Kiepura, Jan

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Jan Kiepura (1902–1966)
Jan Kiepuras Grab
Warschau, Cmentarz Powazkowski

Jan Kiepura (Lebensrune.png 16. Mai 1902 in Sosnowitz; Todesrune.png 15. August 1966 in Harrison Neu York) war ein jüdischer Sänger und Schauspieler.

Leben

Kiepura wurde als Sohn eines katholischen Bäckers und der Jüdin Maria Najman geboren. Gesang war ihm schon als Kind eine selbstverständliche Äußerung für Freud und Leid. Bezeichnend war, daß auch sein Bruder Wladislaw durch seinen Gesang auffiel, der später mit dem Namen Wladislaw Ladis an der Warschauer Oper ebenfalls als Tenor tätig war. Bei zwei Tenören gleichen Namens hätte es ständig Verwechslungen gegeben.

Als Jan in das Gymnasium kam, war der aufgeweckte, phantasievolle Junge bei Lehrern und Mitschülern gleich beliebt. Die Lehrer hatten sein aufgewecktes offenes Wesen gern und drücken ein Auge zu, wenn bei irgendwelchen Streichen immer der junge Kiepura der Anführer war. Aber eine Klippe in seinem Schülerleben gab es. Denn er sang, er sang viel. Er verschwendete seine Stimme. Ob er auf dem Schulhof war, auf der Straße, auf Wegen: Er sang. Stundenlang schweifte er in den Tannenwäldern umher und sang Musik und Texte, die er selbst geschrieben hatte. Ab 1925 sang Kiepura für eine kleine Rolle an der Warschauer Oper.

Seine Partie hatte kaum fünfzehn Wörter. Er machte eine Arie daraus. Der Kapellmeister war verzweifelt, aber Kiepura sang immer noch an seinen zehn Wörtern. Als der Vorhang fiel, drückte man ihm fünf Mark in die Hand und warf ihn hinaus. Er hatte bewiesen, daß er völlig „unmusikalisch“ war und nicht einmal eine kleine Rolle spielen konnte.

Ein Unglück reihte sich an das andere. Sein Vater hatte von seinem Debut erfahren, und da Jan trotzig erklärte, daß er vielleicht ein ausgezeichneter Sänger, aber niemals ein großer Jurist werden würde, geriet sein Vater in Zorn. Er war nun auf sich allein angewiesen. Bei Brzeinsky hatte er ein umfangreiches Repertoire studiert, er beherrschte sein Rollenfach in vollstem Umfange. Es kamen bittere Zeiten, die Verpflegungsration hieß „dreimal täglich Tee mit Brot“. Er lernte die Schattenseiten des Lebens kennen und sang sich über manchen hungrigen Abend hinweg.

Es war die Bühne in Lemberg, die endlich dieser Ungewißheit ein Ende machte. Der Direktor hatte Vertrauen zu dem jungen Sänger, und er verpflichtete ihn. Die Gage war nicht sehr groß, aber er durfte singen; davon hatte er die ganzen Jahre geträumt. Und er war eisenfest von seiner Karriere überzeugt.

Dann ging Kiepura für ein halbes Jahr nach Wien, um dann nach Warschau zurückzukehren. Kaum länger als anderthalb Jahre seit seinem ersten „glorreichen“ Auftreten in Warschau war es, als er wieder an der Warschauer Oper sang. Er verlangte nun ein Honorar, das mehr seiner Leistung als den in Warschau üblichen Gagen angemessen war. Das Warschauer Gastspiel bildete den Abschluß einer Epoche. Jan Kiepura war jetzt der berühmteste Sänger Polens. Das drückt sich zahlenmäßig aus. Vor kaum mehr als anderthalb Jahren hatte er auf derselben Bühne gestanden und ein Honorar von 10 Zloty erhalten.

Nun betrug seine Gage 33.000 Zloty, ein für Polen außerordentliches Honorar für drei Abende. Er war zwar in Polen ein berühmter Sänger, aber Kiepuras Ehrgeiz war wacher als je. All seine Wünsche drängten nach Wien, und er wurde dort Kammersänger. Der Tag seiner ersten Uraufführung in Wien war ein Tag des Triumphes für den jungen Sänger. Am nächsten Morgen war sein Weltruhm besiegelt. Publikum und Presse sprachen es aus: Einer der größten Tenöre der Welt wurde aus der Taufe gehoben.[1]

Jetzt begann ein Wanderleben. Alle Bühnen wollten ihn haben, er war eine sichere Zugkraft für das Publikum. Ein Traum wurde ihm erfüllt, ein Traum, den jeder Sänger in seinem Herzen hegt: Er wurde für die Mailänder Scala verpflichtet. Drei Jahre sang er dort und lernte die geheimnisvolle Kunst der italienischen Schule kennen. In Mailand wurde aus dem großen Tenor ein großer, ernster Künstler. Mit seinem Ruhm erweiterte sich das Feld seiner Tätigkeit. In Paris, in der Opera comique, eroberte er mit „Manon“ und „Boheme“ das Pariser Publikum im Sturm. Er sang in Amerika, in der Chikagoer Civic Opera.

Als er auf seinen Wanderungen nach Buenos Aires kam, ereilte ihn dort im Teatro Colon ein merkwürdiges Schicksal. Er wurde für den Tonfilm gewonnen, und zwar für den deutschen Tonfilm. Ein deutscher Filmmann war ihm überallhin nachgereist, er hatte den festen Glauben, daß dieser große Sänger sich auch auf der Leinwand bewähren würde. Er machte Kiepura ein Angebot, es wurde nicht abgelehnt, aber auch nicht angenommen. Kiepura zögerte.

Die Verhandlungen wurden in Warschau weitergeführt, und endlich, in Mailand, wurde ein Vertrag geschlossen, der Kiepura für die deutsche Firma Cin. Alliance verpflichtete. Es war ein großer Entschluß für Kiepura, und er setzte im Grunde genommen seinen schwer erkämpften Ruf aufs Spiel. Was die Oper anging, so wußte jeder musikalische Mensch, daß es selten einen zärtlicheren Rudolf („Boheme“), einen liebenswürdigeren Herzog („Rigoletto“), einen heldischeren Radames („Aida“) gegeben hatte. Und sein Spiel in „Tosca“, im „Faust“, in „Manon“ und „Turandot“" war im wahrsten Sinne des Wortes über die ganze Welt berühmt: Zahllose Schallplatten hatten seine Kunst in alle Lande getragen.

Und nun wendete er sich einer ganz neuen Kunst, einer ganz neuen Technik zu. Zunächst beschloß er abzuwarten. Sein erster Regisseur, Carmine Gallone, hatte noch die Vorstellung, daß ein Tenor wie ein Ritter in Zivil aussehen muß: Kiepuras jungenhafte, intelligente Erscheinung war ihm zu bürgerlich. Nach dem Film „Die singende Stadt“ blieb der Erfolg dem Künstler treu.

Der zweite Film „Das Lied einer Nacht" wurde zum Triumph für den Darsteller. Der Film hatte einen solchen Publikumserfolg, daß man ihn in einer englischen Version noch einmal herstellte. Nicht anders war es mit seinen nächsten Filmen „Das Lied einer Nacht“, „Ein Lied für dich“ und „Mein Herz ruft nach dir“. Die Beliebtheit des Sängers im Film war nicht geringer als die des Operntenors. Die Paramount in Amerika brachte große Opfer, um den Künstler zu gewinnen. Er stellte hohe Forderungen: Sie wurden ihm bewilligt. In einem langen Telefongespräch zwischen dem Präsidenten der Paramount in Neu York und Jan Kiepura, der in Berlin sang, kam es zum grundsätzlichen Abschluß. Aber der Vertrag machte noch große Schwierigkeiten, denn Kiepura wollte sich nicht gänzlich nach Amerika verkaufen. Er setzte es durch, daß er in deutscher und französischer Sprache auch in Europa arbeiten durfte. Es wurde ihm bewilligt, und damit erhielt Kiepura die Sicherheit, auch im deutschen Film noch weiterhin wirken und im Rahmen seines Gastspielabkommens an der Berliner Staatsoper auftreten zu können.

Deutschland, das ihm einen so enthusiastisehen Empfang bereitet hatte, war dem Künstler tief ans Herz gewachsen. Er wollte dem deutschen Publikum nicht nur durch seine amerikanischen Filme, die natürlich auch nach Europa kamen, sondern auch durch seine persönliche Mitwirkung im deutschen Film nahe sein. Joseph Goebbels ließ ihn auf die Liste der besonders zu fördernden ausländischen Künstler setzen.

1934 wurde er an die Staatsoper Berlin berufen. Als Filmschauspieler wirkte er in zahlreichen Produktionen mit und wurde zum Leinwandliebling des deutschen Publikums. 1935 tat er im Rahmen des Internationalen Tonkünstlerfestes in Hamburg auf, wo er in der polnischen Nationaloper „Halka“ auftrat, einer der meistgespielten ausländischen Opern im Dritten Reich. Er heiratete Marta Eggerth und ging 1938 in die VSA, um an der Metropolitan Opera zu arbeiten. Nach der „Befreiung“ war er auch in der BRD sehr erfolgreich. 1966 verstarb er in den VSA.[2]

Filmographie (Auswahl)

  • 1926: O czem się nie myśli – Regie: Edward Puchalski
  • 1930: Die singende Stadt – Regie: Carmine Gallone
  • 1931: City of Song (englischsprachige Version von Die singende Stadt) – Regie: Carmine Gallone
  • 1932: Tell me Tonight – Regie: Anatole Litvak
  • 1932: Das Lied einer Nacht (deutschsprachige Version von Tell me Tonight) – Regie: Anatole Litvak
  • 1933: Tout pour l’amour – Regie: Henri-Georges Clouzot
  • 1933: Ein Lied für dich – Regie: Joe May
  • 1934: Mon cœur t’appelle – Regie: Carmine Gallone
  • 1934: Mein Herz ruft nach Dir – Regie: Carmine Gallone
  • 1934: My Heart is Calling (Engl. Version von Mein Herz ruft nach Dir)
  • 1935: My Song for you – Regie: Maurice Elvey
  • 1935: Ich liebe alle Frauen – Regie: Carl Lamac
  • 1935: J’aime toutes les Femmes (Franz. Version von Ich liebe alle Frauen)
  • 1936: Give us this night – Regie: Alexander Hall
  • 1936: Opernring – Regie: Carmine Gallone
  • 1937: Zauber der Bohème (La Bohème-Adaption) – Regie Géza von Bolváry
  • 1947: Addio Mimi (La Bohème-Adaption) – Regie: Carmine Gallone
  • 1948: Valse brillante – Regie: Jean Boyer
  • 1952: Das Land des Lächelns – Regie: Hans Deppe

Musikbeitrag


Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n (1935)

Fußnoten

  1. Filmwelt – Das Film- und Foto-Magazin, Nummer 50, 16. Dezember 1934
  2. Prominente ohne MaskeDrittes Reich, FZ-Verlag, 1998, ISBN 3924309396