Feuerbach, Paul Johann Anselm von

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Prof. Dr. phil. et jur. Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach; das Mitglied des Geheimen Rats, später Staatsrat, war seit 1808 Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Kurzbiographie: Dr. phil. (1795), Dr. jur. (1799), Prof. in Jena (1801), Kiel (1802) und Landshut (1804). Begründer der modernen Staatsrechtslehre und Kriminalpsychologie. 1805 Geheimer Referendar, 1808 Wirklicher Geheimer (Staats-)Rat in München (Regierung). 1814 Zweiter Präsident des Appellationsgerichts in Bamberg, 1817 Erster Präsident des Appellationsgerichts für den Rezat-Kreis zu Ansbach.

Paul Johann Anselm Feuerbach, seit 1808 Ritter von Feuerbach (Lebensrune.png 14. November 1775 in Hainichen bei Jena, Heiliges Römisches Reich; Todesrune.png 29. Mai 1833 in Frankfurt am Main, Deutscher Bund), war ein deutscher Rechtsgelehrter. Er gilt als Begründer der modernen deutschen Strafrechtslehre, der psychologischen Abschreckungstheorie und ist Schöpfer des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813. Bekannt geworden ist Anselm von Feuerbach auch als Obervormund und Gönner von Kaspar Hauser, über den er 1832 das Buch Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen veröffentlichte.

Werdegang

Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach II.jpg

Allgemeine Deutsche Biographie

Paul Johann Anselm v. F., der Begründer der neuen deutschen Strafrechtswissenschaft, gleich groß als Lehrer, Schriftsteller und Gesetzgeber, wurde am 14. November 1775 zu Hainichen bei Jena, der Heimath der Mutter, geboren; bald darauf siedelte jedoch der Vater Dr. jur. Anselm F.[1] mit seiner Familie nach Frankfurt am Main über, wo er Advocat wurde und der junge Anselm seine Knabenzeit verlebte, die durch die harte Zucht des pedantischen, schrullenhaften Vaters – derselbe erscheint in manchen seiner Züge wie ein Zerrbild des Vaters Goethe – für den hochbegabten, wissensdurstigen, aber fast krankhaft reizbaren Sohn zu einem Martyrium wurde. Der ehrgeizige Jüngling ertrug das Joch nicht länger, und in förmlicher Flucht aus dem Vaterhause kam der kaum Sechzehnjährige abgerissen, verhungert, elend und krank bei den Verwandten seiner Mutter, einer Enkelin des in seiner Zeit berühmten Juristen Samuel Brunnquell, in Jena an (1792). Aber in Jena, wo F. mit kärglicher Unterstützung seiner Verwandten das Studium begann, war damals [732] das Recht nicht mehr die beherrschende Disciplin. Die Kant’sche Philosophie hatte dort ihren Thron aufgeschlagen und Reinhold war der Verkündiger der neuen Lehre. Als sich das Interesse des denkfähigen Theils der Nation an Rosenkreuzern und Goldmachern, an Mystikern, Geistersehern und Schwindlern verzettelte und weder die Religion der Väter, noch die Sitte der Zeitgenossen dem unwürdigen Treiben Zügel anlegten, trat rettend die Kant’sche Welt- und Lebensanschauung auf, und der ehrenfeste Bau seiner Rechts- und Sittenlehre führte Jünglinge und Männer auf den rechten Weg zurück. F. stürzte sich mit jugendlicher Begeisterung ganz in die neue Lehre, und an dem Lehrer Reinhold hing er mit inniger, fast kindiicher Verehrung, wie vielfache Aeußerungen aus damaliger und späterer Zeit beweisen. Und in der That auch an ihm, in seinem Denken sowol als Handeln, hat sich die Kant’sche Schulung bewährt. Weder die Hülflosigkeit der äußeren Lage, noch schwere Krankheit, die ihn heimsuchte, konnte seinen Feuereifer und Wissensdurst bändigen. Schon nach drei Jahren, während der er um des lieben Lebens willen verschiedene Male als Schriftsteller über philosophische Gegenstände aufgetreten war (in Meißner’s Zeitschrift Apollo), ward er zwanzigjährig zum Doctor der Philosophie promovirt. Leider konnte sein schöner Traum, als Docent der Philosophie und ihr ausschließlich gewidmet die Lehren Kant’s und Reinhold’s weiter zu führen, nicht in Erfüllung gehen. Der Vater, zu dem sich ein halbwegs erträgliches Verhältniß wiederhergestellt hatte, drang auf die Ergreifung der Jurisprudenz als praktischen Lebensberuf; er selbst hatte Ehrenpflichten, die eine im jugendlichen Leichtsinn geschlossene Verbindung ihm auferlegte, zu erfüllen. Mit entschlossenem Muthe, wenn auch nach schwerem Kampfe, ward der Doctor der Philosophie Student der Rechte – ein Gebiet, für das er nicht die geringste Neigung empfand. In einem 1820 an seinen ältesten Sohn Anselm geschriebenen Briefe finden sich über diesen Wendepunkt in Feuerbach’s Leben und für das ganze Wesen des Mannes so charakteristische Aeußerungen, daß dieselben auch in einer noch so zusammengedrängten Lebensskizze einen Platz verdienen. Es galt damals den, wie alle Kinder Feuerbach’s, genial angelegten Sohn von dem seinem Naturell gefährlichen, aber seiner damaligen krankhaften Neigung zum Mysticismus sich einschmeichelnden Studium der Theologie abzulenken und für die classische Philologie und Kunstgeschichte, ein Feld, wo der Autor des „Vaticanischen Apollo“ später so hervorragte, zu gewinnen. In diesem Briefe heißt es: „Wie der Gedanke an Pflicht und Nothwendigkeit selbst gegen innere Neigung zu begeistern vermag, wie man selbst in einem unserer Lust gar nicht zusagenden Fache ausgezeichnet werden kann, wenn man nur ernstlich will und es sich etwas Mühe kosten läßt, wenn man nicht blos den Gelüsten nachgeht, sondern vor allem auch durch die ernste Pflicht sich führen läßt, die bald freundlich uns lächelt und für unseren Schweiß uns lohnt – dafür kann ich Dir mein eigenes Beispiel nennen. Die Jurisprudenz war mir von meiner frühesten Jugend an in der Seele zuwider; und auch noch jetzt bin ich von ihr als Wissenschaft nicht angezogen. Auf Geschichte und besonders Philosophie war ausschließend meine Liebe gerichtet. Meine ganze erste Universitätszeit war allein diesen Lieblingen gewidmet. Ich dachte Nichts als sie, glaubte nicht leben zu können ohne sie. Ich hatte schon den philosophischen Doctorgrad genommen, um als Lehrer der Philosophie aufzutreten. Aber siehe – da wurde ich mit Deiner Mutter bekannt. Es galt ein Fach zu ergreifen, das schneller als die Philosophie Amt und Einnahmen bringe. Da wandte ich mich mit raschem, aber festem Entschluß von meiner geliebten Philosophie zur abstoßenden Jurisprudenz. Sie wurde mir bald minder unangenehm, weil ich wußte, daß ich sie liebgewinnen müsse; und so gelang es meiner Unverdrossenheit, meinem durch die bloße Pflicht begeisterten [733] Muth bei verhältnißmäßig beschränkten Talenten, – daß ich schon nach zwei Jahren den Lehrstuhl besteigen, meine Zwangs-, Noth- und Brotwissenschaft durch Schriften bereichern und so einen Standpunkt fassen konnte, von welchem ich rasch zu Ruhm und äußerem Glück mich emporgeschwungen und von der Mitwelt das laute Zeugniß gewonnen habe, daß mein Leben der Menschheit nützlich gewesen ist. Was wäre aus mir geworden, wenn ich blos der Lust und Laune nachgegangen wäre, wenn jedes Hinderniß mich erschreckt und muthlos gemacht, wenn ich dann die Hände in den Schoß gelegt und geweint und gewinselt und auf Gottes Hülfe von außen her gewartet hätte. Gottes Hülfe kommt von der eigenen Kraft und That, zu welcher er uns aufruft durch die innere Stimme, in welcher er stets gegenwärtig sich uns offenbart, durch die heilige Stimme des Gewissens und der Pflicht.“ Gleichviel ob diese Gesinnung angeborene Festigkeit des Charakters oder die Frucht seines philosophischen Standpunkts war – der gepreßte Jünger der Themis fand, wie er selbst hervorhebt, bald den goldenen Boden seines neuen Handwerks. Freilich hatte er auch, ehe seine Habilitation erfolgen konnte, Weib und Kind zu ernähren, aber als Studirender – lernend und lehrend zugleich, trotz seiner mit 50 Thalern unternommenen Heirath den frohen Muth des Schaffens nie verlierend, trat er sehr bald mit seinen juristischen Erstlingsschriften auf dieselbe hohe Stufe, welche auf seine ersten philosophischen die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Unter den letzteren ragt namentlich die Abhandlung „Kritik des natürlichen Rechts als Propädeutik zu einer Wissenschaft des natürlichen Rechts“ (1796) durch Formvollendung und die scharfe grundsätzliche Scheidung zwischen Moral- und Rechtsgebiet hervor, wodurch allein schon ein Wendepunkt in der Wissenschaft von Recht und Staat bezeichnet wird, dessen Anzweifelung erst neuerdings in der sogenannten ethischen Volkswirthschaftslehre unglücklich genug versucht worden ist. Wenn die gedachte Schrift gleichsam seinen Uebergang von der Philosophie zur Rechtswissenschaft vorbereitete, behandelte er schon in seiner juristischen Inauguraldissertation „De causis mitigandi ex capite impeditae libertatis“ eine der schwierigsten und bis dahin vernachlässigten Einzellehren seiner neuen Wissenschaft. Zwei weitere Schriften: „Ueber die Grenzen der höchsten Gewalt“, eine Polemik gegen die Hobbes’sche Theorie, und seine „Philosophisch-juristische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverraths“ bewiesen, daß es ihm, wie er seinem Vater in Aussicht gestellt, „ein Leichtes gewesen, bald in der Jurisprudenz das zu werden, was er in der Philosophie geworden“. Das J. 1799, in welchem F. sich habilitirte, ist gleichfalls der Zeitpunkt, wo sein Epoche machendes, wie man mit Recht gesagt hat, den Wendepunkt der ganzen deutschen Strafrechtswissenschaft begründendes Werk „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“ erschien. Im ersten Jahre des Jahrhunderts folgte der zweite Theil desselben Werkes und 1801 das weltberühmte „Lehrbuch des peinlichen Rechts“, das ein halbes Jahrhundert hindurch die Theorie und Praxis beherrscht hat. Neben diesen eminenten schriftstellerischen Leistungen war auch seine akademische Thätigkeit ebenso energisch und von bunter Vielseitigkeit. Das heute vorwaltende Princip der Arbeitstheilung in der Wissenschaft war damals noch nicht maßgebend und F. hielt Vorlesungen über Theorie und Praxis, Civilrecht, Staatsrecht und Strafrecht. Rasche Anerkennung blieb nicht aus; die Ernennung zum außerordentlichen Professor, die Designation zur Professur des Lehnrechts – eine Sinecure ohne Arbeit, aber leider auch ohne Gehalt – war alles, was Jena zunächst bieten konnte, allein substantieller waren Anfragen und Anträge von Erlangen und Landshut. F. hatte erwartet, zum ordentlichen Professor der Institutionen in Jena ernannt zu werden, diese Stelle erhielt jedoch Thibaut, damals in Kiel, der dann F. als seinen Nachfolger an der schleswig-holsteinischen [734] Landesuniversität vorschlug. Da, wie F. seinem Vater schrieb und hier als die damalige ökonomische Lage deutscher Professoren bezeichnend erwähnenswerth ist, die „Nutritoren“ Jena’s ihm nur 150 Thaler Jahresgehalt geben konnten oder wollten, nahm er den Ruf nach Kiel als ordentlicher Professor der Rechte und Syndicus der Universität an und siedelte Ostern 1802 dahin über. Eine Schwäche des genialen Mannes, sich durch äußeren Eindruck rasch bestimmen und verstimmen zu lassen, tritt schon in dem raschen Wechsel der anfänglichen Lobeserhebungen und der späteren abfälligen Urtheile über Land und Leute des neuen Aufenthaltes hervor. Bereitwillig folgte er bei dieser Stimmung einem Ruf als kurpfalzbaierischer Hofrath und Professor nach Landshut, nachdem er, wie er selbst bekennt, während des zweijährigen Aufenthaltes in Kiel bei der Ausarbeitung neuer Vorlesungen über Institutionen, Pandekten und Hermeneutik des Rechts, Civilrecht eigentlich erst gelernt hatte. In Baiern hatte man einen besonderen Grund gehabt, auf F. aufmerksam zu werden, da er den Kleinschrod’schen Entwurf eines Strafgesetzbuchs für die „kurpfalzbaierischen Staaten“ – so voll nahm man damals den Mund – einer genialen und gründlichen Kritik unterzogen hatte, nicht ohne zugleich anzudeuten, wie man es besser mache und welches die richtigen Anforderungen an den Gesetzgeber seien. Noch heutzutage sind die darin aufgestellten Lehren der Gesetzgebungspolitik classisch zu nennen, und es war eine gerechte Anerkennung, daß F. schon gleich nach seiner Ankunft in Landshut den Regierungsauftrag zur Ausarbeitung eines selbständigen Entwurfs erhielt. In Landshut war freilich auch seines Bleibens nicht lange. Uebelgesinnte neidische Collegen, an ihrer Spitze der begabte, aber charakterlose Gönner, der Gegensatz von Katholik und Protestant in einem Landestheil, wo bis zum Regierungsantritt des späteren Königs Max I. wie in Tirol der Ruhm der Glaubenseinheit strahlte, und der sich mit dem weiteren von Einheimischen und Fremden, wie noch einmal in einer späteren baierischen Epoche, verband, verleideten einem Manne wie F., der bis zur Krankhaftigkeit ehrgeizig und reizbar war, jedes unfreundliche Begegnen alsbald als Symptom des schwärzesten Hasses ansah und für die kleinen Nadelstiche und Widerwärtigkeiten jeder öffentlichen Stellung eine Empfindlichkeit bis aufs Mark zeigte, die Landshuter Umgebung sehr rasch. Wer schon bald nach der Ankunft daselbst schreiben konnte: „Die Verhältnisse der Professoren hier sind Verhältnisse von Teufeln, beinahe im eigentlichen Verstande, bei denen Roheit, Sittenlosigkeit, höllische Bosheit, Abgefeimtheit, Niederträchtigkeit, Gemeinheit vorwalten“, war selbst schwerlich immer Herr seines Temperaments. Bald kam es zwischen F. und Gönner zu einem gesellschaftlichen Zweikampf, der dadurch zum akademischen Skandal wurde, daß Gönner durch einen seiner Schüler bei einer Disputation die Feuerbach’schen Grundlehren lächerlich zu machen suchte. F. war in seiner Ehre so tief gekränkt, daß er auf der Stelle fort wollte, gleichviel wohin, doch gelang es dem freundlichen Zuspruche Friedrich Heinrich Jacobi’s, eines wie er nach Baiern „Berufenen“, ihn diesem Lande zu erhalten. Schon bei dem Auftrage, einen Strafgesetzentwurf auszuarbeiten, war ihm eine Thätigkeit im Justizministerium in Aussicht gestellt worden, jetzt Ende 1805 sagte er dem Lehrstuhl dauernd Lebewohl, um als Geheimer Referendar in die praktische Thätigkeit des Gesetzgebers überzutreten. Für den jetzt bald „königlichen“ Justizministerialbeamten gab es Arbeit genug. Zu der Abfassung des neuen Criminalgesetzbuchs kamen die Vorarbeiten für eine Nachbildung des Code civil, welche das ganze Königreich umfassen und der Zersplitterung des Civilrechts, an der Baiern heute noch mehr wie ein anderes deutsches Land krankt, ein Ende machen sollte, die Uebergangsgesetze für die vielen neuerworbenen Landestheile, die Entwerfung einer „Reichsconstitution“ für das Königreich, und als Vorarbeit und Quelle [735] für seine später herausgegebenen „Merkwürdigen Criminalrechtsfälle“ der Vortrag in der Gnadeninstanz bei dem König. Bemerkenswerth ist, daß F. die Ehre zu Theil wurde, das Gesetz über die Aufhebung der Tortur in Baiern – freilich erst 1806! – auszuarbeiten. Der gute König Max Joseph I. glaubte damit dem Verbrechen Thür und Thor geöffnet, wenn er auch der besseren Ueberzeugung seines Geh. Referendars nachgab; dagegen mußte dieser darauf eingehen, daß das betreffende Edict vom 7. Juli 1806 nicht öffentlich bekannt gemacht, sondern nur den Gerichten unter der Hand zur Befolgung mitgetheilt wurde. Der wohlwollende Monarch ließ es seinerseits weder an Ehren noch an Belohnungen (F. wurde 1806 ordentliches Mitglied des Justizministeriums, 1808 Geheimer Rath, später 1825 Staatsrath) fehlen, aber auch hier verdarben die sonstige Umgebung und Feuerbach’s eigenes Temperament ihm die lautersten Früchte eines männlichen Strebens in einer friedlichen Häuslichkeit und einem treuen Freundeskreise. Der Kampf entgegengesetzter politischer und kirchlicher Richtungen, der schon in Landshut getobt, nahm in der Hauptstadt München einen noch schrofferen Charakter an. Es war die Zeit des Ministeriums Montgelas, der Anklagen und Denunciationen Aretin’s, und während F. im baierischen Staatsrathe als Demokrat angesehen wurde, weil er – wenn der Code civil im wesentlichen eingeführt werden sollte – auf Beibehaltung seiner Person und Eigenthum von den Fesseln des Feudalstaats freimachenden Grundprincipien bestand, mußte er sich mit den übrigen hervorragenden Protestanten in Baiern der politischen Conspiration mit Oesterreich und dem Erzherzog Karl zeihen lassen. Dazu kam der politische Druck der Napoleonischen Herrschaft, der in den Rheinbundsstaaten kaum weniger fühlbar war, als in den förmlich französischen Provinzen, und F. war nach der ersten Jugendbegeisterung ein überzeugter Gegner des neuen Weltherrschers geworden. Um das Maß des Uebels vollzumachen, ward noch Gönner, der alte Gegner Feuerbach’s, ins Ministerium gerufen und unter anderem mit der Begutachtung und Oberprüfung des Feuerbach’schen Strafgesetzentwurfs betraut. Trotzdem und wenn auch, wie er selbst einmal klagt, „seine schönsten Ideen im Geheimen Rathe zu Boden fielen“, – ist doch das 1813 publicirte „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern“, besonders in seinem ersten, das materielle Strafrecht behandelnden Theile, – Feuerbach’s eigenstes Werk. Ihn selbst, der dem Vaterland mit der ganzen Feuergluth seines Wesens anhing, ergriff damals mächtig das Weltschauspiel des deutschen Befreiungskampfes, wie er in den ersten Schlachten des J. 1813 begann. Aber Baiern war noch an den Imperator gekettet und selbst als sich das französische Bündniß zu lockern begann, waren am Hofe und in den Ministerien Einflüsse beherrschend, welche vom deutschen Freiheitssiege Alles befürchteten. In diese schwüle Stimmung, wo kaum der Vertrag von Ried geschlossen worden, kaum die Schlacht bei Leipzig, die man aber in Baiern nicht feiern durfte, geschlagen war, schmetterte F. seine herrliche Flugschrift „Ueber die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europa’s“, die nur durch eine Ueberlistung der Censur das Licht der Welt erblickte, aber in um so weiteren Kreisen zündete. Wer diesen Feuerbach’schen Appell an unser Volk mit den übrigen litterarischen Erzeugnissen des Freiheitskampfes vergleicht, findet darin nichts von dem manchmal fast cynisch auftretenden Nationalhaß gegen das französische Volk, wie er aus langen Jahren unsäglichen Druckes und frevelhafter Herabwürdigung geboren war. Mit dem deutschen Patrioten, der über das befreite Vaterland jubelt, geht der ernste Denker Hand in Hand, der in nichts desto weniger hinreißender und begeisternder Sprache die Versündigung des Napoleonischen Regiments an der Menschennatur und dem Wohle aller Nationen brandmarkt. Niemals vergißt F. darauf hinzuweisen, wie diese Weltherrschaft vor allem durch die Mißstände und die [736] Verknöcherung des alten Systems ermöglicht wurde. Die mittelalterlichen Gefühlsphantastereien so mancher würdiger Vorkämpfer der Befreiungszeit fanden bei ihm keine Stätte, der seine Schrift mit den Worten schließt: „Die Gegenwart mit ihren Erscheinungen verkündigt nicht eine Rückkehr zur alten Zeit, sondern nur die Fortsetzung und Entwicklung einer schon lange begonnenen neuen Zeit.“ Feuerbach’s Auftreten wurde, wie die Dinge noch lagen, begreiflicher Weise höheren Ortes übel vermerkt und seine Entfernung von München war schon beschlossene Sache, als er nach der Einnahme von Paris eine zweite und dritte Flugschrift aussandte: „Die Weltherrschaft ein Grab der Menschheit“, – eine vortreffliche Erläuterung dieses Satzes – und etwas später „Ueber teutsche Freiheit und Vertretung teutscher Völker durch Landstände“, bestimmt auf den Wiener Congreß einzuwirken und besonders ausgezeichnet durch die glänzende Widerlegung jener falschen Souveränetätslehre, wie sie die Rheinbundsfürsten zum Theil gegen ihre Unterthanen praktisch gemacht, um in der eigenen Tyrannei die eigene Knechtschaft unter dem Fremdherrscher vergessen zu lassen. Bald darauf wurde F. als zweiter Präsident des Appellationsgerichts nach Bamberg – wie er selbst sagt, in ein glänzendes Exil versetzt. Auch hier gab es wieder unangenehme Händel, da seine Stellung nicht bis ins Einzelne geregelt war und der gekränkte Mann sich nicht in der Stimmung befand, auch nur anscheinendes oder geringfügiges Unrecht über sich ergehen zu lassen. 1816 fand er endlich als wirklicher Präsident des Appellationsgerichts zu Ansbach einen verhältnißmäßig friedlichen Hafen für seine Thätigkeit, und schon die Eröffnungsrede, womit er sich bei dem Gerichtshof einführte, ist in der Form ebenso musterhaft, als sie im Inhalt den höchsten Anforderungen entspricht und in ihrer Darlegung der hohen Pflichten des Richteramts für alle Zeiten mustergültig bleiben wird. Hier wirkte er in der Fülle seiner Geistesgaben, umgeben von seinen aufblühenden alle geistig hervorragenden Söhnen und mit regem Antheil an allem, was in Baiern und Deutschland vor sich ging, worunter freilich in der nächsten Zeit des Erfreulichen nicht viel war. In dem durch Savigny’s berühmte Schrift hervorgerufenen Streit über den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung stand der Verfasser des baierischen Strafgesetzbuchs selbstverständlich nicht bei den Ungläubigen und Zweiflern. Seine darüber 1816 erschienene Schrift schlägt den Gegner mit dessen eigenen Waffen, indem sie nachweist, auf welchen Wegen und durch welche Kräfte das römische Recht zu seiner Vollendung gelangt ist. Es heißt da u. a.: „Auch in Rom waren es nicht Theoretiker, am wenigsten historische Rechtsgelehrte im Sinne einer deutschen Schule, sondern vom Geiste der Philosophie beseelte, mit scharfem Weltverstand gerüstete, an den Brüsten der Erfahrung genährte, in der Uebung des thätigen Lebens gewandte Staats- und Geschäftsmänner, welche den Bau ausgeführt, der, wiewol er nicht für uns entworfen, folglich für uns nicht durchaus bequem und wohnlich ist, doch stets ein Gegenstand höchster Achtung und Bewunderung bleiben wird.“ Mit Recht hebt ein neuerer Schriftsteller hervor, daß es fast wie Ironie klingt, wenn Savigny einer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung absprach, „wo das größte legislatorische Talent, das Deutschland je besessen, mitten in kräftigster Wirksamkeit stand“. Feuerbach’s Briefe aus dieser Periode, besonders an Tiedge und Elise v. d. Recke, mit denen er in einem fast schwärmerisch zu nennenden Freundschaftsbunde stand, sowie verschiedene oft von der glücklichsten Satire und dem treffendsten Humor eingegebene, dann wieder mit der ganzen Wucht heiligen Ernstes wirkende Schriften und Aufsätze beweisen, wie sehr F. an den Kämpfen gegen das baierische Concordat und die beabsichtigte Verconsistorialisirung der protestantischen Kirchenverfassung in Baiern lebendigen Antheil nahm; so ist er z. B. Verfasser der „Darstellung der Religionsbeschwerden der Protestanten in Baiern im J. 1822“. [737] Durch die neuesten kirchlichen Wirren und das Vorgehen der Curie sind die Einzelheiten dieser Bewegung der Gegenwart wieder näher getreten, aber nirgendwo findet man schneidigere Waffen gegen die Anmaßungen des Priesterthums beider Bekenntnisse als in diesen Feuerbach’schen Schriften. Wie mächtig und gewandt er die Geißel der Satire zu schwingen verstand, beweist u. a. die „Unterthänige Bitte und Vorstellung der gefangenen Gerechtigkeit an eine hohe Ständeversammlung zu Y.“ aus dem J. 1819. Den darin vertretenen Forderungen der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit widmete er 1821 die gleichnamige größere Schrift, das Beste, was zu Gunsten dieser beiden Grundpfeiler einer gesunden Rechtspflege je geschrieben worden ist, und eine im gleichen Jahr im Auftrag der Regierung unternommene Reise nach Frankreich hatte als Frucht das 1825 erschienene Werk „Ueber die Gerichtsverfassung und das praktische Verfahren Frankreichs“, nachdem er schon 1812 eine wichtige Einzelinstitution daraus, das Geschwornengericht, in der Schrift „Betrachtungen über das Geschwornengericht“ scharfsinnig gewürdigt hatte. An dem Fonk’schen Processe, welcher bald darauf ganz Deutschland in Spannung hielt, und an den sich das Schicksal des Geschworneninstituts im Rheinland knüpfen zu sollen schien, nahm auch F. das regste Interesse. Noch heute ist das Räthsel nicht gelöst und Jedem steht es frei, sich entweder für die übereinstimmenden zwei Verdicte der Geschwornen, welche den Kaufmann Fonk und seinen Küfer Hamacher des Meuchelmords schuldig fanden, oder für die königl. Cabinetsordre, welche beide freisprach, zu entscheiden. F., wenn er auch nicht in der zur Bibliothek sich thürmenden Litteratur des Processes Fonk erscheint, sprach sich lebhaft für die Unschuld des Verurtheilten aus; seitdem ist die entgegengesetzte Ueberzeugung die überwiegende geworden. Viel unmittelbarer an ihn herantretend und ein förmliches Ereigniß in seinem eigenen Leben war das Mysterium von Kaspar Hauser, welches in seiner ersten Scene in dem benachbarten Nürnberg ans Licht trat und in Ansbach selbst mit dem räthselhaften Tode des Fremdlings in Nacht zurücksank. In einer besonderen Schrift „Kaspar Hauser, Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben“, 1832, suchte er dem Gegenstande eine eigenthümliche rechtliche Seite abzugewinnen, während er in einem Memoire für die Königin Karoline von Baiern die Theorie, welche er als Schlüssel zum thatsächlichen Räthsel aufgestellt hat, am vollständigsten entwickelt (das Memoire ist abgedruckt in „Feuerbach’s Leben und Wirken“, II. Bd. 319 ff.). Mit wie viel Scharfsinn auch darin der Nachweis versucht wird, daß Hauser der rechtmäßige Thronerbe Badens gewesen, so liegt doch glaubhafte Kunde dafür vor, daß F. selbst in dem Glauben an diesen Zusammenhang erschüttert worden war. Die jüngsten amtlichen rückhaltlosen Veröffentlichungen der badischen Regierung, hervorgerufen durch das von Zeit zu Zeit wiederkehrende Auftauchen der alten Sage, haben den vollen Ungrund und die thatsächliche Unmöglichkeit des von F. und Anderen angenommenen Zusammenhangs dargethan, aber wer Kaspar Hauser und woher er war, bleibt auch heute noch eine unbeantwortete Frage. Um so entschiedener muß man den geradezu frevelhaften Versuch zurückweisen, der leider in neuester Zeit gemacht worden ist, F. in dieser Frage als den wider besseres Wissen schreibenden gedungenen Schergen der baierischen Begehrlichkeit nach dem Lande Baden hinzustellen. Jede Ader, jeder Zug in Wesen und Charakter des Mannes widerspricht und widerlegt eine solche schmachvolle Verleumdung seines Andenkens. Es ist die Umkehr der anderen Beschuldigung, wonach F. wegen seiner Aufdeckung des von ihm geistreich und scharfsinnig, wie in all’ seinen Arbeiten, entwickelten Zusammenhangs durch Mörderhand gefallen sein sollte. Leider trat der Anlaß zu diesem Gerüchte nur allzubald ein. Der Körper Feuerbach’s hatte schon früh Anzeichen gegeben, daß [738] der Feuerstrom der Leidenschaft und des Schaffensdrangs in ihm das Bette zu sprengen drohte und die gewaltige Aufregung, in welche das Geschick Hauser’s F. versetzte und fortwährend erhielt, wirkte rasch verzehrend – und in diesem Sinne ist etwas Wahres an jenem Gerüchte – an seinen Lebenskräften. Vorher war es ihm jedoch noch vergönnt gewesen, in der fast völlig neuen Bearbeitung der „Merkwürdigen Criminalfälle“, die als actenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen (1828–29, 2 Bde.) erschienen, sein Lieblingswerk abzuschließen. Leider ging sein in den Schlußworten der Vorrede geäußerter Wunsch, „daß ihm bei hinreichender Muße die wohlthätigste der Gracien gewogen bleibe, welche dem Geiste gewährt, was ihr Name verheißt: Euphrosyne“, nicht ganz in Erfüllung. Körperleiden schwerer Art hinderten die Arbeitskraft, wenn sie auch den Arbeitsdrang nicht bändigten. Den allzufrühen Abend seines allem Guten und Großen gewidmeten Lebens erheiterte noch neben manchen schmerzlichen Familienerlebnissen die Wahrnehmung, daß alle seine Söhne (es waren fünf; außerdem drei Töchter) den Stempel der väterlichen Begabung trugen und zu hervorragenden Leistungen auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft heranreiften. Er selbst schreibt im März 1833 an seine in Frankfurt wohnende Schwester: „Eigentliche Geistesarbeiten, wozu man die Feder braucht, kann ich gar nicht mehr verrichten, bin also, wie Du mich kennst, schon ein halb todter Mann!“ Schon früher wird in dem Briefwechsel, sogar mit seinen Kindern, die zierliche feste Handschrift des Vaters durch die geistlose Formrichtigkeit des Schreibers ersetzt, und eine krampfhaft hingezuckte Chiffre vertritt die Stelle des „von Feuerbach“, wie es stattlich und selbstbewußt in den früheren Briefen erscheint. Ein Besuch in seiner Vaterstadt Frankfurt schien noch einmal die alte Lebenskraft wachzurufen, aber es war der Sonnenglanz vor dem Untergehen. Am 29. Mai 1833 machte dort ein wiederholter Schlaganfall seiner irdischen Laufbahn ein Ende und dieser plötzliche Tod gab besonders den obenerwähnten Gerüchten Anlaß und Nahrung. Er selbst wußte, daß sein Ende nahe, wollte aber – so lautet die Familientradition – in einer eigenthümlichen Version des Ne ossa quidem „den Ansbachern nicht das Vergnügen einer Präsidentenleiche gönnen“. So schläft er denn in der Heimath seiner Kinderjahre den ewigen Schlaf.[2]

Familie

Dr. phil. Feuerbach heiratete 1798 in Jena seine Verlobte Eva Wilhelmine Marie Tröster (1774–1852). Ihr Vater, der Dornburger Schloßvogt Ernst Tröster, war ein natürlicher Sohn des Herzogs Ernst August von Sachsen-Weimar. Feuerbach hatte mit der Herzogsenkelin fünf Söhne, die sich alle durch wissenschaftliche Tätigkeit auf verschiedenen Gebieten ausgezeichnet haben, und drei Töchter:

Zitate

  • „Darum ist Selbstständigkeit der Völker, souveraine Freiheit der Staaten, in welchen sie leben, als erste Bedingung alles eigenthümlichen Seyns, das heiligste Palladium der Menschenwürde und der Persönlichkeit eines jeden Volkes [...]“ — „Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit“, 1814, S. 16 f.
  • „Es ist die Absicht der Natur, daß die Menschheit in mannigfaltigen Volksgeschlechtern blühe und jedes Volk in seiner Eigenthümlichkeit und originellen Verschiedenheit sich zu allem dem entwickele und ausbilde, was es nach seinen ihm besondern Anlagen und Kräften werden kann und darum auch werden soll. Nicht in einförmigem Einerlei, sondern in unergründlicher Mannigfaltigkeit, im unendlichen Reichthum der Formen und Gestalten, in der endlosen Verschiedenheit der Bildungen offenbart sich der grosse Weltgeist, wie in der leblosen, so in der lebenden Natur“. — „Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit“, 1814, S. 14 f.
  • „Zudem liegt es in der Natur, daß in Verbindung gebrachte ungleichartige Theile einander gegenseitig abstossen, unablässig nach Absonderung streben und dadurch dem Ganzen, dessen Theile sie geworden, stets mit Auflösung drohen. Darum ist das Gleichmachen einer der ersten Grundsätze in dem Plane des Welteroberers.“ — „Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit“, 1814, S. 18

Werke (Auswahl)

  • Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit (PDF-Datei)
  • Über die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europens (PDF-Datei)
  • Kaspar Hauser: Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen (PDF-Datei)
  • Kritik des natürlichen Rechts (PDF-Datei)
  • Betrachtungen über die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege (PDF-Datei)
  • Anselms von Feuerbach kleine Schriften vermischten Inhalts (1833) (PDF-Datei)
  • Aktenmässige Darstellung merkwürdiger Verbrechen (1828) (PDF-Datei)
  • Lehrbuch des Gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts (1812) (PDF-Datei)

Literatur

  • Ludwig Feuerbach: Anselm Ritter von Feuerbach's Leben und Wirken (PDF-Dateien):
  • Max Grünhut: Anselm v. Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung (1922) (PDF-Datei)
  • Joseph Breuer: Die politische Gesinnung und Wirksamkeit des Kriminalisten Anselm von Feuerbach (PDF-Datei)

Verweise

Fußnoten

  1. Johann Anselm Feuerbach (Lebensrune.png 19. Februar 1755; Todesrune.png 1. März 1827), Dr. utr. jur., Advokat in Frankfurt/Main, verheiratet mit 1) Sophie Sibylle Christina Krause aus Jena, geb. 18. Aug. 1751, gest. 20. Sept. 1797 in Frankfurt/M., sieben gemeinsame Kinder, 2) Magdalena Christina Wecker (Zweitehe blieb kinderlos).
  2. Feuerbach, Anselm von (Jurist), in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 731–745