation in Eigentum stand oder noch steht: [...]
- 2. physischer Personen deutscher oder magyarischer Nationalität, mit Ausnahme der Personen, die nachweisen, daß sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen haben und sich entweder aktiv am Kampf für deren Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben.
- 3. physischer Personen, die [...] der Germanisierung oder Magyarisierung auf dem Gebiete der Tschechoslowakischen Republik Vorschub geleistet (haben) [...] wie auch von Personen, die eine solche Tätigkeit bei Personen, welche ihr Vermögen oder Unternehmen verwalteten, geduldet haben.“
- Dekret Nr. 123/1945 vom 18. Oktober 1945, rückwirkend zum 17. November 1939: Dekret des Präsidenten über die Auflösung der deutschen Hochschulen in Prag und in Brünn''
Nachdem der Großteil der deutschen Bevölkerungsgruppe bereits ausgesiedelt war, verabschiedete die Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik am 8. Mai 1946 ein Gesetz, wonach „eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf für die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte“, auch dann nicht als widerrechtlich anzusehen sei, „wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre“:
- Gesetz Nr. 115/1946: Straflosstellung von Vertreibungsverbrechen bis zum 28. Oktober 1945
- § 1 Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.
- § 2.1 Ist jemand für eine solche Straftat bereits verurteilt worden, so ist nach den Vorschriften über die Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorzugehen.
- § 2.2 Zuständig ist das Gericht, vor dem das Verfahren erster Instanz stattgefunden hat oder, falls ein solches Verfahren nicht stattgefunden hat, das Gericht, das jetzt in erster Instanz zuständig sein würde, wenn die Rechtswidrigkeit der Tat nicht nach § 1 ausgeschlossen wäre.
- § 2.3 Trifft mit einer in § 1 genannten Tat eine Straftat zusammen, für die der Angeklagte durch dasselbe Urteil verurteilt wurde, so fällt das Gericht für diese andere Tat durch Urteil eine neue Strafe unter Berücksichtigung des bereits erfolgten Schuldspruches.
- § 3 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft; es wird vom Justizminister und vom Minister für nationale Verteidigung durchgeführt.
Einige der Dekrete hatten befristete Wirkung, das Ausbürgerungs- und die beiden Enteignungsdekrete gelten unbefristet.
Siehe auch
Literatur
- Jiri Padevet: Blutiger Sommer 1945: Nachkriegsgewalt in den böhmischen Ländern, Verlag Tschirner & Kosova, 4. Auflage 2022, ISBN 978-3000659676 [736 S.]
- Hans-Peter Storch: Der tschechische Völkermord an den Sudetendeutschen. Druffel & Vowinckel Verlag, 2017, ISBN 978-3806112566 [584 S.]
- Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen, (über 100 Erlebnisberichte, bearbeitet von Wilhelm Turnwald, 589 S.), München 1951, ISBN 3-7612-0199-0
- VAWS-Pressebüro: Die Vernichtungspläne, „Verträge“ und „Abkommen“, o. J. [500 S.], zu beziehen über Buchdienst Hohenrain[1]
- Gerhoch Reisegger: Weg mit den Benesch-Dekreten! Das ungesühnte Jahrhundert-Verbrechen. (Klappentext)
- Thomas Goodrich: Höllensturm – Die Vernichtung Deutschlands, 1944–1947, Createspace Independent Publishing, 2015, ISBN 978-1517540241 [475 S.]
- Franz W. Seidler: Deutsche Opfer: Kriegs- und Nachkriegsverbrechen alliierter Täter, Pour le Mérite Verlag, 2013, ISBN 978-3932381669, Kapitel Tschechische Nachkriegsverbrechen (S. 216–252)
- Herbert Christ: Benesch und der Völkermord an den Sudetendeutschen, Zeitzeugen klagen an. (Klappentext)
- Theodor Veiter: Kein Schlußstrich! Die Sudetendeutschen und die Tschechen in Geschichte und Gegenwart. (Klappentext)
- Beneschs Vertreibungspläne, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Bd. 1, Grabert Verlag, Tübingen 2006, S. 574–578
- Die Benesch-Dekrete, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Bd. 2, Grabert Verlag, Tübingen 2006, S. 421–427
- Rolf Kosiek: Tschechische Bereicherung durch Enteignung Deutscher, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Bd. 2, Grabert Verlag, Tübingen 2006, S. 428 f.
Verweise
- Ausführungen des tschechoslowakischen Außenministeriums zu den Beneš-Dekreten – Gutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dieter Blumenwitz, Würzburg, 15. Mai 2002
- Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen