Benjamin, Hilde

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Hilde Benjamin (1902–1989)

Hilde Benjamin (Lebensrune.png 5. Februar 1902 in Bernburg an der Saale; Todesrune.png 18. April 1989 in Ost-Berlin) war eine jüdische sowjetzonale Politikerin, Justizministerin der DDR und Vorsitzende Richterin in einer Reihe von politischen Schauprozessen in den 1950er Jahren.

Benjamin, bekannt als „Bluthilde“ oder „rote Hilde“, war das Symbol des stalinisierten Unrechtsstaates DDR. Ihre Überzeugung, größtmögliche Härte gegen reale und konstruierte innere wie äußere Feinde schütze den Aufbau der DDR, blieb Richtschnur ihrer gesamten Tätigkeit im Justizwesen der DDR.

Werdegang

Hilde Benjamin, geb. Lange, war die Tochter eines kaufmännischen Angestellten und späteren Filialdirektors des Scheidemandel-Konzerns (Leimfabrikation) und entstammte damit einer gutbürgerlichen jüdischen Familie. Sie wuchs später in Berlin auf und besuchte das Gumbel-Lyzeum in Steglitz. Nach der Reifeprüfung studierte sie von 1921 bis 1924 Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Hamburg und betätigte sich nebenbei politisch in den Reihen des sozialistischen Studentenbundes. Eine Dissertation bei Moritz Liepmann über Strafvollzugsfragen beendete sie nicht.[1] 1924 legte sie das Referendar- und 1927 das Assessor-Examen ab.

Hilde Benjamin (rechts) im Gespräch mit Friedel Malter vor Beginn des zweiten Prozeßtages im Prozeß gegen Hans Globke
Hilde Benjamin (rechts) bei einer Jugendweihe (1958)

Wirken

Während ihres juristischen Vorbereitungsdienstes heiratete sie 1926 den kommunistischen Funktionär Georg Benjamin.[2] Ein Jahr später schloß sie sich selbst den Stalinisten in Deutschland an. 1927 wurde sie Mitglied der KPD. Hilde Benjamin war in Berlin-Wedding bei der „Rote Hilfe Deutschlands“ aktiv und verteidigte als Rechtsanwältin zwischen 1928 und 1933 vor Gericht vorwiegend Angehörige des militanten KP-Apparates, dessen Ziel die Beseitigung der Weimarer Republik und die Errichtung Sowjetdeutschlands war (u. a. vertrat sie eine Angeklagte im Mordprozeß Horst Wessel, seine Vermieterin).[3] Nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten erhielt sie als Rechtsanwältin Berufsverbot, ihr Mann wurde verhaftet. Von 1933 an fungierte sie bis 1939 als juristische Beraterin der Sowjetischen Handelsgesellschaft in Berlin, diente also der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Hitler und Stalin. Während des Krieges war sie dienstverpflichtet als Werkstattschreiberin und Angestellte in der Konfektion.

Ihr Schwager Walter Benjamin beging 1940 auf der Flucht aus Frankreich an der französisch-spanischen Grenze Suizid (oder es handelte sich um Mord im Auftrag Stalins). Ihr Mann verstarb 1942 in Mauthausen. Nach dem Einmarsch der Roten Armee begann ihre Karriere als „oberste Staatsterroristin in Mitteldeutschland“.

Hilde Benjamin wurde als „Verfolgte des Nazi-Regimes[4] sofort als Staatsanwältin in Berlin-Lichterfelde eingesetzt. Sehr bald wechselte die überzeugte Kommunistin in den Sowjetsektor über und wurde 1947 als Personalreferentin in die „Deutsche Zentralverwaltung für Justiz“ berufen.[5] Sie förderte das Ausbildungssystem für kommunistische Laienrichter (Volksrichter) und betrieb die Ablösung der oft nur als „bürgerlich“ belasteten Volljuristen aus politischen Erwägungen in großem Maßstab mit der Maxime „Keiner darf Richter bleiben, der nicht Parteigänger des revolutionären Klassenkampfes ist“. Viele dieser Richter wanderten für Jahre in die Gefängnisse.

Nach Gründung der DDR war sie von 1949 bis 1953 Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes der DDR. In dieser Stellung leitete sie als Vorsitzende mehrere große Prozesse gegen „Staatsfeinde“ und „Wirtschaftssaboteure“. Mit Fanatismus verfolgte sie alles Nichtkommunistische.[6] Hilde Benjamin war 1950 bei den Waldheimer Prozessen beratend beteiligt.[7]

Ab 1953 war sie DDR-Justizministerin in der Nachfolge Max Fechners, der (u. a. wegen homosexueller Handlungen) als „Feind des Staates und der Partei“ ins Zuchthaus mußte, da er sich gegen eine Strafverfolgung der streikenden Arbeiter des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 ausgesprochen hatte. Wegen ihrer harten Urteile (67 Verurteilungen, davon zwei zum Tode) wurde die „Rote Hilde“ auch „Rote Guillotine“ genannt[8] und in der BRD einer breiten Öffentlichkeit bekannter als der eigentliche Präsident dieses Gerichtshofes, Schumann. Für viele blieb sie die Symbolfigur der kommunistischen Zerschlagung einer unabhängigen Justiz in der DDR.

Auch als Vorsitzende einer Strafrechtskommission befaßte sich Hilde Benjamin maßgeblich damit, das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung einer kommunistisch orientierten Rechtslehre anzupassen. Diese Gesetzesneufassungen wurden im Oktober 1952 verabschiedet und beseitigten die Unabsetzbarkeit der Richter, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und ähnliche Grundsätze. Als im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 in Berlin der seit langem vorausgesagte Sturz des Justizministers Max Fechner am 16. Juli Wirklichkeit wurde, löste ihn Hilde Benjamin ab. Die Gerichtsverfahren zum 17. Juni 1953 (Volksaufstand) überwachte ein spezieller Krisenstab, der unter der Leitung von Hilde Benjamin stand. Sie entschied, welche Urteile zu fällen waren und informierte am Vortag des Prozesses die Staatsanwaltschaft hierüber. In Zweifelsfällen konsultierte Hilde Benjamin Entscheidungsgremien des ZK, welche Urteile zu fällen seien.

Hilde Benjamin hatte von 1949 bis 1953 in zahlreichen Verfahren den Vorsitz inne. Zu diesen Verfahren gehören auch 13 Prozesse, die sie gegen Oppositionelle des SED-Regimes führte. Insgesamt verhängte Benjamin Zuchthausstrafen von 550 Jahren, schickte 15 Menschen lebenslänglich hinter Gitter und verhängte im Dresdner Schauprozess gegen Johann Buraniek und Wolfgang Kaiser zwei Todesurteile, die 1952 vollstreckt wurden. Sie bekamen kein ordentliches Grab. Die beiden Hingerichteten wurden erst 2005 rehabilitiert.

Als Justizministerin schuf sie durch zahlreiche Reformen ein in sich geschlossenes, der rot-sozialistischen Gesellschaftsordnung angepaßtes Rechtssystem. Im Frühjahr 1963 wurde die Aufsicht über die Rechtsprechung vom Justizministerium auf Volkskammer und Obersten Gerichtshof übertragen.[9] Benjamins Behörde blieb die Aufsicht über die Gerichtsverwaltung und die Vorbereitung der Justizgesetze, so auch die Einführung des Begriffes „Verbrechen gegen die Souveränität der DDR“ als schwerste Verbrechenskategorie im neuen Strafgesetzbuch der DDR. Nach den Volkskammerwahlen vom 2. Juli 1967 wurde die mittlerweile 65 Jahre alte Hilde Benjamin von ihrer Funktion als Justizminister entbunden und durch den LDP-Politiker Kurt Wünsche ersetzt.

Hilde Benjamin mußte 1967 auf Druck des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht aus „gesundheitlichen Gründen“ zurücktreten (Ablösung wegen des Vorwurfs „lesbischer Orgien“).[10] Für eine weitere Laufbahn als Richterin kam sie nicht mehr in Betracht; sie durfte ihre juristische Karriere in der DDR jedoch in gehobener Position fortsetzen.

Hilde Benjamin übernahm im September 1967 einen Lehrstuhl für Geschichte der Rechtspflege am Institut für Strafrechtspflege und Kriminalitätsbekämpfung an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam-Babelsberg.[11] In dieser Funktion leitete sie ein Autorenkollektiv, das eine „Geschichte der Rechtspflege der DDR“ erarbeitete. Der erste Band über die Zeit von 1945 bis 1949 erschien 1976, der zweite, über die Zeit von 1949 bis 1961, 1980.

Auszeichnungen

Benjamin wurde in der DDR vielfach ausgezeichnet:

  • 1952: Ehrendoktor der Humboldt-Universität Berlin
  • 1959: „Vaterländischer Verdienstorden in Silber“
  • 1960: „Orden Banner der Arbeit“
  • 1962: „Vaterländischer Verdienstorden in Gold“
  • 1962: „Ernst-Moritz-Arndt-Medaille
  • 1965: Goldmedaille für „Verdienste in der Rechtspflege“
  • 1967: „Held der Arbeit“
  • 1967: Ehrenbürgerschaft der Stadt Bernburg
  • 1972: Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold
  • 1977 und 1987: Karl-Marx-Orden
  • 1979: Verdiente Juristin der DDR
  • 1982: Orden „Stern der Völkerfreundschaft“ in Gold

Mitgliedschaften/Ämter

Hilde Benjamin war von 1949 bis 1967 Abgeordnete der Volkskammer und von 1949 bis 1953 Mitglied des Rechtsausschusses der Volkskammer. Ab April 1954 war sie (bis zu ihrem Tode 1989) ununterbrochen Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Familie

Aus ihrer Ehe mit Georg Benjamin hinterließ sie einen Sohn, Michael (geb. 27. Dezember 1932), der in Leningrad studierte und später an der DDR-Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdamm-Babelsberg Direktor deren Sektion II (Staatsrecht und Staatliche Leitung) war.

Hilde Benjamin verstarb am 18. April 1989 in Ost-Berlin. Sie wurde mit einem Staatsakt unter Teilnahme der Politbüromitglieder Egon Krenz, Erich Mielke und Alfred Neumann mit militärischen Ehren geehrt. Ihre Urne wurde in der Grabanlage Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.

Schriften

  • Georg Benjamin, Berlin 1978, ISBN 3-7401-0105-9
  • Geschichte der Rechtspflege (als Leiterin des Autorenkollektivs), Berlin 1976–1986
  • Reden und Aufsätze, Berlin 1982

Literatur

  • Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit, Essay, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1989, darin wird der Auftritt Benjamins bei einem Schauprozeß beschrieben
  • Andrea Feth: Hilde Benjamin – Eine Biographie, Berlin 1995, ISBN 3-87061-609-1 (Rezension)
  • Marianne Brentzel: Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902–1989, Ch. Links, Berlin 1997, ISBN 3-86153-139-9
  • Heike Wagner: Hilde Benjamin und die Stalinisierung der DDR-Justiz, Aachen 1999, ISBN 3-8265-5855-3
  • Heike Amos: Kommunistische Personalpolitik in der Justizverwaltung der SBZ/DDR (1945–1953): Vom liberalen Justizfachmann Eugen Schiffer über den Parteifunktionär Max Fechner zur kommunistischen Juristin Hilde Benjamin, in: Gerd Bender: Recht im Sozialismus: Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989), Frankfurt am Main 1999, Seiten 109–145, ISBN 3-465-02797-3
  • Andrea Feth: Hilde Benjamin (1902–1989), in: Neue Justiz, Heft 2/2002, S. 64–67
  • Zwischen Recht und Unrecht – Lebensläufe deutscher Juristen, Justizministerium NRW 2004, S. 144–146

Siehe auch

Verweise

Fußnoten

  1. Volkmar Schöneburg:Hilde Benjamin – Eine Biographie, in: UTOPIE kreativ Nr. 85/86, 1997, S. 114
  2. Georg Benjamin war der Bruder des Linksliteraten Walter Benjamin.
  3. Hilde Benjamin vertrat die Wirtin von Ali Höhler, dem Mörder Horst Wessels.
  4. In der Höhe der Zuwendungen gab es Unterschiede zwischen den „einfachen“ Verfolgten des Naziregimes und Trägern der Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus 1933 bis 1945. Die Ehrenrente betrug für „einfache“ Verfolgte des Naziregimes:
    • 1976: 1.000 Mark
    • 1985: 1.300 Mark
    • 1988: 1.400 Mark
    Die Ehrenrente betrug für Träger der Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus 1933 bis 1945:
    • 1976: 1.200 Mark
    • 1985: 1.500 Mark
    • 1988: 1.700 Mark
    Die Rente für „einfache“ Verfolgte des Naziregimes wurde 1992 in Bundesrecht übergeleitet.
  5. 1946 trat sie der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und von 1949 bis 1953 wirkte sie – nach Absolvierung eines „Volksrichterlehrgangs“ – als Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes der DDR.
  6. Nach dem Krieg bekleidete sie hohe juristische Posten in der sowjetischen Zone. Sie wurde Vizepräsidentin des obersten DDR-Gerichtshofes. In den 1950er Jahren leitete sie Schauprozesse, die mit „lebenslang“ und Todesstrafen endeten (Volksmund: „Die rote Guillotine“).
  7. Später war sie Vorsitzende in einer Reihe weiterer Schauprozesse gegen Oppositionelle, Sozialdemokraten und willkürlich angeklagte Personen und mitverantwortlich auch für Todesurteile (zahlreiche Verurteilte dieser Opfergruppen wurden nach der Teilvereinigung rehabilitiert).
  8. Charakterisierung im Lexikon „Prominente ohne Maske DDR“: Wegen ihrer brutalen Amtsführung in Schlüsselstellungen der DDR-„Justiz“ erhielt Hilde Benjamin im Volksmund den Beinamen die „Rote Guillotine“, „Rote Hilde“ oder „Blutige Hilde“. Sie führte den Vorsitz in zahlreichen Schauprozessen, die mit der Verhängung der Todesstrafe endeten.
  9. Benjamin schrieb als Leiterin der Gesetzgebungskommission das Gerichtsverfassungsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz und die Strafprozeßordnung von 1952 und 1963 als Vorsitzende der Kommission zur Ausarbeitung des neuen Strafgesetzbuches Rechtsgeschichte in der DDR.
  10. David Korn: Wer ist wer im Judentum?, FZ-Verlag, ISBN 3-924309-63-9
  11. Von 1967 bis zu ihrem Tod war sie „Professorin" und Leiterin an der DDR-Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften „Walter Ulbricht“ in Potsdam-Babelsberg.