Auerbach, Philipp
Philipp Auerbach ( 8. Dezember 1906 in Hamburg; 16. August 1952 durch Suizid in München) war ein jüdischer Politiker, Kaufmann und Chemie-Fabrikant. Er war Leiter des bayerischen Landesentschädigungsamtes, Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats der Juden sowie Staatskommissar in Bayern. Er entdeckte mit außerordentlichem Einfallsreichtum Möglichkeiten des Wiedergutmachungsbetruges und entzog sich der strafrechtlichen Ahndung seiner Gaunereien durch Selbstmord nach der Urteilsverkündung.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Philipp Auerbach wurde am 8. Dezember 1906 als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Nach dem Schulbesuch war er als Industriechemiker, Kaufmann und leitender Direktor im Rheinland tätig.[1] Zur Weimarer Zeit war er Mitglied in etlichen jüdischen Gemeinden, der DDP und beim „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ aktiv. 1934 ging er mit seiner Familie nach Belgien. Dort baute er sich eine chemische Fabrik und eine Import- und Exportfirma auf, die zeitweise bis zu 2.000 Mitarbeiter hatten. Durch Lieferung von Benzin, Chemikalien und anderem unterstützte Auerbach die Roten im Spanischen Bürgerkrieg.
Im Jahre 1940 wurde er in Frankreich verhaftet, nach Berlin überführt, dort wegen angeblichen Hoch - und Landesverrates wie er angab zum Tode verurteilt und in das Lager Auschwitz verbracht. Hier verwendete man Auerbach als „Lager-Desinfektor“ und er stellte dort u.a. laut seiner Aussage im Wilhelmstrassen-Prozess in Nürnberg (Presse vom 8. März 1948) Seife für den persönlichen Gebrauch Hitlers her.[2] Im Frühjahr 1945 vertauschte er das Lager Auschwitz mit dem KZ Buchenwald, wo er im Mai 1945 von den Angloamerikanern befreit wurde. Seine Eindrücke aus den Jahren in Auschwitz veröffentlichte er kurz nach dem Kriege in dem Buche „Ich bin der Mann,d er Elend sah“.[2]
In den ersten Monaten nach dem Zusammenbruch war Auerbach zeitweise Oberregierungsrat bei der nordrheinisch-westfälischen Regierung in Düsseldorf. Sein eigenständiges Vorgehen bei der sogenannten „Entnazifizierung“ brachte ihn in Misskredit bei der britischen Militärbehörde. Unter dem Vorwurf etwa der Undiszipliniertheit und des unberechtigten Führens eines akademischen Grades wurde er am 15. Januar 1946 entlassen.
Auerbach stieg zum Führer der jüdischen Gemeinde Bayerns auf. Er trat in die SPD ein und wurde im September 1946 vom bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) zum „Staatskommissar für rassisch-, religiös- und politisch Verfolgte“ berufen. Als solcher übte er Ende Februar 1948 scharfe Kritik am Entnazifizierungswesen. Er engagierte sich in zahlreichen jüdischen und anderen „Verfolgtenorganisationen“ wie der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Er war Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland. Auerbach war einer der bekanntesten Vertreter des auf deutschem Boden lebenden Judentums in der Nachkriegszeit und „Promotor der Wiedergutmachung“.[3]
Auerbach verstand sein Wiedergutmachungskonzept, das in den ersten Jahren nicht nur von der US-Militärregierung in Bayern, sondern auch von der bayerischen Staatsregierung (zuerst unter Führung der SPD, dann der CSU) unterstützt wurde, sehr umfassend, seine Behörde leistete vielfältige unbürokratische Hilfe. Sie ermöglichten etwa 80.000 jüdischen Displaced Persons (DPs)[4] die Auswanderung aus Deutschland. Auerbach prangerte öffentlich antisemitische Tendenzen und Missstände bei der Entnazifizierung an und machte sich damit zur Zielscheibe von Kritik, oft auch anonymer Pamphlete. Er wurde einerseits als selbstherrlich, machtgierig und cholerisch beschrieben, andererseits auch als hilfsbereit, gutmütig und selbstlos. Problematisch erweist sich Auerbachs Doppelrolle, die zu Loyalitätskonflikten führte: Er vertrat den bayerischen Staat und war zudem Interessenvertreter von einzelnen Opfergruppen, insbesondere der überlebenden Juden.[5]
Ende Oktober 1948 legte er nach schweren Differenzen mit dem bayerischen Justizminister Müller (CSU), der Auerbach wegen seines Auftretens für das Wiederaufleben des Antisemitismus mitverantwortlich gemacht hatte, sein Amt nieder und übernahm die Aufgaben eines Generalanwalts für die Wiedergutmachung. Nach Erlass des Entschädigungsgesetzes, das am 4. August 1949 von der Militärregierung genehmigt wurde und der Bildung des Landesentschädigungsamtes wurde Auerbach schließlich am 20. November 1949 durch Finanzminister Hans Georg Kraus zum Präsidenten dieser Behörde ernannt.[2]
Wegen zahlreicher Delikte wie Unterschlagung, Betrug, Untreue, unberechtigtem Führen eines Doktor-Titels wurde Auerbach 1952 von einer Münchner Strafkammer zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.[6] Vor Haftantritt verübte er Suizid. Hintergrund: Er hatte mit Kumpanen Wiedergutmachungsbetrug in großem Stile betrieben. Seine Wiedergutmachungsgaunereien führten 1951 zur Dienstenthebung und Verhaftung. Gleichwohl schrieb die „Allgemeine Jüdische Wochenzeitung“ am 27. Mai 1988 (soeben waren die Wiedergutmachungsbetrügereien des langjährigen jüdischen Zentralratsvorsitzenden Werner Nachmann aufgeflogen):
- „Wenn die zukünftigen Generationen in den Annalen der Nachkriegsgeschichte der Juden in Deutschland blättern werden, wird ihr Blick länger als üblich beim Kapitel Dr. Philipp Auerbach verweilen. Mit Staunen und Achtung werden sie das Wirken des Mannes betrachten, dessen Name untrennbar mit der Wiedergutmachung des NS-Unrechts verbunden ist.“[6]
Kommentar der »Deutschen Rehabilitierung e.V.«:
- »Jedenfalls war Auerbach der Träger und Verfechter der Wiedergutmachung. Wenn jetzt Milliarden an Israel als Entschädigung gezahlt werden, dann ist die Arbeit Philipp Auerbachs belohnt. Denn er ist derjenige, der den Boden hierfür vorbereitet hat.«
„Auerbach-Prozess“
Ende Januar 1951 wurde erstmals bekannt, daß gegen Auerbach im Zusammenhang mit Vorgängen in dem ihm unterstellten Amt ein Ermittlungsverfahren im Gange sei. Anfang Februar richtete weiterhin Josef Müller als bayerischer Justizminister vor dem Landtag schwere Vorwürfe gegen Auerbach. Ein Dienstaufsichtsverfahren hatte alsbald seine Entlassung aus dem Staatsdienst zur Folge mit der Begründung, daß er in seiner Amtsführung seinen Verpflichtungen als Behördenleiter nicht nachgekommen sei.[2]
Im Zusammenhang mit weiteren Ermittlungen wurde Auerbach am 9. März 1951 verhaftet und ein Strafverfahren vorbereitet. Parallel mit dieser Voruntersuchung wurden die Vorgänge in der bayerischen Wiedergutmachungspolitik in monatelangen Verhandlungen vor dem Landtag und einem eigens gebildeten Untersuchungsausschuss verhandelt. Im Verlaufe der Sitzungen des Ausschusses wurden auch scharfe Angriffe gegen Justizminister Müller vorgebracht, die schließlich am 26. Mai 1952 seinen Rücktritt nach sich zogen. Während der Untersuchungshaft erkrankte Auerbach mehrfach, so daß seine Haftfähigkeit wiederholt in Frage stand. Mitte April 1951 wurde offiziell ein Selbstmordversuch Auerbachs bekanntgegeben.[2]
Erst am 14. April 1952 wurde der mit großer Spannung erwartete Prozess gegen Auerbach vor dem Landgericht München I eröffnet. In der Anklage wurden ihm u.a. Betrug, Unterschlagung, Verletzung der Amtspflicht, unbefugte Titelführung und unrechtmäßige Auszahlung von Wiedergutmachungsgeldern vorgeworfen. Der Angeklagte wurde durch die Rechtsanwälte Joseph Panholzer und Joseph Klibansky verteidigt, griff jedoch auch selbst mit teilweise außerordentlich scharfen Einwürfen in die Verhandlung ein. Während des sich bis in den August hin erstreckenden Prozessverlaufes kam es zu sehr erregten Wortgefechten zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidigung. Das Bemühen der Richter um eine objektive Prüfung und Beurteilung der Sachlage wurde jedoch allgemein anerkannt.[7]
Der Prozess wurde nach fünfmonatiger Dauer am 14. August 1952 mit der Verurteilung Auerbachs zu zweieinhalb Jahren Gefängnis abgeschlossen. Das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Mulzer befand ihn zahlreicher Delikte, wie Unterschlagung, Betrug, Untreue und unberechtigte Führung eines akademischen Grades für schuldig, sprach ihn jedoch in einer ganzen Reihe von anderen Anklagepunkten frei und berücksichtigte die unbestreitbaren Verdienste um die Wiedergutmachung und seine schweren Lebensschicksale bei der Bemessung des Strafmaßes. Die Mitangeklagten, der Landesrabbiner Aaron Ohrenstein und Hoenig-Ohnsorg erhielten je ein Jahr Gefängnis, während der frühere Leiter der Rechtsabteilung des Landesentschädigungsamtes, Konirsch, zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt wurde.[8] Philipp Auerbach nahm gegen das Urteil in scharfen Worten Stellung und kündigte an, Revision einlegen zu wollen. Umso mehr überraschte die Mitteilung, daß er unter Hinterlassung eines Briefes durch Überdosierung eines Schlafmittels noch in der Nacht nach der Urteilsverkündung Selbstmord beging. Das dramatische Ende dieses Prozesses gab der gesamten Presse Anlass zu nachdenklichen Ausführungen über die verwirrten Verhältnisse der Nachkriegszeit auf welche dieses Verfahren scharfe Schlaglichter geworfen hatte. Die Beisetzung Auerbachs erfolgte am 18. August 1952 auf dem jüdischen Friedhof in München.[2] Zwei Jahre später rehabilitiert ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages Philipp Auerbach.