Politische Mitte
Die Politische Mitte bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch eine vage politische Positionierung. In der BRD und der BRÖ sowie der deutschen Schweiz wird der Begriff zumeist verwendet, um sich als systemkonformer Teil des etablierten und weitgehend gleichförmigen Parteiensystems oder als Vertreter einer besonders ausgeprägten politischen „Korrektheit“ zu kennzeichnen. Wichtig ist den neuzeitlichen Vertretern dieser „politischen Mitte“ hierbei, sich explizit vom sogenannten „Extremismus“ zu distanzieren, wobei dieser mittlerweile weitgehend identisch mit „Rechtsextremismus“ geworden ist. Die „politische Mitte“ der Gegenwart greift hierbei nicht auf eigene Ideale und Überzeugungen zurück, sondern positioniert sich immer dort, wo aktuell die „Mitte“ vermutet wird. Diese „Mitte“ ist somit keineswegs ein fester, eigener Standpunkt, sondern jederzeit beweglich. In den letzten Jahrzehnten bewegte sich die Mitte, dem antideutschen Zeitgeist folgend, immer weiter nach links und vertritt mittlerweile Positionen, die von ihr selbst noch vor wenigen Jahrzehnten ohne weiteres als „linksextrem“ bezeichnet worden wären. Die neuzeitliche politische „Mitte“ kann von daher auch als politischer Opportunismus oder Zeitgeist-Opportunismus bezeichnet werden, derer sich von dessen Vertretern bedient wird, um politikfremde, egoistische Ziele, wie z. B. persönliche Karriere oder Bereicherung, zu verfolgen.
In die Geschichte tritt der Begriff der „politischen Mitte“ mit den Anfängen des Parlamentarismus, also seit der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts und der Revolution von 1848/49 in Deutschland. Dort, und in der Zeit des 19. Jahrhunderts stellte sich der Begriff aber noch differenter und teilweise auch charakterstärker dar, als dies heutzutage der Fall ist.
Inhaltsverzeichnis
Artikel aus dem staatspolitischen Handbuch
Folgender Text stammt aus dem Staatspolitischen Handbuch, Band 1: Begriffe. |
Mitte ist wie »Linke« und »Rechte« eine räumliche Bezeichnung, die ins Ideologische übertragen wurde. Die M. bezogen in der französischen Nationalversammlung 1789 jene Abgeordneten, die als Gemäßigte weder den Radikalen noch den Königstreuen zuzurechnen waren. Diese auf Ausgleich gehende Tendenz hat allerdings schon im zweiten Parlament der Revolutionszeit die Grenzen ihrer Wirksamkeit gezeigt, als man zwischen dem jakobinischen »Berg« (am oberen Rand des Halbrunds der Sitze) und der girondistischen »Ebene« (am unteren Rand) nur noch den »Sumpf« der Opportunisten ausmachte, die sich einmal hierhin, einmal dorthin wandten, je nachdem, wo sie die stärkeren Kräfte vermuteten. Die (kluge) Ablehnung der Extreme einerseits, die (feige) Unselbständigkeit gegenüber den Mächtigen andererseits kennzeichnen seither die politische M., die im 19. wie im 20. Jahrhundert vor allem durch den Liberalismus oder allgemeiner die bürgerlichen Parteien bestimmt wurde. Diese Ambivalenz hat der Anziehungskraft in Zeiten der Ruhe nie geschadet, wenn die Mehrheit, ohne auf die Möglichkeit des Ernstfalls Gedanken zu verwenden, nach einer Position der Ruhe sucht, die ihrer unpolitischen Neigung möglichst entgegenkommt. Das erklärt hinreichend die starke Tendenz der etablierten politischen Gruppierungen zur Bildung von immer »neuen M.«. Dabei soll gar nicht geleugnet werden, daß auch die Tradition der politischen Philosophie viel zugunsten der M. zu sagen wußte. Für Aristoteles vor allem ging es darum, eine Verfassung der M. zu entwerfen, in der man die Einseitigkeiten der Monarchie wie der Anarchie vermied und Rechtsgleichheit wie Sicherheit verbürgt sehen konnte. Diese Art von Demokratie – ursprünglich »Isonomie« genannt – verkörperte seiner Meinung nach die beste denkbare Ordnung der Polis überhaupt. Die M. war nach Meinung des Aristoteles auch maßgeblich für das richtige ethische Verhalten, eine Vorstellung, in der ihm Epikuräer und Stoiker ebenso folgten wie die christliche Sittenlehre. Es besteht hier eine deutliche Berührung mit der populären Idee der »rechten M.« und des »goldenen Mittelweges«, und gleichzeitig wird die begründete Kritik all derjenigen herausgefordert, die ahnen oder wissen, daß die Etablierung einer solchen, sich als maßvoll und pragmatisch dünkenden, M. regelmäßig das Zur-Herrschaft-Kommen des Mittelmaßes bedeutet. |
Zitate
- „Der Preis, welcher der politischen Opposition gegen das Mittelmaß für ihre Leistung abverlangt wird, ist hoch. Daß der Staat auf sie mit den klassischen Methoden der Einschüchterung und Repression vorgeht, ist in einem Land mit unseren Traditionen wohl unvermeidlich. Schwerer fällt ins Gewicht, daß sich das radikale politische Denken und Handeln, seiner eigenen Logik zufolge, in einem bisher unbekannten Ausmaß von der Mehrheit isoliert.“ - Hans Magnus Enzensberger
- „Der Wille zur Mitte ist der greisenhafte Wunsch nach Ruhe um jeden Preis, nach Verschweizerung der Nationen, nach geschichtlicher Abdankung, mit der man sich einbildet, den Schlägen der Geschichte entronnen zu sein.“ - Oswald Spengler[1]
Siehe auch
Literatur
- Hans Magnus Enzensberger: Mittelmaß und Wahn, zuletzt Frankfurt a.M. 2005
- Josef Schüßlburner: Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte, Edition Antaios 2010