Zensuswahlrecht
Das Zensuswahlrecht (von lat. census, d. h. „Schätzung der Bürger nach dem Vermögen“) knüpft das Wahlrecht als solches oder das Stimmengewicht an eine Eigentümerstellung (Umfang des Vermögens) oder an die Steuerleistung. Es soll, im Gegensatz zum gleichen Wahlrecht, eine Dominanz von Mehrheitsstimmen verhindern, die auf Grund der demokratie-immanenten Problematik zwangsläufig zur Selbstblockade und letztlich zum Zerfall derselben führt. Ein Zensuswahlrecht im weiteren Sinne könnte auch die Gewichtung von Wählerstimmen nach gesellschaftlichem Stand, Einkommen, Intelligenz oder Personenstand (Familienwahlrecht) berücksichtigen oder vornehmen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Das Zensuswahlrecht nimmt seinen Ausgang von dem Begriff census, unter dem im alten Rom die Schätzung der Bürger nach ihrem Vermögen zwecks Festsetzung der Steuer- und Kriegsdienstpflicht und der politischen Bürgerrechte verstanden wurde.
Ein Zensuswahlrecht galt in zahlreichen Staaten Europas vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Hans-Hermann Hoppe schrieb zu den Wahlrechtsverhältnissen in Frankreich, England, Preußen, Italien, Österreich, Russland in der Zeit von 1815 bis 1918.[1] In Preußen bestand das Dreiklassenwahlrecht.
Das Zensuswahlrecht beruht auf dem bereits in der Antike erwogenen und zum Beispiel in Rom auch umgesetzten Gedanken, dass der Umfang des Besitzes oder des Beitrags an Steuern für die politischen Rechte des Bürgers maßgeblich sein müsse. Eine theoretische Formulierung des Grundgedankens des Zensuswahlrechts lieferte Justus Möser (1720–1794) in seiner „Aktientheorie“.
Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika gingen davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht in der Lage ist, die Realität zu begreifen. Sie beschränkten die Demokratie auf männliche Grundbesitzer, deren wirtschaftliches Interesse sie in der Wirklichkeit festhielt. Die Regelung galt bis in die 1830er-Jahre.
Aktualität
Vorstellungen zur Einführung eines an das Eigentum geknüpften Wahlrechts werden in moderner Zeit gelegentlich aus libertären Kreisen vorgebracht. Moderne Verfechter denken beispielsweise daran, Netto-Einzahlern ins Steuer- bzw. Sozialversicherungssystem eine stärkere Stellung beim Wahlrecht zu geben. Sie machen geltend, dass den von staatlichen Zahlungen und Garantien Abhängigen (die vielen Millionen Zahlungsempfänger aus dem umverteilten Aufkommen der Besteuerung der Leistungsträger, öffentliche Angestellte und Beamte, Pensionäre, Rentner) nicht das Recht zustehen dürfe, mit ihren Stimmenmehrheiten die politischen Verhältnisse, den Steuerdruck, die „Sozialpolitik“[2] und das Ausgabeverhalten des Staates zu bestimmen.
Der libertäre Autor Markus Krall schrieb, Personen im wahlfähigen Alter sollten vor jeder Wahl bzw. vor jeder Legislaturperiode verbindlich entscheiden müssen, ob sie im Zeitraum Transferleistungen in Anspruch nehmen wollen – dann kein Wahlrecht – oder nicht. Auch wer in einem subventionierten Betrieb (beispielsweise Auffanggesellschaft) arbeite, solle kein Wahlrecht erhalten, ebenso Unternehmer, die staatliche Förderung erhalten.
Damit im Zusammenhang sehen Befürworter eines Zensuswahlrechts in diesem die einzige Möglichkeit, ausufernde Staatsverschuldung und Staatsbankrott zu hindern.
Dem stehen theoretisch globalistisch-ideologische „Menschenrechtsdeklarationen“ und Vorschriften fast aller Nationalstaaten zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht („One Man – One Vote!“ – „Eine Person – eine Stimme!“) entgegen. Praktisch folgt der stärkste Widerstand – gegen die Einführung einer Stimmengewichtung durch Zensuswahlrecht – aus der Praxis parteipolitischer Apparate und Systeme, in großem Stil und mit Steuergeld Stimmenkauf durch Wahlgeschenke zu betreiben. Dieses letztere Verfahren gesteht die Politik Reichen nicht zu. Diese sind darauf verwiesen, sich (mit eigenem Geld) politischen Einfluss über eigene Medien und aufwendigen Lobbyismus zu erkaufen.
Zitate
- „Ein Zensuswahlrecht, das das Stimmgewicht nach der Steuerleistung bemißt [...] würde dem unaufhörlichen Staatswachstum sofort ein Ende setzen. Bei einem allgemeinen, gleichen Wahlrecht dagegen, stehen die Leistungsträger [...] langfristig auf verlorenem Posten – insbesondere in einer rasch alternden Gesellschaft mit immer mehr Rentnern. Die Mehrheiten finden sich dann nämlich stets auf seiten der Transferbezieher, die die Minderheit der Nettozahler nach Belieben ausbeuten können.“ — Andreas Tögel[3]
- „Spätere, gläubige und realistische Zeiten werden einmal über den Aberglauben eines Jahrhunderts spotten, welches der Annahme huldigte, der Wille eines Volkes lasse sich durch die Abgabe von 40 Millionen Stimmzetteln errechnen und werden mit Hohn einer Epoche gedenken, in der diese 40 Millionen Stimmen gleich gewertet wurden.“ — Edgar Julius Jung: Sinndeutung der deutschen Revolution
- „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist Unsinn; Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen. [...] Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Der Staat muß untergehen, früh oder später, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“ — Friedrich Schiller: Demetrius
- „Das allgemeine gleiche Wahlrecht ist immer eine Unwahrheit gewesen, da es eine Gleichheit der Menschen voraussetzt, die sich niemals verwirklichen lassen wird. Es ist unmoralisch, indem es den Würdigen, Fähigen, Reifen genau so behandelt, wie den Unwürdigen, Unfähigen, Unreifen. Es ist endlich ungerecht, indem es tatsächlich durch die Gewalt der Massen, die Massenstimmenzahl, die Gebildeten und Besitzenden entrechtet.“ — Heinrich Claß: „Das Kaiserbuch“
Siehe auch
Literatur
- Anna-Lena Strelitz-Risse: Das Zensuswahlrecht: Erscheinungsformen, Begründung und Überwindung am Beispiel Frankreichs und Deutschlands (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 85), Duncker & Humblot, 2018, ISBN 978-3428154074
- Markus Krall: Freiheit oder Untergang: Warum Europa jetzt vor der Entscheidung steht, Langen-Müller, 2021
- André Lichtschlag: Entzieht den Nettostaatsprofiteuren das Wahlrecht!, in: Die Welt, 19. September 2006
- Konrad Adam: Wer soll wählen? Kolumne Die Macht der Schwachen. In: Die Welt, 16. Oktober 2006
- Gerd Radek: Griechenland – Ein Plädoyer für das Zensuswahlrecht, eigentümlich frei, 30. April 2010
Verweise
- Andreas Tögel: Permanentes Staatsversagen läßt sich auf Dauer nicht kaschieren, 4. August 2014