Mirbach-Harff, Wilhelm von
Wilhelm Maria Theodor Ernst Richard Freiherr von Mirbach, seit 1901 Graf von Mirbach auf Harff ( 2. Juli 1871 in Bad Ischl; ermordet 6. Juli 1918 in Moskau) war ein deutscher Jurist, Offizier und Diplomat, zuletzt deutscher Botschafter in Moskau.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Von 1908 bis 1911 war er Botschaftsrat in Sankt Petersburg, dann Berater für politische Fragen beim Stab des deutschen Kommandos in Bukarest. 1915 war von Mirbach-Harff deutscher Botschafter in Athen, vom 16. Dezember 1917 bis zum 10. Februar 1918 stand er der deutschen Gesandtschaft in Petrograd vor, die nach Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk eingerichtet wurde. Vom 2. April 1918 bis zu seiner Ermordung war er dann Außerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter Minister des Deutschen Reichs in Sowjetrußland.
Kurzchronologie
- Sekretär an den Gesandtschaften in London, Budapest und Den Haag
- 1911 Legationsrat im Auswärtigen Amt
- 1915 Gesandter in Athen
- Reserveoffizier des Deutschen Heeres
- 1918 diplomatischer Vertreter des Reiches zur Überwachung der Bestimmungen des Friedensvertrags von Brest-Litowsk in Moskau
Neue Deutsche Biographie
- „M. genoß in Ischl zunächst Privatunterricht und besuchte dann 1881–85 die Theresianische Akademie in Wien, 1885-89 die Rhein. Ritterakademie Bedburg. Es folgte das Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg (Breisgau), Lausanne und Berlin (1889–92), das mit dem Referendarexamen 1893 abgeschlossen wurde. Als Einjährig-Freiwilliger trat er in das Kürassierregiment v. Driesen (Westfäl.) Nr. 4 ein. Dank seiner Herkunft und seiner Ausbildung gelang es dem jungen Juristen ohne Mühe, als Anwärter für die diplomatische Laufbahn angenommen zu werden. Der deutschen Botschaft in London wurde er 1896 zunächst zur Ausbildung zugewiesen, nach erfolgreicher Laufbahnprüfung 1899 als 3. Sekretär. 1901 ließ M. sich für ein Jahr ohne Bezüge beurlauben, um nach dem Tod des Vaters dessen Hinterlassenschaft zu ordnen. 1902 wurde er dann 2. Sekretär der Gesandtschaft in Den Haag, von wo aus er 1903 jeweils für wenige Wochen vertretungsweise nach Budapest und London ging. Am 13.8. 1904 wurde M. für den Verband des alten und befestigten Grundbesitzes der Landschaftsbezirke Cleve-Geldern, Nieder-Berg und Nieder-Jülich auf Lebenszeit in das Preuß. Herrenhaus berufen. Nach Stationen an den Missionen in München, Bern, Paris und St. Petersburg kehrte M. 1911 in die Berliner Zentrale zurück und wurde Wirkl. Legationsrat und Vortragender Rat, 1913 Geh. Legationsrat. 1914 wurde er Gesandter in Stuttgart, 1915 in Athen, wo er bis zur zwangsweisen Schließung der Gesandtschaft im November 1916 sehr isoliert, fast wie ein Gefangener lebte. Am 27.12.1916 übernahm er als Rittmeister der Reserve beim Stabe des Chefs des Großen Generalstabes des Feldheeres die Führung der Politischen Abteilung der Militärverwaltung in Rumänien, bevor er knapp ein Jahr später in den Auswärtigen Dienst zurückkehrte. Im April 1918 wurde M. eine besonders schwierige Mission anvertraut: Er ging als erster diplomatischer Vertreter des Deutschen Reichs in der Sowjetunion nach Moskau. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörten die Überwachung der Bestimmungen des Friedensvertrages von Brest-Litowsk und die Fürsorge für die deutschen Gefangenen in der Sowjetunion. Am 6.7.1918 wurde er von zwei Angehörigen der russ. Links-Sozialrevolutionäre, die den Frieden von Brest-Litowsk als Schmach und Schande empfanden und von einem fanatischen Haß auf alles Deutsche erfüllt waren, durch Pistolenschüsse und Handgranaten ermordet. M., der zu den wenigen Katholiken unter den Diplomaten des Kaiserreichs gehörte, überragte die meisten seiner Kollegen dank seiner Intelligenz und seines Könnens. Er war ein in sich ruhende Persönlichkeit mit liebenswürdigen Umgangsformen, großer Überzeugungskraft und anerkannten Führungsfähigkeiten. Da er frei von Vorurteilen war und sich auf neue, überraschende Situationen schnell einstellen konnte, wurden ihm bevorzugt schwierige diplomatische Aufgaben anvertraut.“[1]
Tod
Wilhelm Graf von Mirbach-Harff war 1918 u. a. an den Versuchen von deutscher Seite beteiligt, die Kaiserfamilie Rußlands auf diplomatischem Wege freizubekommen. Am 6. Juli 1918 wurde er im Gebäude der deutschen Botschaft in Moskau erschossen. Der Mörder Jakow Blumkin hatte den Auftrag für den Mord vom Zentralkomitee der Partei der linksextremen Sozialrevolutionäre erhalten, die bis März 1918 der Regierungskoalition mit den Bolschewiki angehört hatte. Nachfolger von Mirbach-Harffs als deutscher Botschafter wurde Karl Helfferich.
Boris Chavkin
- „Als Vorwand zu einem Treffen mit dem Grafen Mirbach benutzte Bljumkin den von ihm fabrizierten ‚Fall‘ eines angeblichen Neffen des Botschafters, des ‚österreichischen Kriegsgefangenen‘ Robert Mirbach, den die VK-Leute der Spionage beschuldigten. In Wirklichkeit war Robert Mirbach weder österreichischer Kriegsgefangener noch deutscher Spion, vielmehr entweder ein Namensvetter oder ein sehr weitläufiger Verwandter des deutschen Botschafters. Der Deutsche Robert Mirbach, der seit langer Zeit in Rußland lebte und weder in der österreichisch-ungarischen noch in der deutschen Armee gedient hatte, war russischer Untertan, lebte bis zu seiner Verhaftung in Petrograd und arbeitete in einer Wirtschaftsabteilung von Smol'nyj. […] Um 14.15 Uhr des 6. Juli 1918 fuhr ein dunkler Packard der V?K, in dem sich Bljumkin und Andreev befanden, vor dem Haus der deutschen Botschaft vor. Bljumkin stieg aus und wies den Fahrer an, den Motor nicht abzustellen. […] Mirbach schlossen sich Dr. Riezler und Leutnant Müller, dieser als Dolmetscher, an. Die Unterhaltung dauerte über 25 Minuten. Bljumkin legte dem Botschafter Papiere vor, die angeblich von der Spionagetätigkeit des ‚Verwandten des Botschafters‘ zeugten. Mirbach bemerkte, er sei diesem Verwandten nie begegnet und sein Schicksal sei ihm gleichgültig. Andreev fragte, ob der Graf nicht von den Maßnahmen erfahren wolle, die die Sowjetregierung vorhabe. Der Graf nickte. Darauf holte Bljumkin seinen Revolver hervor und schoß. Er gab drei Schüsse ab: auf Mirbach, auf Riezler und auf Müller, aber alle drei Male verfehlte er das Ziel. Mirbach sprang von seinem Sessel auf und lief weg. Andreev warf eine Bombe, aber sie detonierte nicht. Darauf schoß Andreev auf Mirbach und verwundete ihn tödlich. Blutüberströmt fiel Mirbach auf den Teppich. Bljumkin aber hob die Bombe auf, die nicht detoniert war, und warf sie heftig noch einmal. Eine Explosion ertönte, unter deren Deckung die Mörder zu entfliehen suchten. Die Terroristen ließen die VK-Bescheinigung, den ‚Fall Robert Mirbach‘ und die Mappe mit einer vorrätigen Sprenganlage auf dem Tisch liegen, sprangen durch das durch die Detonation eingeschlagene Fenster hinaus und rannten durch den Garten auf den Wagen zu. Wenige Sekunden später saß Andreev im Wagen, Bljumkin aber hatte sich beim Sprung aus dem Fenster ein Bein gebrochen. Mühsam versuchte er, über den Zaun zu klettern. Vom Botschaftshaus aus eröffneten die Deutschen ein unregelmäßiges Feuer. Eine Kugel traf Bljumkin am Bein, aber auch er konnte den Wagen noch erreichen. Der Fahrer drückte das Gaspedal voll durch, und der VK-Packard raste in die Trjochsvjatitelskij-Gasse zum Stab von Popovs VK-Abteilung. Hier wurde Bljumkin das Kopfhaar geschnitten, der Bart abrasiert, er selbst in eine Rotarmistenuniform gesteckt und in ein in der Nähe gelegenes Lazarett überführt. ‚Daran, daß wir aus der Botschaft entfliehen konnten, ist ein unvorhergesehener, ironischer Zufall schuld‘, schrieb Bljumkin. Um 3.15 Uhr starb Graf Mirbach. Er war 47 Jahre alt. […] Weder Andreev noch Bljumkin wurde verhaftet. Die deutsche Regierung schickte mehrmals Proteste dagegen, daß ‚der Mord am Grafen Mirbach nicht durch die entsprechende Bestrafung der Schuldigen und Konspiratoren des Verbrechens gesühnt wurde‘ und die Terroristen ‚nicht festgehalten wurden‘. Andreev und Bljumkin waren einfach verschwunden. Bald verschlug es Andreev in die Ukraine, und dort starb er an Typhus. Ein anderes Schicksal war dagegen Bljumkin beschieden. Das Todesurteil über den VK-Mann und Terroristen fällte 1918 nicht die Sowjetmacht, vielmehr taten das die von ihr ausgeschlossenen linken Sozialrevolutionäre, die sich an Bljumkin rächten. Selbstverständlich nicht wegen des Mordes an Mirbach, sondern wegen der hierauf folgenden Abrechnung, die die Bolschewiki mit ihrer Partei hielten, wobei die Aktion als ‚Unterdrückung der Meuterei der linken Sozialrevolutionäre‘ dargestellt wurde. Im übrigen mißlang das Attentat der linken Sozialrevolutionäre: Bljumkin blieb am Leben. Im Mai 1919 kam Bljumkin nach Moskau und stellte sich im Präsidium des VCIK ein, um sein Geständnis abzulegen, und das Komitee verzieh dem Mörder des deutschen Botschafters, der in Abwesenheit zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden war, seine Tat. In dem entsprechenden Beschluß des Präsidiums des VCIK vom 16. Mai 1919 hieß es: ‚In Anbetracht der freiwilligen Selbststellung Ja. G. Bljumkins und der von ihm gelieferten ausführlichen Erklärung der Umstände des Mordes am deutschen Botschafter Graf Mirbach beschließt das Präsidium, Ja. G. Bljumkin zu amnestieren.‘ […] Doch spielte Bljumkins Ehrgeiz ihm übel mit. 1929 begegnete er in Istanbul seinem ehemaligen Vorgesetzten und Freund Trockij, dem schlimmsten Feind von Stalin, der Trockij des Landes verwiesen hatte. Bljumkin unternahm es, einen Brief von Trockij in die Sowjetunion zu übergeben. Sofort wurde er nach Moskau abberufen. Am 3. November 1929 wurde der ‚Fall‘ des Trotzkisten Bljumkin auf einer Gerichtssitzung der OGPU verhandelt. Das Urteil lautete auf Erschießung. Im Dezember 1929 wurde Jakov Bljumkin erschossen.“[2]
Trauerfeier und Beisetzung
Am 10. Juli 1918 fand eine Trauerfeier in der deutschen diplomatischen Vertretung in Moskau statt. An deren Anschluß wurde der Leichnam des verstorbenen Grafen zum Moskauer Alexander Bahnhof gebracht und in einem Sonderzug nach Berlin überführt. Ein Mitglied der Gräflichen Familie hatte inzwischen die Begleitung des Verstorbenen übernommen. Es war sein Bruder k. u. k. Major Theodor Freiherr von Mirbach. Ihm zur Seite fuhr noch Legationsrat Graf von Bassewitz mit. Noch am gleichen Abend wurde der Leichnam weiter von Berlin nach Harff, dem Stammsitz der Grafen von Mirbach-Harff, überführt. Dort traf er dann am 12. Juli ein. Doch bevor der Wagon mit den sterblichen Überresten und dem Nachlaß von Graf Wilhelm in Harff eintraf, wurde er bei einem Zwischenhalt in Neuss von Unbekannten aufgebrochen und ausgeplündert. Auf Schloß Harff angekommen, wurde Graf Wilhelm im roten Saal aufgebahr. Die Totenwache hielten tagsüber die Schulkinder von Morken-Harff (Rheinland). Am 15. Juli 1918 begannen die Beisetzungsfeierlichkeiten schon morgens um 8.00 Uhr in der Schloßkapelle Harff mit einer stillen Messe. Nach Einsegnung der Leiche um 10.30 Uhr, durch Pfarrer Fell, setzte sich der Trauerzug vom Schloß in Richtung der gegenüberliegenden Schloßkapelle in Bewegung. Es nahmen wieder die Schulkinder von Morken-Harff, als auch die Ortsvereine aus den beiden Orten am Trauerzug teil. Hinter dem Sarg schritten der k. u. k. Major Theodor von Mirbach und die Vertretung seiner Majestät des deutschen Kaisers, Oberpräsident Exzellenz von Groote. Auch die russische Regierung war mit einer Abordnung vertreten und weitere offizielle Persönlichkeiten nahmen am großen Trauerzug teil. Bei der anschließenden Seelenmesse wurde dann der Verstorbene, unter großer Würdigung seiner Verdienste für das deutsche Kaiserreich durch Pfarrer Fell, in der Familiengruft der Schloßkapelle beigesetzt.
Auch das deutsche Kaiserreich nahm noch einmal in einer offiziellen Trauerfeier am 18. Juli in der Berliner St. Hellwegskirche Abschied. Bei einem feierlichem Requiem nahmen zahlreiche Vertreter des Deutschen Reiches Abschied vom ermordeten Gesandten Wilhelm Graf von Mirbach-Harff. Als Vertretung der Gräflichen Familie von Mirbach-Harff waren seine Brüder nach Berlin angereist. Sie erschienen in den Uniformen österreichischer Offiziere. Theodor Freiherr von Mirbach, der zu diesem Zeitpunkt noch als österreichischer Offizier seinen Militärdienst absolvierte, trat in die Erbfolge und wurde neuer Schloßbesitzer und Graf von Mirbach-Harff.
Familie
Wilhelm Graf von Mirbach-Harff stammte aus einer Familie des Rheinischen Uradels. Johann Wilhelm von Mirbach-Harff, der Gründer der Rheinischen Ritterakademie, war ein Urgroßonkel, Richard Freiherr von Vorst-Gudenau der Großvater väterlicherseits. Seine Eltern waren Ernst Freiherr von der Vorst-Lombeck-Gudenau, ab 1850 Freiherr von Mirbach, ab 1882 Graf von Mirbach auf Harff (1845–1901) und dessen Ehefrau Wilhelmine, geb. von Thun-Hohenstein (1851–1929).
Verweise
- Franz Krummbein: Die Ermordung des Grafen Mirbach als britisch-jüdische Verschwörung