Nornen
Die Nornen (von altnord. Nornir) sind in der germanischen Mythologie schicksalbestimmende Wesen, die zumeist in der Dreizahl genannt sind: Urd (altnord. Urðr), das Vergangene, Verdandi (altnord. Verðandi) die Gegenwart und Skuld (altnord. ebenfalls Skuld), die als „Zukunft“ bezeichnet wird, wörtlich aber mit „Schuld“ übersetzt werden muß (im Sinne von „Bringschuld“ – was zu bringen ist). Bei den Walküren ist ebenfalls eine „Skuld“ belegt.
Laut Völuspá wohnen die Nornen an der Wurzel der Weltenesche Yggdrasil an einem Brunnen (als Urdsbrunnen bezeichnet).
Inhaltsverzeichnis
Bedeutung
Die Nornen gelten als Schwestern, welche im Gegensatz zu den Göttern das Schicksal als Ganzes und nicht nur als Stückwerk kennen. Sie gehören eigentlich nicht zur Götterwelt, obschon es in der Snorra-Edda heißt, daß einige Nornen – es gibt nicht nur die drei – von Göttergeschlecht seien.
Ursprünglich wird man von der skandinavischen Urd (althochdeutsch Wurt, altenglisch Wyrd,) als der eigentlichen Vorstellung des personifizierten Schicksals ausgehen müssen und das sie – systematisiert – später in drei Personifikationen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) aufgeteilt wurde. In christlicher Zeit finden sich vergleichbar die drei Marien oder später auch die neun Marien, was lediglich auf eine Potenzierung der Dreizahl hinweist.
Innerhalb der indogermanischen Religionen und Mythologien besteht eine enge Verwandtschaft mit den römischen Parzen und den griechischen Moiren. Allerdings finden sich diese unnahbaren und unerbittlichen Schicksalsfrauen nicht bei allen indogermanischen Völkern, sondern erscheinen tatsächlich nur in den Mythologien des europäischen Nordens und jener Völker, die gegen Ende der Jungsteinzeit und in der Bronzezeit aus den nördlichen Gegenden Europas in den Süden gekommen waren, bei den Griechen, Römern und Hethitern.
Bei den Nordvölkern ging es wie immer um Erkenntnis, um die furchtlose Feststellung einer Wahrheit (mithin im Falle der Nornen die Erkenntnis der Unerbittlichkeit des unbestechlichen Schicksals gegenüber dem Einzelnen), während im Süden der naiv-devote Glaube an die Hilfsbereitschaft göttlicher Wesen im Vordergrund stand.[1]
Lieder-Edda
- Eine Esche[2] weiß ich,
- heißt Yggdrasil,
- Den hohen Baum
- netzt weißer Nebel;
- Davon kommt der Tau,
- der in die Täler fällt.
- Immergrün steht er
- über Urds Brunnen.
- Davon kommen Frauen,
- vielwissende,
- Drei aus dem See
- dort unterm Wipfel.
- Urd heißt die eine,
- die andre Verdandi:
- Sie schnitten Stäbe;
- Skuld hieß die dritte.
- Sie legten Lose,
- das Leben bestimmten sie
- Den Geschlechtern der Menschen,
- das Schicksal verkündend.[3]
In der Snorra-Edda heißt es weiter, daß die Nornen den Weltenbaum Yggdrasil mit dem Wasser des Urdsbrunnen besprengen, um ihn bei Frische zu halten:
Snorra-Edda
Auch wird erzählt, daß die Nornen, welche an Urds Brunnen wohnen, täglich Wasser aus dem Brunnen nehmen und es zugleich mit dem Dünger, der um den Brunnen liegt, auf die Esche sprengen, damit ihre Zweige nicht dorren oder faulen. Dieses Wasser ist so heilig, daß alles, was in den Brunnen kommt, so weiß wird wie die Haut, die inwendig in der Eierschale liegt.(Gylfaginning - Gylfis Visionen 16, nach Simrock)
Es gibt jedoch nicht nur diese drei Nornen, sondern noch weitere, die durchaus böser Natur sein können. Die verschiedenen Typen haben auch unterschiedliche Herkunft. Bei Snorri heißt es Gylfaginning 15:
So steht ein schönes Gebäude unter der Esche bei dem Brunnen:
aus dem kommen die drei Mädchen, die Urd, Skuld und Verdani heißen. Diese Mädchen, welche aller Menschen Lebenszeit bestimmen, nennen wir Nornen. Es gibt noch andere Nornen, nämlich solche, die sich bei jedes Kindes Geburt einfinden, ihm seine Lebensdauer anzusagen. Einige sind von Göttergeschlecht, andere von Alfengeschlecht, noch andere vom Geschlecht der Zwerge, wie hier gesagt wird:
Da sprach Gangleri: Wenn die Nornen über das Geschick der Menschen walten, so teilen sie ihnen schrecklich ungleich aus. Die einen leben in Macht und Überfluß, die anderen haben wenig Glück noch Ruhm; die einen leben lange, die andern kurze Zeit. Har antwortete: Die guten Nornen und die von guter Herkunft sind, schaffen Glück, und geraten einige Menschen in Unglück, so sind die bösen Nornen schuld. |
Zitate
- „Im Zwange der Welt ./. Weben die Nornen ./. Sie können nichts wenden noch wandeln“ — Richard Wagner, in: „Siegfried“
Literatur
- J. de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte § 192-193, 527-530, 585.
- Rudolf Simek: Lexikon der Germanischen Mythologie S. 270, 286, 307, 405.
- Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HdA): Bd.6, Sp. 1121-1124.
- Die Lieder-Edda (Ältere Edda, Codex Regius, Saemundar Edda); 1,19-20.
- Snorra-Edda (Jüngere Edda, Prosa-Edda); 1,15-16.
Verweise
- Nornen, Idisen und Wesen der „niederen Mythologie“ (Artgemeinschaft: Asatru.de)
- Nornen - Schicksalgöttinen (lokis-mythologie.de)