Völuspá

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Die Völuspá (isländisch), altnordisch Völuspá (dt. Völuspa) - „Weissagung der Seherin“ (völva = Seherin + spá = Prophezeiung), ist das erste der 16 Götterlieder des „Königsbuchs“ Codex Regius mit 63 Strophen (siehe auch: Edda). Eine leicht abweichende Version mit 57 Strophen findet sich in der Hauksbók. Die Völuspá gilt als das bedeutendste Gedicht des nordischen Mittelalters. Die normalisierte Form (Abgleich zwischen Codex Regius und Hauksbók) besteht aus 66 Strophen. Diese Strophen bestehen aus Stabreimversen (Fornyrðislag).

Entstehungszeit

Entstehungszeit und -ort sind in der Forschung nach wie vor umstritten. Während im 19. Jahrhundert meist eine sehr frühe Datierung vorgenommen wurde, schlossen sich im 20. Jahrhundert die meisten Forscher der Meinung Sigurður Nordals an, die Völuspá sei um das Jahr 1000 herum entstanden. Nordal argumentierte, das Gedicht beschäftige sich mit dem Weltende und damals habe die gesamte Christenheit mit der Apokalypse im Jahr 1000 oder 1033 (1000 Jahre nach Christi Geburt bzw. Tod) gerechnet. Diese Angst ist aber lediglich ein romantischer Mythos, in den Quellen fehlt jeder sichere Beleg für sie. Damit ist offen, wann eine erste Fassung des Gedichtes entstand. Viele Motive aber dürften wesentlich älter sein als die Völuspá selbst; in einigen Fällen wird sogar indogermanischer Hintergrund vermutet. Viele Motive wurden auch auf christlichen Einfluß zurückgeführt, was aber in allen Fällen umstritten ist.

Inhalt

In diesem Teil der Edda erzählt eine Volva die gesamte Geschichte der Götter, von der Entstehung der Welt aus dem Gunnungagap und der Erschaffung aller Wesen (wie Riesen, Götter, Zwerge, etc) bis hin zum Ragnarök, dem Untergang der Welt. Nach der Zerstörung der Welt, erhebt sich eine neue blühende Welt aus dem Meer, auf der unter anderem Baldr, Hödr und Hönir in einem neuen goldenen Zeitalter der Götter herrschen werden.

Die Worte sind einer Seherin in den Mund gelegt, welche von der Entstehung und dem Ende der Welt berichten (siehe auch: Germanische Schöpfungsgeschichte), bis zum Weltuntergang) und der damit verbundenen Neuentstehung, wobei der Schwerpunkt auf dem Zukünftigen, dem Weltende liegt. Der/die unbekannte Dichter/in der Völuspá greift hier auf alte nordische Mythen zurück, die allgemein als bekannt vorausgesetzt werden, sodaß vieles nur kurz angerissen wird.

Die Völuspá unterscheidet sich von den meisten Götterliedern der Edda, weil es sich hierbei nicht um eine bloße Aufzählung verschiedener religiöser Elemente handelt, sondern um einen einigermaßen zusammenhängenden Ablauf von Handlungen von Anfang bis Ende. Die Basis der heutigen Versionen ist die reorganisierte Form des norwegischen Philologen Sophus Bugge (1833-1907). Bei der Interpretation von Bugge begann das Lied mit einer Vorstellung der Völva. Die Seherin erzählt hier zunächst von der Schöpfung, vom Anfang der Zeit in der mythischen Leere Ginnungagap, von dem Entstehen der Welt und davon, wie es den Göttern gelang, Ordnung in das Universum zu bringen. Nach einem kleinen Abstecher, bei dem die Seherin von der Schöpfung der Zwerge berichtet, berichtet sie weiter, wie die ersten Menschen geschaffen wurden, und von den Nornen, dem personifizierten Schicksal, die sich an einer der Wurzeln des Weltbaumes, der Esche Yggdrasil befinden. Danach folgt eine Beschreibung des ersten Krieges in der Welt, bei dem sich die beiden Götterfamilien, die Asen und Vanen, wegen des Mordes an der mystischen Gullweig in die Haare gerieten. Der zweite Teil der Völuspá wird mit der Ermordung des heiteren und gutherzigen Balders eingeleitet. Diese Untat ist die Einleitung einer Reihe gewaltsamer Handlungen, die in der Schicksalsschlacht, dem Ragnarök gipfeln, bei der Götter und Riesen einander töten. Der Seherin zufolge wird sich jedoch eine neue Welt aus den Wellen erheben, auf der Baldr und sein Töter, Höðr, herrschen werden. Ein neues Goldenes Zeitalter für Götter und Menschen beginnt.

Handlungstragende

Da die Völuspá die gesamte mythologische Weltgeschichte von der Schöpfung bis zum Untergang darstellt, ist die Anzahl der erwähnten Figuren sehr groß. Daher ist die folgende Liste eine Auswahl.

Text

Übersetzt von Karl Simrock aus dem Codex Regius (1851)


1. Allen Edlen gebiet ich Andacht,
Hohen und Niedern von Heimdalls Geschlecht;
Ich will Walvaters Wirken künden,
Die ältesten Sagen, der ich mich entsinne.

2. Riesen acht ich die Urgebornen,
Die mich vor Zeiten erzogen haben.
Neun Welten kenn ich, neun Äste weiß ich
An dem starken Stamm im Staub der Erde.

3. Einst war das Alter, da Ymir lebte:
Da war nicht Sand nicht See, nicht salzge Wellen,
Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,
Gähnender Abgrund und Gras nirgend.

4. Bis Börs Söhne die Bälle erhuben,
Sie die das mächtige Midgard schufen.
Die Sonne von Süden schien auf die Felsen
Und dem Grund entgrünte grüner Lauch.

5. Die Sonne von Süden, des Mondes Gesellin,
Hielt mit der rechten Hand die Himmelsrosse.
Sonne wußte nicht wo sie Sitz hätte,
Mond wußte nicht was er Macht hätte,
Die Sterne wußten nicht wo sie Stätte hatten.

6. Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat.
Der Nacht und dem Neumond gaben sie Namen,
Hießen Morgen und Mitte des Tags,
Under und Abend, die Zeiten zu ordnen.

7. Die Asen einten sich auf dem Idafelde,
Hof und Heiligtum hoch sich zu wölben.
(Übten die Kräfte alles versuchend,)
Erbauten Essen und schmiedeten Erz,
Schufen Zangen und schön Gezäh.

8. Sie warfen im Hofe heiter mit Würfeln
Und darbten goldener Dinge noch nicht.
Bis drei der Thursen-Töchter kamen
Reich an Macht, aus Riesenheim.

9. Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer schaffen sollte der Zwerge Geschlecht
Aus Brimirs Blut und blauen Gliedern.

10. Da ward Modsognir der mächtigste
Dieser Zwerge und Durin nach ihm.
Noch manche machten sie menschengleich
Der Zwerge von Erde, wie Durin angab.

11. Nyi und Nidi, Nordri und Sudri,
Austri und Westri, Althiof, Dwalin,
Nar und Nain, Niping, Dain,
Bifur, Bafur, Bömbur, Nori;
Ann und Anarr, Ai, Miödwitnir.

12. Weig, Gandalf, Windalf, Thrain,
Theck und Thorin, Thror, Witr und Litr,
Nar und Nyrad; nun sind diese Zwerge,
Regin und Raswid, richtig aufgezählt.

13. Fili, Kili, Fundin, Nali,
Hepti, Wili, Hannar und Swior,
Billing, Bruni, Bild, Buri,
Frar, Hornbori, Frägr und Loni,
Aurwang, Jari, Eikinskjaldi.

14. Zeit ist's, die Zwerge von Dwalins Zunft
Den Leuten zu leiten bis Lofar hinauf,
Die aus Gestein und Klüften strebten
Von Aurwangs Tiefen zum Erdenfeld.

15. Da war Draupnir und Dolgtrasir,
Har, Haugspori, Hläwang, Gloi,
Skirwir, Wirwir, Skafid, Ai,
Alf und Yngwi, Eikinskjaldi.

16. Fialar und Frosti, Finnar und Ginnar,
Heri, Höggstari, Hliodolf, Moin.
So lange Menschen leben auf Erden,
Wird zu Lofar hinauf ihr Geschlecht geleitet.

17. Gingen da dreie aus dieser Versammlung,
Mächtige, milde Asen zumal,
Fanden am Ufer unmächtig
Ask und Embla und ohne Bestimmung.

18. Besaßen nicht Seele, und Sinn noch nicht,
Nicht Blut noch Bewegung, noch blühende Farbe.
Seele gab Odin, Hönir gab Sinn,
Blut gab Lodur und blühende Farbe.

19. Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
Den hohen Baum netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.

20. Davon kommen Frauen, vielwissende,
Drei aus dem See dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine, die andre Werdandi:
Sie schnitten Stäbe; Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose, das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen, das Schicksal verkündend.

21. Allein saß sie außen, da der Alte kam,
Der grübelnde Ase, und ihr ins Auge sah.
Warum fragt ihr mich? Was erforscht ihr mich?
Alles weiß ich, Odin, wo du dein Auge bargst:

22. In der vielbekannten Quelle Mimirs.
Met trinkt Mimir allmorgendlich
Aus Walvaters Pfand! Wißt ihr, was das bedeutet?

23. Ihr gab Heervater Halsband und Ringe
Für goldene Sprüche und spähenden Sinn.
Denn weit und breit sah sie über die Welten all.

24. Ich sah Walküren weither kommen,
Bereit zu reiten zum Rat der Götter.
Skuld hielt den Schild, Skögol war die andre,
Gunn, Hilde, Göndul und Geirskögul.
Hier nun habt ihr Herjans Mädchen,
Die als Walküren die Welt durchreiten.

25. Da wurde Mord in der Welt zuerst,
Da sie mit Geren Gulweig (die Goldkraft) stießen,
In des Hohen Halle die helle brannten.
Dreimal verbrannt ist sie dreimal geboren,
Oft, unselten, doch ist sie am Leben.

26. Heid hieß man sie wohin sie kam,
Wohlredende Wala zähmte sie Wölfe.
Sudkunst konnte sie, Seelenheil raubte sie,
Übler Leute Liebling allezeit.

27. Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilige Götter hielten Rat,
Ob die Asen sollten Untreue strafen,
Oder. alle Götter Sühnopfer empfahn.

28. Gebrochen war der Burgwall den Asen,
Schlachtkundge Wanen stampften das Feld.
Odin schleuderte über das Volk den Spieß:
Da wurde Mord in der Welt zuerst.

29. Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer mit Frevel hätte die Luft erfüllt,
Oder dem Riesenvolk Odhurs Braut gegeben?

30. Von Zorn bezwungen zögerte Thor nicht,
Er säumt selten wo er solches vernimmt:
Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,
Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.

31. Ich weiß Heimdalls Horn verborgen
Unter dem himmelhohen heiligen Baum.
Einen Strom seh ich stürzen mit starkem Fall
Aus Walvaters Pfand: wißt ihr, was das bedeutet?

32. Östlich saß die Alte im Eisengebüsch
Und fütterte dort Fenrirs Geschlecht.
Von ihnen allen wird eins das schlimmste:
Des Mondes Mörder übermenschlicher Gestalt.

33. Ihn mästet das Mark gefällter Männer,
Der Seligen Saal besudelt das Blut.
Der Sonne Schein dunkelt in kommenden Sommern,
Alle Wetter wüten: wißt ihr, was das bedeutet?

34. Da saß am Hügel und schlug die Harfe
Der Riesin Hüter, der heitre Egdir.
Vor ihm sang im Vogelwalde
Der hochrote Hahn, geheißen Fialar.

35. Den Göttern gellend sang Gullinkambi,
Weckte die Helden beim Heervater,
Unter der Erde singt ein andrer,
Der schwarzrote Hahn in den Sälen Hels.

36. Ich sah dem Baldur dem blühenden Opfer,
Odins Sohne, Unheil drohen.
Gewachsen war über die Wiesen hoch
Der zarte, zierliche Zweig der Mistel.

37. Von der Mistel kam, so dauchte mich
Häßlicher Harm, da Hödur schoß.
(Baldurs Bruder, war kaum geboren,
Als einsichtig Odins Erbe zum Kampf ging.

Die Hände nicht wusch er, das Haar nicht kämmt er,
Eh er zum Bühle trug Baldurs Töter.)
Doch Frigg beklagte in Fensal dort
Walhalls Verlust: wißt ihr, was das bedeutet?

38. In Ketten lag im Quellenwalde
In Unholdgestalt der arge Loki.
Da sitzt auch Sigyn unsanfter Gebärde,
Des Gatten Waise: wißt ihr, was das bedeutet?

39. Gewoben weiß da Wala Todesbande,
Und fest geflochten die Fessel aus Därmen.
Viel weiß der Weise, weit seh ich voraus
Der Welt Untergang, der Asen Fall.
Gräßlich heult Garm vor der Gnupahöhle,
Die Fessel bricht und Freki rennt.

40. Ein Strom wälzt ostwärts durch Eitertäler
Schlamm und Schwerter, der Slidur heißt.

41. Nördlich stand an den Nidabergen
Ein Saal aus Gold für Sindris Geschlecht.
Ein andrer stand auf Okolnir
Des Riesen Biersaal, Brimir genannt.

42. Einen Saal seh ich, der Sonne fern
In Nastrands, die Türen sind nordwärts gekehrt.
Gifttropfen fallen durch die Fenster nieder;
Mit Schlangenrücken ist der Saal gedeckt.

43. Im starrenden Strome stehn da und waten
Meuchelmörder und Meineidige
(Und die andrer Liebsten ins Ohr geraunt).
Da saugt Nidhögg die entseelten Leiber,
Der Menschenwürger: wißt ihr, was das bedeutet?

44. Viel weiß der Weise, sieht weit voraus
Der Welt Untergang, der Asen Fall.

45. Brüder befehden sich und fällen einander,
Geschwister sieht man die Sippe brechen.
Der Grund erdröhnt, üble Disen fliegen;
Der eine schont des andern nicht mehr.

46. Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit eh die Welt zerstürzt.

47. Mimirs Söhne spielen, der Mittelstamm entzündet sich
Beim gellenden Ruf des Giallarhorns.
Ins erhobne Horn bläst Heimdall laut,
Odin murmelt mit Mimirs Haupt.

48. Yggdrasil zittert, die Esche, doch steht sie,
Es rauscht der alte Baum, da der Riese frei wird.
(Sie bangen alle in den Banden Hels
Bevor sie Surturs Flamme verschlingt.)
Gräßlich heult Garm vor der Gnupahöhle,
Die Fessel bricht und Freki rennt.

49. Hrym fährt von Osten und hebt den Schild,
Jörmungand wälzt sich im Jötunmute.
Der Wurm schlägt die Flut, der Adler facht,
Leichen zerreißt er; los wird Naglfar.

50. Der Kiel fährt von Osten, da kommen Muspels Söhne
Über die See gesegelt; sie steuert Loki.
Des Untiers Abkunft ist all mit dem Wolf;
Auch Bileists Bruder ist ihm verbündet.

51. Surtur, fährt von Süden mit flammendem Schwert,
Von seiner Klinge scheint die Sonne der Götter.
Steinberge stürzen, Riesinnen straucheln,
Zu Hel fahren Helden; der Himmel klafft.

52. Was ist mit den Asen? Was ist mit den Alfen?
All Jötunheim ächzt, die Asen versammeln sich.
Die Zwerge stöhnen vor steinernen Türen,
Der Bergwege Weiser: wißt ihr, was das bedeutet?

53. Da hebt sich Hlins anderer Harm,
Da Odin eilt zum Angriff des Wolfs.
Belis Mörder mißt sich mit Surtur;
Schon fällt Friggs einzige Freude.

54. Nicht säumt Siegvaters erhabner Sohn
Mit dem Leichenwolf, Widar, zu fechten:
Er stößt dem Hwedrungssohn den Stahl ins Herz
Durch gähnenden Rachen: so rächt er den Vater.

55. Da kommt geschritten Hlodyns schöner Erbe,
Wider den Wurm wendet sich Odins Sohn.
Mutig trifft ihn Midgards Segner.
Doch fährt neun Fuß weit Fiörgyns Sohn
Weg von der Natter, die nichts erschreckte.
Alle Wesen müssen die Weltstatt räumen.

56. Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,
Vom Himmel schwinden die heitern Sterne.
Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum,
Die heiße Lohe beleckt den Himmel.

57. Da seh ich auftauchen zum andernmale
Aus dem Wasser die Erde und wieder grünen.
Die Fluten fallen, darüber fliegt der Aar,
Der auf dem Felsen nach Fischen weidet.

58. Die Asen einen sich auf dem Idafelde,
Über den Weltumspanner zu sprechen, den großen.
Uralter Sprüche sind sie da eingedenk,
Von Fimbultyr gefundner Runen.

59. Da werden sich wieder die wundersamen
Goldenen Bälle im Grase finden,
Die in Urzeiten die Asen hatten,
Der Fürst der Götter und Fiölnirs Geschlecht.

60. Da werden unbesät die Äcker tragen,
Alles Böse bessert sich, Baldur kehrt wieder.
In Heervaters Himmel wohnen Hödur und Baldur,
Die walweisen Götter. Wißt ihr, was das bedeutet?

61. Da kann Hönir selbst sein Los sich kiesen,
Und beider Brüder Söhne bebauen
Das weite Windheim. Wißt ihr, was das bedeutet?

62. Einen Saal seh ich heller als die Sonne,
Mit Gold bedeckt auf Gimils Höhn:,
Da werden bewährte Leute wohnen
Und ohne Ende der Ehren genießen.

63. Da reitet der Mächtige zum Rat der Götter,
Der Starke von oben, der alles steuert.
Den Streit entscheidet er, schlichtet Zwiste,
Und ordnet ewige Satzungen an.

64. Nun kommt der dunkle Drache geflogen,
Die Natter hernieder aus Nidafelsen.
Das Feld überfliegend trägt er auf den Flügeln
Nidhöggurs-Leichen - und nieder senkt er sich.

Systematischer Kommentar zur Völuspá (von Karl Joseph Simrock)

Den Reigen der nordischen Götterlieder eröffnen drei kosmogonische und theogonische Gesänge, unter welchen die Wöluspa als der bedeutendste, berühmteste und wahrscheinlich auch älteste um so billiger voransteht als sie fast den gesamten nordischen Glauben umfaßt und in seinen Grundzügen übersichtlich zusammenstellt.

Bekannt sind die nordischen Walen oder Wölen, zauberhafte Wahrsagerinnen, wie jene höhlenbewohnende des Hynduliedes, das auch die kleinere Wöluspa heißt, oder wie die Veleda des Tacitus, die vom hohen Thurm die Geschicke der Völker lenkte, bei denen sie fast abgöttischer Verehrung genoß. Man dachte die Wölen das Land durchziehend, von Haus zu Haus an die Thüren klopfend (Str. 26. Oegisdr. 24), wohl um den Menschen, besonders neugebornen, zu weißagen, ihr Schicksal anzuzeigen, vielleicht gar wie die Nornen, mit welchen sie sich berühren, selbst zu schaffen und zu bestimmen. Kommt ihr Name von at velja (wählen), so scheinen sie selbst den Walküren verwandt, mit denen sie Str. 24. 25. 26. zusammengestellt werden. Ueber die Form des Namens völva sagt Grimm Myth. 87: »Entweder steht hier völu für völvu oder es läßt sich die ältere Form vala (gen. völu) behaupten; beiden würde ein ahd. Walawa oder Wala entsprechen.«

Der Name Wöluspa ist nicht leicht wiederzugeben. Wörtlich heißt es nur die Rede, das Gesicht der Wöle oder Wala, dem Sinne nach nicht sowohl dieß als Offenbarung der Seherin, denn nicht die Zukunft allein verkündet sie: auch in die Vergangenheit ist ihr der Blick geschärft, der Schleier gelüftet von den geheimnissvollen Ursprüngen der Dinge. Sie hat die ersten Geschicke der Welt von ihren Erziehern, den urgebornen Riesen (Str. 2) erfahren und weiß in allen neun Himmeln oder Welten Bescheid. Aber Vergangenheit und Zukunft berühren sich im Kreißlauf der Dinge: nach dem Weltuntergange taucht die Erde zum andernmal aus dem Waßer auf (Str. 57), dann werden die wundersamen goldenen Scheiben, mit denen die Götter in der Zeit ihrer Unschuld spielten (Str. 4. 8), sich im Grase wiederfinden (Str. 59), und das goldene Zeitalter zurückkehren, das durch die Gier des Goldes verloren ging. Was zwischen diesen äußersten Enden in der Mitte liegt, wird uns nicht verschwiegen: der Verlust der ersten Unschuld mit dem Beginn der Zeit, da die drei Thursentöchter aus Riesenheim kamen (Str. 8.), die Schöpfung der erzschürfenden Zwerge und der Menschen (Str. 9–18) und der erste durch die Bereitung des Goldes herbeigeführte Mord (Str. 25), der Treubruch der Asen (Str. 28–30) und das herannahende Verderben durch die Erziehung der beiden Wölfe, die als Fenrirs Geschlecht Sonne und Mond zu verschlingen bestimmt sind, und die nun das Blut mästet, das im ungerechten widernatürlichen Kriege vergoßen wird (Str. 32), Baldurs beunruhigende Träume und ihre Erfüllung (Str. 36. 37), die Vorkehrungen der Götter in Lokis und Fenrirs Feßelung (Str. 38, 39), wobei sie aber die in Str. 32 gedachten Wölfe, die heimlich im Eisenwald aufgezogen wurden, unschädlich zu machen versäumen, weshalb der gefürchtete Ausgang nun doch eintreten muß; dann schon die Vorzeichen des Weltuntergangs in der überhand nehmenden Entsittlichung, die alle Bande gelöst hat und selbst den Brudermord nicht mehr scheut, die höchste Stufe der Verwilderung Str. 45, endlich der Untergang selbst und der letzte Kampf bis die Sonne schwarz wird, die Erde ins Meer sinkt und Surturs Lohe den allnährenden Weltbaum verschlingt. All dieß ist in dem geheimnissvollen Tone vorgetragen, der Propheten eignet, deren Looß doch ist, von den blöden Kindern der Zeit unverstanden zu bleiben. Das Mysteriöse ist noch durch Lücken und die zweifelhafte Folge der Strophen gesteigert, da uns das Gedicht schwerlich ganz vorliegt und die Handschriften wie die Ausgaben in der Anordnung abweichen. Manches möchte man hinwegwünschen, um nach Tilgung des Eingeschobenen das unzweifelhaft Echte in beßern Zusammenhang zu bringen. Aber wer wollte an ein so ehrwürdiges Altertum die Hand legen, und wo wäre das Ende des Beliebens und der Willkür, wenn man einmal begänne, das Ueberlieferte nach eigenem Gutdünken zu modeln? Will doch Jeder auf seine Weise helfen, der Eine wegschaffen was dem Andern das Wichtigste scheint, der diese, der jene Anordnung herstellen. Auch wir hätten die unsrige im Sinne, wollen aber dem Leser nicht vorgreifen, der seinem Sinne folgen und die hier nach den gangbarsten Ausgaben geordneten Strophen sich selber zurechtstellen mag.

Die nachstehenden, der Ordnung der Strophen folgenden, Bemerkungen wollen nur Einzelnes erläutern; einen Commentar des Ganzen enthalten meine »Geschicke der Welt und der Götter,« welche den ersten Theil meines Handbuchs der Deutschen Mythologie (Bonn bei Marcus, 4. Aufl. 1874) bilden.

1. Die Seherin beginnt damit, Stillschweigen aufzuerlegen, damit Jedermann sie vernehmen könne. Die Worte, deren sie sich dabei bedient, sind eine hieratische Formel wie das lat. favete linguis. Sie spricht als Priesterin, denn nach Tac. Germ. stand es den Priestern zu, bei Volksversammlungen Stillschweigen zu gebieten. Müllenhoff Zeitschr. IX. 127. Heimdal lernen wir weiterhin, im Rigsmal, als den Erzeuger der verschiedenen Stände kennen.

6. Under ist die Nachmittagsstunde. Vergl. »Unterzech« im Volksbuch von Faust 1592 S. 216. Uebrigens ist in Str. 3–6 die Weltschöpfung sehr unvollständig vorgetragen; doch holen die folgenden Lieder, mit denen noch D. 10. 14. und Grimms Myth. 525 ff. zu vergleichen sind, das Fehlende nach.

7, 3. Die hier erwähnten Götterburgen beschreibt Grimnismal näher.

8. Daß hier, wie wir oben vorausgesetzt haben, von der goldenen Zeit gesprochen wird, sagt D. 14 ausdrücklich mit dem Zusatz, daß sie von dem Golde den Namen habe, welches die Götter verarbeiteten. Die Richtigkeit dieser Deutung bezweifelnd finden wir sie allein in der Unschuld der Götter. Unter den Thursentöchtern pflegt man die Nacht, Angurboda und Hel (D. 34) zu verstehen. Wir nehmen sie für die Nornen ( Str. 20), da das Goldalter, das mit ihrem Erscheinen endet, eigentlich aller Zeit voraufliegt. Ihren Bezug auf die Riesen ergiebt Wafthr. 49.

9–16. In dem Verzeichnis der Zwerge herscht in den Handschriften Verwirrung. Auch D. 14 weicht in der Aufzählung ab; von Einigen wird es für eingeschoben gehalten. Manche dieser Namen erklären sich von selbst, wie Nordri, Sudri, Austri und Westri, welche auf die vier Himmelsgegenden zielen (vgl. D. 8); wie Modsognir (Kraftsauger), Althiofr, die diebische Natur der Zwerge bezeichnend; wie Biwor und Bawor, ablautend vom Beben benannt, und an den Zwerg Bibung der Heldensage erinnernd, wie auch Billing und Finnr mit Heldennamen stimmen; Alfr, der Elfe, Gandalfr und Windalfr; Har, der Hohe, sonst ein Beinamen Odhins; Slafidr und Frosti u. s. w. Von andern liegt die Deutung nahe; so scheinen Nyi und Nidi, vielleicht auch Nyr und Nyrathi auf Phasen des Mondes zu gehen ( Wafthr. 25), Nar, Nain und Dain ( mortuus) gespenstische Geister zu bezeichnen. Ai, der zweimal vorkommt und im Rigsmal mit Edda (Eltermutter) zusammengestellt wird, deutet auf das hohe Alter, das Zwerge erreichen. Bemerkenswerth sind die reimenden und ablautenden Formen, während die meisten nur nach dem Gesetz des Stabreims zusammenstehen. Uebrigens scheinen dreierlei Zwerge unterschieden: Modsognirs Schar Str. 10–12. Für Lichtalfen kann ich sie nicht halten, da der Unterschied, welchen die j. Edda zwischen Lichtalfen und Schwarzalfen aufstellt, den Liedern unbekannt scheint. (Vgl. mein Handb. §. 124.) Die welche Str. 13 nennt ohne ihre Eigenschaft anzugeben. Sie scheinen unter Durin zu stehen, wie jene unter Modsognir. Nach Str. 14 wohnen sie im Gestein wie jene in der Erde. Dann Die aus Dwalins Zunft und Lofars Geschlecht Str. 14–16. 17. 18. Vgl. Gr. Myth. 527. 537.

22. Gewöhnlich deutet man diese Stelle als eine Anspielung auf Odhins Einäugigkeit und läßt die Sonne Odhins Eines Auge sein, das andere aber deren bei Sonnenauf- oder Untergang im Waßer gespiegeltes Bild. Dann würde der Mythus von der Verpfändung des Auges um einen Trunk aus der Quelle zu erlangen, in welcher Weisheit und Verstand verborgen sind, wie D. 15 gesagt ist, zunächst eine Naturerscheinung zu erklären dienen, aber Mimirs Weisheit schon voraussetzen, von der die Edda sonst nichts berichtet, wohl aber die Heimskringla I. 4, wonach die Asen bei dem Friedensschluß mit den Wanen, dessen auch D. 57 gedacht ist, den Mimir, ihren weisesten Mann zugleich mit Hönir, für den sie den Niörd empfingen, zu den Wanen als Geisel sandten, welche den Mimir erschlugen und sein Haupt den Asen zurückschickten. Odhin nahm das Haupt und salbte es mit Kräutern, so daß es nicht faulen konnte, und sang Zauberlieder darüber und bezauberte es so, daß es mit ihm redete und viel verborgene Dinge sagte. Hieraus erklärt sich 47, 4. Mimir ist seinem Namen nach das Gedächtniss; zugleich hat er aber einen Bezug auf das Waßer, den gleichfalls sein Name ausdrückt, da Waßergeister Minnen und Muomel hießen. Im Waßer lag allen Völkern Weisheit, und Waßergeister sind weißagend und wahrsagend. Nehmen wir das im Meer, dem Brunnen Mimirs, gespiegelte Bild der Sonne für den ältesten Sinn des Mythus von Odhins verpfändetem andern Auge, so lag die spätere Umdeutung des Mythus auf den Mond nahe, denn wenn die Sonne das Eine Auge des Himmelsgottes ist, wer würde dann nicht den Mond für das Andere nehmen? Nur so begreift sich, wie Mimir aus dem Pfande des Gottes trinken kann, denn unrichtig wird in Str. 22 Z. 3 Walvaters Pfand für Mimirs Brunnen erklärt, vielmehr ist es nach Str. 31, 4 Heimdals Horn. Nach einer allgemeinen Anschauung bildet die Mondsichel ein Horn und dieß muß Str. 22, 3 als Trinkhorn gedacht sein. Die j. Edda sagt ausdrücklich D. 15, Mimir, der Eigner des Brunnens, trinke täglich von dem Brunnen aus einem Horne. Sie nennt es das Giallarhorn, weil sie dabei an Heimdals Horn Wöl. 47, 3 denkt, das zugleich zum Blasen dient. Dabei gründet sie sich auf Wöl. 31. Der Strom, der hier mit starkem Fall aus Heimdals Horn stürzt, ist nichts als die Kunde von dem Anbruch des jüngsten Tages. Von dieser Kunde, die aus Mimirs Quelle geschöpft ist, heißt es, sie stürze aus Walvaters Pfand, weil der Mond, das andere Auge des Himmels, als Horn (Mondsichel) gedacht, im Brunnen verpfändet war. Dieß Trinkhorn und Heimdals tönendes Horn hat also die kühne Bildersprache des Nordens vertauscht, wozu sie um so mehr berechtigt war, als auch Heimdals Giallarhorn ursprünglich den Mond bedeutet hatte. Als Wächter der Götter gebührte ihm der Sichelmond zum Horn, da es in den Nächten vornämlich seines Hütens bedurfte.

25. 26. Schon in den Strophen 21 und 23 sprach die Seherin von sich in der dritten Person. Da sie aber Anfangs von sich in der ersten gesprochen hatte, so war es nicht nöthig in den folgenden Strophen die dritte Person herzustellen, namentlich nicht in den Strophen 24 und 39. Str. 26 kann ich aber nicht auf die Seherin beziehen, obgleich darin von einer Wala die Rede ist. Zunächst ist deutlich, daß noch immer von Gullweig (der Goldstufe oder der Goldkraft, dem flüßigen Gold) gesprochen wird, von der es in der vorhergehenden Strophe hieß, da sei zuerst der Mord in die Welt gekommen als man sie mit Gabeln oder Geeren gestoßen und gebrannt habe. Aber die Handschriften, welchen Rask folgt, verkehren die Ordnung dieser Strophen und Grimm (Myth. 374) nimmt sowohl Gullweig als Heid für Namen, die sich unsere Wala selber beilege. Dieser Meinung, welcher auch Sophus Bugge, einer der neuesten Herausgeber des Textes, anhängt, kann ich nicht beitreten, weil die Seherin sowohl von dem Golde als von dem Reichtum, die unter diesen beiden Namen personificiert sind, ungünstig spricht. Das goldene Zeitalter nahm ein Ende, wie treffend gesagt worden ist als das Gold erfunden ward, und die Schöpfung der Zwerge, die es aus der Erde gewinnen, fällt nicht mehr in die Unschuldszeit der Götter, die noch die Gier des Goldes nicht kannte. Als man die Goldstufe mit Gabeln stieß und in der Halle schmelzte, da zuerst kam der Mord in die Welt. Wenn das so ausgedrückt wird, als ob der Mord an der Goldstufe selbst vollbracht wäre, so mag dieß eben nur poetische Einkleidung sein. Daß die Seherin das Gold für verderblich ansieht, wie dieß auch in der Heldensage geschieht, und sich also unter Gullweig und Heidr nicht selber verstehen kann, beweist mir die ganze Str. 26 und ganz entschieden ihr Schluß: Uebler Leute Liebling allezeit.

27. Wie die zweite Hälfte dieser Str. hier übersetzt ist, steht sie mit dem Vorhergehenden nach unserer Deutung der Str. 25 und 26 im besten Zusammenhang. Die Einführung der Sühnopfer, nachdem durch das Gold Untreue ( afrâdh) in die Welt gekommen, zeigt uns die Welt schon von dem sittlichen Verderben erfaßt, das in den nächsten drei Strophen die Götter sogar unter sich uneinig, ja wort- und eidbrüchig werden läßt.

28. Die erste Langzeile Str. 25 kehrt hier als Schlußzeile wieder: das Uebel, das durch das Gold in die Welt gekommen war, erscheint hier als ein Krieg unter den Göttern selbst, und zwar muß jener erste Wanenkrieg gemeint sein, der nach D. 23. 57 durch den Friedensschluß beendet ward, welcher den Njörd mit seinen Kindern als Geisel zu den Asen brachte. Der Ausdruck schlachtkundige Wanen deutet an, daß es den friedliebenden Wanen an sich unnatürlich war, zum Schwerte zu greifen, mithin auch hier das unter den Göttern einreißende Verderben sich ankündigt.

29–30. Den Commentar dieser Strophen enthält D. 42. Nachdem der Burgwall der Götter gebrochen ist, schließen sie auf Lokis Rath einen Vertrag mit einem Riesen wegen Erbauung einer neuen Burg.

31. Die Erklärung dieser bisher unverstanden gebliebenen Strophe ist zu Strophe 22 gegeben, welcher sie unmittelbar folgen sollte. Unter dem heiligen Baum, in Mimirs Quelle, war nach der ersten Langzeile Heimdals Horn, das so mit Walvaters Pfand vertauscht wird, verborgen. Im Folgenden kehrt sich die Vertauschung um. Da wird Walvaters Pfand genannt, wo Heimdals Horn gemeint ist. Zwar sehen wir Heimdal erst Str. 47 ins erhobene Horn stoßen, aber was sich dann wirklich begiebt, das ahnt schon jetzt die Seherin nach dem (Sünden-) Fall der Götter, dessen Folge der Weltuntergang ist.

32. Vgl. D. 12, wo diese Stelle angeführt ist. Managarm (der Mondhund) ist nach Gr. Myth. 668 ein anderer Name für Hati, der D. 12, womit Gr. M. 39 stimmt, Hrôdwitnirs Sohn heißt. Fenrir steht hier wohl für Wolf überhaupt. Vgl. M. Handb. §. 43, wo ausgeführt ist, daß die j. Edda D. 12 diese Strophe unbefriedigend erläutert, indem sie jene im Eisenwalde heranwachsenden Wölfe mit dem Blute » aller Menschen, die da sterben,« mästen läßt, indem vielmehr Fleisch und Blut der im widernatürlichen Krieg, im Krieg des Bruders gegen den Bruder ( Str. 45), Gefällten ihre Nahrung ist. Daß die Götter die Feßelung dieser beiden Wölfe versäumt haben, als sie Loki und Fenrir in Bande legten, ist oben angedeutet.

34. Egdir für Hräswelg (Leichenschwelger) D. 18 zu halten, sehe ich keinen Grund. Als Hüter der Riesin bedeutet er den Sturm, der in den Wipfeln der Bäume braust. Meines Wißens wird er nur hier erwähnt, so wie auch die Hähne, die den Göttern und in den Sälen Hels die Stunde des letzten Kampfs ankrähen. Der hochrothe, goldkammige (Gullinkambi) führt den Namen Fialar, der auch im Zwergregister vorkommt. Vgl. D. 57. In deutschen Sagen sind der Hähne drei, der weiße, rothe und schwarze, obgleich zuweilen nur zwei von ihnen genannt werden; das Krähen des schwarzen ist von der übelsten Vorbedeutung. Vgl. Reinhold Köhler Germ. XI. 85.

37. Die eingeklammerte Stelle, die sich nicht in allen Handschriften findet, und in der That ein späterer Einschub scheint, geht auf Wali, Baldurs Rächer, nach D. 30. 53. Vgl. Wegtamskw. 16. Hyndlul. 27. Wafthr. 51.

39. Ueber Garm s. zu Str. 32. Den Namen Freki, der hier mit dem Namen Garm vertauscht wird, führt sonst Einer von Odhins Wölfen D. 4. Wie aber hier Freki ein erborgter bildlicher Name ist, so kann es auch Garm sein, denn in der That scheint Fenrir gemeint. Von dem Höllenhunde wißen wir nicht, daß er gefeßelt sei. In Wegtamskw. 6. 7. geht er dem Odhin frei entgegen. Daß auch Managarm, der Mondhund, von dem der Name Garm erborgt ist, zu feßeln versäumt wurde, ist mehrfach bemerkt. Dagegen ist Fenrir D. 34 gefeßelt mit dem Bande Glitnir, das bis zur Götterdämmerung halten soll. Von seinem Brechen muß hier die Rede sein, da des Wolfes Loskommen, das Str. 53. 4 vorausgesetzt wird, sonst nicht gemeldet wäre. Doch hat schon D. 51 unsere Stelle irrthümlich auf den Höllenhund oder Mondhund statt auf Fenrir bezogen, da sie ausdrücklich sagt, Garm habe vor der Gnipahöhle gelegen und sei nun los geworden. Daß er mit Tyr kämpfe, sagt nur sie; die Wöluspa weiß nichts von einem solchen Kampfe, dessen Sinn sich auch nicht angeben ließe. Vgl. M. Handb. §. 46, 5. Uebrigens steht die letzte Langzeile von Strophe 39 hier nur als Vorahnung; den wirklichen Eintritt des Ereignisses bezeichnet die Wiederkehr dieser Zeilen am Schluß von Str. 48. Hier erst wird Fenrir frei, nachdem schon in der vorhergehenden Lokis Freiwerdung gemeldet war.

40–46. Weinhold hat (Zeitschr. VI. 311) das hohe Alter der Wöluspa angefochten und die Ansicht geltend zu machen gesucht, sie sei aus ältern Liedern durch spätere Bearbeiter zu einem Ganzen gestaltet und dabei unsere Str. eingerückt worden, welche durch Annahme von Höllenstrafen das Eindringen christlicher Vorstellungen verriethen. Indessen setzt er sie in der überlieferten Gestalt doch nicht später als in die erste Hälfte des 9. Jahrh. Dagegen hat Dietrich (Zeitschr. VII. 304 ff.) geltend gemacht, daß die angenommenen Strafleiden, das Waten schwerer Ströme, das Aussaugen der Leichen durch Nidhöggr u. s. w. nicht biblisch sind und von einer christlichen Hölle mit ihrer Feuersglut, mit Heulen und Zähnklappern u. s. w. hier keine Spur ist. Die Strafleiden sind aus dem wirklichen Leben des Nordens auf das Schattenleben übertragen, da dort noch bis auf den heutigen Tag das Durchwaten der vielen Flüße eine der gefährlichsten Mühen ist, und die unbegrabenen Leichen der Erschlagenen, die Wölfen und Raben zur Beute liegen, den Ueberlebenden ein tiefes Leid sein musten. Diese Züge, denen nordische Färbung nicht abzusprechen ist, sind überdieß mit Lokis unterweltlichem Leiden gleichartig, indem der giftspeienden Schlange über seinem Haupte die durch das Fenster niederfallenden Gifttropfen des aus Schlangenrücken errichteten Saals entsprechen. Endlich kennt auch das unbezweifelt echte Sigrdrifumal nachirdische Strafen, die um so mehr anzunehmen sind als Str. 64 auch überweltliche Belohnungen, ihre Kehrseite, verheißt. Aus gleichen Gründen sind auch die Str. 45 geschilderten Vorzeichen des jüngsten Tages, der Bruch der Sippe, die dem heidnischen Germanen das heiligste war, durch den Brudermord u. s. w. von allem Verdacht christlichen Ursprungs frei. Die äußern Zeugnisse für das Alter des Liedes, nach welchem es schon in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in der gegenwärtigen Gestalt vorhanden war, mag man in Dietrichs Abhandlung nachlesen. Uebrigens läßt auch Er das Gedicht aus ältern selbständigen mythologischen Liedern entstehen, die der mit dem 6. Jahrhundert beginnenden Blütezeit des mythologischen Epos im Norden angehören sollen. Obgleich wir selbst nicht geneigt sind, unser Gedicht, das wir als ein Ganzes auffaßen möchten, aus mosaikartig zusammengesetzten Bruchstücken älterer Lieder entstehen zu laßen, so scheinen uns doch die Str. 40–43 eingeschoben, da sie den Gang der Ereignisse sehr zur Unzeit unterbrechen.

40. Eiter bedeutet hier Gift. Slidur wird D. 4 unter den Höllenflüßen aufgeführt.

41 ist D. 52 paraphrasiert, aber nicht erläutert. Der erste Saal, der hier für Sindris Geschlecht sein soll, heißt dort selber Sindri. Den Namen führt auch Einer der Zwerge, mit welchem Loki D. 61 wettete. Die Bedeutung ist die des deutschen Sinters.

47. [Mimirs Söhne sind die Wellen des Meers, die sich empören, wie in der folgenden Zeile der Weltbaum sich entzündet: der Aufruhr der Elemente gehört zu den Vorzeichen des Weltuntergangs, welche in Str. 45 nur von der sittlichen Seite geschildert waren. Ueber das Giallarhorn und Mimirs Haupt vgl. zu St. 22. Der Name Mimirs Söhne zur Bezeichnung der Wellen scheint Nachbildung des früher geprägten Ausdrucks Muspels Söhne Str. 50 für die Flammen. Vgl. Myth. 525. 568 und D. 5. 54.] Für »Mimirs Söhne« lese ich jetzt »Muspels Söhne«.

48. Der Riese, der hier frei wird, kann nur Loki sein, von dessen mit Angurboda gezeugtem Sohne Fenrir in der nächsten Strophe ein Gleiches gemeldet wird, wenn unsere zu Str. 39 gegebene Erklärung des Namens Garm richtig ist. Schon dieser Zusammenhang beweist, daß die mittlern Zeilen von Str. 48 ein ungehöriger Einschub sind, den wirklich nicht alle Handschriften haben. Ebenso waren vielleicht auch die mittlern Zeilen von Str. 39, die hernach als Str. 44 wiederkehren, nur eingeschoben, um den Inhalt der letzten als ein noch fern liegendes Ereigniss, das dort nur vorgreifend erwähnt wird, während es hier wirklich eintritt, zu bezeichnen. Dort wie hier werden die beiden Gefeßelten zusammen erwähnt.

49. Hrym bezieht sich nach D. 51 auf die Hrymthursen, deren Schiff Naglfar er steuert. Für einen Feuerriesen kann er nicht gelten, da zwei verschiedene Schiffe nicht nöthig waren, die Mächte des Feuers herbeizuführen. Das Schiff Naglfar ist von Nägeln der Todten gezimmert, welche die Lieblosigkeit der Menschen unbestattet gelaßen hat. Solche Lieblosigkeit kann nur aus erkaltetem Herzen entspringen. Das ist der zweite Grund, warum Hrym kein Feuerriese sein kann. Vgl. Handb. §. 44. Jörmungandr ist die Midgardsschlange.

50. Da Z. 4 Bileists Bruder Loki ist, so kann er Z. 2 nicht gemeint sein, sondern Loki der Feuerriese.

51. Surtur der schwarze ist ein Riese der Feuerwelt, nicht ein hehrer Lichtgott, unter dessen Herschaft dieß neue Weltreich stehen soll, wie Finn Magnusen meinte. Vgl. Gr. Myth. 784.

53. Hlin ist hier ein Beiname Friggs, der Gemahlin Odhins, nach D. 33 aber selbst eine Göttin, die zu Friggs Gefolge gehört. Belis Mörder ist Freyr. Vgl. D. 37 und Skirnirs Fahrt. In der letzten Zeile ist Odhin gemeint.

54. Hwedrung kommt in der Skalda unter Odhins Namen vor; hier ist Loki gemeint.

55. Hlodyn und Fiörgyn sind Beinamen der Erde (Jörd), der Mutter Thors. Gr. M. 235. Midgards Weiher, Segner oder Heiliger ( Véorr) heißt Thor, der sich zu dieser Weihe seines Hammers Miölnir bedient. Uhland Myth. des Thor 28. Diese Strophe paraphrasiert D. 51.

56. Vor dieser Strophe müste von Tyrs Kampfe mit dem Höllenhunde, wenn D. 51 nicht irrte (vgl. oben zu 39), die Rede sein. Sie berichtet aber auch noch von Heimdals Kampf gegen Loki, der hier gleichfalls unerwähnt bleibt.

57, 58. Die erste Strophe entspricht Str. 7 und 8, wie das wieder gewonnene Paradies dem unverlorenen. Daß der Aar nach Fischen weidet, scheint anzudeuten, daß in der verjüngten Welt ewiger Friede herscht, da der Vogel des Schlachtengottes keine Leichen mehr findet. In der folgenden ist die Wiederkehr des goldenen Zeitalters noch deutlicher ausgesprochen. Daß Z. 2 und 3 richtig übertragen sind, beweist die Paraphrase in D. 53. Fimbultyr, der Str. 58 allein genannt wird, scheint der höchste Gott; ob hier Odhin, der Erfinder der Runen gemeint sei, Gr. Myth. 785, oder ein höherer, der das neue Weltreich beherscht, und schon vordem geheimnissvoll waltete, bleibt ungewiss. Doch spricht für diese Annahme Str. 63 und Hyndlul. 41, wo ein unausgesprochener Gott, der kommen werde, angekündigt wird.

61. Hönir war den Wanen als Geisel gegeben: nun aber soll er zurückkehren dürfen. Da unter den beiden Brüdern nicht Odhin und Loki verstanden sein werden, indem Lokis Söhne nicht wiederkehren, so könnten Hönir und Odhin die Brüder sein, deren Söhne nun das weite Windheim bewohnen sollen. Darnach wäre vorausgesetzt, daß Hönir die Rückkehr wählen werde. Beßer versteht man Hödr und Baldur unter den beiden Brüdern.

64. Die Echtheit dieser unverständlichen Strophe macht schon das sonst nur im Solarlied vorkommende Wort Dreki (Drache) verdächtig.

Literatur

  • Ludwig Ettmüller: Vaulu-Spá. Das älteste Denkmal germanisch-nordischer Sprache, Leipzig 1830 (Netzbuch)
  • Rudolf Simek: Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie; München C.H. Beck, 2005

Verweise