Europäischer Wirtschaftsraum

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Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) ist eine vertiefte Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Das Abkommen vom 2. Mai 1992, das die Mitgliedsstaaten der EFTA (mit der Ausnahme der Schweiz) und die Mitgliedsstaaten der EU geschlossen haben, dehnt den Europäischen Binnenmarkt auf Island, Liechtenstein und Norwegen aus, so daß er insgesamt 30 Länder umfaßt. EWR-weit gelten insbesondere Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, es bestehen Sonderregelungen für landwirtschaftliche Waren. Drittlandswaren bleiben über Ursprungsregelungen ausgeschlossen. Es entstand mit ungefähr 510 Millionen Einwohnern von der Arktis bis zum Mittelmeer und einer jährlichen Wirtschaftsleistung von über 7,5 Billionen Fed-Dollar (Stand: 1994)[1] die größte Wirtschaftszone der Welt. Im Europäischen Wirtschaftsraum vollzieht sich ungefähr die Hälfte des Welthandels.

Entstehung

Bereits bei der Gründung der EFTA 1960 war die Regelung der Beziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und den EFTA-Mitgliedsstaaten eines der Ziele der Organisation. Nachdem 1973 die EFTA-Länder Großbritannien und Dänemark zusammen mit Irland den Europäischen Gemeinschaften beitraten, entwickelte sich eine enge Kooperation zwischen den EFTA-Staaten und der EWG. Zwischen 1972 und 1977 schlossen die EFTA-Staaten individuell Freihandelsabkommen mit der EWG.

Ab Mitte der 1980er Jahre wurde das Binnenmarktprogramm (Realisierung von freiem Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) umgesetzt. 1984 wurde bei einer gemeinsamen Ministertagung von EWG und EFTA in Luxemburg die Errichtung eines Europäischen Wirtschaftsraums zur Sprache gebracht.

Nachdem 1987 die EG-Mitglieder in der Einheitlichen Europäischen Akte die Umsetzung des Ziels eines „Raums ohne Binnengrenzen“ bis 1992 festgeschrieben hatten, folgten 1989 durch EG-Kommissionspräsident Jacques Delors Vorschläge, um eine möglichst weitgehende Teilnahme der sieben EFTA-Staaten am EU-Binnenmarkt zu erreichen. 1990 begannen konkrete Verhandlungen, die am 2. Mai 1992 in Porto mit der Unterzeichnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum endeten.

Die Vertragsparteien waren die zwölf damaligen Mitgliedsstaaten der EU (Belgien, OMF-BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Großbritannien, Dänemark, Irland, Griechenland, Spanien, Portugal) sowie die sieben EFTA-Staaten BR Österreich, Finnland, Island, Norwegen, Schweden, Schweiz und Liechtenstein. Außer der Schweiz haben alle EFTA-Staaten das EWR-Abkommen ratifiziert, das am 1. Januar 1994 in Kraft trat, wobei Liechtenstein allerdings erst zum 1. Mai 1995 voll teilnahm.

Aufgaben

Der EWR ist eine vertiefte Freihandelszone. Ferner enthält das EWR-Abkommen Wettbewerbs- und einige sonstige gemeinsame Regelungen, beispielsweise zur Sozialpolitik, zu Verbraucherschutz, Umwelt, Statistik, Gesellschaftsrecht. Ferner wird für den EWR das von der EU beschlossene sogenannte Sekundärrecht übernommen. Auch soll das EWR-Recht „EU-konform“ ausgelegt werden.

Regelungen

Im EWR wurden die Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten abgeschafft und es gelten etwa 80 % der Binnenmarktvorschriften der EU. Jedoch handelt es sich nicht um eine Zollunion mit gemeinsamem Zolltarif. Ferner sind – anders als innerhalb der EU – bei der Einfuhr Verbrauchsteuern zu bezahlen. Dennoch ist der EWR aufgrund der Anwendbarkeit einer Vielzahl von Harmonisierungsvorschriften mehr als eine einfache Freihandelszone.

Für die EWR-Länder, die nicht Mitglied der EU sind, erfolgt die Überwachung des EWR-Abkommens und der abgeleiteten Vorschriften durch die EFTA-Überwachungsbehörde und den EFTA-Gerichtshof. Für die EU-Mitgliedsstaaten sind die Europäische Kommission sowie der Europäische Gerichtshof zuständig. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Zwei-Pfeiler-Struktur“. Das EWR-Abkommen wird regelmäßig an die Entwicklung des relevanten EG-Rechts angepaßt. Dafür ist eine Beschlußfassung des Gemeinsamen EWR-Ausschusses notwendig.

Organe

Der EWR-Vertrag überträgt Aufgaben an mehrere Organe, die legislative, exekutive, judikative oder beratende Funktion haben.

Legislativorgane

Der Rat setzt sich aus den Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammen. Er entwickelt Leitlinien, die die Umsetzung der Vertragsziele gewährleisten und von den Mitgliedsstaaten beachtet werden müssen. Der Gemischte Parlamentarische EWR-Ausschuss setzt sich aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der Parlamente der EFTA-Staaten zusammen. Er kann seine Standpunkte in Form von Berichten oder Entschließungen abgeben.

Verwaltungsorgane

Der Gemeinsame EWR-Ausschuß überwacht die Umsetzung des Vertrages durch die Mitgliedsstaaten. In den EU-Staaten obliegt diese Aufgabe ferner der Europäischen Kommission, in den EFTA-Staaten der EFTA-Überwachungsbehörde.

Gerichtshöfe

Vertragsverstöße von EU-Mitgliedsstaaten stellt der Europäische Gerichtshof fest, Verstöße von EFTA-Mitgliedsstaaten der EFTA-Gerichtshof.

Beratungsorgane

Im Konsultativausschuß treffen Vertreter von Interessengruppen aus den Mitgliedsstaaten zusammen. Er hat ausschließlich beratende Funktion.

Entwicklung

  • 2. Mai 1992: Unterzeichnung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) durch die EU, die damals zwölf EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, BRD, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien und Vereinigtes Königreich) und die EFTA-Staaten (Finnland, Schweden, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich, Schweiz) in Porto
  • 6. Dezember 1992: Die Schweizer Stimmberechtigten lehnen bei einer Stimmbeteiligung von 78,8 Prozent den Beitritt an der Urne mit 49,7 % Ja-Stimmen und nur 7 von 23 Kantonsstimmen ab.
  • 1. Januar 1994: Inkrafttreten des EWR-Abkommens für Finnland, Island, Norwegen, Österreich, Schweden
  • 17. März 1994: Anpassungsprotokoll zum EWR-Abkommen, da die Schweiz das EWR-Abkommen nicht ratifiziert hatte
  • 1. Mai 1995: Inkrafttreten des EWR-Abkommens für Liechtenstein
  • 14. Oktober 2003: Unterzeichnung des Abkommens über die erste Erweiterung des Europäischen Wirtschaftsraums durch die EU, die EU-Beitrittskandidaten (Tschechei, Estland, Republik Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und Slowakei) und die verbleibenden EFTA-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein, nicht jedoch die Schweiz) in Luxemburg
  • 1. Mai 2004: Inkrafttreten des ersten Erweiterungsabkommens, gleichzeitig mit dem Beitritt der neuen Vertragsstaaten zur EU
  • 25. Juli 2007: Unterzeichnung des Abkommens über die zweite Erweiterung des Europäischen Wirtschaftsraums durch die EU, die neuen EU-Mitgliedstaaten (Bulgarien und Rumänien) und die verbleibenden EFTA-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein, nicht jedoch die Schweiz) in Brüssel
  • 1. August 2007: Inkrafttreten des zweiten Erweiterungsabkommens für Bulgarien und Rumänien, sieben Monate nach deren EU-Beitritt
  • 1. Juli 2013: Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union

Umsetzung in den Vertragsstaaten

Finnland, Schweden und Österreich

Finnland, Schweden und Österreich traten am 1. Januar 1995 der EU bei. Die Regelungen des EWR-Vertrags kamen zwischen diesen Ländern und den anderen EU-Mitgliedstaaten lediglich vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1994 zur Anwendung, danach hatte der EU-Vertrag Vorrang.

Island

Da Island seit 1973 mit der EU durch ein Freihandelsabkommen und seit 1994 als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) verbunden ist, ist ein Beitritt Islands immer möglich. Die Isländer sprachen sich jedoch mehrheitlich für den Rückzug des Beitrittsgesuchs aus.[2][3] Die Eingliederung Islands in die EU scheiterte, da die dortigen Regierungsparteien (Fortschrittspartei und Unabhängigkeitspartei) im Februar 2014 beschlossen, die 2010 eingereichte Kandidatur auf einen Beitritt zur Europäischen Union wieder zurückzuziehen.[4]

Schweiz

Die Schweiz hat als einziger EFTA-Staat das multilaterale EWR-Abkommen nicht ratifiziert, nachdem eine Mehrheit der Schweizer Bürger und eine deutliche Mehrheit der Kantone die Teilnahme der Schweiz am 6. Dezember 1992 in einem Referendum abgelehnt hatten. Die Schweiz hat einen Beobachterstatus in EWR-Gremien. Des weiteren wurde der Schweiz in Artikel 128 des EWR-Abkommens eine jederzeitige Beitrittsmöglichkeit eröffnet.

Die Schweizer Regierung verfolgt seither auf bilateralem Weg ihr Ziel, das Land wirtschaftlich am EWR teilhaben zu lassen. Anders als beim EWR-Abkommen, gibt es bei den bilateralen Verhandlungen nur zwei Verhandlungspartner (EU-Kommission und Schweizer Regierung), was speziellere Regelungen für die Schweiz ermöglichte. Zwei Jahre nach dem EWR-Nein wurden Verhandlungen über bilaterale sektorielle Abkommen aufgenommen, 1999 wurden schließlich sieben bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und der EU unterzeichnet, die zum 1. Juni 2002 in Kraft traten. Im Jahr 2004 erfolgte die Unterzeichnung eines zweiten Pakets sektoraler Vereinbarungen, deren Inkraftsetzung mit der tatsächlichen Abschaffung der Grenzkontrollen an den Schweizer Landgrenzen Ende 2009 abschloß. Der Rat der Europäischen Union entschied im Dezember 2012, daß es keine neuen bilateralen Abkommen nach dem Modell der bisherigen Verträge mit der Schweiz mehr geben soll.[5]

Liechtenstein

Eine Woche nach dem Schweizer „Nein“ entschieden sich die Liechtensteiner für den Beitritt. Da Liechtenstein gleichzeitig zum Schweizer Wirtschaftsraum gehört und mit der Schweiz eine Währungs- und Zollunion bildet, mußte der Vertragstext hinsichtlich dieser Überschneidungssituation überarbeitet werden. Das Anpassungsprotokoll zum EWR-Abkommen wurde am 9. April 1995 in Liechtenstein angenommen, so daß das Land dem Abkommen mit Wirkung vom 1. Mai 1995 beitrat.

Bulgarien, Rumänien und Kroatien

Bulgarien und Rumänien sind seit 1. Januar 2007 EU-Mitglied, traten dem EWR jedoch erst am 1. August 2007 bei. Dies führte in der Übergangszeit zu der kuriosen Situation, daß der freie Binnenhandel zwischen den EFTA-Staaten und den beiden Beitrittsländern nur über den Umweg eines anderen EWR-Mitgliedsstaats vertraglich gesichert war. Dasselbe gilt, seitdem Kroatien der Europäischen Union beigetreten ist, für diesen Staat.

Verweise

Fußnoten

  1. Ein europäischer Wirtschaftsraum von der Arktis bis zum Mittelmeer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Januar 1994. Online veröffentlicht durch CVCE, 13. August 2011.
  2. Ein EWR mit nur einem Staat ist nicht undenkbar. In: Neue Zürcher Zeitung, 20. September 2010
  3. „Island: 63 Prozent gegen EU-Beitritt“, Deutsche Wirtschaftsnachrichten (deutsche-wirtschafts-nachrichten.de), 14. Februar 2013
  4. „Island will nicht mehr in die EU“, Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz.net), 22. Februar 2014
  5. Die EU und die Schweiz auf der Suche nach guten Ideen. Neue Zürcher Zeitung, 20. Dezember 2012