1928
Inhaltsverzeichnis
Januar 1928
- 6. Januar: In London wird der Kronschatz der Romanows im Werte von 60 Millionen Goldmark versteigert.
- 13. Januar: Die Interalliierte Militärkommission in Bulgarien stellt ihre Tätigkeit ein.
- 19. Januar: Groener wird an Stelle von Dr. Geßler Reichswehrminister.
- Groener wurde bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Chef des Feldeisenbahnwesens, 1916 als Generalleutnant Chef des neu errichteten Kriegsamtes, 1918 Generalstabschef der Heeresgruppe in der Ukraine und im November desselben Jahres Erster Generalquartiermeister. Als solcher hatte er unter Generalfeldmarschall von Hindenburg die Rückkehr des Feldheeres und die Demobilmachung geleitet. Von 1920 bis 1923 war er Reichsverkehrsminister.
- Ende des Monats Stand der Locarnopolitik:
- Seit der Herbsttagung des Völkerbundes in Genf 1927 war es um die Frage der früheren Rheinlandräumung vollständig ruhig geworden. Jetzt beschwert sich Stresemann vor dem Haushaltungsausschuß des Reichstages bitter über die Hinauszögerung.
- „Wenn trotzdem das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht gestört worden ist, so spricht das nur für den guten Willen Deutschlands. Locarno sollte ein Anfang sein. Aber das fortgesetzte Verlangen Frankreichs nach immer neuen Sicherheiten ist eine Beleidigung, weil es sich auf die Vorstellung eines Wortbruches stützt. In dem Ruf nach Sicherheit vor dem entwaffneten Deutschland liegt eine gute Portion Heuchelei, die von der Öffentlichkeit der Welt nicht mehr länger ertragen werden kann."
- Briand erwidert vor der französischen Kammer im Februar:
- „Im Vertrag von Locarno gibt es den Geist und den Buchstaben; aber mein Kollege Stresemann beruft sich lieber auf den Geist als auf den Buchstaben. Man will aus Locarno wie aus einem Zauberhut alle möglichen Dinge aufsteigen lassen. Aber ich sage: Locarno ist erst seit anderthalb Jahren in Kraft. Es ist einfach, zu sagen, zieht aus dem Rheinland ab, und alles andere wird sich regeln – ich aber verwahre mich dagegen, die Dinge so einfach zu sehen."
Februar 1928
- 10. Februar: Zwischen dem Deutschen Reich und den VSA wird ein neuer Telefonverkehr eröffnet, nachdem bereits am 4. März 1927 das Kabel Emden – Azoren – Neuyork dem Betrieb übergeben worden ist. Das alte Kabel war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lahmgelegt und beschlagnahmt worden.
- 15. Februar: Die Deutsche Zentrumspartei kündigt die Regierungskoalition. Die seit dem 29. Januar 1927 bestehende bürgerlich-nationale Regierung erreichte zunächst eine gewisse äußere Konsolidierung der öffentlichen Vorgänge: das Jahr 1927 kann als das ruhigste und am meisten ausgeglichene der Nachkriegszeit gelten. Jetzt aber beginnt es wieder zu kriseln; schon wirft der baldige wirtschaftliche Zusammenbruch seine Schatten voraus. Diese Zuspitzung der innerpolitischen Verhältnissen tritt vor allem bei den Beratungen über ein neues Schulgesetz in Erscheinung. Innerhalb der Parteien vermochte man nicht, sich zu einigen. Dies führte schließlich zur Auflösung der Regierungskoalition.
März 1928
- 10. März: Der Belgier Lambert scheidet aus der Saarregierung aus und wird durch den deutschen Bürgermeister Ehrenrott ersetzt. Damit ist das französische Übergewicht in der Saarverwaltung geschwächt.
- 31. März: Die durch den Zerfall der Regierungskoalition geschaffene Lage nötigt die Regierung, am 31. März den Reichstag aufzulösen.
April 1928
- 12. April: Deutscher Ozeanflug mit Hauptmann Köhl, von Hünefeld und Fitzmaurice. Es ist der erste Flug, der von Osten nach Westen unternommen wird.
- 19. April: Schantung wird von den Japanern besetzt.
Mai 1928
- 14. Mai: Eröffnung der II. Weltwirtschaftskonferenz in Genf. Man beschließt schnellste Aufhebung der hohen Zölle sowie der Ein- und Ausfuhrverbote. Aber praktisch bleibt auch diese Konferenz ohne Ergebnis.
- 20. Mai: Reichstagswahlen
- Die Regierung der bürgerlichen Parteien vermochte die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu bessern. Jetzt gibt es einen starken Ruck nach links. Die Deutschnationalen verlieren ein Drittel ihrer Mandate. Die Sozialdemokratie wird mit 153 Sitzen wieder die weitaus stärkste Gruppe. Die Nationalsozialisten treten mit 12 Mandaten auf, darunter Hermann Göring und Joseph Goebbels. Letzteren schützte die damit verbundene Immunität vor den damals geplanten Zugriffen der Polizei. Reichskanzler wird am 29. Juni wieder Hermann Müller (erste Amtsperiode 27. März bis 8. Juni 1920), der die Große Koalition von 1923 erneuert. Von der Volkspartei bleiben Gustav Stresemann und Julius Curtius in ihren Ämtern.
- Ende des Monats: Politische Kämpfe in Berlin
- Bei einem Propagandamarsch der NSDAP wird das an der Spitze fahrende Auto Dr. Goebbels' mit Steinen beworfen und dessen Chauffeur durch einen Schuß schwer verwundet. Es entsteht eine Straßenschlacht. Goebbels wird vorübergehend verhaftet. Kurze Zeit darauf wird er sogar wegen Hochverrats (!) angeklagt. Man fordert die Aufhebung seiner Immunität.
Juni 1928
- 9. Juni: Das aus öffentlichen Sammlungen und Reichsspenden erbaute Luftschiff „Graf Zeppelin" wird dem Verkehr übergeben.
- Ende des Monats: Abschluß der großen französischen Heeresreform
- Das stehende Heer Frankreichs soll fortan im Frieden aus 655.000 Mann bestehen, ausgerüstet mit 1.200 schweren Geschützen, 3.500 Tanks und über 3.000 Flugzeugen. Die Kriegsschiffe faßten damals 358.000 t. Um die gleiche Zeit hatten auch Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Jugoslawien, die Verbündeten Frankreichs, ihre Heeresreform durchgeführt. Demgegenüber hatte Deutschland nur 100.000 Mann, weder schwere Geschütze noch Tanks noch Flugzeuge; Kriegsschiffe 49.000 t.
Juli 1928
August 1928
- 4. August: Ausgleich im Polnisch-Danziger Streit: Die Westerplatte bleibt Danziger Eigentum; aber polnische Kriegsschiffe dürfen den Hafen anlaufen. Die polnischen Eisenbahntarife werden auch im Gebiet der Freien Stadt Danzig eingeführt.
- 15. August: Die „Europa" des Norddeutschen Lloyd wird dem Verkehr übergeben.
16. August: Paul von Hindenburg vollzieht die Taufe des Lloyddampfers „Bremen" in der Weserwerft.
- 27. August: Feierliche Unterzeichnung des Kelloggpaktes in Paris durch 15 Regierungen, darunter Deutschland, Frankreich, die VSA, England, Japan und am 31. August auch durch Rußland.
- Im April 1927 hatte Aristide Briand angesichts der noch nicht abgeschlossenen Schuldenverhandlungen mit den VSA eine Friedensbotschaft an das amerikanische Volk gerichtet, die darin ausklang, zwischen den beiden Staaten durch einen Vertrag einen „ewigen Frieden" zustande zu bringen. Dort aber war man bisher nicht sonderlich darauf eingegangen. Nun aber werden die Verhältnisse in Europa allmählich auch für die VSA unbequem. Dieses beginnt für seine in Übersee investierten Kapitalien zu fürchten. Am 3. Januar 1928 lädt Staatssekretär Kellogg die französische Regierung ein, einen Kriegsverzichtspakt zu beraten, an dem alle Großmächte beteiligt sein sollen. Am 13. April wird ein Entwurf in Berlin, London, Rom und Tokio überreicht. Als erster Staat stimmt am 27. April Deutschland vorbehaltlos zu. England und Frankreich aber erheben Einwendungen, vor allem letzteres weist darauf hin, daß es durch den Locarnovertrag und die Völkerbundsatzungen gebunden sei. Aus diesen würden sich gewisse Verpflichtungen ergeben, die mit einer generellen Ächtung des Krieges nicht vereinbart werden könnten. Man müsse einen Unterschied zwischen Krieg und Krieg machen. Endlich kommt es zu einer Einigung. Der Pakt enthält nunmehr eine Ächtung des Krieges als politisches Instrument und die Verpflichtung der beitretenden Staaten, Streitigkeiten unter sich nur auf friedlichem Wege zu regeln. Dem steht allerdings der auslegungsfähige Begriff des Defensivkrieges als Selbstverteidigung gegenüber. Nach langen Verhandlungen erklärt sich ferner Kellogg bereit, seinem Paktentwurf einen Zusatz zu geben: „Jede Macht, die in Zukunft danach strebt, ihre nationalen Interessen dadurch zu fördern, daß sie zum Kriege schreitet, soll der Vorteile verlustig gehen, die dieser Vertrag bietet.“ Dieser Zusatz aber macht im Grunde den ganzen Pakt illusorisch: Er gilt nur für den Frieden. Gefällt es einer Macht, Krieg zu führen, so erlischt der Pakt automatisch. Dennoch läßt Frankreich durch eine Juristenkonferenz ausdrücklich feststellen, daß „nichts in diesem Vertrage irgendwie das Recht der Selbstverteidigung beeinträchtigt und daß jedes Volk zu entscheiden habe, ob die Umstände es nötigen, zu seiner eigenen Verteidigung zum Kriege zu schreiten".
- 28. August: Aufhebung des Redeverbotes für Adolf Hitler auch in Preußen
- 31. August: Abschluß des 4. Jahres des Dawesplanes
- Der Reparationsagent stellt fest, daß auch in diesem Jahre alle Zahlungen pünktlich und im ganzen Umfange geleistet worden sind. Mit diesen 1.750 Millionen Goldmark in bar und Sachwerten sind aufgrund des Dawesplanes bisher 5.470 Millionen Goldmark abgeführt worden. Aufgebracht wurden diese Summen ausschließlich durch Aufnahme ausländischer Anleihen. Die Erfüllung seiner Zwangsverpflichtungen hat Deutschland durch eine ungeheure Vermehrung seiner internationalen Verschuldung erkauft. Das jetzt beginnende 5. Dawesjahr ist das erste „Normaljahr" mit einer Gesamtfälligkeit von 2.500 Millionen Goldmark. Davon sollen 1.250 Millionen aus dem Reichshaushalt herausgewirtschaftet werden. Wie diese Summe aufgebracht werden soll, ist jedem in Deutschland unverständlich. Die Staatskassen sind leer, seitdem die Kreditpolitik eingedämmt wurde. Die Arbeitslosigkeit steigt. Das Reich hat bereits begonnen, sich von Ultimo zu Ultimo durchzuborgen.
September 1928
- 1. September: Achmed Zogu wird König von Albanien.
- 1914 war Prinz Wilhelm zu Wied als Fürst Wilhelm I. nach Albanien gerufen, mußte aber bald nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges das Land wieder verlassen. Während des Krieges war Albanien teils durch Österreich, teils durch die Entente besetzt und wurde nach der Grenzziehung von 1921 am 21. Januar 1925 Republik. Erster Präsident von Albanien wurde am 1. Februar 1925 Achmed Zogu.
- 8. September: Graf [[Ulrich von Brockdorff-Rantzau] stirbt in Berlin.
- Er wurde am 29. Mai 1869 in Schleswig geboren, war ab 1909 Generalkonsul in Budapest, 1912 Gesandter in Kopenhagen, Ende 1918 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, dann Reichsminister des Auswärtigen. Er führte die nach Versailles entsandte Friedensabordnung und beantragte am 20. Juni 1919 die Ablehnung des Diktates.
- Mitte des Monats: Septembertagung des Völkerbundes
- Statt des erkrankten Außenministers Gustav Stresemann erscheint Reichskanzler Hermann Müller mit dem festen Entschluß, die nun schon drei Jahre verschleppte Frage der Rheinlandräumung endlich zum Abschluß zu bringen. Kurz vorher erklärte er:
- „Das ganze deutsche Volk ohne Unterschied der Parteirichtung ist sich in dem Wunsche einig, daß die fremden Truppen am Rhein endlich zurückgezogen werden. Das in der Vergangenheit Geleistete, das für die Zukunft Gewollte gibt uns ein Recht zu dieser Forderung."
- Aber Aristide Briand verweist auf Thoiry, wo Gustav Stresemann selber den Grundsatz anerkannt habe, daß Deutschland für eine frühere Räumung eine besondere Gegenleistung machen müsse. Vergebens bezieht sich Hermann Müller auf eine Erklärung der Alliierten vom Juni 1919, daß eine frühere Räumung eintreten solle, wenn Deutschland seinen Verpflichtungen nachgekommen sei. Er müsse den deutschen Anspruch auf Räumung ohne besondere Gegenleistung voll aufrechterhalten. Von Aristide Briand ist jedoch eine feste Zusage in dieser Angelegenheit nicht zu erreichen.
- Ebenso wenig macht die Abrüstungsfrage Fortschritte. Auch hierin versucht der deutsche Reichskanzler einen Vorstoß:
- „Seit nahezu 3 Jahren tagt immer wieder die vorbereitende Abrüstungskommission. Es ist aber nicht gelungen, die ihr überwiesenen Aufgaben ernsthaft in Angriff zu nehmen, geschweige denn zu erledigen. Die Entwaffnung Deutschlands darf nicht länger dastehen als der einseitige Akt der Sieger des Weltkrieges. Endlich muß es zur Erfüllung des vertraglichen Versprechens kommen, daß der deutschen Entwaffnung die allgemeine folgen soll. Friedensbürgschaften gibt es nun genug. Es ist schließlich nicht verwunderlich, wenn bei solcher Lage der Dinge der Mann aus dem Volke dazu kommt, ein doppeltes Gesicht der internationalen Politik festzustellen."
- 16. September: Beschluß der Vollversammlung in Genf
- Es sind baldigst zwei Ausschüsse einzusetzen, welche die Verhandlungen sowohl über die Rheinlandräumung wie über die endgültige Regelung der Reparationen führen sollen.
Die Ausschüsse sollen unabhängig sein und den beteiligten Regierungen ihren Bericht vorlegen. Hieraus entsteht ein heftiger diplomatischer Kampf, wer als Sachverständiger einzusetzen sei. Drei Ministerreden zeigen die Gegensätze auf.
- Poincar: „Wenn keine neue Lösung zustande kommt, die Frankreich befriedigt, so werden wir uns strikt an den Dawesplan halten. Wir werden auf keine unserer Garantien verzichten, wenn man uns nicht in allen Punkten Gewißheit verschafft."
- Chamberlain: „Deutschland besitzt keinen Rechtsanspruch auf eine frühere Räumung des Rheinlandes. Ein solcher muß vielmehr auf dem Wege von Zugeständnissen erst erworben werden."
- Stresemann: „Deutschland wird unbeirrt dabei verharren, daß es einen Anspruch auf alsbaldige Räumung des besetzten Gebietes hat und daß dieser Anspruch weder von der Lösung anderer Probleme noch von sonstigen Bedingungen irgendwelcher Art abhängig ist."
Oktober 1928
- 20. Oktober: Alfred Hugenberg wird Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Er faßt diese durch das Übergewicht seiner finanziellen Mittel in schärfster Form gegen die Reichsregierung zusammen.
November 1928
- 1. November: In der Türkei wird die lateinische Schrift als Amtsschrift eingeführt.
- 7. November: Hoover wird zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt.
Dezember 1928
- 22. Dezember: Scheinbare Fortschritte in der Räumungs- und Reparationsfrage. Nach Verhandlungen von über drei Monaten kommt endlich eine Einigung über die Frage des Sachverständigenausschusses für die endgültige Regelung der Reparationen zustande. Dieser wird für den 9. Februar 1929 nach Paris einberufen. Während die deutsche Regierung im Hinblick auf den erschreckenden Zustand ihrer Finanzen auf größte Beschleunigung drängt, stellt der Reparationsagent Parker Gilbert in seinem Jahresbericht fest, daß kein Grund zu irgendwelchen Besorgnissen vorliege: Die Daweslasten seien bisher ohne Schwierigkeiten aufgebracht worden.
- 31. Dezember: Die Gesamtzahl der Mitglieder der NSDAP betrug am Jahresende 108.000.