Velten, Catharina Elisabeth

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Catharina Elisabeth Velten (erwähnt 1691; Todesrune.png nach 1712) war eine deutsche Schauspielerin.

Leben

Als der Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen im Spätherbst 1685 den Magister Johannes Velten zum Leiter seiner Hofbühne in Dresden bestellte, ahnte er nicht, daß er damit den Anlaß zur Begründung der neuzeitlichen Bühnenkunst gab. Magister Velten, der Prinzipal einer „berühmten Bande“, wie seine Schauspielertruppe von den Zeitgenossen genannt wurde, brachte nämlich außer verschiedenen männlichen Komödianten auch seine Ehegattin mit in das Engagement. Catharina Elisabeth Velten ist somit die erste deutsche Berufsschauspielerin geworden, denn bis zu ihrem Auftreten wurden die Frauenrollen bei allen in Deutschland spielenden Truppen von Männern verkörpert.[1]

Ein Theaterabend ohne die künstlerische Mitarbeit der Frau ist nicht denkbar — und wenn hin und wieder in der neuzeitlichen Dramatik der Versuch gemacht wurde, eine Bühnenhandlung nur unter Männern spielen zu lassen, so blieb ein befremdender Eindruck nicht aus. Zurückliegende Zeiten dachten ganz anders darüber, denn die Frau als Schauspielerin taucht in der Geschichte der Kultur erst sehr spät, nämlich am Ausgang der Renaissance, in Italien auf. Die europäische Bühne hat sich das weibliche Element allerdings von Paris aus erobert. Das Altertum, sowohl die griechische Tragödie, die von Liebesszenen nichts wußte, als auch die römische Komödie, die zumeist aus Liebesszenen bestand, kannte nur männliche Schauspieler und vererbte diese Tradition auf das Mysterienspiel des Mittelalters und das Komödienspiel der darauffolgenden Jahrhunderte. Es will uns heute unglaublich erscheinen, daß Shakespeare seine berühmten Frauengestalten, seine Julia, Rosalinde, Porzia, Ophelia, Hermione, niemals von Frauen, sondern von jungen Männern dargestellt sah. Aber es ist Tatsache; wie es gleichfalls Tatsache ist, daß die Zuschauer an diesem Spiel keinen Anstoß nahmen, im Gegenteil das Auftreten von Frauen auf der Bühne, wie 1629 in London, mit fürchterlichem Skandal ablehnten.

Um dieselbe Zeit durchzogen englische und holländische Komödianten Deutschland und veranlaßten sowohl die Schriftsteller, Theaterstücke zu schreiben, als auch theatralisch begabte junge Leute, auch wohl solche „Fahrenden“, die man heute Artisten nennen würde, sich zu Banden zusammenzuschließen und als Komödianten durch das Land zu reisen. Die Anfänge der deutschen Schauspielkunst liegen im Dunkel, über die Zusammensetzung der ersten Truppen haben sich keine Nachrichten erhalten.

Als 1664 die „Bande“ des Hamburgers Carl Andreas Paulsen in Leipzig spielte, trat der in Halle geborene Magister Velten, der in Wittenberg und Leipzig studiert hatte, bei der Truppe ein. Der Grund, aus welchem sich der junge Gelehrte in die Kreise der belachten, aber doch mißachteten Komödianten begab, ist nicht bekannt. Vermutlich war er ein sehr willkommenes Mitglied, denn er hatte soeben eine kleine Erbschaft gemacht. Er sprach die damaligen Fremdsprachen geläufig und kannte die dramatische Bühnenproduktion Europas. Der Magister muß schnell ein brauchbares Mitglied der Truppe geworden sein, denn es fiel ihm nach einigen Jahren die Leitung des Unternehmens zu. Er hatte inzwischen die Tochter Paulsens, Catharina Elisabeth, geheiratet, und es war aus dieser Ehe eine auf den Namen Anna Elisabeth getaufte Tochter hervorgegangen. Eine ständige Bühne gab es damals nicht, selbst Theatergebäude wurden erst später errichtet; die fahrenden Komödianten spielten meist in Scheunen und führten ihre Dekorationen mit. Zwar hatten einige Fürsten, die in ihren Schlössern neben anderen Prunkgemächern auch einen Theatersaal nach dem Vorbilde ausländischer Höfe besaßen, sich für ihr Unterhaltungsbedürfnis Komödianten engagiert, die allein für den Hof und seine Gäste spielen mußten. Aber die schlimme Zeit des Dreißigjährigen Krieges vernichtete alle Ansätze zu einer bodenständigen Bühnenkunst. Magister Velten zog also mit seiner Truppe von Ort zu Ort. Er muß von der Leidenschaft für das Theater besessen gewesen sein, denn ihm und seinen Künstlern ging ein guter Ruf voraus. Die Truppe war nicht sehr personenreich, nach altem Brauch mußte wohl jeder Schauspieler in den Stücken mehrere Rollen übernehmen. Die Bremer Stadtbibliothek verwahrte zwei Theaterzettel Veltens aus seiner Anfangszeit, so daß seine Programme bekannt sind.

Er spielte „Den durch Hochmut gestürzten Wallensteiner, Herzog von Friedland“ und „Leben und Tod des großen Erzzauberers D. Johannes Faustus“. Wahrscheinlich hat er zuerst aus Personenmangel eine Frauenrolle von seiner Gattin darstellen lassen, die, als die Ernennung Veltens zum sächsischen Hofkomödianten erfolgte, bereits schauspielerisch vollkommen ausgebildet war. Veltens Verdienst um die Entwicklung der Schauspielkunst und des Dramas sind nicht hoch genug anzuschlagen, denn durch die Besetzung der weiblichen Rollen mit Frauen gab er die Möglichkeit, auf den Brettern mehr als Maskenspiel zu zeigen. Jetzt waren dem Dramendichter keine Fesseln mehr dadurch angelegt, daß er bei der Aufführung seiner Stücke mit jungen Männern in Frauenrollen zu rechnen hatte. Zweifellos ist der letzte Grund für Shakespeare maßgebend gewesen, die Frauen in seinen Werken, wo es nur ging, in Situationen zu bringen, in denen sie junge Männer darzustellen hatten. Shakespeares Frauendarstellern ist ein solcher Wechsel gewiß erwünscht gewesen, weil sie nun unverstellt spielen konnten. Der Spielpan Veltens beweist, daß er die stilisierte Darstellung, welche die pseudoklassische Verstragödie verlangte, nicht liebte. Alle von ihm aufgeführten Stücke verlangen den realistischen Darstellungsstil. So sah er wohl mit dem großen Theatersinn, den er besaß, schnell ein, daß sich ein wirklich interessanter Spielplan nur mit Hilfe weiblicher Kräfte durchführen ließ.

Es traf sich gut, daß seine Gattin die Tochter eines Schauspielers war und daher auch Theaterblut besaß. Catharina Elisabeth Velten trat in den von ihrem Mann geleiteten Stücken; darunter solchen von Shakespeare und Moliere, vor die Zuschauer. Es darf erwähnt werden, daß es Velten unbedingt bekannt war, welche Bedeutung die Schauspielerinnen in der Truppe Molieres besessen hatten. Catharina Elisabeth muß eine schätzenswerte Kraft gewesen sein, denn der Kurfürst sicherte ihr, wie ihrem Gatten, eine Jahresgage von 200 Talern zu.

Diese erste Berufsschauspielerin erregte ungeheures Aufsehen. Aber die kühne Neuerung fand Anklang, das Beispiel machte Schule. In vielen Mädchenherzen wurde anscheinend der Wunsch brennend, Schauspielerin zu werden, obgleich die Schwierigkeiten, die sich der Verwirklichung entgegenstellten. Velten gab später aber nicht nur seiner Tochter Anna entsprechende Rollen, sondern sah sich noch nach anderen weiblichen Kräften um. So hatte seine Truppe bereits 1690 drei Schauspielerinnen, darunter die schöne Sira von Boxberg, die erste Adlige, die sich in Deutschland der Bühne zuwandte.

Magister Velten ließ aber nicht nur Frauenrollen von Geschlechtsgenossinnen spielen, er ging in der Umwälzung der Rollenbesetzung noch weiter. Es war ihm wohl aufgefallen, daß junge Männer auf der Bühne in vielen Fällen nicht so jünglingshaft wirken, wie sie nach dem Willen der Handlung erscheinen sollen. Daher übertrug Velten die Jünglingsrollen seinen Schauspielerinnen. Er ist also der Erfinder der Hosenrolle, die noch heute auf den Brettern heimisch ist und sich auch im Film durchgesetzt hat.

Die Hosenrolle hat die dramatischen Dichter mit einer dankbaren Figur beschenkt, die beinahe kein erfolgreicher Theaterschriftsteller, der seit 1700 zur Feder griff, übersehen hat. Auch die Hosenrolle, ein in der damaligen Zeit kühnes Wagnis, wurde von den Zuschauern gutgeheißen, was für Veltens vortreffliches Theaterspiel spricht. Nur die Geistlichkeit glaubte die Sittlichkeit durch Frauen auf der Bühne und durch die Hosenrolle gefährdet. Frau Velten hat sich später gegen einen geistlichen Eiferer sogar in einer Flugschrift verteidigen müssen. Magister Velten starb ganz plötzlich im Alter von 52 Jahren. Wäre ihm längere Wirksamkeit an einer festen Bühne beschieden gewesen, so hätte sich das deutsche Theater bald von fremden Einflüssen frei gemacht. Catharina Elisabeth führte die Truppe weiter, und die „Witwe Velten“, wie man sie nannte, wurde die erste Theaterunternehmerin Deutschlands. Sie ging mit ihrer Truppe auf Reisen, und die Spuren ihrer theatralischen Sendung lassen sich im Laufe von zwanzig Jahren in allen bedeutenden Städten verfolgen. Sie war eine energische Prinzipalin und muß im Laufe der Zeit so etwas wie eine Adele Sandrock geworden sein. Es gehörte damals nicht wenig Energie dazu, mit einer Schauspielertruppe durch das Land zu reisen. Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges waren noch nicht vergessen; Sicherheit gab es auf der Landstraße nicht. In den Wäldern hausten Räuberbanden, und von einer solchen wurde die Witwe Velten, die in Nürnberg viel Geld verdient hatte, vollkommen ausgeplündert. Die Truppe litt auch darunter, das einige der alten Darsteller, die dem Magister gehorcht hatten, seiner Witwe die Gefolgschaft verweigerten. Sie machten sich selbständig, weil ihre Frauen auch den Ehrgeiz zeigten, zur Prinzipalin aufsteigen zu wollen. Das gelang allerdings nur einer, der schönen und verschlagenen Julie Haackin, die mit der alternden Witwe Velten erfolgreich in Wettstreit trat.

Die letzten Nachrichten über die Witwe Velten stellen 1712 ihren Aufenthalt in Wien fest. Ihre Truppe, vielleicht von der Tochter geleitet, spielte später einmal in Bremen am Schützenwall. Da während der Vorstellung ein Gewitter niederging und ein Blitz den Pulverturm vor der Weserbrücke zur Explosion brachte, erklärte die Geistlichkeit, daß dies die Strafe für das Komödienspiel sei. Die Schauspieler mußten die Stadt sofort verlassen. Alles Theaterspiel wurde untersagt, selbst die Neuberin erhielt keine Spielerlaubnis.

Fußnoten

  1. Filmwelt – Das Film- und Foto-Magazin, Nummer 46, 17. November 1935