Faust, Siegmar
Siegmar Faust ( 12. Dezember 1944 in Dohna, Sachsen) ist ein deutscher Autor und war von 1996 bis 1999 Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen im Freistaat Sachsen.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Faust wuchs in Heidenau bei Dresden auf. Nach dem Abitur studierte er ab 1964 Kunsterziehung und Geschichte an der Universität Leipzig, von der er im Sommer 1966 wegen „Disziplinlosigkeit und politischer Unzuverlässigkeit“ exmatrikuliert wurde, weil er eine Vorlesung mit unzensierter Lyrik organisiert hatte. Nach der Wende wurde vom Rektor der Universität 1993 dazu festgestellt, daß die Exmatrikulation eindeutig politisch motiviert war und damit einen zeittypischen Akt ausgeübter Willkür gegen Andersdenkende darstellte.
Nach erfolgter Bewährung in der Produktion wird ihm nochmals ein Studium gestattet. Faust wird zum Studium am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ angenommen, auch dort aber im Frühjahr 1968 aus politischen Gründen wieder exmatrikuliert.
Seinen Lebensunterhalt verdiente Faust überwiegend als Hilfsarbeiter, nebenher war er schriftstellerisch tätig. Vorerst kursierten seine Werke im Freundeskreis. Seit 1968 wurde Faust von der Stasi beobachtet und verfolgt. 1971 und 1972 sowie 1974-1976 saß Faust in der DDR in Haft.[1] Als seine Versuche, in der Bundesrepublik zu veröffentlichen, aufgedeckt wurden, erfolgte eine erste Inhaftierung. Nach seiner Freilassung verdingt er sich als Transportarbeiter. Als er unter Verweis auf die Mitgliedschaft der DDR in den Vereinten Nationen eine Petition „Gegen die Verweigerung der Menschenrechte“ initiierte, wurde er erneut inhaftiert.
Wegen staatsfeindlicher Hetze war Faust, der sich selbst als Marxist verstand, in den 1970er-Jahren insgesamt 33 Monate inhaftiert, davon 17 Monate in Stasi-Untersuchungshaftanstalten, sieben Wochen in der „Klapsmühle“, die übrige Zeit im Zuchthaus Cottbus. Dort wurde Faust wegen einer handgeschriebenen Häftlingszeitung „Armes Deutschland“ über 400 Tage in feuchten Kellerzellen gefangen gehalten. Insgesamt war er über zwei Jahre in Einzelhaft. 1976 wurde er von der BRD freigekauft. Im Westen angekommen folgte für Faust eine große Ernüchterung:
- „Dass ich in der Mensa auf der Hardenbergstraße neben Marx-, Engels- und Lenin- auch riesige Stalin-Poster sah und verzweifelt davonlief, interessierte keinen. Der Verleger Axel Springer war der Oberteufel, ansonsten sollte ich mich von Gerhard Löwenthal, Matthias Walden, der Bundeswehr, der CDU, ganz besonders der CSU, von Landsmannschaften und Burschenschaften, dem Mauermuseum, der Gesellschaft für Menschenrechte und überhaupt von allen Antikommunisten, Amerikanern und konservativen Fortschrittsfeinden fernhalten, gaben mir diejenigen zu verstehen, die mir weiterhelfen, besser noch: mich retten wollten.“[2]
Er arbeitete im Westen freiberuflich als Schriftsteller, Drehbuchautor, Rezensent und Vortragsreferent. Seit Ende der 1980er-Jahre ist Faust Mitglied der Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute als Kuratoriums-Mitglied. Von 1987 bis 1990 war er Chefredakteur der von der IGFM herausgegebenen Zeitschrift DDR heute sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums, Christen drüben. Er ist Vorstandsmitglied in der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), des eingetragenen Vereins Gegen das Vergessen (Pforzheim), des Berliner Fördervereins Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus; er ist Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums Cottbus e.V., Mitglied des Freien Deutschen Autorenverbandes (FDA) und des Autorenkreises der Bundesrepublik Deutschland. Faust arbeitete auch als Besucherreferent in der Gedenkstätte Hohenschönhausen.
Im Mai 2018 wurde Faust von medialer Seite unterstellt, gegen das staatsreligiöse Dogma des sogenannten Holocausts verstoßen zu haben, indem er diesen „relativiert“ hätte. Entsprechend trennte sich die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen dann auch prompt von Faust, wenige Tage später folgte der Vorstand der Gedenkstätte im einstigen Zuchthaus Cottbus, welcher Faust untersagte, dort weiterhin Führungen zu geben – dies, obwohl er dort mehr als 400 Tage in Einzelhaft eingesperrt gewesen war. Dieser hatte indes bereits nach der ersten politischen Repressionsmaßnahme klargestellt, daß er sich lediglich in einem Gespräch über die Tatsache empört hatte, daß der BRD-Dissident Horst Mahler – auch wenn er selbst dessen Ansichten nicht teile – „für ein Meinungsdelikt zwölf Jahre hinter Gitter muß, während ein Mörder wie Erich Mielke nach sechs Jahren wieder freigelassen wird und sogar noch Haftentschädigung bekommt“.[3]
Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen
Ab Mai 1996 war Faust Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen im Freistaat Sachsen. Einen Monat nach seinem Amtsantritt geriet er für eine frühere Tat in die Kritik. 1991 hatte sich Faust für Margot Pietzner, eine ehemalige dienstverpflichtete Aufseherin des KZ Ravensbrück, eingesetzt. Zu dieser Zeit war Faust Mitarbeiter der Ostberliner Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus. Dort lernte er Margot Pietzner kennen, die nie in der HJ oder im BDM war und 1946 von der sowjetischen Armee als Aufseherin eines Nebenlagers des KZ Ravensbrück verhaftet, zu 25 Jahren Haft verurteilt und erst 1956 begnadigt worden war. Über den damaligen FDP-Justizminister Klaus Kinkel vermittelte Faust ihr einen Rechtsanwalt, der klären sollte, ob sie schuldig oder unschuldig über zehn Jahre in Haft gesessen hatte. Ihre Opferentschädigung war indessen lange zuvor von der Staatsanwaltschaft in Halle/Saale an die Berliner Häftlingsstiftung vermittelt worden, die ohne jegliche Einmischung von außen, also lediglich nach Aktenkenntnis entschied, dass diese Frau zu entschädigen sei. Dadurch wurde sie schließlich als Opfer des Stalinismus anerkannt und erhielt 64.350 Mark Entschädigung. 7.000 Mark davon schenkte sie Siegmar Faust, den sie wegen seines Widerstandes gegen die DDR-Diktatur bewunderte. Er lehnte mehrfach jedes Geldgeschenk von ihr ab, um es schließlich nach mehrfacher Bedrängnis den ehemaligen politischen gefangenen Frauen von Hoheneck zu übergeben.[4]
Am 22. April 1999 wurde er durch den Landtag von seinem Amt als Beauftragter für die Stasi-Akten abberufen, nachdem er schon länger wegen seiner Amtsführung in der Kritik stand. (Im Mai 1998 hatte die PDS-Fraktion erfolglos versucht, den Landesbeauftragten wegen angeblicher Kontakte zu einer „Psychosekte“ abzuberufen.) Nach Auskunft des Justizministers hatte Faust von seinem Dienst-PC aus, kostenpflichtige Internetseiten mit angeblich pornografischen Inhalt abgerufen.[5] Faust räumte die Vorfälle ein, wollte aber nicht zurücktreten, weil er solche Seiten nicht bewusst aufgerufen hatte.
Vor Gericht wurde ihm dann lediglich der Vorwurf gemacht, keinen Computerlehrgang besucht zu haben, da er die damals überwiegend englischen Befehle nicht lesen konnte. Er surfte monatlich für etwa 20 DM, wobei aber nicht zwischen privater und dienstlicher Nutzung unterschieden werden konnte. Ansonsten gewann er die Prozesse in beiden Instanzen gegen das Justizministerium, sodaß er bis zum Ende seiner regulären Dienstzeit 2001 weiterhin vom Freistaat Sachsen Dienstbezüge erhielt.
Werke
- Die Lehr- und Wunderjahre des Faustus Simplicissimus. Dokumentiert in einem Nachwort von Lutz-Peter Naumann, in vier Zeichnungen von Sieghard Pohl, sowie sechs Original-Briefen aus dem Gefängnis und einundvierzig Gedichten, Verlag Klaus Guhl, Berlin (West) 1979
- In welchem Lande lebt Mephisto? Schreiben in Deutschland, Günter Olzog Verlag, München 1980
- Ich will hier raus. Briefe, Gedichte, Dokumente, Kassiber und Karikaturen, Verlag Klaus Guhl, Berlin (West) 1983
- Ein jegliches hat sein Leid. Experimentelles Essay, Verlag Klaus Guhl, Berlin (West) 1984
- Menschenhandel in der Gegenwart. Literatur der DDR im Zeugenstand, MUT-Verlag, Asendorf 1986
- Der Freischwimmer. Das Ende einer Jugend in Dresden, Roman, Anita Tykve Verlag, Böblingen 1987
- Der Provokateur. Ein politischer Roman. Herbig-Verlag, München 1999. ISBN 3-7766-2137-0 (Autobiografischer Roman über Fausts Alter Ego Bob Kayenberg)
- Film-Drehbücher und Dokumentationen
- Freiheit, die ich meine. Über Christen und Marxisten in der DDR, sechsteilige ZDF-Spielfilmserie, 1979
- Sehnsucht nach einer Orgel. Vortragsfilm für die Hilfsaktion Märtyrerkirche,Überlingen 1983
- Auch dies ist mein Land. Drei Schriftsteller-Porträts zur deutschen Frage: Reiner Kunze, Hans-Joachim Schädlich und Ulrich Schacht. Vortragsfilm des Gesamtdeutschen Instituts, Bonn 1986
- Wir dachten, der Krieg ist vorbei. ZeitZeugen-Dokumentation mit Internierten so genannter Speziallager, zusammen mit Dirk Jungnickel, Berlin 1996
- Gegen das Vergessen. Zeit-Zeugen im DDR-Museum Pforzheim. 10 Porträts, Pforzheim 2006