Deutsch-sowjetischer Nichtangriffsvertrag

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Abschluß des Nichtangriffspaktes am 24. August 1939. Von links nach rechts: Hintergrund: Richard Schulze-Kossens (Ribbentrops Adjutant), Boris Schaposchnikow (Generalstabschef der Roten Armee), Joachim von Ribbentrop, Josef Stalin, Vladimir Pavlov (sowjetischer Übersetzer); Vordergrund: Gustav Hilger (deutscher Übersetzer) und Wjatscheslaw Molotow.

Der Deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag, auch als Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, Hitler-Stalin-Pakt, Nichtangriffs- und Konsultationspakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt bezeichnet, war ein auf zehn Jahre befristeter Vertrag, der am 24. August 1939 in Moskau mit dem Datum vom 23. August 1939 vom deutschen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Anwesenheit Josef Stalins und des deutschen Botschafters Graf von der Schulenburg unterzeichnet wurde. Er knüpfte an den Berliner Vertrag von 1926 und damit an den Vertrag von Rapallo an. Der Deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag beinhaltete ein geheimes Zusatzprotokoll, mit welchem die Grenze zwischen der deutschen und der sowjetischen Interessensphäre festgelegt wurde.

Eine Ergänzung des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages stellte der von Reichsaußenminister Ribbentrop und Volkskommissar Molotow am 28. September 1939 in Moskau ratifizierte Deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag[1][2] dar, welcher u. a. die Änderung des Grenzverlaufes zwischen den Interessensphären sowie weitere Änderungen der bilateralen Vereinbarungen zum Gegenstand hatte. So wurde beispielsweise auf Stalins Wunsch abweichend von der ursprünglich vereinbarten Grenze nun auch Litauen in die sowjetische Interessensphäre eingegliedert und Deutschland wurden als Ausgleich dafür zusätzliche Gebiete im aufzuteilenden Polen zugesprochen.

Auswirkungen der deutsch-sowjetischen Vertragswerke

Einerseits sollten die beiderseitigen Vertragswerke dem Deutschen Reich die sowjetische Neutralität im Falle einer Auseinandersetzung mit Polen und den Westmächten garantieren und andererseits der Sowjetunion die Möglichkeit einräumen, die nach dem Ersten Weltkrieg von Polen annektierten sowjetischen Territorien zurückzuerobern, ohne ein Eingreifen Deutschlands befürchten zu müssen.

Bei Abgrenzung der deutsch-sowjetischen Interessensphären hatte die sowjetrussische Regierung dem Reichsminister des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop erklärt, daß sie mit Ausnahme der sich damals in einem Zustand der Zersetzung befindlichen Gebiete des ehemaligen polnischen Staates nicht die Absicht habe, die in ihrer Interessensphäre liegenden Staaten zu besetzen, zu bolschewisieren oder zu annektieren. Hiernach bedeuteten insbesondere der sowjetische Überfall auf Finnland vom 30. November 1939 bis zum 13. März 1940, die bis Juni 1940 erfolgte sowjetische Annexion aller baltischen Staaten und der sowjetische Angriff auf das östliche Staatsgebiet Rumäniens mit der Besetzung Bessarabiens am 28. Juni 1940 eine zunehmende, für die Reichsregierung nicht hinnehmbare Bedrohung deutscher Interessen und kamen von seiten der Sowjetunion insofern einem Bruch der bilateralen Vereinbarungen vom August und September 1939 gleich. Spätestens als Stalin entsprechend seinem Vertrag mit Churchill (→ Churchill-Stalin-Pakt) bis zum Sommer 1941 in äußerst umfangreichem Maße russische Streitkräfte sowie erhebliche Mengen an militärischem Material entlang der deutschen Ostgrenze angesammelt hatte und zunehmende Grenzverletzungen von sowjetischer Seite festgestellt worden waren, war die Erfordernis des vorbeugend motivierten Barbarossa-Feldzuges unumgänglich geworden.[3][4]

Vorbereitung eines sowjet-bolschewistischen Überfalls auf Deutschland

Im Churchill-Stalin-Pakt war ein sowjet-bolschewistischer Überfall auf Deutschland bereits detailliert geplant. Daher blieb dem Deutschen Reich keine andere Wahl, als am 22. Juni 1941 zum Präventivschlag gegen die Sowjetunion auszuholen. Dies war nur möglich, weil es seit dem Ende des Polenfeldzuges eine gemeinsame Grenze zwischen dem deutschen und dem sowjet-bolschewistischen Machtbereich gab. Bis zum September 1939 bestand eine doppelte Barriere neutraler Staaten zwischen Deutschland und der Sowjetunion, mit einer Ausnahme. Polen grenzte sowohl an Deutschland als auch an die Sowjetunion und bildete die kürzeste Verbindung zwischen beiden Mächten. Ein überraschender Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion wäre also mangels einer gemeinsamen Grenze gar nicht möglich gewesen. Wäre Stalin hingegen nur auf Verteidigung eingestellt gewesen, so hätte er alle politischen und militärischen Mittel einsetzen müssen, um diese Barriere zwischen sich und Deutschland zu erhalten. Mit dem sogenannten „Molotow-Ribbentrop-Abkommen“ tat er aber genau das Gegenteil, um so nah wie möglich militärisch an Deutschland heranzurücken.

„Die logische Folge dieses politischen Konzepts von Stalin war die Unterschreibung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes im August 1939, der das grüne Licht für Hitler zur raschen Niederwerfung Polens und zum Feldzug gegen Frankreich gab. So verhalf Stalin, den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln. Er glaubte, die deutsche Wehrmacht und die französische Armee werden an der Maginot-Linie in langwierige Kämpfe hineingezogen und verbluten. Danach könnte die Sowjetunion europäischen Ländern ihren messianischen kommunistischen Willen diktieren. In diesen Kalkulationen verrechnete sich Stalin fatal. Im Westen kam es nicht zu zermürbenden, lang dauernden Kämpfen. Frankreich wurde in einem siegreichen Blitzfeldzug in die Knie gezwungen.“[5]
„Die Geschichte sagt, wenn ein Staat gegen einen anderen Staat Krieg führen will, dann wird er, selbst wenn dieser andere Staat nicht sein Nachbar wäre, nach Grenzen suchen, über die hinweg er an die Grenzen jenes Staates gelangen kann, den er angreifen will.“[6]
Quelle
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Der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop bei der Unterschrift.
Im Hintergrund lächelnd Stalin

Die stillen Teilhaber

Bevor noch die Außenminister der Sowjetunion und des Deutschen Reiches, Wjatscheslaw Molotow und Joachim von Ribbentrop, am 23. August den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichneten, hatte Stalin am 19. August in seiner Rede vor Mitgliedern des Politbüro, deren Echtheit jedoch nicht völlig gesichert ist, die Vorteile dargelegt, die aus dem Pakt mit Hitler entsprangen. Da er Deutschland im Kriegsfall für schwächer als die Westmächte hielt, sollte es in dem Maße unterstützt werden, das ihm ein langes Durchhalten im Kampf ermöglichte. Würde aber wider Erwarten die Wehrmacht als Sieger hervorgehen, werde man auf die von Deutschland besetzten Nationen und auf die französischen Kommunisten setzen. Man werde also „ein breites Tätigkeitsfeld zur Entwicklung der Weltrevolution“ haben. Der Pakt vom 23. August erschütterte die europäische Konstellation und eröffnete ein großes Verwirrspiel. Der Abschluß eines britisch-polnischen Militärabkommens am 25. August bekräftigte, daß London am Bündnis mit dem scheinbar isolierten Polen festhielt. Die polnische Regierung lehnte jedoch nach wie vor den deutschen Vorschlag für eine Lösung der „Korridor“-Frage ab, da sie argwöhnte, daß jedes Nachgeben als Schwäche aufgefaßt würde.

Roosevelt war früh über Hitler-Stalin-Pakt informiert

Völkischer Beobachter vom 23. August 1939

Noch hätte der Krieg verhindert werden können. Die Schlüsselrolle spielte dabei der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, der bereits am 24. August Kenntnis vom deutsch-sowjetischen Pakt und vom geheimen Zusatzprotokoll hatte, das eine Aufteilung Polens und der baltischen Länder vorsah. Es war der junge Hans von Herwarth, der an der deutschen Botschaft in Moskau als Sekretär arbeitete und seinem befreundeten Kollegen von der amerikanischen Botschaft, Charles Bohlen, die Dokumente offenlegte. Herwarth hat im nachhinein bekannt, daß er aus Gewissensgründen dieses Geheimnis preisgab, um – wie er meinte – auf diesem Wege mitzuhelfen, die Kriegsgefahr zu bannen. Präsident Roosevelt, der seit Jahren eine betont harte Linie gegen die „Friedensstörer“ Deutschland und Italien verfocht, wußte also genau, was Polen im Kriegsfall drohte, daß es sich nämlich in der Rolle des Verlierers befand. Er unterließ jedoch alles, um einen deutsch-polnischen Ausgleich herbeizuführen. Er unterließ es auch, in Moskau zu intervenieren und Stalin vor der geplanten Aufteilung Polens zu warnen. Offenbar wollte er keinesfalls die guten Beziehungen mit Sowjetrußland beeinträchtigen, zu dem die USA seit Anfang der 1930er Jahre rege Handelskontakte unterhielten.

Der polnische Außenminister Beck rührte keinen Finger

Roosevelt hätte es in diesen Tagen in der Hand gehabt, die Westmächte und Polen zum Einlenken zu bewegen. Er appellierte aber nur an Berlin und Warschau, die Streitigkeiten beizulegen, sei es durch Verhandlungen, sei es durch Anrufung eines Schiedsgerichts. Warschau erklärte zwar seine Bereitschaft zu Verhandlungen, doch Außenminister Jósef Beck und Botschafter Jósef Lipski in Berlin rührten keinen Finger. Außenminister Beck vertrat die Position, die deutschen Forderungen zu ignorieren und sich am besten in Schweigen zu hüllen. Der britische Botschafter in Warschau, Sir Howard Kennard, bestärkte ihn in dieser Haltung und machte auch die Versuche Londons zunichte, Polen im letzten Augenblick zum Einlenken zu bewegen. In dieser letzten Woche vor Kriegsbeginn entfaltete sich ein dynamisches Dreieck mit den Eckpunkten Washington – Moskau – London. Roosevelt hatte seine Botschafter in London und Paris, Joseph Kennedy und William Bullitt, angewiesen, dafür zu sorgen, daß Großbritannien und Frankreich an ihren Verpflichtungen gegenüber Polen festhielten. Die schwierigere Aufgabe fiel hierbei Joseph Kennedy zu.

Roosevelts Ziel war die Entmachtung der „Achsenmächte“

Er sah sich einem ratlosen britischen Premierminister gegenüber, der kaum mehr Hoffnung hatte, Polen im Kriegsfall retten zu können, aber nicht die Kraft fand, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Gleichzeitig unterband der energische William Bullitt jeden Ansatz der französischen Regierung, einen Kompromiß mit Deutschland ins Auge zu fassen. Der Betrachter gewinnt den Eindruck, daß Beck und Roosevelt um jeden Preis ein zweites Münchner Abkommen verhindern wollten. Roosevelt verfocht ein langfristiges Ziel, das er vor der Öffentlichkeit sorgsam tarnte: die völlige Entmachtung der „Achsenmächte“ und die nachhaltige Schwächung Großbritanniens. Seit seiner „Quarantäne-Rede“ vom 5. November 1937 prangerte er immer wieder die angeblich aggressiven Absichten der „Friedensstörer“ an und rief zu deren Eindämmung auf. Schon im Januar 1938 hatte er eine enge Zusammenarbeit mit London in außenpolitischen Fragen vorgeschlagen, die aber Chamberlain mit Rücksicht auf seine Appeasement-Politik abgelehnt hatte. Neben dem Aufbau einer Zwei-Ozean-Flotte ließ Roosevelt im Juni 1939 den Generalstab eine Planstudie erstellen, die ein gemeinsames Vorgehen mit Großbritannien und Frankreich gegen Deutschland und Italien vorsah. Im August 1939 griff Roosevelt in die Verhandlungen in Moskau ein, indem er seinen dortigen Botschafter Lawrence Steinhardt anwies, Molotow zu signalisieren, daß er einen Vertrag zwischen Sowjetrußland und den Westmächten begrüßen würde.

Der Krieg in Europa war im Sinne Stalins und Roosevelts

Mit dem deutschen Angriff auf Polen und der britisch-französischen Kriegserklärung vom 3. September hatte sich das Kalkül Polens, Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs als fehlerhaft erwiesen. Doch die Absicht Stalins und Roosevelts war voll aufgegangen. Stalin erhielt, was er begehrte: einen europäischen Krieg, der aller Voraussicht nach zur Erschöpfung beider Parteien führen würde. Aber Stalin spielte hoch: Sein Kalkül wäre gescheitert, wenn die Westmächte Deutschland nicht den Krieg erklärt hätten, so daß Hitler freie Hand gegenüber Polen erlangt hätte. In der Zeitspanne zwischen dem 24. August und dem 3. September stand Stalins Spiel auf Messers Schneide, doch der Kriegseintritt der Westmächte machte ihn zum Herrn der Lage.

Wäre das sowjetische Regime wirklich friedliebend gewesen, hätte Stalin das Mittel zur Verhinderung des Krieges besessen, nämlich den Pakt mit dem Westen. Ein deutscher Angriff auf Polen hätte sich erübrigt. Auch Roosevelt hatte richtig kalkuliert: Sollten doch Großbritannien und Frankreich eifrig Krieg führen! Irgendwann würden ihre Ressourcen zu Ende gehen, und dann würden beide Staaten um Rüstungs- und Finanzhilfe in Übersee ansuchen und desto mehr in die Abhängigkeit von den USA geraten, je länger der Krieg dauerte – wie bereits nach 1917. Wenn kein strategisches „Wunder“ geschah, stünde den Westmächten genauso wie ihrem Gegner eine Zerreißprobe bevor, und Roosevelt spielte die Rolle des „stillen Teilhabers“. Der Vorteil lag zunächst auf Seiten Stalins:
Das geheime Zusatzprotokoll zum Nichtangriffspakt gewährte ihm freie Hand zur Erweiterung seiner Machtsphäre und bot die Chance, die Rote Armee massiv aufzurüsten. Doch die längerfristigen Optionen lagen bei Roosevelt, und die Zeit arbeitete zu seinen Gunsten.

Quelle: Heinz Magenheimer: Die stillen Teilhaber, Junge Freiheit, 21. August 2009


Siehe auch

Verweise

Fußnoten