Reitzenstein, Albin Friedrich Wilhelm Theodor Freiherr von
Albin Friedrich Wilhelm Theodor Freiherr von Reitzenstein ( 13. August 1852 auf Haus Kappeln, Amt Mettingen, Kreis Tecklenburg, Provinz Westfalen; 16. November 1927 in Berlin) war ein deutscher Offizier der Preußischen Armee und des Deutschen Heeres, zuletzt Oberstleutnant im Ersten Weltkrieg sowie Generalleutnant in chinesischen Diensten und Freimaurer.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Albin Freiherr von Reitzenstein trat am 2. August 1870 dem Westfälischen Festungs-Artillerie-Regiment Nr. 7 der 7. Artillerie-Brigade und nahm am Deutsch-Französischen Krieg. Hier wurde er auch zum Sekondeleutnant ernannt und kam schließlich in die 8. Kompanie. Am 18. Juli 1872 wurde sein Stammregiment in Westfälisches Fußartillerie-Regiment Nr. 7 umbenannt, von der Artillerie-Brigade gelöst und direkt dem Armee-Korps unterstellt. Nach der Kommandierung zur Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule in Charlottenburg kehrte er zum Regiment zurück und diente in der 5. Kompanie.
Kurz vor seiner Beförderung zum Premierleutnant (Rangliste 1880 und 1881) wurde er in die 6. Kompanie des II. Bataillons (Küstrin) des Garde-Fuß-Artillerie-Regiments (Garde-Korps) versetzt und zur Kriegsakademie kommandiert. Als Hauptmann (Rangliste 1885) wurde er dann Chef der 8. Kompanie. Schon im Jahr darauf wurde er à la Suite des Garde-Fuß-Artillerie-Regiments für mehrere Jahre als Militär-Lehrer an Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule versetzt. 1890/91 wurde er in das Fuß-Artillerie-Regiment „General-Feldzeugmeister“ (Brandenburgisches) Nr. 3 nach Mainz versetzt, wo er Chef der 6. Kompanie wurde. Am 11. August 1894 nahm er als Major z. D. seinen Abschied, um in chinesische Dienste zu treten.
China
Freiherr von Reitzenstein erhielt von Zhang Zhidong (Chang Chih-tung; 1837–1909), über den chinesischen Gesandten in Berlin, eine Anstellung in China als Militärberater. Er sollte Führer des Projektes werden, mit 35 bis 40 deutschen Offizieren und Unteroffizieren die veraltete Armee der mittelchinesischen Provinzen in eine moderne „Selbst-Stärkungs-Armee“ mit 13 Bataillonen (10.000 Mann, um 1898 angeblich 20.000 Mann) aufzubauen. Diese Nanyang- oder Nanhai-Armee (Südmeerarmme) war das südliche Pendant zur Beiyang-Armee (Nordmeerarmee mit zuerst 7.000 Mann), welches ebenfalls nach deutschem Vorbild aufgestellt wurde. Beide Armeen erhielten eine Militärkapelle, die u. a. preußische Märsche spielten. Die Berater und Ausbilder aus Deutschland erhielten Privatverträge, manche direkt von den Chinesen, andere durch die Firma „Krupp“, welche zunehmend Waffen und militärische Ausrüstung an China exportierte und hervorragende Geschäfte machte. Die Bezahlung war äußerst üppig, die Deutschen durften ihre Familie mitbringen, die luxuriös mit Dienern untergebracht waren. Die chinesischen Mannschaften hatten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen. Schon Mitte 1895 war die angestrebte Brigadestärke erreicht. Freiherr von Reitzenstein erhielt den Oberbefehl über die Armee und führte zuletzt den Dienstgrad eines chinesischen Generalleutnants.
Im Februar 1896 entschied sich Chang Chih-tung, der Generalgouverneur von Wuchang geworden war, eine Militärakademie nach deutschem Vorbild in Nanking mit zuerst 150 Kadetten aufbauen zu lassen, um zukünftige chinesische Offiziere heranzuziehen. Die militärwissenschaftliche Ausbildung sollte sich an die deutscher Generalstabsausbildung orientieren (vor allem sollten die wenig gebildeten, aber gesunden jungen Männer Lesen und Schreiben lernen), Chang Chih-tung bat das Deutsche Reich um Entsendung von geeigneten Offizieren. Auch in Wuchang sollte nach dem Willen von Chang Chih-tung eine solche Akademie entstehen. Für diese Unterstützung sollte 1898 Deutschland das Pachtgebiet Kiautschou als Flottenstützpunkt für das Ostasiengeschwader erhalten. Von Reitzenstein hatte es schwer mit seinen deutschen Unteroffizieren. Alkohol, fremde Sitten, aber vor allem Feindseligkeiten innerhalb der Truppe führten zu Konflikte. Schlimmer war die Tatsache, daß die einstigen Militärmänner, da nun privat angestellt, die Hierarchie nicht mehr achteten und mehr oder weniger so agierten, wie sie es für richtig hielten. Ein deutscher Unteroffizier wurde wegen seiner „Arroganz“ von Chinesischen verletzt, woraufhin zwei deutsche Kanonenboote nach Nanking entsandt wurde.
Erich von Falkenhayn, der Ende 1896, gemeinsam mit Premierleutnant Gentz, als Militärinstrukteur mit dem Rang eines chinesischen Obersten (laut Vertrag vom 16. Juni 1896) eintraf, um in Wuchang (mit Unterstüzung des deutschen Gesandten in Peking Edmund Friedrich Gustav von Heyking) die Militärschule nach preußischem Muster aufzubauen, erkannte die Misere sofort und meldete die weiter. Auch Korvettenkapitän Henning von Holtzendorff, Kommandant der SMS „Prinzeß Wilhelm“ in Ostasien, berichtete an Konteradmiral Alfred von Tirpitz, der ab 15. Juni 1896 das Ostasiengeschwader anführte, dasselbe. Schließlich wurde nach den Berichten der Kaiserlichen Marine entschieden, daß in Zukunft deutsche Ausbilder vom Deutschen Reich angestellt werden und feste Dienstgrade erhalten sollten.
Freiherr von Reitzenstein etablierte Sport (wobei chinesische Kampfsportarten eingebunden wurden), vor allem das Turnen (Ticaofa), das Schwimmen, aus Angst vor dem Wasser, und das vorgestellte Fahrradfahren, lehnten die Chinesen dagegen strikt ab. Er schrieb Bücher über das Exerzieren (Deguo bubing caodian), den militärischen Alltag, Truppenreglement (Vorschriften) usw., die von Shen Dunhe (1866–1920), der 1902 erster Dekan der neuen Shanxi Universität wurde. Auch andere deutsche Bücher wurden für das chinesische Heer übersetzt, vor allem zu den Themen Militärhygiene und Militärmedizin. Ein bekanntes Werk war „Das Wesen der deutschen Wehrpflicht“ (Deguo zhengbingfa dayao), wobei Wehrpflicht für Chinesen völlig fremd war. Besonders interessant fanden die Chinesen von Reitzensteins Abhandlung zur Küstenverteidigung durch Artillerie.
Wie lange von Reitzenstein noch in China blieb ist unsicher, da er aber laut dem Deutschen Ordens-Almanach (1908, S. 1214) die China-Denkmünze erhielt, ist davon auszugehen, daß er zumindest bis zum Boxeraufstand im Lande war – auch einer seiner beiden ältesten Söhne nahm daran teil. Während der Unruhen verhielten sich sowohl die chinesische Südmeer- als auch die Nordmeerarmee neutral.
Erster Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg wurde Major z. D. Freiherr von Reitzenstein nach freiwilliger Meldung beim 3. Garde-Fußartillerie-Regiment reaktiviert, am 8. September 1917 erhielt er den Charakter als Oberstleutnant z. D.
Freimauerei
Freiherr von Reitzenstein wurde in der Kölner Loge „Minerva-Rhenana“ aufgenommen; er war Gründer und Stuhlmeister der Loge „Ring der Ewigkeit“ in Berlin, Großarchivar der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ und Leiter des „Bundes Blatt“. Er verfaßte eine Reihe freimaurerischer Bucher: „Die Freimaurer in Frankreich“, „Die strikte Observanz“, „Fichte“, „Lessing“, „Herder“ und „Wieland“.
Auszeichnungen (Auszog)
- Eisernes Kreuz (1870), II. Klasse
- Kaiserliche Kriegsdenkmünze 1870/71
- Roter Adlerorden, IV. Klasse
- Preußisches Dienstauszeichnungskreuz
- Orden vom Doppelten Drachen, II. Klasse, 3. Stufe (CDII.3/ChnD2c)
- Jubiläums-Eichenlaub „25“ 1870/1895
- Zentenarmedaille, 1897
- Kaiserlich Chinesische Erinnungsmedaille (ChnEM)
- China-Denkmünze
- Wiederholungsspange (1914) zum Eisernen Kreuz II. Klasse (1870)
- Eisernes Kreuz (1914), I. Klasse
- Königlicher Hausorden von Hohenzollern, Ritterkreuz mit Schwertern
Schriften (Auswahl)
- Der Angriff und die Verteidigung fester Plätze. An der Hand der Geschichte dargestellt für Offiziere aller Waffen, Küstrin 1882
- Das Familienleben in China, in: „Westermann’s illustrirte deutsche Monats-Hefte. Ein Familienbuch für das gesamte geistige Leben der Gegenwart“, Band 97, S. 731–740
- Die Freimaurerei in Frankreich, in: „Bücherei für Freimaurer “, Band 3, Verlag von Franz Wunder, Berlin 1906
- Die strikte Observanz, in: „Bücherei für Freimaurer “, Band 13, Verlag von Franz Wunder, Berlin 1907
- Maurerische Klassiker, vier Bände , in: „Bücherei für Freimaurer “, Bd. 7/8, 9/10 u. 20, Verlag von Franz Wunder, Berlin
- Fichtes philosophischer Werdegang, Eugen Diederichs Verlag, 1909
Mein Distanzritt
„Mein Distanzritt Berlin–Wien“ (Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Berlin 1893) wird im Weltnetz immer wieder Albin Freiherr von Reitzenstein als Autor zugeschreiben, es handelte sich jedoch um Rittmeister Freiherr von Reitzenstein (ggf. ein Sohn des chinesischen Generalleutnants), der als Premierleutnant im Kürassier-Regiment „von Driesen“ (Westfälisches) Nr. 4 im Herbst 1892 einen kaum vorstellbaren Distanzritt als Herrenreiter absolvierte.
- „Das Ergebnis verblüffte; es war fast undenkbar, was ein Graf Starhemberg, was ein Freiherr v. Reitzenstein vollbracht haben sollte! Und doch war Alles die strengste Wahrheit. Wohl mögen die Ahnen und Urahnen dieser Sprösslinge alter Adelsgeschlechter auf Fest- und Ernstturnieren beim Einlegen der Lanzen fest im Sattel gesessen haben — was waren aber diese Leistungen gegen die ihrer Nachkommen? Innerhalb einiger 70 Stunden hatten beide den Dauerritt zwischen den beiden Kaiserstädten an der Donau und an der Spree zurückgelegt.“[1]
Am 1. Oktober 1892 brachen von Wien 118 k. u. k. Offiziere Richtung Berlin auf, von Berlin aus starteten 132 Kavalleristen der Preußischen Armee. Die Kürassier-, Husaren-, Dragoner- und Ulanenregimenter ihre vielversprechendsten Reiter gemeldet, die die Ehre der jeweiligen Einheiten zu verteidigen hatten. Zumeist wurden private Pferde verwendet. Der Kavallerie-Oberst Heinrich von Rosenberg betreute die deutschen Reiter. Die Österreicher, die den großen Vorteil hatten, zunächst im schweren und später im leichten Gelände ritten, konnten auf der 572 Kilometer langen Strecke durchweg bessere Zeiten erzielen. Gesamtsieger wurde der Oberleutnant im k.u.k. Husarenregiment „Wilhelm II. Deutscher Kaiser und König von Preußen“ Nr. 7 der Gemeinsamen Armee Wilhelm Graf Starhemberg (1862–1928) auf dem Halbblut „Athos“ mit einer Gesamtzeit von 71 Stunden und 40 Minuten, der das Tempelhofer Feld am Morgen des 4. Oktober 1892 erreichte. Davon entfielen nur elf Stunden auf Pausen. Von Starhemberg erhielt 20.000 Mark Preisgeld sowie den Ehrenpreis des Kaisers Wilhelm, die Büste des Kaisers in Silber und den Roten Adlerorden IV. Klasse. Sein Pferd verstarb wenige Stunden später. Zielort der preußischen Reiter war Floridsdorf, ein Vorort von Wien. Sieger der Preußen wurde der Premierleutnant Freiherr von Reitzenstein vom Kürassier-Regiment Nr. 4 auf der 10jährigen Senner Vollblutstute „Lippspringe“, einer braunen Schecke, in 73 Stunden, sechs Minuten und 55 Sekunden. Er erhielt den Ehrenpreis des Kaisers Franz Joseph und eine Reiterstatue in Silber sowie 10.000 Mark Preisgeld. Sein Pferd verendete ebenfalls am Tage nach dem Zieleinlauf.[2] Bei den Festlichkeiten in Wien, zu denen auch Kaiser Wilhelm anreiste, wurde von Reitzenstein von ihm zu Rittmeister befördert.