Zeitungszeugen
Zeitungszeugen ist der Name einer angeblich „unabhängigen“ Publikation für zeitgeschichtliche Informationen. Die Herausgabe von Zeitungen und Originaldokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus möchte zum Verständnis dieser Periode deutscher Geschichte beitragen. Aus Gründen der politischen Korrektheit distanziert sich der Herausgeber ausdrücklich von den Inhalten der abgedruckten nationalsozialistischen Zeitungen und Dokumente.
„In Deutschland kann sich ab heute jeder ein Kompendium von Zeitungen aus der Zeit des Nationalsozialismus am Kiosk kaufen, und zwar wöchentlich. Historiker wie Hans Mommsen halten das für eine gute Idee, und auch der englische Verleger Peter McGee findet: Nur so könne man selbst erfahren und nachlesen, welche Informationen den Menschen damals eigentlich zur Verfügung gestanden hätten. Also gibt es seit heute die Erstausgabe von McGees sogenannten ‚Zeitungszeugen‘ zu kaufen - einen Sammelband mit unzensierten Artikeln aus der NS-Presse. Von Kriegspropaganda bis zu Kleinanzeigen ist alles dabei. Das Projekt läuft ein Jahr lang.“ [1]
Zeitungszeugen wird vom britischen Verlagshaus Albertas Limited herausgebracht. Ähnliche Projekte gibt es bereits in Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Griechenland, Spanien und Österreich.[2]
Inhaltsverzeichnis
Thematische Inhalte
Nachgedruckt werden damalige Zeitungen wie etwa die deutschnationale „Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Der Angriff“ oder der kommunistische „Kämpfer“. In den folgenden Ausgaben fanden sich auch Zeitungen wie die katholische „Germania“ oder die „National-Zeitung“. Neben reichsdeutschen Zeitungen werden auch ab und zu aus dem Ausland stammende Zeitungen als Beilage nachgedruckt, wie etwa die „Eupener Zeitung“, die das Sprachrohr der Deutschbelgier darstellte, oder „Pester Llyod“, eine deutschsprachige Zeitung aus Ungarn. Weiter Zeitungs-Faksimile sind der Völkische Beobachter, die Kölnische Zeitung, Der Bund (Schweiz), Der Mittag, die Rheinisch-Westfälische oder die Kreuz-Zeitung.
Neben meist zwei oder drei Zeitungsnachdrucken findet sich zudem in jeder Ausgabe ein Dokument nachgedruckt, wie etwa ein Erlaß des Führers oder diverse Wahl- und Propagandaplakate aus dieser Zeit.
Jede Ausgabe behandelt zudem ein spezielles Thema, wonach die Zeitungen mit dazu passenden Inhalten ausgesucht werden. So dokumentiert und kommentiert die erste Ausgabe die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Andere Ausgaben widmeten sich Themen wie dem Reichstagsbrand, deutschen Literaten im Exil, der Landwirtschaft im Nationalsozialismus oder den Nürnberger Gesetzen.
Kommentierungen
Da der unkommentierte Nachdruck von NS-Presseerzeugnissen in der BRD gerichtliche Folgen nach sich ziehen würde, enthält jede Ausgabe vier Seiten Kommentierungen und Hintergrundwissen. Diese werden von diversen „Historikern“ verfaßt, wie etwa dem Medienwissenschaftler Horst Pöttker oder dem links gerichteten Historiker Wolfgang Benz. Ebenso beteiligt waren der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und Barbara Distel, die mehrere Jahre lang die KZ-Gedenkstätte in Dachau leitete.
Die Beiträge vertreten jedoch das derzeitig offizielle Geschichtsbild, so wird etwa in der Ausgabe 15, die sich mit Hitlers Friedensrede aus dem Jahr 1935 beschäftigt geschrieben, „Hitler [predige] den Friedenswillen des deutschen Volkes, während er im Hintergrund bereits für den Kampf um die Macht in Europa aufrüstete“, womit dem Deutschen Reich zu diesem Zeitpunkt bereits konkrete Kriegspläne unterstellt werden.[3]
Ebenso finden sich in vielen Kommentierungen unsachliche Untertöne, so wird in Ausgabe 13, die sich mit der Heimkehr des Saarlandes zum Reich beschäftigt, daß die 90,8% der Saarländer, die für die Heimkehr stimmten, „damit gegen jede politische Vernunft [handelten]“.[4] Auf der Titelseite der Ausgabe 16 wird ferner bereits geschrieben, daß nun „bizarre Rassetheorien der Nazis (...) geltendes Recht [werden]“, was nicht gerade allzu sachlich formuliert wurde.
Die Krönung der Geschichtsverdrehenden und -verfälschenden Kommentare dürfte allerdings die Nummer 49 aufweisen, die mit der Schlagzeile daherkommt: Deutschland erpresst von Litauen das Memelland. Mehr Geschichtsverfälschung ist nicht mehr möglich!
Hinzu kommen noch, daß die Frontbildgestaltungen mancher Ausgaben ebenso fragwürdig unsachlich aufgebaut sind. Während die meisten Ausgaben zum Thema passende Bildcollagen vorzuweisen haben, zeigt die Ausgabe 5, in der Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund analysiert wird, einen von Charles Chaplin dargestellten Hitler, der auf seinen Fingern eine Weltkugel jongliert. Ausgabe 15 bietet ein Foto Hitlers vor einem Mikrofon, wo aus seinem Mund das Wort „Frieden“ kommt, in einer Gedankenblase aber „Krieg“ zu lesen ist.
Zensur
Mit dem vorgeschobenen Argument eines angeblichen "Mißbrauchs" will das bayerische Finanzministerium den Nachdruck von Zeitungen durch das historische Magazin „Zeitungszeugen“ verbieten. Es hält nach eigenen Angaben die Rechte an den Zeitungen. Das bayerische Finanzministerium fordert von „Zeitungszeugen“ eine Unterlassungserklärung. Die Exemplare, die bereits im Umlauf sind, müssten eingezogen werden. „Zeitungszeugen“-Chefredakteurin Sandra Paweronschitz sprach von einem Angriff auf die Pressefreiheit, gegen den man juristisch vorgehen werde - notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht. Es gebe keine Mißbrauchgefahr erklärte sie.[5][6]
- Streit um die Publikation
Im Streit um die Publikation 'Zeitungszeugen' will sich der Verlag 'Albertas Limited' nicht dem bayerischen Finanzministerium beugen. Er beharrt darauf, die kommentierten Faksimile-Ausgaben von deutschen Zeitungen aus den dreißiger und vierziger Jahren weiterhin zu verkaufen. Ein Verlagssprecher sagte dem Deutschlandfunk, es sei nicht klar, ob die Rechte an den Blättern jemals von der US-Besatzungsmacht an das Ministerium übergegangen seien. Selbst wenn dies der Fall sei, bezweifele man, ob diese Rechtslage über 70 Jahre nach dem Erscheinen der Blätter noch Gültigkeit habe. Das Finanzministerium hatte mit einer Unterlassungerklärung versucht, die Publikation zu stoppen. Die zweite Ausgabe von 'Zeitungszeugen' kam am 21. Januar 2009 dennoch in den Handel.[7]
- Zentralrat der Juden fordert Verbot für Projekt „Zeitungszeugen“
Für den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, sprach sich für ein Verbot des Projektes „Zeitungszeugen“ aus. Man gewinne den Eindruck, dass kommerziellen Interessen Vorrang vor fundierter Aufklärung eingeräumt werde.[8]
- „Verfassungs“-widrig
Die Original-Nachdrucke von Zeitungen durch die neue Wochenzeitung „Zeitungszeugen“ werden beschlagnahmt. Gegen den Herausgeber der Zeitung werde zudem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz ermittelt, teilte das bayerische Justizministerium am 23. Januar 2009 mit.
Das Forschungsprojekt hatte zuvor trotz eines Verbots der Staatsregierung als Rechteinhaber der früheren Verlage seiner zweiten Nummer von „Zeitungszeugen“ die Nachdrucke des NSDAP-Organs „Völkischer Beobachter“ und des Plakates „Der Reichstag in Flammen“ beigelegt.[9]
- Zweifel am Urheberrechtsanspruch
Durch den Nachdruck sieht der Freistaat eine Verletzung des Urheberrechts, da die Urheberrechte von Adolf Hitler als Herausgeber des Blattes sowie die Verlagsrechte auf den Freistaat übergegangen seien. Die Zivilkammer unter Vorsitz von Richter Thomas Kaess hält dem entgegen, daß sie das Urheberrecht bereits als erloschen ansieht: „Wenn der Freistaat Bayern solche Nachdrucke verbieten wolle, solle er entsprechende Gesetze schaffen, das Urheberrecht sei für solche Fragen eine schwierige Rechtsgrundlage.“[10]
- Nachdruck von historischen Zeitungen zum Teil erlaubt
Das Münchner Landgericht hob eine Einstweilige Verfügung gegen den britischen Verleger Peter Mc Gee auf. Der Nachdruck von Blättern verletze nicht das Urheberrecht, wenn die Dokumente vor dem 1. Januar 1939 erschienen seien, entschieden die Richter. Die bayerische Staatsregierung hatte versucht, mit Hilfe der Verwertungsrechte die Veröffentlichung in der Reihe „Zeitungszeugen“ zu verhindern. Es bestehe die Gefahr, dass die Texte missbraucht werden könnten, hieß es.[11] Das Finanzministerium wies hingegen darauf hin, dass die Komplettnachdrucke ohne weiteres der Zeitung entnommen und damit ungefiltert Verbreitung finden könnten. Über das Urheberrecht wollte es ein Verbot sämtlicher Nachdrucke erreichen. Die Richter werteten als Stichtag für das Urheberrecht das Erscheinungsdatum der strittigen Zeitungen - und nicht die Todestage von Joseph Goebbels als Herausgeber des „Angriff“ und von Adolf Hitler als Herausgeber des „Völkischen Beobachter“ im Jahr 1945. Jedes Jahr erlischt nun dem Urteil zufolge das Urheberrecht für die Ausgaben eines weiteren Jahres. Im Jahr 2015 erlischt damit auch das Urheberrecht für Veröffentlichungen von Goebbels und Hitler - so auch für „Mein Kampf“. Der Nachdruck ist aber auch dann nur erlaubt, wenn nicht andere Gesetze verletzt werden, wie etwa das Verbot der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen.[12]
- Beschlagnahme der 'Zeitungszeugen' aufgehoben
Das Münchner Landgericht hob im April 2009 die Beschlagnahme des Nachdrucks von historischen Blättern auf. Die beschlagnahmten Exemplare müssen damit an die jeweiligen Zeitungsverkäufer zurückgegeben werden. Auf der Publikation waren unter anderem Hakenkreuze abgebildet. Diese Darstellung hatte die Vorinstanz als verboten angesehen. Das Landgericht aber konnte nach eigenen Angaben kein strafbares Verhalten erkennen. Die Abbildung der Symbole sei erlaubt, wenn dies im Zusammenhang mit Lehre, Forschung, Wissenschaft und Kunst geschehe. [13]
- Selbstzensur
Anfang Oktober 2009 erschien die Ausgabe 34 mit dem Titel „Rassenhaß und Kriegsvorbereitung“. Als Dokument lag dort ein Nachdruck des Propagandaplakates bei, welches den ewigen Juden mit der Sowjetunion unter dem Arm und Münzen in der ausgestreckten Hand zeigt. Im Gegensatz zu den dreiundreißig zuvorigen Veröffentlichungen wurde dieses Plakat aber nicht im DIN-A2-Format beigelegt, sondern stark verkleinert. Der Großteil der Plakat-Beilage bestand aus einem Text, mit welchem die Redaktion die Frage stellte, wie man mit antisemitischer Propaganda umgehen und ob man diese zwecks Dokumentarzwecken nachdrucken soll: „Wie aber soll man mit antisemitischen Plakaten umgehen? Welchem Zweck könnte es dienen, ein Poster großformatig nachzudrucken, das nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern alle demokratischen Deutschen beleidigen und vor den Kopf stoßen könnte?“ Die Leser wurden dabei aufgefordert, ihre Meinung zu diesem Thema kundzutun. Wieso die Zeitungszeugen bisher allerdings keine moralischen Bedenken damit hatten, NS-Zeitungen oder Propagandaplakate mit Hakenkreuzen nachdrucken und beilegen zu lassen, wird dabei jedoch nicht genannt und läßt die Sache zweifelhaft erscheinen.
Daten
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Verweise
- Netzpräsenz vom Zeitungszeugen
- Neues zeitgeschichtliches Projekt ab 8. Januar 2009 im Handel: ZEITUNGSZEUGEN 1933-1945
- Projekt „Zeitungszeugen“ in der BRD verboten, ungefilterte politische Bildung ist unerwünscht
- ZEITUNGSZEUGEN wehrt sich gegen Verbotsversuch durch bayerisches Finanzministerium