Kontaktschuld
Kontaktschuld ist ein unredliches Mittel im Kampf gegen politische Gegner, Kritiker und Andersdenkende, das große Ähnlichkeit mit der Sippenhaft hat. Für den Vorwurf in der Art von Kontaktschuld bedarf es allerdings nicht einmal einer formalen Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es genügt, daß man im Umkreis angeblich fragwürdiger Gruppierungen bzw. Personen gesehen wurde, mit ihnen gesprochen hat oder sich positiv bzw. nicht genügend negativ über sie geäußert hat.
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Das Prinzip
In einer Auseinandersetzung, die eigentlich in der Sache geführt werden sollte, weicht man thematisch auf vermeintliche oder tatsächliche Schwächen des Gegners aus, um diesen als Person oder Gruppe zu diskreditieren, damit man sich mit den Sachargumenten nicht länger befassen muß. Es ist eine auf gesellschaftlicher Ebene vollzogene Argumentationsvermeidung im Stile des Argumentum ad hominem.
Wenn man an der Person bzw. Gruppe des Gegners selbst keine hinreichend kritikwürdigen Aspekte aufzeigen oder glaubhaft behaupten kann, zeigt oder behauptet man, daß der Gegner Kontakt zu Personen oder Gruppen hat oder hatte, an denen man meint, kritikwürdige Aspekte aufzeigen zu können, bzw. die allgemein schon in der Kritik sind. Es wird unterstellt, daß der Gegner die gleichen Fehler haben muß, wie die Unperson, mit der er angeblich Kontakt hatte.
Formen des Kontaktes, die zum fabrizieren einer Kontaktschuld ausgenutzt werden können, sind unter anderem: Mit einer Person gesehen werden, mit einer Person gesprochen haben, gehört haben, daß man mit einer Person gesehen worden sei oder gesprochen hätte, eine Unperson gelobt haben oder eine Unperson bei der dafür angeblich üblichen Gelegenheit nicht oder nicht überzeugend kritisiert zu haben, im selben Medium wie die Unperson publiziert zu haben, während der selben Veranstaltung wie die Unperson aufgetreten zu sein, den selben sprachlichen Duktus wie die Unperson zu haben, die selbe Kritik wie die Unperson zu üben, in der selben Institution ausgebildet worden zu sein oder den selben Anwalt zu haben.
Nebeneffekt
Ein zumeist erwünschter Nebeneffekt bei der häufigen Benutzung von Kontaktschuldvorwürfen im öffentlichen Raum ist die Reaktion der Bürger, die es vermeiden wollen, daß man ihnen eine ähnliche Kontaktschuld vorwirft. Um das zu erreichen, meiden sie den Kontakt mit angeblichen Unpersonen, was einem Erfolg im Sinne des Teile und herrsche ist. Die Bevölkerung spaltet sich so in beliebig viele Lager auf, die nicht mehr miteinander kommunizieren und leicht gegeneinander aufgehetzt werden können. Da jedes Individuum in einer komplexen Welt eine individuelle Meinung hat, kann man so ein ganzes Volk atomisieren.
Als nächsten Schritt kann man dann das unerfüllte Bedürfnis der Einzelnen nach Zugehörigkeit dahingegen kanalisieren, daß man die eine und einzige Gruppe schafft, die öffentlich legitimiert wird und in der sich dann das Volk sammeln kann und in eine beliebige Richtung gelenkt werden kann. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Intiative „Fridays For Future“.
Im Öffentlichen Bewußtsein der BRD
Der Begriff selber kommt in der öffentlichen Auseinandersetzung fast nicht vor, im Gegensatz zu Framing. Lediglich zur Zeit der RAF und der Berufsverbote von vermeintlichen oder tatsächlichen Kommunisten im Staatsdienst wurde der Begriff manchmal in der Berichterstattung erwähnt. Selbst das DWDS hat bis heute keinen expliziten Eintrag dazu.[1] Der Duden-Online bietet an, sich lieber über "kontaktschale" zu informieren und streitet jede [Existenz der] Kontaktschuld ab,[2] kann aber zwischen Sippenhaft und Sippenhaftung durchaus differenzieren. Meyers Konversations-Lexikon kennt auch in der 9. Auflage keine Kontaktschuld.
Das Prinzip der Kontaktschuld wird hingegen ungefähr seit der Jahrtausendwende mit geradezu exponentieller Steigerung der Häufigkeit in allen Massenmedien, die deutschsprachige Wikipedia voran, angewendet. Zum Beispiel war die Berichterstattung über „Fridays for Hubraum“ in den ersten beiden Wochen vollkommen von der Rede über „rechtspopulistische“ Beiträge dominiert, obwohl bei einer Mitgliederzahl von einer halben Million weniger als 1.000 Mitglieder derartiges geschrieben hatten, also < 0,2 %, und sich die Administration bei jeder Gelegenheit davon distanzierte. Nachdem die AfD positive Worte für Fridays For Hubraum fand, wurde die Medienlandschaft erneut mit Berichten überschwemmt, die der Gruppe eine Kontaktschuld mit der „rechtspopulistischen“ Partei anhängten. Das Denunzieren mittels Kontaktschuld wird von den BRD-Systemmedien ausgiebig und in zahllosen Zusammenhängen eingesetzt.