Dorpat
Staat: | Estland |
---|---|
Provinz: | Livland |
Einwohner (2010): | 103.284 |
Bevölkerungsdichte: | 2.661 Ew. p. km² |
Fläche: | 38,8 km² |
Höhe: | 79 |
Koordinaten: | 58° 22′ N, 26° 43′ O |
Dorpat, früher auch Dörpt (estn. Tartu), ist die zweitgrößte Stadt Estlands und Universitätsstadt. Sie ist zudem eine entscheidend durch deutsche Einwanderung geprägte ehemalige Hansestadt.
Inhaltsverzeichnis
Lage
Dorpat liegt in Livland etwa in der Mitte zwischen Wirzsee und Peipussee beiderseits des Flusses Embach.
Geschichte
Die erste urkundliche Erwähnung Dorpats datiert aus dem Jahre 1030. Der warägische Großfürst von Kiew, Jaroslaw der Weise, zerstörte im Jahre 1030 eine von damaligen, vermutlich finnougrischen Einwohnern errichtete Holzfestung und errichtete unter dem Namen Jurjew (Nach Juri, dem Taufnamen Jaroslaws) eine Festung. Im Jahre 1224 wurde die Estenburg Tharbatum durch den Schwertbrüderorden erobert. Sie wurde hierauf 1225 Sitz des Bischofs (bis 1558) und bald nahm die sich vor der Burg entstehende Stadt infolge deutscher Einwanderung und der günstigen Lage als Handelsplatz einen bedeutenden Aufschwung, namentlich seitdem sie sich im 14. Jahrhundert der Hanse angeschlossen hatte.
Im Mittelalter war Dorpat ein Bindeglied zwischen den Hansestädten (insbesondere Reval) und den russischen Städten Pleskau (Pskow) und Nowgorod. Im Jahre 1268 wurde das feste Schloß aus dem Domberg erfolglos von den Russen belagert, dagegen die damals aus Blockhäusern bestehende Stadt von Grund auf verbrannt. 1304 hielt der livländische Ordensmeister mit seinen Beamten und den Bischöfen hier die erste allgemeine Versammlung des Landes; 1427 wurde Dorpat wiederum von den Pleskower Russen belagert, die aber von den Litauern vertrieben wurden.
1525 wurde in Dorpat die Reformation eingeführt, 1558 belagerte Iwan der Schreckliche die Stadt, die sich durch Kapitulation ergab; bald darauf wurde der Bischof nach Rußland abgeführt und die Verbindung mit der Hanse aufgehoben. Die Stadt konnte nicht wieder von den Deutschen erobert werden und verfiel unter der 25jährigen Herrschaft der Russen. Besonders schwer litt sie durch das Blutbad von 1571: Reinhold Rosen wollte Dorpat den Polen in die Hände spielen, was jedoch mißlang, worauf ein großer Teil der unschuldigen Bewohner von den Russen ermordet wurde, ein anderer nach Rußland in die Verbannung wandern musste, während ihre Häuser dem Erdboden gleich gemacht wurden. Dennoch sah sich Rußland gezwungen, im Frieden mit Stephan Báthori 1582 Dorpat an Polen abzutreten.
1600 wurde die Stadt von den Schweden erobert, fiel aber 1603 wieder an die Polen, welche nun mit brutalen Methoden die katholische Lehre in der protestantischen Stadt einzuführen versuchten, aber hierbei auf heftigen Widerstand stießen und die Stadt schließlich 1625 an den schwedischen König Gustav Adolf verloren.
1656 wurde Dorpat erneut von den Russen erobert und wieder wurde ein Teil der Einwohner nach Rußland verschleppt und die Stadt zerstört. 1582 kam sie mit dem größten Teil Livlands an Polen, 1625 an Schweden. Von 1656-60 war sie wieder in den Händen der Russen und gelangte definitiv an dieselben 1704 im Nordischen Krieg. 1708 wurde Dorpat von den Russen wegen des Vorrückens des Schwedenkönigs Karl XII. vollständig zerstört, zum drittenmal der größte Teil der Bewohner wegen vermeintlicher Verbindungen mit Schweden tief ins Innere Rußlands verschleppt, und die Stadt verfiel völlig. Erst nach mehreren Jahren durften die Bewohner zum Teil wieder heimkehren.
In den Jahren 1763 und 1775 zerstörten Großbrände nahezu die gesamte Innenstadt. Die markantesten älteren Gebäude stammen aus dem 18. und vor allem aus dem 19. Jahrhundert. Nachdem das vorherige Rathausgebäude einem Brand zum Opfer fiel, wurde im 18. Jahrhundert das derzeitige Rathaus vom damaligen Stadtbaumeister, dem aus Rostock stammenden Johann Heinrich Bartholomäus Walter, entworfen und 1789 fertig gestellt.
Zwischen 1893 und 1918 wurde die Stadt im Zug der Politik der Russifizierung offiziell in Jurjew umbenannt und das Verwenden des estnischen und deutschen Namen war teilweise sogar verboten; dieser Name setzte sich aber nicht durch, auch nicht im Russischen. Nach der Estnischen Unabhängigkeit 1918 wurde der Name Tartu offiziell. Sowohl Dorpat als Tartu stammen aus dem altestnischen Namen Tarbata, der vielleicht Auerochs bedeutet.
Während der sowjetischen Okkupation bestand in der Stadt das Kriegsgefangenenlager 331 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.
Universität
Dorpat ist eine typische Studentenstadt, dominiert von der 1632 von König Gustav II. Adolf gegründeten Universität Dorpat, die 1802 von Deutschbalten mit Hilfe Zar Alexanders als einzige deutschsprachige Universität des Russischen Zarenreiches neu gegründet wurde. In dieser Eigenschaft wurde sie zu einer Mittlerin zwischen der russischen und der deutschen Kultur, gleichzeitig aber auch zum Geburtsort der estnischen und lettischen nationalen Erweckung. Die estnischen Nationalfarben waren ursprünglich die der Studentenverbindung „Verein Studierender Esten“ an der Universität. Während der Jahre 1886 bis 1889 fand eine kompromisslose Russifizierung statt, in deren Zuge Deutsch von Russisch als Lehrsprache abgelöst wurde, weshalb die Mehrzahl der einstmals zu über 90% deutschen Lehrkräfte nach Deutschland wechselte. Nach 1919 wurde der in Dorpat verbliebene Teil der Universität Nationaluniversität (estnisch Eesti Vabariigi Tartu Ülikool) der nunmehr unabhängigen Republik Estland. Die Universität ist heute die einzige Volluniversität Estlands und Mutteruniversität für die technische Universität Reval und die Universität für Biowissenschaften.
Im Jahr 2004 standen 18.000 Studenten 135 Professoren und 700 weiteren Lehrkräften gegenüber. Etwa 440 Personen sind in der Forschung tätig. Sie können mit 4000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen jährlich aufwarten.
An der Universität sind viele Studentenverbindungen aktiv, die im Vergleich zur BRD einen regen Zulauf an neuen Mitgliedern haben.
Sehenswürdigkeiten
Sehenswert ist die gesamte Altstadt Dorpats mit dem klassizistischen Universitätshauptgebäude und der Johanniskirche, ein gotischer Backsteinbau mit kunsthistorisch bedeutsamen Terrakottenfiguren, dessen Wiederaufbau nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 2005 abgeschlossen wurde.
Auf dem Domberg, estnisch „Toomemägi“, befinden sich die Ruine der mittelalterlichen Domkirche (deren ausgebauter Chor erst als Universitätsbibliothek diente und jetzt das Universitätsmuseum beherbergt) sowie weitere Baulichkeiten der Universität, wie das Observatorium, Teil des Weltkulturerbes Struve-Bogen) und das alte anatomische Theater, in dem bis Mitte der 90er Jahre noch anatomische Vorlesungen gehalten wurden.
Bekannte, in Dorpat geborene Personen
- Dimitrij Andrusov (1897–1976), slowakischer Geologe und Erforscher der Westkarpaten, Enkel von Heinrich Schliemann
- Heinrich von Stackelberg (um 1305), Vertrauensmann und Vasall vom Bischof von Dorpat
- Karl Ernst von Baer (1792–1876), deutscher Zoologe und Biologe, Entdecker der Eizelle
- Karl Ernst Claus (1796–1864), deutsch-russischer Pharmazeut und der Chemiker, der das Ruthenium entdeckte
- Walter von Engelhardt (1864–1940), deutscher Gartenarchitekt, Direktor des Gartenbauamtes Düsseldorf
- Wolf von Engelhardt (1910–2008), deutscher Geologe und Mineraloge
- Johann Friedrich Eschscholtz (1793–1831), deutscher Mediziner und Meeresbiologe
- Max Grube (1854-1934), deutscher Schauspieler und Schriftsteller
- Georg Hackenschmidt (1878–1968), deutscher Körperbildner, Ringer und Gewichtheber
- Julie Wilhelmine Hagen-Schwarz (geb. 1824 auf Gut Klein-Wrangelshof (Väike-Prangli) bei Tartu, gest. 1902 ebenda), deutscher Malerin
- Wilhelm Hahn, (1909–1996), deutscher evangelischer Theologe und Politiker (CDU)
- Adolf von Harnack (1851–1930), deutscher Theologe
- Axel Harnack (1851–1888), deutscher Mathematiker
- Rolf von Hoerschelmann (1885–1947), deutscher Maler und Buchillustrator
- Else Hueck-Dehio (1897–1976), deutscher Schriftstellerin
- Julius von Klever, (1850–1924), deutscher Maler
- Walter Kremser (1909–2000), deutscher Forstwissenschaftler
- Herman Anders Krüger (1871–1945), deutscher Literaturwissenschaftler, Autor, Bibliothekar, Hochschullehrer und thüringischer Politiker (DDP)
- Leonid Alexejewitsch Kulik, (1883–1942), russischer Mineraloge
- Heinrich Friedrich Emil Lenz (1804–1865), deutscher Physiker
- Kurt Heinrich Meyer (1883–1952), deutscher Chemiker und seit 1932 Prof. der Chemie in Genf
- Herbert von Oettingen (1878–1946), deutscher Superintendent und Schulleiter
- Ernst Theodorowitsch Krenkel (1903–1971), deutscher Funker des gesunkenen Schiffes Tscheljuskin und der sowjetischen Nordpolexpedition Nordpol-1
- Alphons Thun (1853–1885), deutscher Nationalökonom
- Herbert Volck (1894–1944), deutscher Schriftsteller und Freikorpsangehöriger
- Gero von Wilpert (geb. 1933), deutscher Autor und Literaturwissenschaftler