Brockdorff-Rantzau, Ulrich von
Ulrich Karl Christian Graf von Brockdorff-Rantzau ( 29. Mai 1869 in Schleswig; 8. September 1928 in Berlin) war ein deutscher Jurist, Offizier der Preußischen Armee (bis zu einer Verletzung 1893) und Diplomat. Er war der erste Außenminister nach der erzwungenen Abdankung des deutschen Kaisers Wilhelm II. als Folge des Novemberputsches und somit der erste der sogenannten Weimarer Republik.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Ulrich, Enkel des Verwaltungsjuristen in dänischen Diensten Ernst Reichsgraf zu Rantzau (1802–1862) und Sohn von Hermann August Ernst Graf zu Rantzau (1840–1872), war von 1901 bis 1909 Legationsrat, dann Botschaftsrat in Wien und Den Haag. 1919 forderte er unter Berufung auf das 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson die Vereinigung des Deutschen Reichs mit Deutsch-Österreich. Als Leiter der deutschen Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz wies er die angebliche Alleinschuld des Deutschen Reiches und Österreichs am Ersten Weltkrieg zurück. Unter der Leitung Brockdorff-Rantzaus wurden deutsche Gegenvorschläge zum Versailler Vertrag ausgearbeitet, die auf eine Milderung der Konditionen für Deutschland abzielten und von den Feinden Deutschlands abgelehnt wurden. Er trat dann gemeinsam mit dem übrigen Kabinett Scheidemann im Juni 1919 zurück, da er den Versailler Schandvertrag nicht unterzeichnen wollte. Dies führte u. a. zur Selbstversenkung der Deutschen Flotte in Scapa Flow. 1922 wurde er Botschafter in Moskau.
- Am 7. Mai 1919 übergab der Leiter der Konferenz, der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, der deutschen Delegation den von den Siegermächten fertig formulierten Vertragstext mit über 440 Artikeln: „Wir sind einmütig entschlossen, sämtliche zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um jede uns geschuldete berechtigte Genugtuung zu erhalten.“ Deutschland hatte 14 Tage Zeit für eine Stellungnahme. Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, der parteilose deutsche Außenminister und Delegationsleiter, verwahrte sich bei der Entgegennahme des Vertragstextes gegen die alleinige Kriegsschuld: „Wir bestreiten nachdrücklich, dass Deutschland, dessen Volk überzeugt war, einen Verteidigungskrieg zu führen, allein mit der Schuld belastet ist.“ Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD) bezeichnete den Vertrag als „ein befristetes Todesurteil für Deutschland“. Am 12. Mai 1919 erklärte die deutsche Nationalversammlung einstimmig, dass der Vertrag unannehmbar sei.[2]
Herrenhaus Annettenhöh
- „Der Besitz Annettenhöh wurde in den 20er-Jahren des 19. Jh. durch Dr. jur. Christian Ulrich Hans Baron von Brockdorff, der 1811 zum Obergerichtsrat und Landrat der Herzogtümer Schleswig und Holstein ernannt worden war, erworben. Er benannte den Besitz nach seiner Gemahlin Anna Mathilde, genannt Annette, von Brockdorff, geb. von Lowtzow. Auf den Ländereien befand sich auch ein kleines Gartenhäuschen, das Baron von Brockdorff häufig mit seiner Gemahlin Annette und seinem einzigen Sohn, Ludwig Ulrich Hans, besuchte. Ihr Wohnhaus befand sich im nahe gelegenen Stadtteil Friedrichsberg. 1848 lag Annettenhöh im Kampfgebiet der Schlacht bei Schleswig, in der Dänen gegen Preußen kämpften. Bei diesen Kämpfen wurde auch das Gartenhäuschen zerstört und an seiner Stelle 1864 das Herrenhaus Annettenhöh von Dr. jur. Ludwig Ulrich Hans Freiherr von Brockdorff erbaut. Dr. jur. Ludwig Ulrich Hans Freiherr von Brockdorff war bis dahin Diplomat im auswärtigen Dienst des Königreiches Dänemark und 1863 nach seiner Diplomatenlaufbahn mit seiner Gemahlin Cäcilie von Brockdorff, geb. Kabrun, nach Schleswig zurückgekehrt. 1866 starb das einzige Kind des Freiherrn von Brockdorff und seiner Gemahlin Cäcilie von Brockdorff, Ulrich Bertram, im Alter von sieben Jahren. Daraufhin adoptierte die Familie von Brockdorff 1873 den vierjährigen Ulrich Carl Christian Graf Rantzau, dessen Vater, Hermann Graf zu Rantzau, 1872, erst 32-jährig, verstorben war. Dr. jur. Ulrich Carl Christian Graf Brockdorff-Rantzau (1869-1928) wurde der spätere Besitzer von Annettenhöh. Er war von 1894 an wie sein Adoptivvater im diplomatischen Dienst, u. a. 1912 Gesandter in Kopenhagen. Nach dem Ende des Kaiserreiches wurde Graf Brockdorff-Rantzau zunächst Staatssekretär, im Februar 1919 Reichsminister des Äußeren. Da er die harten Bedingungen des Versailler Vertrages als Leiter der deutschen Delegation nicht mildern konnte, lehnte er für sich die Unterzeichnung des Vertrages ab und trat im Juni 1919 als Außenminister zurück. Er bemühte sich als erster deutscher Botschafter in Moskau (1922-28) um eine deutsch-sowjetische Annäherung und trug zum Abschluss des Berliner Vertrages (1926) wesentlich bei. Brockdorff-Rantzau starb 1928 in Berlin. Er ist im Park von Annettenhöh an der Seite seiner Mutter, Juliane Charlotte Christiane von Rantzau, geb. Gräfin von Brockdorff (1843-1923), und seines Zwillingsbruders Ernst Graf zu Rantzau (1869-1930) beigesetzt. Der Besitz Annettenhöh ging dann auf den Sohn und Erben Ernst Graf Rantzaus, Dr. jur. Frederik August Graf Rantzau, über. Dieser ist im Jahre 1945 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft umgekommen. Er war verheiratet mit Gräfin Ehrengard zu Rantzau auf Noer. Von ihr übernahm das Land Schleswig-Holstein 1985 das Herrenhaus Annettenhöh.“[3]
Neue Deutsche Biographie
- B. studierte 1888-91 die Rechte in Neuchâtel, Freiburg (Breisgau), Berlin und Leipzig, wo er 1891 promovierte. Da er noch zu jung war für den Eintritt ins Auswärtige Amt, wurde er 1891 Fahnenjunker und alsbald Leutnant im 1. Garderegiment zu Fuß. 1894 war er als Attaché im Auswärtigen Amt tätig, 1894-96 der Gesandtschaft in Brüssel zugeteilt, 1896 bis 1897 im Auswärtigen Amt, 1897-1901 als Legationssekretär in St. Petersburg, 1901-09 in Wien, wo er bald Legationsrat und - nach kurzer Unterbrechung im Haag - 1905 Botschaftsrat wurde. 1909-12 war er politischer Generalkonsul in Budapest, im Mai 1912 Gesandter in Kopenhagen. Als Gegner der preußischen Dänenpolitik suchte er das deutschdänische Verhältnis zu bessern, drängte nach Kriegsausbruch ultimativ zur dänischen Neutralität und hielt während des Krieges den wichtigen Handel mit Dänemark (Kohle gegen Lebensmittel) aufrecht. Anfang Januar 1919 trat er auf Drängen Eberts und Scheidemanns das Amt des Staatssekretärs (im Februar Minister) des Auswärtigen an. Aristokrat aus Tradition und im Lebensstil, Demokrat aus politischer Überzeugung, verfolgte er eine konsequente Linie: vorbehaltlose Anerkennung der neuen deutschen Staatsform unter der Voraussetzung, daß die innere Stabilität gegen die Revolution von links gesichert wurde, Verfolgung des demokratischen Weges auch in der Außenpolitik, d. h. Forderung des Selbstbestimmungsrechts für die Deutschen ebenso wie für die anderen Völker, ein „Frieden des Rechts“ gemäß den Verheißungen Wilsons, daher Wiedervereinigung des Deutschen Reichs mit Deutsch-Österreich, all dies gipfelnd in der Völkerbundsidee zur Sicherung des Weltfriedens. Als Leiter der deutschen Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz wies er in seiner Rede vom 7.5. die These der Alleinschuld Deutschlands und Österreichs am Kriege zurück, ohne eine Mitschuld, besonders in der belgischen Frage zu leugnen, und wies auf die für beide, Teile bindende Grundlage der 14 Punkte Wilsons für den Friedensvertrag hin. Unter B.s Leitung wurden die deutschen Gegenvorschläge ausgearbeitet, die mit der Mantelnote am 29.5. übergeben wurden. B. wandte sich gegen die seiner Ansicht nach falsche Alternative „Unterzeichnen“ oder „Nicht unterzeichnen“, um auf dem Wege schriftlicher Verhandlungen, da Unterredungen verboten waren, einen zwar opferreichen, aber doch nicht ungerechten und entehrenden Frieden zu erreichen. Erst als nach der Antwort der Siegermächte und der in Deutschland für die Unterzeichnung gefallenen Entscheidung seine Bemühungen gescheitert waren, reichte B. am 20.6. sein Abschiedsgesuch ein, da er nunmehr gegen die Unterschrift unter das „Diktat“ eintrat. In den folgenden Jahren nahm B. lebhaft Anteil an der Außenpolitik und äußerte sich mehrfach öffentlich im Sinne einer Revision des Friedensvertrages und einer vernunftgemäßen Völkerrechtsordnung. Am 15.7.1922 warnte er Ebert in einer geheimen Denkschrift vor den Gefahren des Vertrages von Rapallo, an den die Westmächte militärische Befürchtungen knüpften. Eine „Bismarck-Politik“ sei gegenwärtig nicht mehr durchführbar. Gleichwohl trat er, nachdem er im November 1922 Botschafter in Moskau geworden war, für eine Annäherung an die Sowjet-Union ein, ohne eine östliche Festlegung zu befürworten. Unter dem Eindruck der russischen Reaktion auf die Locarno-Verträge äußerte sich B. zu diesen sehr kritisch. Es gelang ihm, die Russen im April 1926 zur Unterzeichnung eines Freundschafts- und Neutralitätsabkommens („Berliner Vertrag“) zu bewegen. Damit schien ihm das Gleichgewicht der deutschen Politik zwischen West und Ost wieder hergestellt. B. hatte eine geachtete Stellung in Moskau und unterhielt ein gutes persönliches Verhältnis zum sowjetischen Außenkommissar Tschitscherin. Er blieb Botschafter bis zu seinem Tode während eines Urlaubs in Berlin.[4]