Deutschlands Automobilgeschichte
Das Automobil wird in Deutschland geboren
Im Jahre 1886 begann in der Verkehrsgeschichte ein neues Kapitel - das der individuellen Mobilität.
Seit Jahrhunderten ersehnt, aber fast unbemerkt von den Zeitgenossen rollten die Motorkutsche von Gottlieb Daimler in Cannstatt im Königreich Württemberg und der Patent-Motorwagen von Karl Benz in Mannheim im Großherzogtum Baden in das Licht der Öffentlichkeit. Wie kaum eine andere Erfindung veränderten die neuartigen Fortbewegungsmittel in der Folge das Leben der Menschen nachhaltig und machten sie mobil in allen Lebensbereichen. Die Botschaft dieser Antriebsquelle sorgte gleichwohl für Staunen, aber auch für Skepsis, denn die Dampfmaschine, um 1765 vom Engländer James Watt erfunden, war schon seit über 100 Jahren ein mustergültiger Motor der rasch wachsenden industriellen Entwicklung. Der erste bekannte Dampfwagen war 1769 der „Fardier" des Franzosen Robert Cugnot: ein Ungetüm. 1786 präsentierte der englische Ingenieur W. Symington ein weitaus eleganteres Dampfgefährt, das bereits zum Personentransport geeignet war. Onesiphore Pecquer verbesserte 1828 die Fahreigenschaften derartiger Vehikel durch die Erfindung des „Differentials'. Die Dampfwagen wurden zahlreicher, vor allem in England und Frankreich. Um 1880 gab es etliche straßentaugliche, dampfgetriebene „Autos". Diese „Lokomobil" genannten Gefährte gaben sogar einiges an Tempo her. Sie waren jedoch plump, schwer zu lenken und mußten enorme Mengen Kohle und Wasser mitführen. Wer sich als stolzer Besitzer die Hände nicht schmutzig machen wollte, leistete sich einen Heizer, den Chauffeur. Versuche mit Gasmotoren gab es auch, doch sie blieben stationär.
Es blieb den Visionären, Erfindern und beharrlichen Konstrukteuren Gottlieb Daimler und Karl Benz vorbehalten, den Weg zu finden, der in die Zukunft der individuellen Mobilität führen sollte. 1883 erweckte Gottlieb Daimler den ersten leichten, schnell laufenden Benzinmotor zusammen mit seinem engen Mitarbeiter und Freund Wilhelm Maybach in einem Gartenhaus in Cannstatt bei Stuttgart zum Leben. In einem epochalen ersten Schritt ließen beide eine uralte Vision Wirklichkeit werden: Die universelle Viertakt-Antriebsquelle (im April 1885 zum Patent angemeldet) mit den wichtigen Detailerfindungen Glührohrzündung und Schwimmervergaser war endlich bereit zum Einbau in Kutschen, Eisenbahnwagen, Boote, Schiffe und das eben geborene Luftfahrzeug. Auch zum Antrieb von Pumpen und Stromerzeugern war das Aggregat bestens geeignet, und eine stürmische Weiterentwicklung stand vor der Tür: zu Lande, zu Wasser und in der Luft - so wie Gottlieb Daimler es wollte und wie es die drei Zacken des späteren Mercedes-Sterns symbolisierten. Daimler baute den Motor zunächst in ein Zweirad ein, einen höchst kostengünstigen Versuchsträger. Am 17. Juli 1888 stellte Daimler einen Antrag auf eine Fahrgenehmigung für seine viersitzige, leichte Chaise mit kleinem Moto. Einen Führerschein benötigte er übrigens nicht, der wurde erst 1910 amtlich eingeführt. Der Daimler-Motor machte, bevor er im Automobilbau für Gesprächsstoff sorgte, zunächst als Bootsmotor Furore und bewährte sich auch als Feuerwehrpumpe und Straßenbahnantrieb. Der Bedarf an der neuen Antriebsquelle stieg rasant - 1887 produzierte Daimler bereits in einer kleinen Fabrik und wendete sich auch der Entwicklung kompletter Fahrzeuge zu.
Auf der Weltausstellung 1889 in Paris stellten Daimler und Maybach den sehr fortschrittlich konstruierten Stahlradwagen vor, der die Aufmerksamkeit auf sich lenken sollte und der auch, um das Maß der technischen Exklusivität voll zu machen, über ein Zahnrad-Schaltgetriebe anstelle eines Riemengetriebes verfügte. Besonders intensiv interessierten sich eine Dame und zwei Herren für den Stahlrad-wagen: Madame Sarazin, Monsieur Panhard und Monsieur Levassor. Es kam letztlich zu einer Lizenzvergabe an die spätere Firma Panhard und Levassor, die nun Daimler-Motoren in ihre Automobile einbaute, für die in Frankreich eine rege Nachfrage bestand. Dank der Zuverlässigkeit der Motoren waren damit bestückte Motorwagen auch schon bei den allerersten Automobilrennen erfolgreich. Mit der Gründung der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG), einer Aktiengesellschaft begann 1890 eine neue Ära, die dem Unternehmen in den Folgejahren dank der Zuverlässigkeit, Qualität und Erfolge seiner Motoren und Automobile einen raschen Aufschwung brachte. Auch Karl Benz in Mannheim erschien 1885 auf der Bildfläche. Er verfolgte die gleiche Vision eines leichten, fahrzeugtauglichen Motors wie Gottlieb Daimler, darüber hinaus dachte er aber auch an ein mit dem Motor harmonierendes Fahrgestell - ergo die Komplettlösung eines neuartigen selbstfahrenden Gefährtes. Die ersten Probefahrten seiner Konstruktion fanden 1885 aus Gründen der Geheimhaltung im Fabrikhof statt und endeten zum wiederholten Mal an der Fabrikmauer. Auch der erste nächtliche Ausflug auf freier Strecke dauerte nur ein paar Minuten, denn nach 100 Metern blieb der Wagen stehen. Aber aus 100 Metern wurden bald 1000 Meter und von Mal zu Mal mehr. Am 29. Januar 1886 meldete er sein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb", dessen EinzylinderViertakt-Benzinmotor bereits elektrische Zündung aufwies, zum Patent an. Doch der erste Patent-Motorwagen geriet schnell in eine Ecke der Fabrik, weil Benz in rascher Folge neue Modelle baute, die zwar nicht grundlegend anders waren, aber durch stärkere Motoren und robustere Fahrgestelle glänzten. Bis 1888 erhielt Karl Benz vier weitere deutsche Patente, darunter das für einen brandsicheren Vergaser. Auf einem der verbesserten Gefährte startete seine engagierte und mutige Frau Bertha mit den Söhnen Eugen und Richard an einem Augusttag 1888 zu früher Stunde ohne Wissen ihres Mannes schließlich zur ersten „Fernfahrt" der Automobilgeschichte. Sie führte das Trio von Mannheim mit einigen Umwegen über Weinheim, Heidelberg, Wiesloch und Durlach nach Pforzheim. Das bewies, dass der pferdelose Wagen hielt, was sein Konstrukteur anstrebte. Unterwegs reinigte Frau Bertha den verstopften Vergaser mit einer Hutnadel und isolierte ein blank liegendes Elektrokabel mit einem Strumpfband. An Steigungen war hin und wieder Schieben angesagt, weil die 1,5 PS nicht immer ausreichten. Die heftig strapazierte Klotzbremse musste einige Male mit neuem Leder bezogen werden, und in der Apotheke zu Wiesloch wurde der Vorrat an kostbarem „Ligroin" ergänzt, wie das Benzin damals hieß. In den Abendstunden kam die erste Autofahrerin der Welt mit ihren Söhnen verstaubt, aber wohlbehalten und um einige Erfahrungen reicher in Pforzheim an Bertha Benz hat mit dieser Fahrt (einschließlich Rückfahrt 180 Kilometer) zweifelsohne die Gebrauchstüchtigkeit des Motorwagens vor aller Welt demonstriert.