Hergesell, Hugo
Hugo Emil Hergesell ( 29. Mai 1859 in Bromberg; 6. Juni 1938 in Berlin) war ein deutscher Meteorologe. Von Anfang an aber erkannte er, daß die meteorologischen Beobachtungen am Boden durch regelmäßige Beobachtungen aus der freien Atmosphäre ergänzt werden mußten. Er begann mit Beobachtungen auf dem Straßburger Münster und auf Mittelgebirgsgipfeln. Dann schaltete er die Luftschiffertruppe, Luftfahrtvereine und Marinefahrzeuge ein. Er und seine Mitarbeiter verbesserten laufend die Methoden der Registrierung mit Hilfe von Drachen, Fesselballons, bemannten und unbemannten Freiballons. Er flog schon 1909 selbst in einer Flugmaschine der Gebrüder Wright mit, um die Beobachtungsmöglichkeiten mit Flugzeugen zu prüfen. Seine letzte Ruhestätte befindet sich in Berlin-Steglitz auf dem Parkfriedhof Lichterfelde.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Nach dem Studium der Naturwissenschaften an der Universität Straßburg von 1878 bis 1881 war Hugo Hergesell zunächst als Lehrer am Straßburger Protestantischen Gymnasium und danach als Privatdozent an der Straßburger Universität tätig. Dort promovierte er 1887 zum Dr. phil. und wurde mit der Einrichtung eines meteorologischen Dienstes im Reichsland Elsaß-Lothringen beauftragt, wo er Direktor bis 1914 war. Bald erkannte er, daß die Beobachtungen innerhalb der bodennahen Luftschicht durch solche aus der freien Atmosphäre ergänzt werden müssen und gehört zu den Begründern der Aerologie. 1896 regte Hergesell die Gründung der „Aeronautischen Kommission“ an, die – unter wechselnden Namen – bis zur Gründung der „World Meteorological Organisation“ (WMO) bestand und deren Präsident er bis 1919 und nochmals von 1927 bis 1935 war. Durch diese Kommission hatte Hergesell großen Einfluß auf den Ausbau des globalen Netzes aerologischer Stationen.
Nach mehrwöchigen Spitzbergen-Aufenthalten zur Erforschung der meteorologischen Verhältnisse auf Spitzbergen in den Jahren 1906 und 1907 und der Studienreise der Deutschen Arktischen Zeppelin-Expedition 1910 regte Hugo Hergesell die Errichtung einer deutschen Meßstation zur kontinuierlichen Untersuchung der meteorologischen Bedingungen in der Polarregion und zur Erforschung der freien Atmosphäre über Spitzbergen in der Adventbai 1911 an. Die Gemeinschaft mit der dort befindlichen Kohlemine hatte jedoch eine Zersplitterung der Meßstation, den mehrfachen Wechsel der Wohnunterkunft und eine Reihe weiterer organisatorischer Schwierigkeiten zur Folge. Aus diesen Gründen veranlaßte Hergesell im Folgejahr den Aufbau einer selbständigen meteorologischen und aerologischen Meßstation an der Westküste der Crossbai in Ebeltofthafen. Mit dem Aufbau und der wissenschaftlichen Führung der Station wurden Kurt Wegener (1878–1964) als Leiter und Max Robitzsch (1887–1952) als sein wissenschaftlicher Mitarbeiter beauftragt.[3]
Über die Fortschritte innerhalb des neuen Wissenschaftszweiges berichtete ab 1904 die von Richard Assmann und Hergesell herausgegebene Zeitschrift „Beiträge zur Physik der freien Atmosphäre“. Mit Ferdinand Graf Zeppelin führte er die Einrichtung einer Drachenstation am Bodensee durch. Im Sommer 1910 war er Teilnehmer einer Schiffsexpedition zur Arktisinsel Spitzbergen. Ziel dieser Expedition war die Prüfung der technischen Voraussetzungen für Zeppelinfahrten zur Arktis, denn man plante, mit Zeppelin-Luftschiffen Forschungs- und Vermessungsfahrten zum Pol durchzuführen.
1914, nun ordentlicher Professor an der Berliner Universität, wurde Hergesell als Nachfolger Assmanns die Leitung des Aeronautischen Observatoriums Lindenberg südöstlich von Berlin übertragen. Unter Hergesells Leitung wurde am Observatorium Lindenberg der Höhenwetterdienst für die sich rasch entwickelnde Luftfahrt systematisch ausgebaut. Hergesell erkannte auch frühzeitig den Nutzen der drahtlosen Telegrafie und regte in Lindenberg die Entwicklung eines aerologischen Meßinstrumentes an, für das er den Begriff „Radiosonde“ prägte.
Nachkriegszeit
Als im Jahre 1920 von Friedrich Schmidt-Ott (1860–1957) die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, die spätere „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG), gegründet wurde, engagierte sich Prof. Dr. Hergesell als Vorsitzender der Apparatekommission, zweifellos schon damals eine Schlüsselstellung in der deutschen Wissenschaftsorganisation. Zusätzlich zur Leitung des Lindenberger Observatoriums übernahm er ab März 1923 auch die Direktion des Meteorologischen Observatoriums Potsdam auf dem Telegrafenberg. Seine vielfältige und rastlose Tätigkeit brachte ihm den ehrenvollen Spitznamen „Hin- und Hergesell“ ein. Von 1929 bis 1936 war er Honorarprofessor für Meteorologie und Aerologie im Lehrgebiet Physik der Fakultät I für Allgemeine Wissenschaften, insbesondere für Mathematik, Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Hochschule zu Berlin. Fast 73jährig ging Hergesell 1932 in den Ruhestand. Die folgenden Lebensjahre waren von Krankheit überschattet.
- „Wir Geophysiker verehren in ihm einen unserer führenden Meister, der nicht nur auf seinem Spezialgebiet Hervorragendes geleistet hat, sondern der alle Teile der Geophysik mit Interesse verfolgt und fördert.“ — Prof. Dr. phil. Karl Wilhelm Franz Linke, Vorsitzender der DGG
Kurzbiographie
- Hugo Hergesell hat sich lebenslang für ein Zusammenwirken von Luftfahrt und Meteorologie auf wissenschaftlicher Basis eingesetzt, wie es heute unverzichtbar erscheint. Als Meteorologe gehört er zu den Begründern der Aerologie (mit W. Koppen, R. Assmann, A.L. Rotch und L. Teisserence de Bort). Die Aerologie ist ein Teilgebiet der Meteorologie und beschäftigt sich mit der Erforschung von Vorgängen in der freien Atmosphäre, deren Höhe über der Erdoberfläche nicht genau eingrenzbar ist. Diese hoch liegenden Luftschichten werden von der Erdoberfläche zwar nicht mehr beeinflußt, haben ihrerseits aber dennoch Auswirkungen auf unser Wetter. Ais Hugo Hergesell am 29. Mai 1859 als Sohn eines Eisenbahn-Rechnungsrates in Bromberg geboren wurde, gehörte die alte Stadt im Netzedistrikt zur preußischen Provinz Posen. Hergesell studierte von 1878 bis 1881 in Straßburg (u. a. bei G. Gerland) und trat dann einen sehr abwechslungsreichen und stets außerordentlich aktiven und engagierten beruflichen Lebensweg an. Zunächst war er Oberlehrer am Prot. Gymnasium in Straßburg, wo er im Jahre 1887 auch zum Dr. phil. promovierte. Im Anschluß an seine Doktorarbeit erhielt er den Auftrag, in Elsaß-Lothringen einen meteorologischen Dienst aufzubauen, dem er auch bis zum Beginn des 1. Weltkrieges im Jahre 1914 als Direktor vorstand. Gleichzeitig war er ab 1900 außerordentlicher Professor an der Universität Straßburg. Schon in dieser Zeit erkannte Hergesell, daß die meteorologischen Messungen am Erdboden notwendigerweise durch ständige Beobachtungen aus der freien Atmosphäre ergänzt werden mußten, um einen effektiven und zuverlässigen Wetterdienst einrichten zu können. Deshalb durften diese Messungen auch nicht auf lokale Bereiche beschränkt bleiben, sondern mußten weltweit ausgedehnt werden. So begann Hergesell folgerichtig mit Messungen auf dem Straßburger Münster und auf den Bergen der umliegenden Mittelgebirge, arbeitete mit der Luftschiffertruppe und mit Luftfahrtvereinen zusammen und setzte schließlich Drachen, Fesselballons sowie bemannte und unbemannte Freiballons ein. Damit leitete Hugo Hergesell eine wissenschaftliche Entwicklung ein, die so erfolgreich verlief, daß heute für den gleichen Zweck Spezialflugzeuge, Raketen und Satelliten verwendet werden. Bereits im Jahre 1909 flog Hergesell in einem „Flugzeug“ der Gebrüder Wright als wissenschaftlicher Beobachter mit. Er unternahm zahlreiche Expeditionen, z.B. mit dem Fürsten von Monaco auf dessen Jacht in die Passatgebiete, wo er durch Drachenflüge in den Jahren 1904 bis 1907 eine Erklärung für das Entstehen der Passatwinde fand, oder später mit dem Grafen Zeppelin in einem Luftschiff in das Polargebiet. Auch feste Beobachtungsstationen richtete er ein: 1908 die Drachenstation Friedrichshafen am Bodensee, 1909 ein Berg-Observatorium auf Teneriffa unter Mithilfe Kaiser Wilhelms II. und 1911 eine Station auf Spitzbergen. Er entwickelte aerologische Meßgeräte, die weite Verbreitung fanden. Hugo Hergesell hatte 1894 in Zabern im Elsaß Emilie Wenz geheiratet, ein Sohn ging aus dieser Ehe hervor. Seine aufgeschlossene Persönlichkeit, seine begeistert von ihm vertretenen Ideen, aber auch die von ihm verfaßten Gedichte gaben ihm Freunde im In-und Ausland. Auf seine Anregung hin wurde 1896 die Internationale aerologische Kommission gegründet, deren Präsident er bis 1914 war. Von 1894 bis 1914 und nochmals von 1927 bis 1935 war er Präsident der Internationalen Kommission für wissenschaftliche Luftfahrt. 1914 wurde Hergesell ordentlicher Professor an der Universität Berlin, Honorarprofessor an der dortigen Technischen Hochschule und bis 1932 Direktor des Preußischen Aeronautischen Observatoriums in Lindenberg nahe Berlin, des wichtigsten internationalen Forschungsinstituts überhaupt. Gleich nach dem 1. Weltkrieg übernahm er – ebenfalls bis 1932 – die Leitung des nach seinen Ideen gegründeten Deutschen Flugwetterdienstes. Von 1924 bis 1932 war Hergesell Präsident der Direktorenkonferenz der Deutschen Meteorologischen Institute. Seine auf zahlreichen wissenschaftlichen Fachtagungen in aller Welt vorgetragenen Ideen fanden breite Anerkennung und – manchmal auch erst späte – Verwirklichung, so z.–B. die Einrichtung ständiger Wetterflugstellen, die drahtlose Übermittlung von Meßergebnissen aus der oberen Atmosphäre zur Erde und das weltweite Radiosondennetz. Seine intensiven und erfolgreichen Bemühungen um die internationale Absicherung der Luftfahrt auf meteorologischem Gebiet führten zur Verleihung des Adlerschildes des Deutschen Reiches, der Buys-Ballot-Medaille und der goldenen Symons-Medaille.[4]
Auszeichnungen und Ehrungen (Auszog)
- Landwehr-Dienstauszeichnung, II. und I. Klasse
- Roter Adlerorden, IV. Klasse
- Preußischer Kronenorden, III. Klasse
- Orden der Württembergischen Krone, Ritterkreuz
- Orden der Krone von Italien, Kommandeurkreuz
- Sankt-Stanislaus-Orden, II. Klasse (RSt2)
- 1913: Buys-Ballot-Medaille
- 1928: Symons-Medaille
- 1929: Erstes Ehrenmitglied der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft (DGG)[5]
- 1934: Adlerschild des Deutschen Reiches
- Inschrift: „DEM VERDIENTEN ERFORSCHER DER LUFTSCHICHTEN, DEM FÖRDERER DER DEUTSCHEN LUFTFAHRT, 29. Mai 1934“
Schriften (Auswahl)
- Über die Änderung der Gleichgewichtsflächen der Erde durch die Bildung polarer Eismassen und der dadurch verursachten Schwankungen des Meeresniveaus, Dissertation, Straßburg 1887
- Drachenaufstiege auf dem Bodensee. In: Beiträge zur Physik der freien Atmosphäre 1, 1904, S. 1–34
- Drachenaufstiege auf dem Mittelländischen Meer und auf dem Atlantischen Ozean. In: „Meteorologische Zeitschrift“ 22, 1905, S. 277–279
- Die Erforschung der freien Atmosphäre in den Polargebieten. In: „Meteorologische Zeitschrift“ 24, 1907, S. 566–567
- Forschungsreise S.M.S. „Planet“ 1906/07 – II. Band: Aerologie, 1909 (PDF-Datei)
- Mit Zeppelin nach Spitzbergen. Bong, Berlin 1911 (mit Adolf Miethe)
- Die wissenschaftlichen Observatorien auf Teneriffa und in Spitzbergen, In: Meteorologische Zeitschrift 28, 1911, S. 566–568
- Die Deutsche wissenschaftliche Station in Spitzbergen, in: „Schriften der wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg“, Heft 21, 1914
- Die Strahlung der Atmosphäre unter Zugrundelegung von Lindenberger Temperatur- und Feuchtigkeitsmessungen. In: „Die Arbeiten des Preußischen Aeronautischen Observatoriums“, Heft 13, 1919.
- Sprengungen zu Forschungszwecken: Ergebnisse der vom 1. April 1923 bis zum 30. Sept. 1926 an verschiedenen Orten Deutschlands ausgeführten Versuche, Vieweg, Braunschweig (mit Paul Duckert)
Verweise
- Hergesell, Hugo Emil, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 610 f.