Ablaß

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Ablaßbrief im Namen Papst Leos X. von 1515

Als Ablaß (oder Indulgenz, lat. indulgentia, früher auch „Römische Gnade“; Plural Ablässe) wird der Nachlaß einer von der Kirche auferlegten Bußleistung bezeichnet.

Ursprung

Die Kirchenstrafen waren anfänglich öffentliche Büßungen, durch die der aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossene Sünder die Aufrichtigkeit und Beständigkeit seiner Reue bekunden sollte. Schon auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa (325) erhielten die Bischöfe das Recht, Abgefallenen bei nachweislich ernstlicher Reue einen Teil ihrer Bußzeit nachzulassen. Als Zeichen der Reue wurden früh sogenannte „gute Werke“ betrachtet: Gebet, Fasten, Almosen, Wallfahrten u.s.w.

Seit dem 5. Jahrhundert, als die alte Strenge der Kirchenzucht nachließ, schien eine Umwandlung der öffentlichen Kirchenstrafen in geheime Leistungen guter Werke immer allgemeiner geboten. Diese erhielten bald den Charakter einer eigentlichen Kirchenstrafe. So war es nur noch ein Schritt, um diese Werke als förmliche Genugtuung oder Satisfaktion für die begangene Schuld zu betrachten. Dies geschah in der Kirche des Abendlandes unter dem Einfluß der germanischen Rechtsanschauung, nach der die Verletzung eines anderen durch eine Buße, d. h. eine bestimmte als Äquivalent angenommene Leistung, gesühnt und damit der Verletzte abgefunden werden konnte.

Demnach trat auch bei der Kirchenstrafe die Vorstellung einer Gott, als dem gekränkten Teile, zu leistenden Satisfaktion hervor. Die altgermanischen Gesetzgebungen kannten nun sowohl die Übertragung der Bußleistung auf andere als auch die Kompensation des Verbrechens durch Geld (Wergeld). An diese Volkssitte knüpfte auch die Kirche an; so kamen seit Ende des 7. Jahrhunderts von England aus die sogenannten Beichtbücher in Umlauf, die in tabellarischer Übersicht Erleichterung oder Vertauschung der Kirchenstrafen, z. B. für Fasten, Psalmengesang oder Almosen, auch Geldspenden an Kirchen und Kleriker boten. Auch stellvertretende Büßungen kamen schon auf: Ein Reicher konnte eine Bußzeit von sieben Jahren in drei Tagen absolvieren, wenn er die entsprechende Anzahl Männer mietete, die für ihn fasteten. Doch erschien noch im 9. Jahrhundert die Meinung, daß Sündenvergebung durch Geld erkauft werden könne, so lästerlich, daß mehrere Provinzialsynoden die Verbrennung der Beichtbücher anordneten.

Aber die fortschreitende Veräußerlichung des Kirchentums und die größeren Geldbedürfnisse des Klerus machten den Mißbrauch immer mehr zur herrschenden Sitte. Schenkungen an Kirchen und Klöster geschahen immer allgemeiner in der Absicht, die Sünden dadurch abzukaufen; bischöfliche und päpstliche Urkunden erteilten reichliche Privilegien an Kirchen, die jedem, der zu ihrer Stiftung oder Erhaltung einen Beitrag gab, einen Teil der Buße erließen, bisweilen selbst Vergebung aller Sünden boten. Viele Kirchen sind besonders im 10. und 11. Jahrhundert auf diese Weise entstanden. Im 11. Jahrhundert erschien unter Papst Alexander II. auch der Name für Ablaß (Indulgentia). Man gewährte mit der Zeit den Ablaß selbst für das Besuchen einer gewissen Kirche an gewissen Tagen, für das Anhören einer Predigt, für bestimmte Gebete und gewisse fromme Leistungen und dergleichen. Teils die immer schreiender hervortretenden Mißbräuche in der Handhabung des Ablasses, teils hierarchisches Interesse bestimmten zwar Papst Innocenz III. im Jahre 1215, die Bischöfe in der Übung des Ablasses zu beschränken, und der „vollkommene Ablaß“ (indulgentia plenariae) wurde allmählich dem römischen Bischof vorbehalten. Aber umso rücksichtsloser übte dafür Rom selbst dieses Ablaßwesen, das allmählich zur förmlichen Besteuerung der Christenheit ausartete. So wurde z. B. auf dem Reichstag zu Nürnberg 1466 ein Ablaß vorgeschlagen, um Geld zum Türkenkrieg aufzubringen.

Begründung des Ablasses durch die Scholastik

Die Scholastik begründete den Ablaß auch theoretisch. Man behauptete, daß Christus, Maria und die Heiligen sich überschüssige Verdienste vor Gott erworben und diesen „unendlichen“ Schatz „überverdienstlicher“ Werke (Opera supererogationis) der Kirche zur Übertragung an solche überlassen hätten, die dieser Gnade für würdig erachtet würden. Die Art, in der Leo X. 1514 und 1516 – angeblich zur Führung des Türkenkrieges – in Wahrheit zum Bau der Peterskirche in Rom und zur Bestreitung der Kosten seines luxuriösen Hofhaltes den Ablaß handhabte, wurde einer der Hauptanstöße zur Reformation.

Anlaß und Beginn der Reformation

In dem Streit Martin Luthers gegen den Ablaßhandel kam die scholastische Ablaßtheorie allseitig zur Sprache. Die berühmten Sätze, welche Luther am 31. Oktober 1517 an die Schloßkirche zu Wittenberg geschlagen haben soll[1], waren noch nicht gegen den Ablaß selbst, sondern nur erst gegen dessen Mißbrauch gerichtet. Einen Schritt weiter ging Luther schon in dem bald nachher verfaßten „Sermon von Ablaß und Gnaden“, in dem er die scholastische Lehre von der Satisfaktion, als drittem Stücke des Bußsakraments, verwarf und dadurch dem ganzen Ablaßwesen seine Begründung entzog. Die scholastische Lehre wurde aber durch eine Bulle Leos X. vom 9. November 1518 bestätigt. Hiernach wurden durch die priesterliche Absolution sowohl die Schuld als die ewigen (Höllen-)Strafen erlassen; dagegen bedurfte es zum Erlaß der zeitlichen Strafen einer vom Sünder selbst noch zu leistenden Genugtuung, welche die Kirche zu bestimmen hatte. Unter diesen zeitlichen Strafen sind nicht bloß die kirchlichen, nach dem kanonischen Recht auferlegten Bußen, sondern auch göttliche Strafen zu verstehen, und zwar teils irdische, teils Fegefeuerstrafen.

Ablaßbrief aus dem Jahr 1747

Vollkommener und unvollkommener Ablaß

Der Ablaß ist entweder ein vollkommener oder ein unvollkommener. Bei jenem werden alle zeitlichen Sündenstrafen nachgelassen, bei diesem nur ein Teil. Das Maß der unvollkommenen Ablässe wird nach der Zeit bestimmt. Wie in früheren Kirchenzeiten, Quadragenen (die Zeit der vierzigtägigen Fasten) oder Jahre von der Bußzeit nachgelassen wurden, so werden jetzt Ablässe von einer bestimmten Zahl von Tagen, Quadragenen oder Jahren verliehen. Den Seelen im Fegefeuer können Ablässe direkt nicht verliehen werden; wer aber einen Ablaß gewinnt, kann ihn fürbittweise (per modum suffragi) einem Verstorbenen zuwenden, und diese Fürbitte gilt als immer wirksam.

Die Kirchenversammlung zu Trient hat manche Mißbräuche, namentlich die Geldgewinne, beseitigt. Ihre Verordnung aber, bei der Verleihung der Ablässe Maß zu halten, ist in Vergessenheit geraten. Die Ablässe sind seitdem viel zahlreicher und leichter zu gewinnen als früher. Auch kommt noch in neueren päpstlichen Erlassen die Formel vor, daß für dieses oder jenes „gute Werk“ „vollkommene Sündenvergebung“ verheißen wird.

Zitate

  • „Viele, die über Ablaßkrämerei in der katholischen Kirche lachen, üben sie doch täglich selbst. Wie mancher Mann von schlechtem Herzen glaubt sich mit dem Himmel ausgesöhnt, wenn er Almosen gibt.“Georg Christoph Lichtenberg[2]
  • „Die finanzielle Abwicklung des Ablaßhandels ging allmählich in die Hände der berühmten Bankersfamilie der Fugger über ... Diese Bankersfamilie bildete die größte Ablaß-Agentur, und hatte ab dem Jahre 1514 das Recht inne, überall in Deutschland die päpstlichen Bullen anzubieten, jedoch unter dem geheimen Vorbehalt, daß die Hälfte des tatsächlichen Verdienstes in den päpstlichen Schatzkisten einfließen werde.“ – Prof. Dr. A. Eekhof[3]

Literatur

Von römisch-katholischer Seite

  • Beringer: Die Ablässe, ihr Wesen und Gebrauch (9. Auflage, auf Grund der Arbeiten von A. Maurel und J. Schneider, Paderborn 1887)

Von protestantischer Seite

  • E. Bratke: Luthers 95 Thesen und ihre dogmenhistorischen Voraussetzungen (Göttingen 1884)
  • Dieckhoff: Der Ablaßstreit, dogmengeschichtlich dargestellt (Gotha 1886)

Verweise

Fußnoten

  1. Möglicherweise ist nach neuerer Ansicht Luthers Anschlag seiner 95 Thesen an die Wittenberger Schloßkirche nur eine später entstandene Legende,. Allerdings war das Anschlagen von theologischen Texten an die Kirchentür (als „Schwarzes Brett“) seinerzeit durchaus üblich.
  2. G. Hellwig: Das Buch der Zitate. München 1982
  3. In Maarten Luther in zijn leven en werken van 1483-1525, Verlag S.L. van Looy, Amsterdam 1917, unter Verweisung auf Prof. Aloys Schulte, Die Fugger in Rom 1495-1523, Leipzig 1904.