Sprachforschung

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Sprachforschung bzw. Sprachwissenschaft, auch Linguistik (Latein: lingua ‚Sprache‘, ‚Zunge‘), ist eine Wissenschaft, die in verschiedenen Herangehensweisen die menschliche Sprache untersucht. Inhalt sprachwissenschaftlicher Forschung sind die Sprache als System und im Gebrauch, ihre Bestandteile und Einheiten sowie deren Bedeutungen. Des weiteren beschäftigt sich die Sprachwissenschaft mit Entstehung, Herkunft und geschichtlicher Entwicklung von Sprache, mit ihrer vielseitigen Anwendung in der schriftlichen und mündlichen Kommunikation, mit dem Wahrnehmen, Erlernen und Artikulieren von Sprache sowie mit den möglicherweise damit einhergehenden Störungen.

Deutsche Sprachforschung

Zur „deutschen Sprachwissenschaft“ gehören die Fächer „Linguistik des Deutschen“ und „Germanistische Linguistik“. Seit der Konsolidierung der europäischen Nationalsprachen als Kultur- und Wissenschaftssprachen im 16. Jahrhundert gab es kontinuierlich eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Sprache und ihrer Geschichte. Der erste Ansatz war normativ im Sinne einer Sprachreinigung, einer Verbesserung der deutschen Sprache.

Man anerkannte die Pflege der Reinheit der Sprache im Reden und Schreiben (also Freiheit von Fremdwörtern, Mundartausdrücken und grammatischen Fehlern) wie auch in Reimen (also der Dichtkunst). Die kulturpatriotischen Bestrebungen der Sprachgesellschaften fanden immer dann besonderen Anklang, wenn die Germanistik als eine „deutsche Wissenschaft“ selbst sich ähnlichen Zielen zu verschreiben bereit war. So galten die Sprachgesellschaften etwa lange Zeit als hehre Ahnen des 1885 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“, der sich in seinem Kampf gegen „Verwelschung und Ausländerei“ dankbar auf sie berief.

Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts hatten so poetische Namen wie:

Diese Arbeit schlug sich außer in konkreten Vorschlägen zur Sprachreinigung und zur Poetik in Wörterbüchern und Grammatiken der (hoch)deutschen Sprache nieder. So veröffentlichte 1641 Christian Gueintz (1592–1650) mit Billigung der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ eine deutsche Grammatik unter dem Titel „Deutscher Sprachlehre Entwurf“. Noch im selben Jahr legte Justus Georg Schottel seine umfangreiche „Teutsche Sprachkunst“ vor (Umfang ca. 1.500 Seiten). Mehrfach ergänzt erschien sie 1663 unter dem Titel „Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache“. In dieser Schrift wird auch eine Genealogie des Deutschen versucht, d. h. eine Zusammenfügung verschiedener Entwicklungsperioden. Jakob Grimm griff diesen Gedanken im 19. Jh. wieder auf. Die Tradition der Sprachgesellschaften und Sprachakademien wird heute durch die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ und ähnliche Institutionen in anderen Ländern fortgesetzt.

1704 schrieb Gottfried Wilhelm Leibniz seine „Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand“, die erst posthum (1765) veröffentlicht wurden. Im Band über die Wörter wird auch die Gleichrangigkeit der deutschen mit den klassischen Sprachen behauptet und es werden Hinweise auf ihr Alter und ihre Verwandtschaft mit historischen Sprachstufen gegeben.

In die philosophische Debatte über den Ursprung der Sprache griff 1772 Johann Gottfried Herder mit einem gleichnamigen Werk ein und sein zwischen 1784 und 1791 entstandenes Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ entwirft eine Kulturanthropologie der Sprache. Die Grammatiker der deutschen Aufklärung schrieben in derselben Epoche auf der Basis der Literatursprache des 18. Jh. umfangreiche Grammatiken und Lexika.

  • 1781 Johann Christoph Adelung „Deutsche Sprachlehre“
  • 1774–1786 Ders. „Versuch eines grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart, besonders aber der oberdeutschen“ (5 Bde.).

Die theoretische Diskussion des 19. und teilweise des 20. Jh. wurde durch das Werk des großen Typologen und vergleichenden Sprachwissenschaftlers und Sprachphilosophen Wilhelm von Humboldt (1767–1835) geprägt. Posthum erschien 1836 seine Schrift „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“.

Mit der Entdeckung der Verwandtschaft zwischen den klassischen Sprachen (Griechisch, Latein) und Deutsch einerseits und den nordindischen Sprachen andererseits (insbesondere dem historischen Sanskrit, d. h. Altindischen), entstand der Impuls zur historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, welche das 19. Jh. dominieren sollte.

Als Ausgangspunkt kann Friedrich von Schlegels Schrift von 1808 „Über die Sprache und Weisheit der Inder. Ein Beitrag zur Begründung der Altertumskunde“ gelten. Schlegel gilt als einer der Begründer der Indogermanistik. Im Laufe des Jahrhunderts wurde das vergleichende Paradigma in der Germanistik und Romanistik mit großem Erfolg angewandt. Der Klassiker der sich konstituierenden Disziplin Germanistik ist für die Sprachwissenschaft (teilweise auch die Literaturwissenschaft) Jakob Ludwig Carl Grimm (1785–1863). Gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm Carl Grimm (1786–1859) sammelte und publizierte er die „Kinder- und Hausmärchen“ (1812–1822). Jacob Grimm legte mit einer Serie von Werken den Grundstein zu einer erneuerten Wissenschaft der deutschen Sprache und Kultur: 1816/1818 erschienen die „Deutschen Sagen“.

Seine Konzeption vom Gegenstand der Deutschen Sprachwissenschaft läßt sich aus der Vorrede zum ersten Band der Deutschen Grammatik, 1819, entnehmen (vgl. Arens, 1969, Bd. 1: 196 f.):

„Kein Volk auf Erden hat eine solche Geschichte für seine Sprache wie das deutsche. Zweitausend Jahre reichen die Quellen zurück in seine Vergangenheit, in diesen zweitausend ist kein Jahrhundert ohne Zeugnis und Denkmal. Welche ältere Sprache der Welt mag eine so lange Reihe von Begebenheiten aufweisen, und jede an sich betrachtet vollkommenere, wie die indische oder griechische, wird sie für das Leben und den Gang der Sprache überhaupt in gleicher Weise lehrreich sein?“

Diese romantische Suche nach den Wurzeln wird begleitet von einer Ablehnung präskriptiver Gängelungen der Sprecher. In derselben Vorrede (S. IX f.) sagt Grimm:

„Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiß, d. h. ungelehrt, darf sich, nach dem treffenden Ausdruck eines Franzosen: eine selbsteigene, lebendige Grammatik nennen und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen.“

Aus diesem individualistischen Geist der romantischen Sprachwissenschaft folgt auch eine Aufwertung der Mundarten, „die um ihrer selbst willen untersucht, nicht als Ergänzungsmittel der gebildeten Sprachen betrachtet werden“ (ibidem: II f.). In diesem Zusammenhang erwähnt Grimm dann die germanische und hochdeutsche Lautverschiebung, die von den Junggrammatikern später als Gesetz bezeichnet wird.

Hauptwerke von Jakob Grimm (1785–1863):

  • 1812 und 1815: Deutsche Märchen
  • 1816/1818: Deutsche Sagen
  • 1819/1837: Deutsche Grammatik
  • 1828: Deutsche Rechtsaltertümer
  • 1833: Deutsche Mythologie
  • 1840–1860: Deutsche Weistümer

Diese Richtung, die in ihren Fortsetzungen die „Germanische Philologie“ (vgl. den „Grundriß der Germanischen Philologie“, Trübner, Straßburg) bildete, prägte die deutsche Sprachwissenschaft bis in die 60er Jahre. Die Konzeptionen von de Saussure (1916), Bloomfield (1933) und der Prager Schule (1930er Jahre) fanden nach dem Zweiten Weltkrieg erst langsam Eingang in die germanistischen Lehrpläne. Seitdem hat auch die „Germanistische Sprachwissenschaft“ andere Konturen, obwohl die Ergebnisse der Philologie ihren Wert behielten [...] Demnach steht für die Germanische Philologie die Geschichte der deutschen Sprache im Vordergrund.[1]

Germanistische Linguistik

Die Germanistische Linguistik behandelt die deutsche Sprache unter verschiedenen Perspektiven. Im Vordergrund stehen das Laut- und das Schriftsystem der Sprache (Phonologie und Orthographie), der Aufbau von Wörtern und Wortformen (Morphologie), von Wortgruppen und von Sätzen (Syntax); die Bedeutung von Wörtern und Sätzen (Semantik); die Bedeutung sprachlicher Äußerungen in spezifischen Gebrauchssituationen (Pragmatik); satzübergreifende Phänomene (Textlinguistik); der Wortschatz und der Bestand fester Wendungen (Lexikographie, Lexikologie und Phraseologie).

Untersucht werden vor allem die gegenwärtige Standardsprache, die Dialekte des Deutschen und frühere Stufen der deutschen Sprache. Die sprachgeschichtliche Forschung befaßt sich vornehmlich mit den Veränderungen in der Sprache über bestimmte Zeiträume hinweg (Erforschung des Sprachwandels, Etymologie etc.). Es werden auch Fragen nach der gesellschaftlichen Bedingtheit (Soziolinguistik) oder nach der mentalen Repräsentation von Sprache (Psycholinguistik) gestellt.

Die Germanistische Linguistik weist Berührungspunkte mit weiteren universitären Fächern wie der Allgemeinen Sprachwissenschaft, der Computerlinguistik, den linguistischen Fächern der anderen Philologien, der Mediävistik, der Phonetik, der Psycholinguistik und der Theoretischen Linguistik auf; diese eignen sich somit zur Kombination mit dem Fach Germanistische Linguistik.[2]

Indogermanen

Die vergleichende Sprachwissenschaft setzt für das Ur-Indogermanische der Urgermanen den Zeitraum zwischen 6000 und 3000 v. d. Z. an.

Siehe auch

Literatur

  • Friedrich von Schlegel: Zur Philologie. I und II. In: Kritische Friedrich Schlegel-Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler. 2. Abteilung. Bd. 16: Fragmente zur Poesie und Literatur. 1. Teil. Schöningh, Paderborn, München, Wien 1981, S. 33–81.
  • Friedrich Nietzsche: Wir Philologen. In: Friedrich Nietzsche: Werke. Hrsg. von Karl Schlechta. Bd. 3, 6., durchgesehene Auflage, Hanser, München 1969, S. 323–332 – Notizen zu „Wir Philologen“ i.R. der Digitalen Faksimile Gesamtausgabe. Hrsg. von Paolo D'Iorio.
  • Dietrich Homberger: Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2003, ISBN 3-15-018241-7.
  • Clemens Knobloch: „Volkhafte Sprachforschung“ – Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1945, Walter de Gruyter (2005)

Verweise

Fußnoten

  1. Vgl.: Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft von Professor Dr. Wolfgang Wildgen, S. 1 ff
  2. Germanistische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München