Rothschild, Guy de
Baron Guy Édouard Alphonse Paul de Rothschild (* 21. Mai 1909 in Paris, Frankreich; † 12. Juni 2007 ebenda) war ein jüdischer Bankier, Unternehmer und Mäzen sowie Mitglied der Bankiersdynastie Rothschild.[1] Er leitete von 1967 bis 1979 die Familienbank mit Sitz in Paris. Zu den Konzernen die er dirigierte, gehörten u. a. der Rohstoff-Multi Rio Tinto Zink Company und die Holding Imétal (Uran usw.).
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Herkunft
Guy Edouard Alphonse Paul Baron de Rothschild, gehörte zum französischen Zweig der jüdischen Bankier-Dynastie Rothschild. Stammvater Mayer Amschel Rothschild (1743-1812),[2] Rothschilds Ur-Urgroßvater Amschel Moses Rothschild († 1755), hatte es vermocht, aus dem Frankfurter Judenviertel, vom Geldwechsler und Pfandleiher zum Vermögensverwalter regionaler Adliger aufzusteigen. Er wickelte bald europaweit Geschäfte ab, profitierte von neuen Konstellationen und Akteuren der Revolutionsära und nutzte Spekulationen und den Kapitalbedarf während der Napoleonischen Kriege. Die Söhne - Mayer Amschel, Nathan, Jakob, Salomon und Karl - leiteten jeweils einzelne Bankhäuser, wie in Frankfurt sowie die Neugründungen in Wien, Paris, London und Neapel. Formell operierten die Rothschilds selbstständig, sie gewannen aber durch die Kontakte untereinander einen bedeutsamen Wissensvorsprung (Insiderhandel), nicht zuletzt an den Börsen. Die Familie entwickelte sich seinerzeit zum größten Geldgeber für die Herrscher in Europa. Hierfür legte bereits Mayer Amschel die Wurzeln, indem er in seinem Testament festhielt, dass nur männliche Nachkommen in die Firma eintreten dürfen und die (jüdischen) Rothschilds nur Juden heiraten dürfen.[3] (Siehe: Nachfahren Mayer Amschel Rothschilds)
Der weitere Aufstieg vollzog sich als Financiers der Industrialisierung und des Eisenbahnbaus. Wesensmerkmale für die Familie, die 1822 vom österreichischen Kaiser in Wien den Adelstitel erhielt, wurden die Diskretion nach außen, Heiraten innerhalb der weit verzweigten Dynastie und ein gutes Auskommen mit den Mächtigen. „Keine andere Familie hat [...] Bank- und Börsenwesen in ganz Europa so vollkommen beherrscht, kein Financier, von den Fuggers bis zu John Pierpont Morgan, hatte jemals eine solche Zahl von Fürsten und Staaten auf seinen Schuldnerlisten stehen [...]“ (Richard Lewinsohn).
Neuere Forschungen wie die von Niall Ferguson, der Zugang zu den Familien-Archiven bekam, relativierten freilich die tatsächliche Bedeutung der kolportierten politischen Macht.[4] Noch im 19. Jahrhundert ging der Einfluss der Rothschilds zurück. So erloschen die Zweige in Neapel (1861), Frankfurt (1901) und Wien (1938), und um 1900 rissen die Bande einer gemeinsamen Familienpolitik zwischen London und Paris. Als Nachteil erwiesen sich auch die fehlende Präsenz in den USA und das Aufkommen von Aktiengesellschaften als Quelle für den Kapitalbedarf der Industrie.[5]
Den französischen Zweig hatte Baron Jakob (James) de Rothschild gegründet, der ab 1812 die Präsenz in Paris aufgebaut hatte. Dessen Sohn und Enkel (das war Rothschilds Vater Baron Edouard de Rothschild) leiteten über Jahrzehnte das Consistoire Central, die offizielle Interessenvertretung der Juden in Frankreich. Guy de Rothschilds Mutter Germaine Alice, geb. Halphen, entstammte einer jüdischen Bankiersfamilie. Neben einem 1911 verstorbenen Bruder hatte Guy de Rothschild zwei Schwestern.[5]
Ausbildung
Guy de Rothschild wuchs auf dem Familiensitz Château de Ferrières bei Paris auf und wurde gemäß der familiären Tradition erzogen, die nicht nur eine sozial-kulturelle Verpflichtung des Reichtums betonte, sondern auch eine gewisse Eleganz des Lebens, die sich weniger in Luxus als im Stil äußerte. Allerdings besuchte Guy de Rothschild nicht Internate, sondern öffentliche, wenn auch exklusive Gymnasien, nämlich die Lycées Condorcet und Louis-le-Grand in Paris. Danach folgte eine Offiziersausbildung an der Militär-Akademie in Saumur. An der Sorbonne absolvierte Guy de Rothschild Studien in Jura und Literatur, die er mit der Licence en droit abschloss.[5]
Wirken
1931 trat Guy de Rothschild in den Familien-Konzern ein. Dessen Kern bildete die 1812 von James de Rothschild gegründete Bank Messieurs Rothschild Frères. Für Guy de Rothschilds Vater waren auch der vormalige Staatspräsident Raymond Poincaré und ein Cousin, der spätere Regierungschef René Mayer tätig. Als die linke Volksfrontregierung 1937/1938 alle privaten Eisenbahnfirmen (darunter die Rothschildsche Compagnie du Nord, vormals Chemin de Fer du Nord) zu Gunsten der staatlichen SNCF nationalisierte, sahen sich die Rothschilds dem ersten fundamentalen Eingriff des Staates in ihr Eigentum gegenüber. Guy de Rothschilds Vater fasste daraufhin die übrigen Industriebeteiligungen in der Compagnie du Nord als nunmehrige Holding zusammen.
Guy de Rothschild wurde 1939 als Hauptmann der Reserve[6] eingezogen und zeichnete sich 1940 vor der Niederlage Frankreichs aus. Im Zweiten Weltkrieg setzte er sich zuerst nach England ab. Die französische Vichy-Regierung beschlagnahmte 1940 die Besitztümer der Rothschilds[2] und sprach Guy de Rothschilds Vater, der mit der Familie in die VSA gegangen war, die Staatsbürgerschaft ab. Ab 1941 hielt sich Baron Guy in den USA auf.[2]
Nach drei Jahren im amerikanischen Exil fuhr Guy de Rothschild 1943 nach London - sein Schiff wurde torpediert, und er erst nach zwölf Stunden aus dem Atlantik gerettet. Guy de Rothschild schloss sich den "Forces Françaises Libres" General Charles de Gaulles an und wurde Ausbilder, vor allem von Verbindungsoffizieren. 1944 kehrte er im Troß de Gaulles nach Frankreich zurück. Allerdings setzte de Gaulle im Zuge des seinerzeit in der Politik dominierenden Konzepts einer staatlich gelenkten Wirtschaft umfassende Nationalisierungen um. De Gaulle verstaatlichte 1944 einen Teil des Rothschild- Besitzes,[7] so in den Rothschilds Feldern Versicherungen und Elektrizitätsversorgung.
Nach dem Krieg baute Guy das Rothschild-Bankwesen wieder auf. 1949, nach dem Tod des Vaters, wurde Guy de Rothschild Oberhaupt des Pariser Hauses Rothschild. 1949 wurde er Chef der Rothschild-Bank, der größten Privatbank in Frankreich,[2] die bald Industriebereiche in aller Welt kontrollierte. Er wurde ein einflussreicher Bankier mit einem weiten Beziehungsnetz.
Bei Frankreichs damals größter Privatbank, der Rothschild Frères, wurden seine jüngeren Cousins Elie und Alain mit je 25 Prozent Teilhaber. Die Bank trat neben Transaktionen für die eigenen Beteiligungen auch in der Vermögensverwaltung für Dritte und als Investor hervor. Die drei Cousins gewannen Teile der 1940 verlorenen Rothschild-Aktivitäten zurück und trugen über die Bank mit Investitionskrediten und Firmenfinanzierungen ihren Teil zum französischen Wirtschaftswunder ("Trente Glorieuses") bei. Ab 1961 arbeiteten dank Guy de Rothschilds Initiative das Pariser Bankhaus und das Stammhaus des Londoner Zweigs, die Bank N. M. Rothschild & Sons, wieder enger zusammen und gründeten die gemeinsame Institution Second Continuation. Das Pariser Stammhaus, die Messieurs Rothschild Frères, wandelte die Familie 1967 von einer Personen- in eine Aktiengesellschaft (Banque Rothschild) um. Einer Guy de Rothschilds wichtigsten nicht-jüdischer Mitarbeiter war bis 1961 Georges Pompidou,[2] der ab 1962 als Regierungschef und ab 1969 als Staatspräsident wirtschaftsliberale Akzente setzte.
Neuordnungen setzte Guy de Rothschild auch bei den Beteiligungen über die Compagnie du Nord sowie die Société d'investissement du Nord um. Zum Einflussbereich Guy de Rothschilds gehörten Firmen weltweit, darunter die Rio Tinto Zinc Company, ein maßgebliches und mit den Londoner Rothschilds beherrschtes Bergbau-Unternehmen (Kupfer, Aluminium, Eisenerze) sowie die beiden Rohstoff-Förderer Société le Nickel und die Société Minière et Métallurgique de Peñarroya SA (viertgrößter Erzeuger von Blei und Zink). Hinzu kamen zeitweilig vier Erdölgesellschaften, eine Reederei sowie Touristik-Aktivitäten wie die Pim-Hotelkette, Versicherungen (darunter Anteile an Five Arrows) und Immobilienfirmen.
Wichtige Entwicklungen vollzog und begleitete Guy de Rothschild im Metallbereich, in dem er 1961-1979 die wesentlichen Firmen selbst führte. So ebnete er den Weg zu moderneren Verfahren und zur Weiterentwicklung von Fördergesellschaften zu Veredlern. Da die Firmen für den wachsenden und sich vernetzenden Weltmarkt als zu klein galten, vereinte Guy de Rothschild 1967 die Peñarroya - in einer Schachtel-Konstruktion unter Einbezug der Compagnie du Nord - mit Le Nickel, die bis dahin das Abbau-Monopol für Neu-Kaledonien besessen hatte, und schuf Europas größte Buntmetall-Gruppe in der Holding Le Nickel-Peñarroya. Diese übernahm 1970 die Firma Mokta (Uran, Mangan).
Die Gruppe wurde 1974 in die neu gegründete und von Rothschild bis 1979 geleitete Rothschild Imetal eingebracht, damals eine Gemeinschaftsfirma mit der SNPA, einer Tochter des nachmaligen Elf-Konzerns. 1975/1976 erreichte Guy de Rothschild - trotz antifranzösischer Opposition - den Erwerb von zunächst 67 Prozent und später aller Anteile am US-Metall-Verarbeiter Copperweld. Wenig später geriet das Buntmetall-Geschäft freilich in eine anhaltende Rezession. Daher gab Imetal später, 1986, die Mokta ab und vereinte die Peñarroya 1988 mit der NE-Metall-Sparte der Preussag in der Metaleurop, nunmehr Recylex. Imetal firmierte 1999 in Imerys um.
1976 verschaffte Guy de Rothschild der Banque Rothschild neues Kapital, indem die Compagnie du Nord 70 Prozent von deren Anteilen übernahm. Parallel zu diesen von Guy de Rothschild gesteuerten Rothschild-Aktivitäten war die Dynastie 1961-1988 über Guy de Rothschilds Cousin Edmond de Rothschild in der Touristik Alleineigner des Veranstalters Club Mediterranée. Ein anderer Vetter, Philippe de Rothschild, expandierte im Wein-Sektor (Chateau Mouton Rothschild). 1978 übernahm Guy de Rothschilds Sohn David die Leitung des Bankhauses. Die Banque Rothschild verbuchte 1980 eine Bilanzsumme von 13 Milliarden FF (etwa 5 Milliarden DM) und hatte 2.000 Angestellte. Der Industrie- und Handelssektor setzte 1980 rund 26 Milliarden FF (12 Milliarden DM) um.[8]
In den 1960er und 1970er Jahren war Guy de Rothschild ein einflussreicher Regierungsberater. Er unterhielt enge Beziehungen zu den französischen Präsidenten Charles de Gaulle und Georges Pompidou. Guy de Rothschild sprach sich vor den Wahlen 1981 für einen Machtwechsel und die Sozialisten (PS) aus. Unter Präsident Francois Mitterrand, den er zunächst unterstützt hatte, wurde die Banque Rothschild gleichwohl verstaatlicht. Da Guy de Rothschild die Bank 1976 mit der Compagnie du Nord verflochten hatte, verlor er 1982 bei Nationalisierung der Bank auch sämtliche nunmehr zu dieser gehörenden Beteiligungen. Die staatliche vollständige Entschädigung von 504 Millionen Franc (220 Millionen DM) enttäuschte. Immerhin blieben andere Interessen der Familie, darunter die Kontrolle über eine Bank in Zürich, die Beteiligungen Edmond Rothschilds sowie die Weingüter unangetastet.
Aus Protest gegen die Verstaatlichung seiner Bank unter Mitterrand emigrierte Guy de Rothschild aus Frankreich. Der sozialistische Präsident hatte die Nationalisierung des Geldinstitutes verfügt.[2] Guy de Rothschild und seine Frau kehrten Paris 1982 den Rücken, Guy de Rothschild verabschiedete sich mit einer saftigen Polemik in Le Monde („Juden unter Petain, Parias unter Mitterrand“) und ging nach New York, wo er die 1967 gegründete Investment-Bank Rothschild Inc. leitete.
Doch wenig später schon (noch in den 1980er Jahren) erhielt Rothschild die offizielle Erlaubnis, in Paris seine Bank neu zu gründen. David Rothschild hatte zwischenzeitlich 1984 eine neue Banklizenz erworben, ein Institut gegründet und dieses 1986 in Rothschild & Cie umfirmiert. Allerdings baute David Baron de Rothschild über diese Bank keine Beteiligungen mehr auf, sondern richtete diese als beratende Investmentbank und Vermögensverwalter aus. David Rothschild erreichte auch die Gründung einer gemeinsamen Holding mit den Londoner Rotschilds, die Groupe Rothschild.
Guy de Rothschild machte 1983 mit seinen Memoiren auf sich aufmerksam, in denen er mit vornehmer Ironie mit den Enteignungen unter François Mitterrand abrechnete. Danach folgten weitere Bücher. 1994 begingen er und weitere 80 Familienangehörige den 250. Geburtstag Mayer Amschel Rothschilds in Frankfurt.[5]
Familie
Guy de Rothschild war (in erster Ehe) ab 1937 mit Alix Hermine Jeannette Schey de Koromla (1911–1982), einer ungarischen Jüdin und Witwe eines Dresdner Geschäftsmanns, verheiratet. Aus dieser geschiedenen Ehe stammen sein 1942 geborener Sohn David René James und zwei Adoptivtöchter. Guy de Rothschild heiratete (in zweiter Ehe) 1957 die Katholikin Marie-Hélène, geborene de Zuylen de Nyevelt van de Haar (1927–1996), Tochter eines holländischen Diplomaten und einer Ägypterin. Damit heiratete er als erster Rothschild außerhalb seines Glaubens. 1957 wurde sein Sohn Édouard de Rothschild geboren. Marie-Hélène setzte über Guy de Rothschilds Mäzenatentum und die Kunstförderung Akzente. So ließ sie Château de Ferrières renovieren, das Guy de Rothschild 1973 der Universität Paris schenkte, und gestaltete das 1975 erworbene Hôtel Lambert auf der Île Saint Louis (Paris) als Domizil, adäquaten Ort für die Kunstsammlungen und Ort legendärer Gesellschaften. 1996 verstarb sie 69-jährig nach langer Krankheit.
Guy de Rothschilds Sohn David wurde 1969 entführt. Das Lösegeld wählte Guy de Rothschild in so kleinen Scheinen, dass der große Sack dem Kidnapper zum Verhängnis wurde. David heiratete 1974 die italienische Prinzessin Olimpia Aldobrandini. Die Trauung in Reux (Normandie) vollzog Davids Mutter als dortige Bürgermeisterin. Große Teile seiner Kunstsammlung, die im Krieg nach Deutschland gebracht worden war (6.000 Objekte in 23 Eisenbahnwaggons) ließ Guy de Rothschild zuletzt freilich versteigern. Guy de Rothschild war auf dem Familiengut Méautry in Touques (Calvados) über Jahrzehnte ein passionierter und erfolgreicher Pferdezüchter, dessen Stall zahlreiche Derbys gewann. Sohn Edouard setzte diese Tradition Guy de Rothschilds fort. Beruflich wurde dieser als Investor Haupteigner der Financier Jean Goujon und Aktionär der linksorientierten Zeitung "Libération". Guy de Rothschild verstarb im Juni 2007 98-jährig und wurde in Touques beerdigt.[5]
Bank- und Immobiliengeschäfte
Die KarstadtQuelle AG wollte sich 2007 von ihrem Immobilienbesitz trennen. Die Rothschild-Bank sei mit dem Verkauf beauftragt worden.[9] Dem Vernehmen nach hatten die KarstadtQuelle-Immobilien einen Wert von 5,5 Milliarden Euro.
Zitate
Baron de Rothschild: „Wenn Blut auf den Strassen fließt, kaufen sie so viel sie können“ [10]
Mitgliedschaften
Weitere Ämter: Präsident (FDJU, das jüdische Hilfswerk in Frankreich, 1950-1982; Consistoire Central, 1950-1956; Pferdezüchter-Verband, 1975-1982).
Auszeichnungen
- Träger des Kriegskreuzes des Zweiten Weltkrieges - Croix de Guerre
- Ritter der Ehrenlegion - Officier, légion d'honneur
- Verdienstorden für Landwirtschaft - Chevalier, Mérite agricole
Werke
Veröffentlichungen (u. a.):
- Guy de Rothschild: Geld ist nicht alles. Albrecht Knaus, Hamburg 1984 (Originaltitel: Contre bonne fortune, übersetzt von Hermann Stiehl), ISBN 3-8135-0309-7
- "Mon ombre simoise" (1993)
- "La fantôme de Léa" (1998)
- "Les surprises de la fortune" (2002; ein weiterer Erinnerungsband)
Literatur
- Virgina Cowles, "Die Rothschilds. Geschichte einer Familie" (1974)
- Niall Ferguson: "Die Geschichte der Rothschilds. Propheten des Geldes" (dt. 2001)
Verweise
Bilder - Paris: Einweihung des Bosquet des Trois Fontaines in Versailles, new york social diary.com, 14. Juni 2004