Clissmann, Helmut
Helmut Ewald Clissmann ( 11. Mai 1911 in Aachen; 6. November 1997 in Dublin) war ein deutscher Lehrer, Abwehr-Agent, Offizier der „Brandenburger“ und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, zuletzt Leutnant (vermutlich Sonderführer Z) im Zweiten Weltkrieg sowie erfolgreicher Unternehmer in der Nachkriegszeit.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Helmut Clissmann, Sohn von Heinrich Clissmann, war schon als junger Mann Mitglied des „Jungpreußischen Bundes“ („Deutsche Jungenschaft“) unter Joseph „Jupp“ Hoven, der von der von Gerhard Roßbach gegründeten Wehrjugendverband „Schilljugend“ (1924–1933) kam. Hoven hatte Kontakte zu Ernst Jünger sowie Friedrich Hielscher und gehörte zum Herausgeberkreis der „Kommenden“ sowie ab 1931 zum Herausgeber-Gremium der seit Ende 1929 erscheinenden nationalrevolutionären Zeitschrift „Der Vorkämpfer gegen politische und wirtschaftliche Unterdrückung“ von Hans Ebeling, Werner Kreitz und Friedrich Lenz.
Mit dem Jungpreußischen Bund war Clissmann an Wehrsportübungen und an Ausbildung durch die „schwarze Reichswehr“ beteiligt. 1930, 1931, 1932 und 1934 besuchte Clissmann Irland und war Austauschstudent sowie Doktorand an der „Trinity College Dublin“, der renommierten Universität Dublins. Hier studierten sehr viele wohlhabende Deutsche (zumeist als Austauschstudenten) in den 1930er Jahren, u. a. 1935 bis 1936 Apollonia „Nona“ Keitel, Tochter des späteren Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel.
Am 1. Mai 1934 wurde Clissmann Mitglied der NSDAP. Er galt spätestens seit 1935 als Mitarbeiter des deutschen Geheimdienstes. In späterer Akten taucht er sogar als „früherer Gauleiter Dublins“ auf. Clissmann, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für keltische Studien, wurde vom SD-Oberabschnitt Aachen 1936 gepriesen, er würde „Außenarbeit im Westen“ leisten. Er promovierte nicht wie beabsichtigt, seine Dissertation über Wildgänse in Deutschland wurde nie vollendet.
Er wurde ab 1936 Gastlektor (DAAD-Lektor) an der Universität und lehrte im Auftrag der Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums (Vorläuferin des Goethe-Instituts) Deutsch. Ebenfalls war er am regen Studentenaustauschprogramm (Deutscher Akademischer Austauschdienst - DAAD) beteiligt, den es heute noch gibt (Stand: 2015). Er verkehrte u. a. mit Dr. Eduard Hempel (deutscher Gesandter), Dr. Werner Vogelsang (MdR) und Dr. Adolf Mahr (Leiter der Auslands-Organisation und Direktor des Irischen Nationalmuseums). Sein alter Freund Jupp Hoven, mit dem er eine tiefe Sympathie für den irischen Nationalismus teilte, war ebenfalls in Dublin ansässig und arbeitete für den deutschen Geheimdienst.
Im August 1939 wurden alle Deutschen zurück ins Reich befohlen. Dies sollte sich später als Fehler herausstellen, denn darunter waren viele Agenten, die von dort aus erfolgreicher gegen Nordirland und Großbritannien hätten agieren können. Die deutsche Botschaft (Gesandschaft) in Dublin blieb jedoch von den Briten unbehelligt, da befand sich auch eine Abwehrstelle (Ast), die Abwehr unterhielt in der Hauptstadt auch mehrere konspirative Wohnungen.
Zweiter Weltkrieg
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er zuerst an der TH Berlin-Charlottenburg tätig. Er vermittelte den großen irischen Schriftsteller Francis Stuart (der auch Redemanuskripte für William Joyce schrieb) an die Berliner Universität, wo er, in Begleitung seiner Frau Iseult, als Lehrbeauftragter berufen wurde.
Anfang 1940 meldete er sich freiwillig bei dem Bau-Lehr-Bataillon z. b. V. 800 „Brandenburg“ und wurde in der Abwehrkampfschule „Quenzgut“ ausgebildet. Clissmann hatte gemeinsam mit Jupp Hoven – und mit Unterstützung von Wilhelm Canaris und dem irischen Gesandten in Madrid Leopold Kerney – am 15. Juli 1940 die Flucht (Übergabe an die Abwehr an der spanischen Grenze) des IRA-Führers Frank Ryan (1902–1944) aus spanischer Haft (er hatte auf republikanischer Seite gegen Franco gekämpft) organisiert (Canaris mußte Franco an die vielen Opfern der Legion Condor erinnern). Ebenfalls war er mit anderen Irlanderfahrenen Abwehrmitarbeitern für die Aussonderung britischer Kriegsgefangener irischer Herkunft zuständig mit dem Ziel des Aufbaus einer „Irischen Brigade“ innerhalb der Wehrmacht zu bilden. Ebenfalls wurde im Sommer 1940 in einem Sonderlager französische Kriegsgefangene bretonischer Herkunft angeworben. Clissmann fungierte als Berater für den SS-Standartenführer und späteren SS-Oberführer Dr. Edmund Veesenmayer (Gesandter im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftragter des Reichsaußenministers für Irland) und arbeitete mit Sonderführer Kurt Haller bei der Unterstützung der IRA mit Geld und Waffen zusammen.
Im August/September 1940 sollte Geistersegler Leutnant (S) Christian Nissen beim Unternehmen „Möwe“ oder „Seemöwe“ Clissmann (Tarnname: „Lehrer“) und einen Funker nach Irland verbringen, das Unternehmen mußte jedoch abgebrochen werden.
Zuerst im Sommer (Clissmann und Rieger wurden nun offiziell durch Entgegenkommen Canaris’ dem Auswärtigen Amt unterstellt),[1] dann im September 1941 war er gemeinsam mit seinem engen Freund Frank Ryan und dem Abwehr-Funker Rieger für das Unternehmen „Seeadler“ (auch: Unternehmen „Taube II“[2]) vorgesehen (Nachfolger des im Mai 1941 eingestellten Unternehmens „Walfisch“), allerdings mußte das Unternehmen aufgegeben werden, da die Invasion Englands nach dem endgültigen Scheitern des Unternehmens „Adlerangriff“ und den Anstrengungen des Unternehmens „Barbarossa“ ausblieb.
Unteroffizier und später Feldwebel Clissmann diente auch im Afrikafeldzug und organisierte die Verbringung von Agenten und Kommandosoldaten hinter feindlichen Linien. Im Frühjahr 1943 war Clissmann inzwischen als Ausbilder in der Führungsriege des Sonderlehrganges z. b. V. „Oranienburg“ tätig.[3] Im selben Jahr wurde im Rahmen des Unternehmens „Fischadler“ ein zweites Mal versucht, ihn und andere nach Irland einzuschleusen.
Clissmann hatte mehrere Ausländer im Dienste der Abwehr und später des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS rekrutiert, darunter den Iren John Codd und 10 seiner Kameraden, der am Unternehmen „Elster“ (gemeinsam mit dem VS-amerikanischen Abwehr-Agenten William Colepaugh) teilnehmen sollte. Es ist anzunehmen, daß ab Sommer 1944 diese Ausländer an der SD Agenten-Anstalt „A-Schule West“ bei Den Haag durch Otto Skorzeny und seine „Friedenthaler“ betreut wurden, aber die Informationen hierzu sind wage. Clissmann diente auch als Repräsentant der NSDAP/AO in Dänemark und war in enger Zusammenarbeit mit der Dänischen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) und Dänische SS-Einheiten beratend bei der Bandenbekämpfung aktiv, seine Frau und Kinder wohnten in Kopenhagen.
Zusammenarbeit mit dem neutralen Irland
Vom 11. bis 19. Dezember 1940 schickte die Abwehr II die Agentin Elizabeth Clissmann zum irischen Gesandten Leopold Kerney nach Madrid. Diese verhandelte über den antibritischen Einsatz des von der Abwehr aus spanischer Gefangenschaft befreiten Führers der IRA Frank Ryan, die irische Regierung de Valera war von dem Plan sehr angetan. Frank Ryan galt als hoch geschätzt, die irische Regierung war mit ihm zu einer Zusammenarbeit bereit, im Gegensatz zum IRA-Stabschef Seán Russell, der in Deutschland verweilte (sein Stellvertreter in Irland um mit der Führung der IRA beauftragt war Stephen Hayes). Ab 1941 reiste Helmut Clissmann mehrmals nach Madrid, um die Gespräche mit Leopold Kerney zu führen. Kerney sicherte Clissmann zu, sollten die Engländer Irland angreifen, würde Éamon de Valera Deutschland um Unterstützung bitten. Als am 11. Dezember 1941 die VSA Deutschland und Italien den Krieg erklärten, wuchs auch der Druck der Alliierten auf die zurückhaltenden Iren. Mitte Februar 1942 bekam Clissmann den Auftrag von SS-Oberführer Dr. Veesenmayer, Leopold Kerney zu fragen, ob er an ernsthaften Gesprächen mit einem Vertreter des Reichsaußenministers interessiert sei. Kerney war sofort einverstanden, es kam dann auch zu einem zweiten Treffen in Madrid. Kerney ließ allerdings erkennen, daß die Alliierten nicht provoziert werden dürfen, insbesondere nicht durch Waffenlieferungen an die IRA. Auch müssen mögliche Pläne zum deutschen Entsatz in Irland nach einer etwaigen alliierten Invasion ohne die Beteiligung der irischen Regierung erfolgen müsse.
Erst im September 1942 kam es dann zum geplanten treffen zwischen Kerney und Veesenmayer (als Privatmann im Auftrag von Ribbentrops, sowohl spanische als auch deutsche Behörden blieben außen vor), den nach den Anstrengungen in Nordafrika und an der Ostfront hatte Irland strategisch an Bedeutung verloren. Kerney sagte Dr. Veesenmayer zu, daß Irland sich mit allen Mitteln gegen eine alliierte Invasion verteidigen würde. Auch würde man das Reich um Hilfe rufen, sie bräuchten aber die Zusicherung, daß deutsche Truppen nach einem Sieg wieder irischen Boden verlassen würden. Auch ein gemeinsamer Kampf um Nordirland wurde nicht ausgeschlossen. Als jedoch Ende 1942 und Anfang 1943 die militärische Lage für Deutschland deutlich schlechter wurde, verlor das Reich auch an Bedeutung für die Iren. Die noch im Herbst stark diskutierte Möglichkeit der Besetzung der Häfen in Süd-Irland (mit Duldung der Regierung) trat in den Hintergrund.
Im Juni 1943 kam es zu einem letzten Gespräch zwischen dem Gesandten Leopold Kerney und SS-Oberführer Edmund Veesenmayer. Kerney war nun sehr zurückhaltend, die Aussichten für Deutschland, so meinte er, wären schlecht. Eine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich wäre ein nicht zu verantwortendes Risiko für Irland. So endeten die Gespräche und die deutsche Irlandpolitik des Zweiten Weltkrieges, die Versuche, Dublin in die Planungen gegen Großbritannien einzubeziehen, waren gescheitert. In Ungarn war dann Edmund Veesenmayer erfolgreicher, er erkannte frühzeitig die verräterischen Absichten der Regierung Ungarns, was zum Unternehmen „Margarethe“ führte und dem Abfall des Reichsverwesers Miklós Horthy, welches zum Unternehmen „Panzerfaust“ führte.
Nachkriegszeit
Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1948 wurde Helmut E. Clissmann, wie er zumeist bekannt war, erlaubt, mit seiner Gattin nach Irland umzusiedeln. Clissmann erhielt Unterstützung von seinem Freund Außenminister Irlands Seán MacBride (Nachfolger von Éamon de Valera), einem irischen Politiker und späterer Friedensnobelpreisträger.
Das Ehepaar Clissmann gründeten 1949 den erfolgreichen Pharma-Vertrieb „HE Clissmann“, aber auch 1962 die irische Sektion von Amnesty International und die „St Kilian’s German school“ (Ehrenpräsident auf Lebenszeit) in Clonskeagh, wo zahlreiche Enkelkinder eingeschult wurden. Er war Gründungsmitglied der „Irish German Society“. Er nahm erneut Unterricht für das Goethe-Institut München auf, lehrte wieder an der „Trinity College Dublin“ und wurde wieder von dem „Deutschen Akademischen Austauschdienst“ mit Vermittlungsaufgaben betreut.
Als Otto Skorzeny 1957 nach Irland kam, wurde er u. a. von Clissmann, Albert Fohlens (einstiges Mitglied der Flämischen Legion), dem späteren Premier Minister Charles Haughey und der gesellschaftlichen Elite hofiert. Er kaufte daraufhin „Martinstown House“, einen Landwirtsschaftsbetrieb mit herrschaftlichen Landsitz in Curragh, County Kildare. Ab 1959 war er des öfteren dort, erhielt jedoch stets nur ein vorübergehendes Visum, sein Begehren nach ständigem Aufenthalt wurde, auch durch Druck der Juden und Englands, vom irischen Parlament letztendlich abgelehnt. Clissmann dagegen erhielt die irische Staatsbürgerschaft.
Clissmann besuchte seine Heimat Aachen jährlich und nahm auch an Kameradschaftstreffen teil. Seine große Freude brachte er bei der Teilwiedervereinigung Deutschlands zum Ausdruck und hoffte stets, dies möge auch Irland gelingen.
Familie
1938 heiratete Clissmann Elizabeth Eveline „Budge“, geb. Mulcahy (1913–2012). Helmut Clissmann und seine „Budge“ hatten sieben Kinder: Dieter, Helmut, Maeve, Frank, Alma, Inge und Conn. Die Kinder haben alle Deutsch gelernt, verstehen die Sprache noch (Stand: 2015), manche haben es jedoch in den Jahren verlernt, sich auf Deutsch zu unterhalten.[4] Sein gleichnamiger Sohn Helmut Clissmann war bis Anfang 2011 Präsident der Deutsch-Irischen Industrie- und Handelskammer (AHK Irland).
Verweise
- Helmut E. Clissmann – eine Würdigung (des Familienunternehmens)
- Death of the best informed German during war, The Irish Times, 8. November 1997
- The Nazis in Irish universities, 2007
- Privy to developing Irish-German links, The Irish Times, 14. April 2012
- Sligo woman's links to the Old IRA and Nazi Germany, The Irish Independent, 25. April 2012
- Helmut und Elizabeth Clissmann in „The National Archives“
- St Kilian’s Deutsche Schule in Dublin