Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums
Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums (RFdS) hatte in der Zeit des Nationalsozialismus die verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen, eine weltanschauliche und künstlerische Überprüfung des deutschen Schrifttums, insbesondere der Neuerscheinungen, vorzunehmen und darüber zu entscheiden, welche Werke eine Bereicherung für das Gedankengut der nationalsozialistischen Bewegung darstellen.
Geschichte
Nach dem Wahlsieg der NSDAP erteilte Alfred Rosenberg Hans Hagemeyer im Februar 1933 den Auftrag, in Nürnberg eine „Buchberatungsstelle“ für den Kampfbund für deutsche Kultur einzurichten. Diese konnte in der Folgezeit allerdings nur eine äußerst bescheidene Bedeutung erlangen. Am 16. Juni 1933 gründete Hans Hagemeyer mit anderen Mitgliedern des KfdK – namentlich Alfred Baeumler, Hanns Johst, Hellmuth Langenbucher, Rainer Schlösser sowie Gotthard Urban – die „Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ (RFdS) mit Sitz in Leipzig. Am 1. August 1933 wurde der Sitz der RFdS, deren Ursprung auf die fachlich und regional begrenzte Nürnberger Buchberatungsstelle zurückzuführen ist, nach Berlin verlegt.
Die Adresse war „Oranienburger Straße 79“. Hagemeyer übernahm die Leitung der RFdS; sein Stellvertreter war zwischen 1933 und 1936 Hellmuth Langenbucher. Hagemeyers Hauptlektoren waren unter anderen Alfred Baeumler und Walter Gross für den Bereich Rassenkunde, Georg Usadel (Jugendschriften), Falk Ruttke (Bevölkerungspolitik) sowie Kurt Mayer (Sippenforschung) Hauptlektoren im Bereich Germanistik waren Franz Koch und Arthur Hübner. Für die Vorgeschichte war Hans Reinerth zuständig.
Am 1. April 1934 wurde die RFdS aus dem Propagandaministerium ausgegliedert und dem am 6. Juni 1934 gegründeten Amt des „Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP“ (Dienststelle Rosenberg; auch „Reichsüberwachungsamt“) unmittelbar unterstellt. Ab 1934 veranstaltete Hagemeyers RFdS zur propagandistischen Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie und zur Profilierung gegenüber den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen die Bücherausstellungen Ewiges Deutschland. Deutsches Schrifttum aus 15 Jahrhunderten“ (1934) und „Das wehrhafte Deutschland“ (1935). Ab 1936 wurden diese Ausstellungen vom „Amt Schrifttumspflege“ organisiert. Die erste trug den Titel Das politische Deutschland (1936). Weitere waren:
- „Nürnberg, die deutsche Stadt. Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage“ (1937)
- „Europas Schicksalskampf im Osten“ (1938)
- „Frau und Mutter – Lebensquelle des Volkes“ (1939)
- „Deutsche Größe“ (1940).
Die Begleitbände zu den Ausstellungen erschienen zum Teil im Hoheneichen-Verlag.
Ab 1935 versuchte Hagemeyer durch intensive Werbemaßnahmen mit der zentralen Schrift seiner RFdS, die bis 1944 im Bayreuther Gauverlag Bayerische Ostmark monatlich herausgegebene Rezensions-Zeitschrift Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums, „alle indirekten und direkten Mittler des deutschen Schrifttums, sowie sonstwie literarisch Interessierte“ zu erreichen. Vor allem die Gau- und Kreisschrifttumsbeauftragten der Reichsstelle wurden auf dieses Ziel verpflichtet, wobei sie neben dem regionalen Aufbau des Büchereiwesens der NSDAP auch die gesamte Schrifttumsarbeit in den Gauen und Kreisen zu beobachten, koordinieren und maßgeblich zu beeinflussen hatten.
Aufgabengebiet
Aufgrund der Wichtigkeit ihrer Aufgabe war sie dem Reichsleiter Alfred Rosenberg direkt unterstellt; ihre vielseitig durchgliederte Organisation stand unter der geschäftsführenden Leitung von Hans Hagemeyer. Die geistige Grundlage für ihre Arbeiten war durch einen zuverlässigen ehrenamtlich tätigen Lektorenstab geschaffen, der die besten Namen der Geistesführer im Dritten Reich umfaßt. Unter den an 200 Lektoren, später dann an die 600 befanden sich nicht nur Staatsminister und Rektoren, sondern auch Persönlichkeiten aus dem Leserkreise, Arbeiter und Unbekannte. Alle großen Fachstellen der Bewegung haben zudem Fachberater für die Lektorenabteilung zur Verfügung gestellt. Für jedes Schrifttumsgebiet war ein Hauptlektor dem Amt für Lektorsarbeiten gegenüber voll verantwortlich.
Unter den Gebieten, bei denen das Weltanschauliche der Hauptgesichtspunkt ist, sind vornehmlich zu nennen:
- Sozialpolitik und Soziologie
- Agrarpolitik und Siedlungswesen
- Allgemeine Wirtschaftspolitik
- Wehrkunde
- Rassenkunde
- Volkskunde
- Geschichte
- Literaturgeschichte
- schöngeistiges Schrifttum
- Philosophie
- Erziehung und Jugend
- Religionswissenschaften
- Rechtsleben
- Technik
Die Geschäftsstelle der Reichsstelle hielt die so gewonnenen Werturteile der Lektoren nach ganz bestimmten Gesichtspunkten fest und bildete mit Hilfe einer Kartei, die mehr als 20.000 Karten enthielt, eine Auskunftsstelle über weltanschauliche, politische und volksbildnerische Schrifttumsfragen, über die verschiedenartigen Beurteilungen neuer Werke in der deutschen Presse sowie über die vielseitige Verwendbarkeit empfehlenswerter Bücher. Den verschiedenen Kartotheken war ein eigenes, bibliothekstechnisch verwaltetes Bucharchiv angeschlossen.
Die Reichsstelle bearbeitete die Ergebnisse ihrer Buch- und Manuskriptprüfungen in vielfacher Hinsicht. Sie stand mit allen Kultusministerien der Länder in Fühlung, um Sonderförderungen unter Mithilfe der Behörden vornehmen zu können. Junge Autoren, die ihre Manuskripte bei der Reichsstelle einreichten, wurden im Falle einer positiven Bewertung bei ihrer Suche nach einem Verleger unterstützt.
Die Reichsstelle verfügte über 23 Landesstellen mit ehrenamtlich tätigen Referenten und über eine große Anzahl von Ortsgruppenreferenten. Über die Landesstellen erfolgte die Förderung des Schrifttums unter Heranziehung der Privatinitiative. Als informatorische Hilfsmittel dienten der Reichsstelle regelmäßige Rundschreiben an ihre Mitarbeiter, eine Buchberatungszeitschrift, eigene Kataloge und Katalogergänzungen sowie eine Bücherkunde für amtliche Stellen. Auch stand die Reichsstelle in enger Zusammenarbeit mit Pressekorrespondenzen.
Neben dem Lektoratsamt verfügte die Reichsstelle über ein eigenes Schulungsamt, in dem für die zukünftige Schulungsarbeit die geeignetsten Kräfte aus den Reihen ihrer Mitarbeiter zusammengefaßt wurden, ein Amt für öffentliche Buchwerbung, das die Beziehung zur Gesamtheit des deutschen Buchhandels ständig aufrecht erhielt sowie ein Amt für außenpolitische Aufgaben. Diese Ämter schufen die Voraussetzung, daß das zu fördernde Schrifttum auch tatsächlich vom Mittler wie vom Leser sinngemäß aufgenommen wurde. Über die Reichsstelle lief Dreiviertel der Gesamtproduktion des deutschen Schrifttums sowie ein großer Teil unveröffentlichter Manuskripte. Der Reichsstelle war angegliedert:
- Institut für Leser- und Schrifttumskunde
- Prüfstelle für Jugendschriften der Reichsleitung des NSLB und der Reichsjugendführung
Mit Hilfe der Reichsstelle war es im Dritten Reich möglich, einen Überblick über die Richtung des deutschen Schrifttums zu bekommen.