Gerlach, Manfred
Manfred Gerlach (* 8. Mai 1928 in Leipzig; † 17. Oktober 2011 in Berlin[1]) war ein deutscher Politiker und letzte Staatsratsvorsitzende der DDR.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Manfred Gerlach wurde am 8. Mai 1928 in Leipzig als Sohn eines Feinmechanikers geboren. Er besuchte in Leipzig die Volks- und Mittelschule. 1943 gründete er eine illegale Jugendgruppe und wurde deshalb im März 1944 mit Jugendarrest bestraft. Von 1951 bis 1954 absolvierte Gerlach ein Fernstudium an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg und schloß mit dem akademischen Grad eines Diplomjuristen ab. 1964 wurde er zum Dr. jur. promoviert, und 1984 erhielt er den Professorentitel.
Wirken
Berufstätig war Manfred Gerlach 1944 und 1945/1946 als Justizangestellter beim Amtsgericht Leipzig sowie beim Amtsgericht Borna. Im September 1945 trat er der Liberal-Demokratischen Partei (LDPD) bei und wurde 1946 Mitgründer der Einheitsjugendorganisation FDJ in Leizpig. Von 1946 bis 1950 war er Jugendreferent im Stadtverband Leipzig und im Bezirksverband Nordwestsachsen der LDPD, von 1947 bis 1952 Mitglied des LDPD-Landesvorstandes Sachsen. In der gleichen Zeit arbeitete er auch 1947 bis 1949 als Abteilungsleiter im FDJ-Stadtvorstand Leipzig und war von 1949 bis 1959 Mitglied des FDJ-Zentralrates in Berlin. 1949 wurde Gerlach erstmals in die Volkskammer (VK) gewählt und zuletzt 1987 im Mandat bestätigt. In der VK arbeitete er von 1950 bis 1956 im Jugendausschuß, von 1956 bis 1963 im Ständigen Ausschuß für Allg. Angelegenheiten mit und war anschließend bis 1990 im Ausschuß für Nationale Verteidigung.
In Leipzig betätigte sich Gerlach auch als Kommunalpolitiker. Er war von 1950 bis 1953 Stadtverordneter und bis 1953 Bürgermeister und Stellvertreter des Oberbürgermeisters. In der LDPD fungierte er von 1951 bis 1953 als stellv. Vorsitzender und leitete von 1952 bis 1954 den Bezirksverband Leipzig der LDPD. 1954 übernahm er ferner das Amt des Chefredakteurs der „Liberal-Demokratischen Zeitung“ in Halle. Von Juni 1954 bis 1967 war Gerlach Generalsekretär der LDPD. Nach Bildung des Staatsrates als kollektives Staatsoberhaupt der DDR wurde Gerlach als Vertreter seiner Partei im September 1960 zu einem der Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR gewählt.[2] Im November 1967 löste er Max Suhrbier im Vorsitz der LDPD ab.[3]
Die LDPD war spätestens ab 1950 eine sog. „Satellitenpartei“ der SED. 1989 zählte die LDPD den Gerlach-Angaben zufolge 113.000 Mitglieder, darunter vor allem Handwerker und Gewerbetreibende, Angestellte, Ärzte und Lehrer. Sie konnte seit 1982 ihre Mitgliederzahl um 25 % erhöhen. Keine der anderen sog. Blockparteien verzeichnete in den 1980er Jahren denselben Zuwachs. Aus den Reihen der LDPD kamen bis 1989 rd. 11.000 Volksvertreter. Gerlach wurde im April 1987 auf dem 14. LDPD-Parteitag in Weimar zuletzt in seinem Amt als Vorsitzender bestätigt. Er betonte immer wieder, die LDPD sei eine demokratische Partei, die ohne Wenn und Aber im und für den Sozialismus wirke.
Im Gegensatz zu den anderen Vorsitzenden der Blockparteien war Gerlach in den 1960er Jahren um Gespräche mit der FDP in der BRD bemüht, die dann aber abbrachen. Erst nach zehnjähriger Pause bekundete die LDPD-Führung auf dem Parteitag im April 1982 wieder ihr Interesse an Kontakten mit der FDP. Als ranghöchster Freidemokrat, der einen LDPD-Parteitag besuchte, weilte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick, im April 1987 in Weimar. Gerlach war damals – eigenem Bekunden zufolge – mit dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker bereits „auseinandergelebt“. Schon 1978/79 wollte er ein kritisches Buchmanuskript unter dem Titel „Wortmeldung zur Zeitgeschichte – Erkenntnisse und Bekenntnisse eines Liberaldemokraten“ verfasst haben, das Vorschläge zur Medien- und Wirtschaftspolitik und zu demokratischen Reformen enthielt. Es sei ihm jedoch verboten worden, so Gerlach, das Buch erscheinen zu lassen.
1989 war Gerlach der erste hochrangige Politiker in der DDR, der angesichts der Fluchtwelle von DDR-Bürgern nach den Gründen fragte und sich deutlich für Reformen im Sinne von UdSSR-Staatschef Michail Gorbatschow aussprach.[4] Nach Honeckers Sturz (18. Oktober 1989) bezeichnete Gerlach die Wahl von Egon Krenz zum Vorsitzenden des Staatsrates als „legitim“ und forderte Anfang November 1989 den Rücktritt der DDR-Regierung sowie eine Tagung der Volkskammer. Nach dem Rücktritt des VK-Präsidenten Horst Sindermann kandidierte Gerlach zusammen mit dem Vorsitzenden der Bauernpartei, Maleuda, für die Nachfolge, konnte sich aber wegen fehlender Stimmen aus der SED nicht durchsetzen. Er wurde von der VK als einer der Stellvertreter des Staatsratsvorsitzenden Krenz bestätigt. Das am 8. November 1989 gewählte Politbüro trat zusammen mit dem gesamten Zentralkomitee der SED am 3. Dezember 1989 zurück. Drei Tage später gab Krenz seine Befugnisse als Staatsratsvorsitzender auf, und Gerlach übernahm provisorisch dieses Amt, „in das er sich nicht gedrängt hat“, wie er öffentlich bekundete.[5] Als amtierender Staatsratsvorsitzender war Gerlach bis zur ersten freien und gleichzeitig letzten DDR-Volkskammerwahl am 18. März 1990 tätig. Dann erklärte er den Verzicht auf alle zukünftigen Ämter.[6]
Auf dem außerordentlichen Parteitag in Dresden (9./10. Februar 1990) löste Rainer Ortleb Gerlach im Vorsitz der in LDP umbenannten Partei ab. Nach der Fusion von West-FDP, LDP und Ost-FDP war Gerlach ab August 1990 Mitglied im Ostberliner FDP-Ortsverein. Am 25. März 1991 beantragten acht FDP-Mitglieder beim Berliner FDP-Landesverband den Parteiausschluß von Gerlach, weil er Anfang der 1950er Jahre Parteifreunde denunziert und für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet haben soll und auf diese Weise seine Karriere beschleunigte. Zudem bemängelten die Unterzeichner des Ausschlussantrages, daß Gerlach in seiner 1991 erschienenen Autobiographie („Mitverantwortlich. Als Liberaler im SED-Staat“) eine allzu geschönte Darstellung seines politischen Wirkens in der LDPD vornahm. Im September 1992 leitete der Berliner FDP-Landesverband ein Parteiordnungsverfahren gegen Gerlach ein, und im November 1992 begann die Staatsanwaltschaft am Berliner Kammergericht mit ihren Ermittlungen gegen Gerlach wegen des Verdachts der Beihilfe zur Freiheitsberaubung mit Todesfolge. Entsprechende Verfahren wurden allerdings später eingestellt. Gerlach selbst wies alle Vorwürfe zurück und vermutete u. a., die westliche FDP-Führungsspitze wolle ihn aus der Partei drängen, da er als Konkurrent angesehen werde. „Unwissentlich Menschen geschadet zu haben“, wollte Gerlach rückblickend auf die 1950er Jahre aber nicht ausschließen. Am 23. November 1993 erklärte Gerlach in einem offenen Brief an FDP-Chef Klaus Kinkel seinen Austritt aus der Partei und begründete dies u. a. mit dem Hinweis, nicht länger als „ostdeutsches Feigenblatt“ für „die gesamtdeutsche Partei“ dienen zu wollen.
Familie
Manfred Gerlach war verheiratet und Vater eines Kindes.
Auszeichnungen
Vaterländischer Verdienstorden in Gold (1964) und Silber, Karl-Marx-Orden (1988), Verdienstmedaille der DDR.