Indogermanische Sprachen
Die indogermanischen Sprachen bilden die heute sprecherreichste Sprachfamilie der Welt mit etwa drei Milliarden Muttersprachlern. Das Studium dieser Sprachen im Rahmen der Sprachforschung wird Indogermanistik, ihre Sprecher Indogermanen genannt.
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Die große Verbreitung der indogermanischen Sprachen ist das Ergebnis von Völkerwanderungen im Laufe der Jahrhunderte und zuletzt auch der europäischen Expansion seit dem 15. Jahrhundert. Die dazugehörigen Sprachen zeigen weitreichende Übereinstimmungen beim Wortschatz, in der Beugung, in grammatischen Kategorien wie Zahl und Geschlecht sowie im Ablaut.
Unter den zwanzig meistgesprochenen Sprachen befinden sich, gemessen an ihrer Anzahl von Muttersprachlern, zwölf indogermanische: Hindi, Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Bengalisch, Russisch, Deutsch, Marathisch, Französisch, Italienisch, Pandschabi und Urdu.
Beispiele
Folgende Tabelle veranschaulicht die sprachlichen Gemeinsamkeiten anhand zentraler Wörter in indogermanischen Sprachen:
Hochdeutsch | Niederländisch | Englisch | Schwedisch | Gotisch | Latein | Altgriechisch | Spanisch | Sanskrit |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Bruder | broeder | brother | broder | broþar | frater | φράτηρ phrátēr | bhrātṛ | |
ich | ik | I | jag | ego | yo | |||
Mutter | moeder | mother | moder | mater | μήτηρ mḗtēr | madre | mātṛ | |
Vater | fader | father | fader | fadar | pater | πατήρ patḗr | padre | pitṛ |
Erforschung
Die indogermanischen Sprachen werden als stammbäumlich verwandt betrachtet, d. h. als „Tochtersprachen“ einer „Muttersprache“, des nicht mehr erhaltenen Urindogermanischen. Daß ihre Ähnlichkeit nur durch gegenseitige Angleichung nach Art eines Sprachbundes zustande kam, kann aufgrund der zahlreichen regelmäßigen Entsprechungen ausgeschlossen werden. Die bereits seit langem bekannte Tatsache, daß die romanischen Sprachen als Nachfolger der lateinischen Sprache anzusehen sind, sowie einige ähnlich gelagerte Fälle wie die nordischen Sprachen, führte zum Denkbild der Sprachfamilie, das auch auf solche Gruppen von Sprachen übertragen wurde, die in gleicher Art aus einer gemeinsamen Vorläufersprache hervorgegangen zu sein schienen, die aber nicht durch Niederschriften bekannt war, sondern deren einstiges Dasein nur hypothetisch erschlossen werden konnte.
Bereits im Jahre 1647 stellte der niederländische Sprachwissenschaftler und Gelehrte Marcus Zuerius van Boxhorn erstmals eine grundlegende Verwandtschaft zwischen einer Reihe von abendländischen und morgenländischen Sprachen fest; ursprünglich bezog er in diese Verwandtschaft die germanischen sowie die „illyrisch-griechischen“ und italischen Sprachen einerseits und das Persische andererseits ein, später fügte er noch die slawischen, keltischen und baltischen Sprachen hinzu. Die gemeinsame Ursprache, von der all diese Sprachen abstammen sollten, bezeichnete van Boxhorn als Skythisch. Jedoch konnte sich van Boxhorn mit dieser Erkenntnis im 17. Jahrhundert noch nicht durchsetzen.
Im Jahre 1786 erkannte der englische Orientalist William Jones aus Ähnlichkeiten des Sanskrit mit dem Griechischen und Lateinischen, daß es für diese Zungen eine gemeinsame Wurzel geben müsse. Er deutete bereits an, daß dies auch für Keltisch und Persisch gelten könnte.
Der Deutsche Franz Bopp brachte 1816 in seinem Buch „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ den methodischen Beweis für die Verwandtschaft dieser Sprachen und begründete damit die deutsche Indogermanistik. Diese indogermanische Ursprache ließ sich durch Rekonstruktion gewinnen (Vergleichende Sprachwissenschaft).
Der deutsche Sprachwissenschaftler August Schleicher versuchte, die Entwicklung und das Verwandtschaftsgebilde der indogermanischen Sprachen in seiner berühmten Stammbaumtheorie darzustellen. In diesem Stammbaum gibt es sowohl gesicherte als auch ungesicherte Verzweigungen; letztere betreffen insbesondere ausgestorbene Sprachen, die keine Nachfolgesprachen hinterlassen haben. Schleicher versuchte das hypothetische Urindogermanische zu erschließen, indem er sich ursprünglicher Litze verschiedener indogermanischer Sprachen bediente. Daraus entstand eine Übersetzung der sogenannten indogermanischen Fabel „Das Schaf und die Pferde“ als „Avis akvasasca“.
Es können sowohl Wortwurzeln als auch morphologische und phonologische, ja sogar (mit Einschränkungen) satzbauliche Merkmale des Indogermanischen wiedererschlossen werden. Eine Grundsprache im Sinne eines genauen kommunikativen Verständnisses wird mit dieser Rekonstruktion jedoch bislang nicht erreicht.
Zweige des Indogermanischen
Zu den indogermanischen Sprachen gehören die folgenden Gruppen heute noch gesprochener, lebender, und ohne Nachkommen ausgestorbener () Sprachen. Die Auflistung folgt in alphabetischer Reihenfolge:
- Albanisch (möglicherweise eine Nachfolgesprache des Illyrischen)
- Anatolische Sprachen
- Armenisch
- Baltische Sprachen
- Elymisch (möglicherweise eine italische Sprache oder aber nicht-indogermanisch)
- Germanische Sprachen
- Griechisch
- Illyrisch
- Indoiranische Sprachen
- Italische Sprachen (einschließlich der romanischen Sprachen)
- Keltische Sprachen
- Lusitanisch (möglicherweise keltisch oder mit dem Keltischen näher verwandt)
- Makedonisch (möglicherweise mit dem Griechischen näher verwandt)
- Messapisch (möglicherweise mit dem Illyrischen näher verwandt)
- Phrygisch
- Sikulisch (möglicherweise italisch)
- Slawische Sprachen
- Thrakisch (Thrakisch, Dakisch, Getisch, Moesisch)
- Tocharische Sprachen
- Venetisch
Siehe auch
Literatur
- Hans Krahe: Indogermanische Sprachwissenschaft (1943, 68 Doppels., Scan).pdf
- Hermann Hirt:
- Der indogermanische Akzent. Ein Handbuch. Straßburg 1895
- Indogermanische Grammatik. 7 Bände. Heidelberg 1921–1937
- Die Indogermanen. Ihre Verbreitung, ihre Urheimat und ihre Kultur. 2 Bände. Straßburg 1905–1907