Delbrück, Hans
Hans Gottlieb Leopold Delbrück ( 11. November 1848 in Bergen auf Rügen, Königreich Preußen, Deutscher Bund; 14. Juli 1929 in Berlin) war ein deutscher Historiker, Militärwissenschaftler und Politiker aus Pommern.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Hans Delbrück studierte u. a. in Greifswald. Er wirkte als Erzieher des preußischen Prinzen Waldemar. 1885 wurde er außerordentlicher, 1895 ordentlicher Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Delbrück war der Nachfolger auf dem Lehrstuhl Treitschkes für Weltgeschichte.
Militärgeschichte
Wegweisend waren Delbrücks Leistungen auf dem Gebiet der Militärgeschichte. Als einer der ersten versuchte er diese in den Rahmen der allgemeinen Geschichtswissenschaft einzubeziehen. Der Bruch mit der Tradition, Kriegsgeschichte und ihre Interpretation den Militärs zu überlassen, stieß vielfach auf Widerstand.
Delbrück war ein Bewunderer des Militärtheoretikers Clausewitz und sah seine Geschichte der Kriegskunst als Fortsetzung der Lehre von Clausewitz an. Er führte eine Unterscheidung zwischen „Niederwerfungsstrategie“ und „Ermattungsstrategie“ ein und bezog sich dabei explizit auf Clausewitz. Diese Unterscheidung führte zu einer Kontroverse mit dem Preußischen Generalstab, die sich an der Frage entzündete, ob der Preußenkönig Friedrich II. ein Überwältigungsstratege[1] oder ein Ermattungsstratege[2] gewesen war.
Preußische Jahrbücher
Ab 1883 war Delbrück zusammen mit Heinrich von Treitschke Herausgeber der Preußischen Jahrbücher. Die Tätigkeit setzte Delbrück dann bis ins Jahr 1919 allein fort.
Wirken als Politiker
Von 1882 bis 1885 war Delbrück Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses für die Freikonservativen. Von 1884 bis 1890 war er Mitglied des Reichstags, ebenfalls für die Freikonservativen, die dort unter dem Namen Deutsche Reichspartei zusammengeschlossen waren. Danach setzte er sein politisches Wirken als Publizist und Kommentator fort. Obwohl im allgemeinen liberal-konservativ argumentierend, vertrat Delbrück auch Forderungen wie diejenige nach Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Deutschland.
Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit
Nach Ende des Krieges wandte sich Delbrück gegen die Behauptung einer deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg und gegen das Versailler Diktat. Zusammen mit Max Weber und anderen unterzeichnete Delbrück am 27. Mai 1919 ein Memorandum, in dem erklärt wurde, daß Deutschland einen Verteidigungskrieg gegen Rußland geführt habe.
In einem Untersuchungsausschuß des Reichstags über die Gründe der Kriegsniederlage trat er als Sachverständiger auf und griff insbesondere Erich Ludendorff für dessen Fehler im Krieg scharf an.
Neue Deutsche Biographie
- Nach dem Studium in Greifswald, Heidelberg und Bonn promovierte D. 1873 bei → Sybel mit einer Dissertation über die Glaubwürdigkeit Lamberts von Hersfeld. Seine Promotion war die erste in deutscher Sprache in der philosophischen Fakultät Bonn. Als leidenschaftlicher Gegner Bismarcks ging er in den Krieg von 1870/71, als sein Bewunderer kehrte er zurück. 1874-79 übernahm er die Erziehung eines jüngeren Sohnes des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Während dieser Zeit bearbeitete er die zwei letzten Bände der von G. H. Pertz begonnenen Ausgabe von Gneisenaus Nachlaß und schrieb selbst eine Biographie über Gneisenau (1882), die ihn zu weiteren kriegswissenschaftlichen Studien (Die Perser- und Burgunderkriege, Über die Verschiedenheit der Strategie Friedrichs und Napoleons und andere) anregte. Aus diesen Vorarbeiten entstand seine vierbändige „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ (1900-20). Bedeutsam war die von ihm dort angewandte Sachkritik an Stelle der bisherigen Quellenkritik, die ihn mit den phantastischen Zahlen der antiken Historiker aufräumen ließ und zu völlig neuen Ergebnissen, zum Beispiel bei der Beurteilung der Perserkriege führte. Seine Theorie über Ermattungsstrategie (→ Friedrich der Große) und Vernichtungsstrategie (Napoleon) wie überhaupt seine Beschäftigung mit der Geschichte der Kriegskunst wurde von den Militärschriftstellern scharf angegriffen, von seinen historischen Fachgenossen - D. hatte sich 1881 habilitiert - nicht voll anerkannt. Erst 1895 erhielt er ein Ordinariat und ein Jahr später den Lehrstuhl des verstorbenen Treitschke. Die Akademie der Wissenschaften nahm ihn wie so manchen großen Vorgänger nicht auf. D.s Bedeutung liegt indessen nicht allein in der Erschließung eines bisher in der Fachgeschichte vernachlässigten Gebietes, sondern in der engen Verbindung von wissenschaftlicher und politischer Tätigkeit. Er war der letzte Vertreter jener Gruppe deutscher Historiker von → Dahlmann bis → Treitschke, die durch eine nationalpolitische Publizistik und aktive Teilnahme am politischen Leben über ihre Lehrtätigkeit hinaus in der breiten Öffentlichkeit wirkten. In den 80er Jahren hatte er ein freikonservatives Mandat im Preußischen Abgeordnetenhause (1882–85) und im Reichstag (1884–90), nicht um „Berufspolitiker“ zu werden, sondern um als „Gelehrter in der Politik“ für seine historische Wissenschaft zu lernen. 1882 hatte er eine politische Wochenschrift herausgegeben, im nächsten Jahr wurde er neben Treitschke Mitherausgeber der „Preußischen Jahrbücher“, einer Zeitschrift für Politik, Geschichte, Literatur und Staatswissenschaften, die 1858 von den Vertretern des konstitutionellen Liberalismus gegründet worden war. 1889 trennte er sich wegen sozialpolitischer Differenzen von →Treitschke - man kann D. zu den Kathedersozialisten rechnen - und der Verleger übergab ihm und nicht →Treitschke die weitere Alleinherausgabe der Jahrbücher. Die „Politischen Korrespondenzen, in denen er allmonatlich die Ereignisse der Innen- und Außenpolitik kommentierte und kritisierte, enthalten den Niederschlag seiner politischen Anschauungen. In innenpolitischen Fragen (Nationalitätenpolitik, soziale Frage, Wahlrechtsproblem) verhielt er sich liberal-fortschrittlich und richtete seine Kritik besonders gegen die Konservativen und Nationalliberalen. In außenpolitischen Fragen, besonders in der Diskussion um die Weltpolitik und den damit zusammenhängenden Flottenbau, gehörte er zu den „Stürmern und Drängern“, begann allerdings seit 1907 für einen langsameren Bau der Flotte einzutreten. Seine Auseinandersetzung mit den Alldeutschen, die auf den Konflikt in der Nationalitätenpolitik zurückgeht, gewann nun in der Diskussion um die Flotten- und Weltpolitik an Schärfe. Er lehnte die völkischen Ideen und die Hegemoniebestrebungen der Alldeutschen radikal ab und hat immer nur an eine „friedliche Weltpolitik“ in Anlehnung an England gedacht. Trotz seiner eigenen, etwas phantastischen kolonialpolitischen Ziele blieb er auch während des Weltkrieges ein überzeugter Anhänger der Erhaltung des europäischen Gleichgewichtes. Der Höhepunkt seines politischen Wirkens war im Weltkrieg, als er der Führer derjenigen wurde, die für eine maßvolle Kriegszielpolitik eintraten, Gegner des uneingeschränkten U-Bootkrieges waren und die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen forderten. Er gab zwar 1919, nunmehr 71jährig, die Redaktion der Preußischen Jahrbücher ab, kämpfte jedoch unermüdlich in der stets eigenen Weise nach zwei Fronten weiter: gegen die „Kriegsschuldlüge“ und gegen die „Dolchstoßlegende“. Seine schärfsten Angriffe richteten sich gegen → Tirpitz und → Ludendorff, in denen er die „Verderber“ des Deutschen Reiches sah. D. hat sich selbst immer einen „aufgeklärten Konservativen“ genannt. Es entstand das Kuriosum, daß sein Kampf gegen Nationalismus, soziale Reaktion und gegen den Klassenegoismus der höheren Stände ihn zum Verteidiger seiner eigenen Gegner, der Sozialdemokraten und nationalen Minderheiten machte. Er war und blieb indessen ein Anhänger der konstitutionellen Monarchie und konservativer Staatsauffassung (siehe auch sein Buch „Regierung und Volkswille“, 1914). Seine Kritik richtete sich nur deshalb gegen die Konservativen und Nationalliberalen, weil es ihm gerade um die Erhaltung der bestehenden politischen Ordnung zu tun war. Die Herrschaft der Rechts- und Mittelparteien bedeutete ihm die Garantie für die Großmachtstellung des Deutschen Reiches, aber im Gegensatz zu vielen Konservativen und Nationalliberalen sah er dem nationalen Machtanspruch des Staates klare Grenzen im Rechtsempfinden und in der Erhaltung eines europäischen Gleichgewichts gesetzt.[3]
Familie
Dr. Delbrück heiratete 1884 in Leipzig seine Verlobte Lina (1864–1943), Tochter des Carl Thiersch ( 1895), Professor der Chirurgie in Leipzig, und der Johanna (1836–1925, Tochter des Justus von Liebig, 1873). Aus der Ehe sind drei Söhne und vier Töchter entsprossen, darunter Max Ludwig Henning Delbrück (1906–1981; Genetiker, Biophysiker und Nobelpreisträger), der Professor der Biologie in Pasadena (VSA) wurde und Emilie „Emmi“, geb. Delbrück (1905–1991), die Klaus Bonhoeffer geheiratet hatte.
Schriften (Auswahl)
- Über die Glaubwürdigkeit Lamprechts von Hersfeld, Bonn 1873 (Dissertation)
- Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau. , Berlin 1880/81. (PDF-Dateien: Band 1, Band 2, Band 3, Band 4)
- Die Perserkriege und die Burgunderkriege. 1887. (PDF-Datei)
- Die Strategie des Perikles. 1890. (PDF-Datei)
- Die Polenfrage (1894) (PDF-Datei)
- Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 4 Bände, Berlin 1900–1920; neue Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-1101-6886-3. (HTML-Version, auch als CD-Rom mit Such- und Notizfunktion, ASIN: 3898531724)[4]
- Erinnerungen, Aufsätze und Reden. 3. Auflage, Georg Stilker, Berlin 1907. (PDF-Datei)
- Weltgeschichte. Vorlesungen, gehalten an der Universität Berlin 1896/1920. 5 Bände, Berlin 1924–1928; 2. Auflage, Berlin 1931.
- Bismarcks Erbe (1915), (PDF-Datei 9MB)
- Ludendorffs Selbstporträt (1922) (PDF-Datei)
Verweise
- Ausführliche Biographie, Kulturportal West–Ost (fälschlich als ostdeutsche Biographie angegeben, es handelt sich jedoch um eine mitteldeutsche Biographie)
Fußnoten
- Geboren 1848
- Gestorben 1929
- Deutscher Politiker
- Deutscher Militärhistoriker
- Deutscher Hochschullehrer
- Hochschullehrer (Humboldt-Universität zu Berlin)
- Mitglied der Freikonservativen Partei
- Reichstagsabgeordneter (Deutsches Kaiserreich)
- Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses
- Politiker (19. Jahrhundert)
- Ehrengrab in Berlin