Schlacht an der Marne (1914)

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Rückzugskarte der 1.–3. deutschen Armee
(unten links auf der Karte ist bereits Paris zu sehen)

Die Schlacht an der Marne fand im Ersten Weltkrieg vom 5. bis 12. September 1914 statt. Sie war der wohl entscheidende taktische Fehler von deutscher Seite bei Kriegsbeginn und sollte sich auf den gesamten weiteren Verlauf des Zweiten Dreißigjährigen Krieges gegen Deutschland auswirken mit den entsprechend weitreichenden Folgen bis zur endgültigen Zerstörung Deutschlands im Jahre 1945.

„Auch hier wurde um die europäische Kultur gerungen, und in der Schlacht an der Marne ist das Schicksal Europas für Jahrhunderte entschieden worden. Die europäischen Völker werden Mühe haben, sich von den Folgen der Schlacht an der Marne zu erholen. Darin liegt die Tragik für beide Partner, die sich an der Marne einer taktisch unentschiedenen, strategisch und militärpolitisch von den wichtigsten Konsequenzen gefolgten Schlacht, beidseits in Einzelkämpfen erfolgreich gegenüber standen, dass sie um dasselbe Ziel, die Erhaltung der von fremden Völkern und andern Rassen bedrohten europäischen Kultur kämpfen mussten.“[1]

Vorgeschichte

Eine Bezeichnung für das Schlachtgeschehen, das sich zwischen Paris im Westen und Verden im Osten abspielte, etablierte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg zusammenfassend als (erste) Schlacht an der Marne.

Anders als in dem von Alfred Graf von Schlieffen (Todesrune.png 1913) ausgearbeiteten Verteidigungsplan waren die fünf deutschen Armeen nicht bis zur Kanalküste vorgestoßen um Paris westlich zu umfassen, sondern waren schon östlich von Paris nach Süden eingeschwenkt. Darüber hinaus schickte Helmuth von Moltke vier Divisionen der 2. und 3. Armee nach Ostpreußen zur Schlacht bei Tannenberg 1914, die dort niemand brauchte, von General Ludendorff abgelehnt wurden und zudem auch zu spät ankamen. Er schwächte damit entscheidend den in der Hauptrichtung handelnden rechten Flügel der 1. bis 3. Armee. Die Führer dieser Armeen waren:

„Während die Front sich auf die Somme zubewegte, sorgte sich Moltke seinerseits um die Lage der 8. Armee, die Ostpreußen gegen die Russen verteidigte. Das lenkte seine Aufmerksamkeit von den umfangreicheren und entscheidenderen Operationen im Westen ab. Da er nach der Einnahme von Namur eine Möglichkeit sah, Streitkräfte einzusparen, entschied er sich, die freigesetzten Truppen durch Deutschland an die Ostfront umzuleiten. Die 8. Armee wünschte keine Verstärkung durch das Garde-Reservekorps und das XI. Korps, und Ludendorff, ihr neu ernannter Stabschef, teilte dies am 28. August der OHL mit. Trotzdem wurden die Verstärkungen entsandt. Mittlerweile waren die im Westen vorrückenden Armeen weiter geschwächt: (...) Der Abzug von fünf Armeekorps - einem Siebtel des deutschen Heeres im Westen - aus der Kampflinie erleichterte Moltkes logistische Schwierigkeiten, die zunahmen, je mehr die deutschen Armeen sich auf dem überlasteten Straßennetz Paris näherten. Gleichwohl gilt: Eine überlegene Truppenmacht am entscheidenden Punkt ist ein Schlüssel zum Erfolg. Moltkes Truppenaufteilung machte eine deutsche Dominanz jedoch eher unwahrscheinlich. Er verringerte seine Chance, überlegene Kräfte zu konzentrieren, noch mehr, als er am 27. August die Flügelarmeen - Klucks 1. und Bülows 2. Armee - anwies, sich auseinanderzuziehen: (...) Am 28. August, einen Tag nach Moltkes Erlass, entschied Kluck eigenmächtig, seine Marschrichtung zu ändern und - ostwärts von Paris - nach Südosten vorzurücken; er begründete das damit, dass eine Bedrohung seitens der anscheinend kampfunfähigen BEF nicht mehr gegeben sei und dass die französische 5. Armee durch einen Vorstoß in ihre Flanke endgültig ausgeschaltet werden müsse. Moltke nahm diese Entscheidung Klucks hin, obwohl er ihm am 27. August unmissverständlich befohlen hatte, ‚westlich ... gegen die untere Seine‘ zu marschieren. Am 2. September ging Moltke noch einen Schritt weiter. In einem Funkspruch aus dem provisorischen Hauptquartier der OHL in Luxemburg teilte er der 1. und 2. Armee mit: ‚Absicht Oberster Heeresleitung, Franzosen in südöstlicher Richtung von Paris abzudrängen. 1. Armee folgt gestaffelt der 2. Armee und übernimmt weiterhin den Flankenschutz des Heeres.‘ Moltke nahm den Gang der Ereignisse eher hin als ihn noch selbst zu gestalten. Die 2. Armee hatte angehalten, um sich von den Kämpfen und den langen Märschen zu erholen. Die 1. Armee musste also, wenn sie ihr gestaffelt folgen sollte, ebenfalls pausieren.“[2]

Alexander von Kluck beschloß am 30. September, mit der 1. Armee nach Südosten umzuschwenken, da seine Männer für eine Umfassung von Paris mittlerweile zu erschöpft schienen. Die Männer hatten unter schweren Kämpfen bereits über 500 Kilometer zurückgelegt, wobei täglich bis zu 40 km in Gewaltmärschen bewältigt wurden. Damit ließ die 1. Armee jedoch Paris, wo sich gerade die 6. französische Armee formierte, rechts liegen und bot dem Gegner die offene Flanke. Am 31. August 1914 hatten die 1.–4. Armee eindeutig Südrichtung eingeschlagen, wofür die OHL dann nachträglich ihre Billigung gab. Am 2. September kam die Anweisung, nach Südosten umzuschwenken, wobei die 1. Armee der 2. Armee folgen sollte. Tatsächlich war die 1. Armee jedoch schon weiter voraus und hätte deshalb zwei Tage lang angehalten werden müssen. Deshalb entschloß sich Kluck, weiter nach Südosten vorzustoßen, wobei das westlich gelegene Paris ohne jede Umfassung als Operationsbasis dem Gegner verblieb. Am 4. September erkannte die OHL die Situation. Anstatt aber nun endlich nach Westen umschwenken zu lassen, um wieder die Initiative zu übernehmen, wurde ein passives Abwarten östlich von Paris angeordnet mit dem Ergebnis, daß die deutschen Kräfte sich immer weiter auseinanderzogen. Dies ermöglichte dem Gegner die Reorganisation seiner Truppen.

Verlauf

An der Marne direkt östlich vor Paris stießen die deutschen Armeen auf eine eilends zusammengestellte englisch-französische Streitmacht ohne weitere Befehle und konkrete Planungen. Die französische Führung sah die Möglichkeit, aus dem Raum Paris in die fast offene rechte Flanke des deutschen Heeres hineinzustoßen. Die Flankenbedrohung wurde vor allem vom Oberkommando der deutschen 1. Armee unterschätzt. Noch am 5. September ließ es den Vormarsch südlich der Marne fortsetzen. General von Kluck ließ nur schwache Deckungstruppen gegenüber Paris zurück und verfolgte ohne Rücksicht auf die bedrohte Flanke den zurückweichenden Gegner. Als er den gefährlichen Flankenangriff der französischen 6. Armee erkannte, brach er am 6. September den Vormarsch ab und warf die Masse seiner Armee in Eilmärschen nach Norden, um selbst den Gegner zu umfassen. An der so entstandenen Lücke in der Breite von 40 Kilometern ließ er nur Kavallerie zur Sicherung zurück. Der überraschende Zusammenprall erfolgte in dieser Lücke zwischen der 1. und 2. Deutschen Armee, die nicht mehr rechtzeitig geschlossen werden konnte. Erst in der Nacht zum 6. September erkannte die OHL die unmittelbare Gefahr eines Flankenangriffs und befahl den sofortigen Rückzug an den Ourcq. Die hier entbrennenden schweren Kämpfe (6.–9. September 1914) bildeten den eigentlichen Beginn der Marneschlacht. Insgesamt standen 40 deutsche Divisionen 66 gegnerischen gegenüber.[3]

Als die Verbände der Entente ab dem 8. September in die Lücke vorstießen, gab der Generalstabschef Helmuth von Moltke dann plötzlich den verhängnisvollen Befehl zum Abbruch der Schlacht. Oberstleutnant Richard Hentsch von der Obersten Heeresleitung schätzte die Lage vor Ort falsch ein. Als er 9. September mittags endlich das Hauptquartier der 1. Armee besuchte, vernahm er verblüfft, daß sich diese in vollem Angriff befand, ja daß man vor dem Sieg stehe und die Franzosen im Begriff seien, auf Paris zurückzuweichen. Er wußte nicht, daß zu diesem Zeitpunkt auch die 3. Armee erfolgreich angriff und den Durchbruch durch das Zentrum der Franzosen vor Augen hatte. Karl von Bülow, der über die Lage seines rechten Nachbarn im ungewissen war und nichts von dessen Erfolg wußte, brach am 9. September knapp vor 12 Uhr selbständig den Kampf der 2. Armee ab. Nachdem Hentsch beim Kommando der 1. Armee schwere Bedenken wegen der gefährlichen Lage auf dem rechten Heeresflügel erhoben hatte, brach auch diese Armee – ohne sich vorher mit dem Nachbarn beraten zu haben – ihren Angriff ab. Die Maßnahmen vom 9. September bedeuteten die Wende der Entscheidungsschlacht.

Die deutschen Truppen zogen sich daraufhin wieder rund 80 Kilometer bis hinter die Aisne zurück, der englisch-französische Gegner folgte nur zögernd. Am 11. September erhielten auch die anderen deutschen Armeen des rechten Flügels völlig überraschend den Befehl zum Rückzug.

Die Schlacht, die tagelang unentschieden hin- und herwogte, war das Resultat zweier verfehlter Feldzugspläne, taktischer Mißverständnisse und voreiligen Handelns von Einzelführern auf beiden Seiten. Gesiegt haben letztlich die besseren Nerven des französischen Oberbefehlshabers Joseph Joffre. Als Folge erstarrte der notwendige Bewegungskrieg nun zum überaus verlustreichen und zermürbenden Stellungskrieg, während Moltke zu spät durch Erich von Falkenhayn ersetzt wurde.

Die offizielle deutsche Meldung über diese schicksalhaften Tage lautete lapidar:[4]

Großes Hauptquartier, 12. September. (Priv.-Tel.)
„Als die rechte Flügelarmee östlich von Paris ankam, erfolgte am 5. September ein Ausfall starker französischer Kräfte aus Paris auf die Linie Crepy en Valois – Meaux. Dieser Ausfall, der bei den Franzosen durch sehr starke Artillerie, zum Teil durch aus Paris mitgeführte schwere Batterien gestützt wurde, wurde von den Deutschen zurückgeworfen, die auf Paris nachdrängten. Im Anschluß an diesen Ausfall erfolgte südöstlich von Paris ein Vorstoß sehr starker englischer und französischer Kräfte auf die Linie Meaux – Montmirail; auch diesem überlegenen Angriff hielten die deutschen Truppen stand, waren jedoch genötigt, ihren rechten Flügel zurückzubiegen. Der Angriff der Franzosen und Engländer war durch die hartnäckige Gegenwehr moralisch vollkommen zusammengebrochen, so daß die Deutschen ihre rückwärtige Bewegung am rechten Flügel ausführten, ohne daß die Franzosen nachdrängten. Die erste deutsche Armee allein nahm trotzdem 4.000 Gefangene und 50 Geschütze mit. Von den anderen Armeen liegen hierüber noch keine Berichte vor. Die schwersten Kämpfe spielten sich am Abschnitt des Petit Morin ab.“

Der Vorgang ist bis heute ungeklärt:

„Die Verblüffung über den plötzlichen Rückzug war bei Freund und Feind gleichermaßen groß. Erst einige Zeit später – Wochen – wurde aus dem angeordneten deutschen Rückzug auf dem Papier die ‚Erste Marneschlacht‘. Sieger war Joffre, der, zeitlich passend, ja am 4. September die Poilus mit dem Taxi aus Paris direkt an die Marne fahren ließ. Am 09.09.1914, 12.00 h, zogen sich die Deutschen zurück. Die Briten standen zu diesem Zeitpunkt 8 km nördlich der Marne; kein Franzose hatte die Marne überschritten. Eine Verfolgung der deutschen Armeen fand nicht statt. Der spätere Marschall Sir Douglas Haig, der mit seinen Truppen ain der Nähe stand, erklärte später, von einer ‚Marneschlacht‘ nichts bemerkt zu haben.
Hentsch ist schuld – in einer Armee, wo man kein Paar Stiefel oder eiserne Portion ohne ein Stück Papier erhält, ist es sehr bemerkenswert, daß der Oberstleutnant den Befehl mündlich gab, weil er von der OHL keine schriftliche Vollmacht hatte, und die Generale ihn ausführten, ohne nach einer Vollmacht zu fragen. Das führte später zu unwürdigen Diskussionen bei der Bewertung des Vorganges, und alle Beteilgten lieferten später ihre eigene Version der Geschichte.
Hentsch behauptete immer, mündlich von Moltke Vollmacht erhalten zu haben, Moltke hingegen bestritt dies. Moltke verstarb im Juni 1916, Hentsch im Februar 1918. Von der OHL wurde Hentsch 1917 nach einer Untersuchung von allen Vorwürfen freigesprochen, die Meinungen hierzu waren jedoch geteilt. Für einige taugte er noch lange gut als Sündenbock.
Setzen wir voraus, was wohl wahrscheinlich ist, daß Hentsch nicht aus eigenem Antrieb massiv und mit erheblichen Folgen in die Kriegsführung eingriff, muß man sich natürlich fragen, wie es um die Organisation und Qualität der OHL und die der beteiligten Armeeführer bestellt war. Generäle, die von Oberstleutnanten mündliche Befehle annehmen, und hinterher die Chutzpe haben, sich als Opfer einer Täuschung hinzustellen. Ein Generalstabschef, der Generalstabsoffiziere ohne schriftlichen Befehl oder Vollmacht mit mündlichem Auftrag an die Front schickt, und hinterher keine Verantwortung übernimmt.“[5]

Zitate

  • „Nicht die gewaltigen Leistungen und Opfer der Truppe haben die Schlacht entschieden. Die Marneschlacht war keine Soldatenschlacht, sondern eine Generalsschlacht! Nicht der deutsche Soldat ist an der Marne besiegt worden, sondern die deutsche Generalität. (...) Die Ironie ist, daß dabei der Allerblindeste, bis zum Schluß in seinen Irrtümern Unerschütterliche (Joffre) sich dem Klügeren, Selbstkritischeren, Tiefersehenden (Moltke) schließlich überlegen erweist.“Sebastian Haffner

Literatur

Kolbe - Die Marneschlacht.jpg

Verweise

Fußnoten

  1. Eugen Bircher: „Die Schlacht an der Marne“
  2. John Keegan: Der Erste Weltkrieg, eine europäische Tragödie; S. 159f.
  3. Andere Quellen sprechen von ungefähr einem Drittel Überlegenheit zugunsten des Gegners
  4. zitiert auf: Stahlgewitter.com
  5. Das Wunder an der Marne