Reichsfürst
Die Reichsfürsten (z. T. auch Reichs-Fürst) waren die adeligen Führungspersönlichkeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Nicht zu den zuletzt 61 stimmberechtigten weltlichen und den geistlichen Reichsfürsten (1521 die vier Erzbischöfe von Magdeburg, Salzburg, Besançon und Bremen sowie 46 Bischöfe, deren Zahl sich durch die Reformation bis 1792 auf die zwei Erzbischöfe und 22 Bischöfe reduzierten) mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag (geleitet seit 1663 vom „Reichserzkanzler für Germanien“) gehörten die Reichs-Titularfürsten (Titularreichsfürsten), die, ohne die Reichsstandschaft zu erlangen, durch den Kaiser den Fürstentitel nur als Standeserhöhung verliehen bekamen.[1]
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Die einzelnen Herrscher (König von Preußen, König von Württemberg, Erzherzog von Österreich usw.) des Hochadels waren im Ersten Reich dem Reichsfürstenstand zugehörig und offiziell untergeordnet, aber auch vom Reichstag bestimmte Geistliche und verdiente Feldherren der Reichs- oder Kaiserlichen Armee konnten zum Reichsfürst ernannt werden.[3] Auch nach der Niederlegung der Reichskrone im Jahre 1806 blieben die Herrscher im Deutschen Bund, im Norddeutschen Bund und darüber hinaus stets deutsche Titular-Fürsten, auch der Kaiser von Österreich:
- „Ich bin der Kaiser Österreichs – ein deutscher Fürst!“ — Franz Joseph I.[4]
Deutscher Orden
Oberhaupt des Deutschen Ordens war der auf Lebenszeit gewählte Hochmeister (kein Reichsfürst, aber reichszugehörig); In der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356, allerdings, wurde z. B. der Bischof von Ermland gar als Reichsfürst aufgeführt, ein Titel, der den Hochmeistern des Ordens erst nach ihrem Verlust des Ordensstaates vergönnt war. Als Zeichen eigenständigen Handelns sind die Ortsgründungen und Verleihungen der Stadtrechte durch die Bischöfe zu sehen, denn diese Maßnahmen wurden in den übrigen Bistümern durch den Deutschen Orden vorgenommen.
Anzahl
War die Zahl der Reichsfürsten im 10. und 13. Jh. auf fünf und ab 959 auf sechs beschränkt, von denen vier bzw. fünf den Titel eines Herzogs und einer den Titel eines Landgrafen innehatten, stieg deren Anzahl nach der Reorganisation des Reiches stetig. Die ursprünglichen Reichsfürsten, die im deutschen Königreich ihren Ursprung nahmen, waren:
- Der Herzog von Sachsen,
- der Herzog von Lothringen, dessen Titel nach der Teilung des Herzogtums auf die Herzöge von Nieder- und Oberlothringen überging,
- der Herzog von Franken,
- der Herzog von Schwaben und
- der Herzog von Baiern sowie
- der Landgraf von Thüringen.
Bereits um 1190 lassen sich auf dem Gebiet des Römisch-Deutschen Reiches 92 geistliche und 22 weltliche Reichsfürsten nachweisen, die 14 Adelsgeschlechtern angehörten. Darunter waren der König von Böhmen und die Markgrafen von Brandenburg, Namen (frz. Namur) oder der Graf von Anhalt. Durch Teilungen der Familienlinien vergrößerte sich ihre Anzahl immer mehr. Aber der Titel eines Reichsfürsten konnte auch vom Kaiser ehrenhalber verliehen werden, ohne dass der Inhaber zu den Reichsständen gehörte. Diese formaljuristischen Vertreter des Reichsfürstentum nennt man heute auch Titularreichsfürsten bzw. Reichs-Titularfürsten.[5][6]
Die Goldene Bulle (1356) benannte die Kurfürsten, welche nunmehr die höchsten Reichsfürsten darstellten, die Einfluß auf die Königs- und v. a. auf die Kaiserwahl hatten:
- Der Erzbischof von Trier als Kanzler für Burgund.
- Der Erzbischof von Köln als Kanzler für Reichsitalien.[7]
- Der König von Böhmen als gekrönter weltlicher Fürst und Erzschenk des Reiches.
- Der Pfalzgraf bei Rhein. Dessen Territorium lag im alten fränkischen Stammesgebiet, so wurde er Erztruchsess und bei Abwesenheit des Römisch-Deutschen Kaisers war er Reichsverweser in allen Ländern, in denen nicht-sächsisches Recht galt. Er war auch jene Instanz, vor der sich der Deutsche König bei Rechtsverstößen zu rechtfertigen hatte.
- Der Herzog von Sachsen als Erzmarschall und Reichsverweser in allen Ländern, in denen sächsisches Recht galt.
- Der Markgraf von Brandenburg als Erzkämmerer.
- Der Erzbischof von Mainz hatte als Kanzler für die deutschen Lande den höchsten Rang und stimmte wegen der Möglichkeit des Stichentscheides durch seine Stimme als Letzter ab.
1521 waren auf dem Reichstag[8] 61 stimmberechtigte weltliche und geistliche Reichsfürsten versammelt, von denen die Erzbischöfe von Magdeburg, Salzburg, Besançon und Bremen die höchsten geistlichen waren und denen weitere 46 Bischöfe folgten.
Seit 1663 saß dem Immerwährenden Reichstag der Erzbischof von Mainz in seiner Eigenschaft als Reichserzkanzler für Germanien, d. h. für Deutschland, vor und die Zahl der vertretenen geistlichen Reichsfürsten reduzierte sich bis 1792 durch die Reformation auf zwei Erzbischöfe und 22 gemeine Bischöfe.
Gattungsbegriff und Adelstitel
- „Der Gattungsbegriff des Fürsten umfasste alle Reichsfürsten, die vom Kaiser urkundlich in den Fürstenstand erhoben waren und demzufolge eine Virilstimme im Reichsfürstenrat führten – d. h. eine Einzelstimme im Gegensatz zu einer Kuriatstimme, d. h. der Gesamtstimme eines Gremiums wie z. B. der wetterauischen oder schwäbischen Grafenbank oder der rheinischen und schwäbischen Prälatenbank, deren Vertreter nicht zum Reichsfürstenstand zählten, aber Reichsstandschaft besaßen. Zur Gruppe der Reichsfürsten zählten Herrscher mit ganz unterschiedlichen Adelstitulaturen wie z. B. Herzog, Markgraf, Landgraf oder Pfalzgraf bei weltlichen, Fürstbischof, Fürstpropst oder Fürstabt bei geistlichen Reichsfürsten. Dabei ist der Adelstitel kein Kennzeichen für den Reichsfürstenstand, denn es gab z. B. Markgrafen oder Landgrafen mit Fürstenrang und andere, die diesen nicht hatten. Maßgebend war stets die offizielle Erhebung durch den Kaiser in den Reichsfürstenstand. Schon relativ früh gab es Situationen, wo der Kaiser einen einfachen Grafen zwar in den Reichsfürstenstand erheben, ihm aber - vielleicht aus politischer Rücksicht - nicht den Herzogstitel oder eine andere höhere Titulatur verleihen wollte. Um diese Klippe zu umschiffen, verfiel die Reichskanzlei auf die Möglichkeit, den Rang eines gefürsteten Grafen zu verleihen. Das kam aber in der frühen Neuzeit außer Gebrauch, sodass man die Titulatur ‚Fürst‘ als unterste Stufe des Reichsfürstenstandes einführte. So z. B. die Fürsten von Ostfriesland, Fürstenberg, Waldeck, Schwarzburg, Salm und zahlreiche andere Fürstenhäuser. Der Titel ‚Fürst‘ konnte später von Landesherren an Untertanen verliehen werden, die sie besonders auszeichnen wollten, ohne dass sie indes vom Kaiser zu Reichsfürsten erhoben wurden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Fürst Bismarck, sowie zahlreiche andere, die nur den Fürstentitel ohne Reichsstandschaft führten.“[9]
Adelstitel
Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erlosch die Möglichkeit der Erhebung in den Reichsfürstenstand, die nur der römisch-deutsche Kaiser vornehmen konnte. Als besondere Gunst verliehen später einzelne Landesherren den Fürstentitel mit einigen Privilegien, ohne daß damit eine besondere staatsrechtliche Stellung verbunden war.
Andere Lexika
Reichsfürst
- „Reichsfürsten (des Reiches Fürsten, principes), ursprünglich alle Inhaber königlicher Ämter; dann (seit dem 11. Jahrh.) nur die Inhaber gewisser Ämter, endlich seit Auflösung der Herzogtümer und Entwickelung der Landeshoheit die reichsunmittelbaren Herren eines direkt vom Kaiser verliehenen, mit vollem Gerichts- und Heerbann versehenen Gebietes. Die Reichsfürstenwürde wurde später auch als bloßer Titel verliehen, so daß mit der Zeit der Unterschied zwischen den wirklichen R. mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag und den Titularreichsfürsten entstand.“ — Meyers Großes Konversations-Lexikon
- „Im Jahre 1188 erhob Friedrich Barbarossa in einer glanzvollen Zeremonie den Grafen Balduin von Hennegau zum Markgrafen von Namur. Über die Erhebung in den Reichsfürstenstand wurde dem Markgrafen eine kaiserliche Urkunde ausgestellt. Die Belehnung machte den Grafen zum »Fürsten des Reiches und königlichen Lehnsmann und brachte ihn in den Genuss reichsfürstlicher Vorrechte«. Die Zugehörigkeit zu den Reichsfürsten wurde also durch einen eigenen Rechtsakt begründet. Das zeigt, dass es innerhalb der Schicht des hohen Adels, zu der Balduin auch vor 1188 gehört hatte, einen eigens abgegrenzten Kreis von Personen gab, der nicht allein durch adlige Geburt und Besitz bestimmt war. Die Erhebung Balduins zum Markgrafen von Namur ist der erste überlieferte Rechtsakt dieser Art; deshalb ist anzunehmen, dass die Bildung des Reichsfürstenstandes wenig vorher zum Abschluss gekommen ist, vermutlich im Zusammenhang mit dem Sturz Heinrichs des Löwen im Jahre 1180. Schon vorher hatte sich allerdings im Sprachgebrauch der staufischen Kanzlei ein verfassungsrechtlicher Wandel angedeutet: Der Titel ‚princeps‘ (Fürst) wurde zunehmend denen vorbehalten, die in einem Gebiet ‚staatliche‘ Rechte wie die Wahrung des Landfriedens und die hohe Gerichtsbarkeit innehatten. Das waren vor allem die Herzöge, die zum Teil noch den Namen der alten Stammesherzogtümer in ihrem Titel führten, aber auch diejenigen, deren Herrschaftsgebiet zwar einem alten Stammesherzogtum zugehörte, bei denen aber anerkannt war, dass sie selbst und nicht mehr der Stammherzog die herzogliche Gewalt in diesem ihrem Gebiet ausübten. Das waren nicht nur große weltliche Herren wie der Markgraf von Brandenburg und der Landgraf von Thüringen, sondern auch alle Erzbischöfe und Bischöfe des Reichs sowie die Äbte und Äbtissinnen der Reichsklöster. Außer der landesherrlichen Gewalt hatten sie mit allen anderen fürstlichen Standesgenossen auch gemein, direkt vom König lehnsabhängig zu sein, was dann im Sachsenspiegel und anderen Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts als wesentliches Kennzeichen der reichsfürstlichen Stellung erscheint. Die förmliche Erhebung in den Reichsfürstenstand von 1188, der später andere folgten, zeigt einmal, dass es von nun an ein formloses Hineinwachsen in die landesherrliche Stellung nicht mehr geben sollte; sie zeigt zum anderen, dass es der König dann, wenn es um reichsfürstliche Rechte ging, nicht mehr nur mit dem einzelnen, gerade betroffenen Fürsten zu tun haben würde, sondern mit einem geschlossenen Stand, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts in seiner Gesamtheit als Empfänger königlicher Privilegien erscheint.“ — Universal-Lexikon, 2012
Reichsfürstenrat
- „Fürstenbank (Fürstenrat, Reichsfürstenrat, Reichsfürstenkollegium), war im frühern Deutschen Reich Bezeichnung der auf dem Reichstag zu einer Korporation vereinigten geistlichen und weltlichen Territorialherren, mit Ausnahme der Kurfürsten, die ein besonderes Kollegium bildeten. Man unterschied darin zwei Bänke, eine geistliche und eine weltliche. Die Zahl der Stimmen betrug bis zum Lüneviller Frieden (1801) 100, nämlich 94 Virilstimmen und 6 Kuriatstimmen. Zur geistlichen Bank gehörten 35 Virilstimmen (darunter merkwürdigerweise Österreich und Burgund) und die 2 Kuriatstimmen der sogen. Prälatenbänke (schwäbische und rheinische Prälatenbank), zur weltlichen 59 Virilstimmen und die 4 Kuriatstimmen der sogen. Grafenbänke. Das Direktorium führten, nach Materien abwechselnd, Österreich und Salzburg. Infolge des Friedens von Lüneville fielen die 18 Stimmen des (abgetretenen) linken Rheinufers weg, die Stimmen der (säkularisierten) geistlichen Fürstentümer gingen auf die weltlichen Fürsten über, so daß nur noch drei geistliche Stimmen: Regensburg, Hoch- und Deutschmeister und Johannitermeister, blieben.“ — Meyers Großes Konversations-Lexikon
- „Im Heiligen Römischen Reich die in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit dem Kurfürstenkollegium entstandene Kurie des Reichstags, gliederte sich in eine geistliche und eine weltliche Bank. Der geistlichen Bank gehörten die Bischöfe, die Reichsäbte und -pröpste an, die über Virilstimmen verfügten, sowie die in der schwäbischen und rheinischen Prälatenbank (mit je einer Gesamtstimme, Kuriatstimme) zusammengefassten übrigen Würdenträger der Reichskirche. Die weltliche Bank, auch Fürstenbank oder Fürstenrat, setzte sich zusammen aus den mit Virilstimme ausgestatteten Reichsfürsten (ohne Kurfürsten) sowie den Reichsgrafen und den Herren mit Reichsstandschaft. Reichsgrafen und Herren bildeten die mit je einer Gesamtstimme versehene wetterauische, schwäbische, fränkische und westfälische Grafenbank. Die Direktion des Reichsfürstenrats oblag im Wechsel Österreich und Salzburg. Ein wesentlicher Strukturwandel fand nach dem Frieden von Lunéville (1801) und dem Reichsdeputationshauptschluss (1803) statt, als die Stimmen der linksrheinischen an Frankreich gefallenen Reichsstände entweder den übrigen Reichsständen zugeschlagen oder annulliert wurden.“ — Universal-Lexikon, 2012
Reichs-Erb-Vier-Ritter
- „Reichs-Erb-Vier-Ritter des Heiligen Römischen Reichs, eine nur vier adeligen Familien im Deutschen Reiche zugestandene Würde, welche dem Range des freien Herrenstandes gleich galt; zu ihnen gehörte die Familie Carlowitz.“ — Pierer's Lexicon, 1857–1865
Siehe auch
- Reichsrecht
- Reichsmacht
- Reichsfahne
- Reichsherrlichkeit
- Reichsunmittelbarkeit
- Reichsgraf
- Reichsfreiherr
- Reichsgeneralfeldmarschall
- Reichstag (Heiliges Römisches Reich)