Wigman, Mary
Karoline Sofie Marie Wiegmann, bekannt unter dem Künstlernamen Mary Wigman ( 13. November 1886 in Hannover; 19. September 1973 in West-Berlin), war eine deutsche Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin.
Inhaltsverzeichnis
Wirken
Sie stammte aus Hannover. Erste tänzerische Studien bei Jacques Dalcroze in Hellerau-Dresden. Danach Studien bei Rudolf von Laban bis zur Entwicklung als seine Meisterschülerin, 1913 erstes Auftreten mit einer Laban-Gruppe in München. 1917 Auftreten in den „Gespenstertänzen und Träumen" zu Zürich. 1919 Rückkehr nach Deutschland. 1920 Gründung einer eigenen Schule zu Dresden mit drei Schülerinnen (Palucca, Geori). 1923 bis 1927 Gastspielreisen in ganz Deutschland, ja in ganz Europa. 1931 Amerika-Tournee.
In einem Interview von 1935 sagte sie einst über sich:
- „Ich weiß, Sie haben sich sicher manche Frage zurechtgelegt, wollen eine Jahreszahl wissen, eine kleine Anekdote hören. Doch da kann ich nicht Antwort geben. Ich bin nur Tanz. Ja, es erfüllt mich mit Stolz, die Vorkämpferin des künstlerischen Tanzes in Deutschland zu sein, ihn über die Grenzen hinaus verkündet, getanzt zu haben. ‚The new german dance‘ ist heute eine Parole, ein Begriff, wie ehedem das ‚Kaiserliche Ballett‘.“[1]
Sächsische Biografie
- W. war eine der bedeutendsten Künstlerinnen des Ausdruckstanzes und trug mit der Einrichtung einer privaten Tanzschule des Modernen Tanzes ab 1920 entscheidend zur Entwicklung Dresdens zum Zentrum der Tanzmoderne bei. Durch Gastspiele in Europa und den USA sowie durch die Gründung einer Zweigschule der Wigman-Schule in New York wurde der Ausdruckstanz international bekannt. Eine der wichtigste Schülerinnen W.s war Gret Palucca, mit deren künstlerischer und pädagogischer Arbeit der Moderne Tanz als Neuer Künstlerischer Tanz in Dresden auch nach 1945 mit künstlerischen Resonanzen weit über die Stadt hinaus bis in die Gegenwart präsent blieb. W. ging ab 1892 in Hannover auf die Höhere Töchterschule, erhielt dort Klavier- und Gesangsunterricht und besuchte Internate in England und der Schweiz. Nach Auflösung zweier Verlobungen begann sie im Alter von 23 Jahren eine Ausbildung in der Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik (1910-1912) bei Émile Jaques-Dalcroze in Hellerau, die Gehörbildung, Improvisation, Musiktheorie und rhythmische Gymnastik einschloss. Hier begegnete sie der Utopie einer freiheitlichen Gesellschaft, die auf dem Zusammenklang von Körper, Seele, Geist und Identität mit der Natur und kosmischer Harmonie beruhen sollte. In Dresden erhielt W. wichtige Impulse durch die Bekanntschaft mit Künstlern des Expressionismus (u. a. der „Brücke“ und der Dresdner Sezession) und durch den Kunstmäzen Will Grohmann. Die Dalcroze-Methode als beschränkend empfindend, suchte W. nach Möglichkeiten, ihren subjektiven Empfindungen individuelle tänzerische Gestalt zu verleihen. 1913 schloss sie sich daher Rudolf Laban an, der auf dem Monte Verità bei Ascona (Schweiz) Unterricht in Bewegungs-, Ton-, Wort- und Formkunst erteilte. […] Ab 1923 bestand W.s Tanzgruppe aus vierzehn Tänzerinnen. Die Aufführung ihrer „Szenen aus einem Tanzdrama“ 1924 markiert den Beginn des künstlerischen Gruppentanzes in Deutschland. […] W. beteiligte sich aktiv an den Diskussionen, die auf den drei großen Tänzerkongressen in Magdeburg (1927), Essen (1928) und München (1930) sowie in einer Vielzahl von (Tanz-)Zeitschriften geführt wurden. Hierbei stritt man über die kulturelle Bedeutung des Modernen Tanzes und seine Entwicklungsperspektiven, aber auch über Möglichkeiten zur Verbesserung der sozialen Lage der Tänzer in Deutschland. […] W. stand der nationalsozialistischen Ideologie zunächst nicht kritisch gegenüber und profitierte von den strukturellen und finanziellen Möglichkeiten, die sich aus der zentralen staatlichen Kulturförderung im NS-Staat ergaben. So übernahm W. etwa 1933 das Amt der Ortsgruppenleiterin der Fachschaft Gymnastik und Tanz des Nationalsozialistischen Lehrerbunds. Die Wigman-Schulen wurden an den Kampfbund für deutsche Kultur angeschlossen. […] 1934 nahm W. an den Deutschen Tanzfestspielen teil, die unter Förderung der Reichskulturkammer stattfanden. 1935 erschien ihr Buch „Deutsche Tanzkunst“. Im selben Jahr eröffnete ihre Schwester Elisabeth, die seit 1920 in der Wigman-Schule in Dresden mitarbeitete, eine eigene Tanzschule in Leipzig. Im Zusammenhang mit einem Erlass der Reichstheaterkammer zur Vereinheitlichung der Tanzausbildung wurde 1935 an der Wigman-Schule das Fach Klassischer Tanz eingeführt. Bei der Gründung der Deutschen Meisterwerkstätten für Tanz in Berlin, mit der die Forderungen nach Begründung einer Tanzhochschule der Tanzkongresse Gestalt annahmen, erhielt W. nur einen kurzen Gastlehrervertrag, obwohl sie noch 1934 im Reichspropagandaministerium an den Vorbereitungen der 1. Deutschen Tanzfestspiele teilgenommen hatte und Jurymitglied bei der Nachwuchsauswahl zu den Deutschen Tanzfestspielen unter Leitung Labans war. Für die Eröffnung der Olympiade von 1936 choreografierte sie für sich und 80 Tänzerinnen im 3. Bild des Festspiels „Olympische Jugend“ - zur Musik von Werner Egk - „Totenklage“. […] W. siedelte nach Leipzig über, wo sie zunächst Gastlehrerin, dann Leiterin der Abteilung Tanz im Bereich Darstellende Kunst der Abteilung III der Musikhochschule Leipzig wurde. Nach der Zerstörung des Gebäudes der Abteilung Tanz in der Johann-Sebastian-Bach-Straße 53 lehrte sie in ihrer Wohnung in der Mozartstraße 17 weiter und arbeitete u. a. an einem Werk zur Tanzgeschichte. Nach Kriegsende engagierte sich W. für einen künstlerischen und gesellschaftlichen Neuanfang. So hielt W. u. a. eine Rede auf der Kundgebung „Zu neuen Ufern“ am 4.3.1946 in der Staatsoper Berlin, die von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung veranstaltet wurde. Mit Ricarda Huch übernahm sie das Ehrenpräsidium der Frauenausschüsse der SBZ und hielt eine leidenschaftliche Rundfunkrede zur Einheit Deutschlands. W. nahm als Vertreterin der Leipziger Künstlerschaft am 1. Deutschen Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden am 6./7.12.1947 in der Staatsoper Berlin teil. W.s choreografische Kreativität war ungebrochen. Im September 1945 erhielt sie die Erlaubnis des Leipziger Kulturamts, eine neue Wigman-Schule zu eröffnen.[2]
Familie
Karoline Sofie Marie war die Tochter von Heinrich Dietrich Friedrich Wiegmann ( 1840), Nähmaschinenfabrikant und Fahrradhändler, und dessen Frau Amalie Sophie Elise, geb. Jacobs ( 1857). Sie hatte drei Geschwister: Bruno (1885–1887), Heinrich (1890–1970) und Elisabeth (1894–1981), die ebenfalls Tänzerin wurde.
Auszeichnungen (Auswahl)
Werke
Choreographien
- Lento, 1914
- Hexentanz I, 1914
- Ungarische Tänze, 1919
- Walzer, 1919
- Marche Orientale, 1919
- Gruppenwerk „Die Sieben Tänze des Lebens“, 1921
- Totentanz, 1921
- Danse macabre, 1921
- Farandole, 1921
- Schwertlied, 1922
- Zamacueca, 1922
- Klage, 1922
- Tänze des Schweigens, 1922
- Szenen aus einem Tanzdrama, 1924
- Zyklus „Visionen“, 1925/1928
- Tanzmärchen, 1925
- Hexentanz, 1926
- Monotonie, 1926
- Festliches Präludium, 1926
- Hexentanz II, 1926
- Drehmonotonie, 1926
- Zyklus „Schwingende Landschaft“, 1929
- Totenmahl, 1930
- Tanzfolge „Opfer“, 1931
- Totenklage, 1936
- Zyklus „Herbstliche Tänze“, 1937
- Abschied und Dank, 1942
- Orpheus, 1943
- Carmina Burana, 1943
- Aus der Not der Zeit, 1947
- Orpheus und Eurydike, 1947
- Saul, 1954
- Catulli Carmina, 1955
- Carmina Burana, 1955
- Le Sacre du printemps, 1957
- Alkestis, 1958
- mit G. R. Sellner, Orpheus und Eurydike, 1961
Schriften
- Die sieben Tänze des Lebens. Tanzdichtung, Diederichs, Jena 1921
- Komposition, Seebote, Überlingen o. J. (1925)
- Deutsche Tanzkunst, Reißner, Dresden 1935
- Die Sprache des Tanzes, Battenberg, Stuttgart 1963
- Neuauflage: Battenberg, München 1986, ISBN 3-87045-219-6