Anglizismus
Als Anglizismen werden die in eine andere Sprache übernommenen englischen Spracheigentümlichkeiten bezeichnet. Diese können sich auf allen Ebenen der Sprache äußern, also in der Lautung, in der Formenlehre, der Syntax sowie im Wortschatz (Fremd- und Lehnwörter). Zu den Anglizismen gehören Anglizismen im engeren Sinn, also Einflüsse, die vom britischen Englisch ausgegangen sind, und Amerikanismen. Besonders unter jungen Leuten hat der Gebrauch von Anglizismen in den letzten Jahrzehnten u. a. aufgrund des Einflusses von Besatzungssoldaten, Werbung und Massenmedien, aber auch aufgrund der politisch gewollten Dudenhörigkeit deutlich zugenommen.
Die Verfremdung und „Ausländerei“ der deutschen Sprache durch Fremdeinflüsse wird seit Jahrhunderten von Sprachwahrern der verschiedenen Sprachgesellschaften kritisiert und bekämpft.
Inhaltsverzeichnis
Formen
- Wortentlehnungen: Übernahme englischer Lexeme, die dann unterschiedlich stark an das Laut-, Schreib- und Grammatiksystem der aufnehmenden Sprache angepaßt werden (vergleiche deutsche Mehrzahl „Tunnel“ oder „Killer“ = angepaßt – Mehrzahl „Fans“ oder „Chips“ = unangepaßt). Eine scharfe Abgrenzung zwischen (angepaßtem) Lehnwort und (unangepaßtem) Fremdwort gibt es nicht.
- Lehnübersetzungen: Eins-zu-eins-Übersetzungen der Bestandteile des fremden Wortes, z. B. brainwashing → „Gehirnwäsche“, oder der fremden Satzkonstruktion (Lehnsyntax), z. B. „Sinn machen“ anstelle von „(einen) Sinn ergeben“ bzw. (häufiger) „Sinn haben“ oder „sinnvoll sein“, von engl. „to make sense“. Oder, schon länger in Gebrauch, „einmal mehr“ statt „(schon) wieder einmal“ oder einfach nur „wieder“ oder „abermals“.
- Lehnübertragungen: Übersetzung der Idee hinter der Bildung des fremden Wortes, z. B. skyscraper → „Wolkenkratzer“ (nicht „Himmelskratzer“, wie es bei einer Lehnübersetzung zu erwarten wäre). Hier gilt das gleiche wie bei den Lehnübersetzungen.
- Lehnbedeutungen: Übernahme des Bedeutungsspektrums des fremden Wortes, von dem Teilbedeutungen bereits bei einem deutschen Wort zu finden sind, z. B. deutsch „realisieren“ im Sinne von „etwas verwirklichen + etwas bemerken“ nach englisch realize/realise „etwas verwirklichen, etwas bemerken“ oder „sich einer Tatsache bewußt sein“ (keine sinnliche Wahrnehmung, im Gegensatz zu to notice).
- Wortschöpfungen innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft mit englischem Klang wie Handy, Talkmaster, Service Point – dies sind spezielle Anglizismen, die kein englisches Wort mit der entsprechenden Bedeutung als Quelle haben, sie werden bisweilen auch als Schein- oder Pseudoanglizismen bezeichnet.
- Benutzung der englischen statt deutschen Transkription aus nichtlateinischen Schriften, z. B. die verbreiteten C-Schreibungen im „Mediziner-Deutsch“ (in vielen, ursprünglich lateinischen Fachbegriffen wird C aus dem Englischen anstelle von K aus dem lateinischen Grundwort verwendet), der kyrillischen oder der arabischen und persischen Schrift in deutschsprachigen Schriftstücken. In jüngster Zeit ist auch zu beobachten, wie aufgrund der schlechten Synchronisation englischsprachiger Filme mit antiker Handlung die altgriechischen Vokalkombinationen αι, οι, υι, die traditionell im Deutschen, analog zu der klassisch-römischen Transkription ae, oe, ue, mit ä, ö, ü wiedergegeben werden (z. B. griech. Ptolemαιos = dt. Ptolemäos), als ai, oi, ui (gesprochen aj, oj, ui) erscheinen (vgl. etwa die Personennamen in der deutschen Synchronisation des Films „Alexander“ von Oliver Stone).
Bemerkenswert sind als Sonderfall Begriffe, die falsch verstanden werden können, wenn man sie nicht ins Deutsche übersetzt (z. B. weil der englische Begriff im Deutschen bereits eine abweichende Bedeutung hat): the design, bezogen auf ein technisches System (Maschine, Schiff, elektronische Schaltung, Programm) bedeutet „der Entwurf“ (durch einen Ingenieur) und nicht etwa „das Design“ (durch einen Designer) (vergleiche Falscher Freund).
Kritik
Deutschsprachige Kritiker beanstanden einen überhandnehmenden Gebrauch sowohl von englischen Originalen als auch von Anglizismen. Das bedroht die deutsche Sprache und das Kulturerbe. Es erschwert die Verständigung, weil insbesondere ältere Menschen nicht genügend Englisch verstehen. Es wird außerdem vermutet, daß viele Menschen, besonders Jugendliche, die Anglizismen einzig und allein verwenden, um gegenüber ihren Mitmenschen als modisch und modern wahrgenommen zu werden. In vielen Fällen gibt es ein deutsches Wort, das denselben Zweck erfüllt. Somit ist der reale Nutzen eines Anglizismus in Frage gestellt.
Durch den Anglizismus geht das Kulturgut der deutschen Sprache immer mehr verloren, ebenso wie die kulturelle Identität. Ein Widerspruch zu dem Argument, daß es in der deutschen Sprache kein geeignetes Wort für ein englisches Wort gebe, ist, daß die deutsche Sprache über einen weitaus größeren Wortschatz als die englische verfügt. Es entstehen völlig neuartige Wörter wie Handy (im Englischen heißt es mobile) oder public viewing, was im Englischen eigentlich öffentliche Aufbahrung eines Leichnams bedeutet und hier das öffentliche Gemeinschaftsschauen von Sportereignissen bezeichnet.
Ein weiterer Anstieg von Anglizismen in der deutschen Sprache wird zum Aussterben vieler deutscher Wörter führen und bewirken, daß künftige Generationen nicht mehr in der Lage sein werden, Werke von deutschen Klassikern wie Goethe oder Schiller zu lesen, da sie die deutsche Sprache in der ursprünglichen Form nicht mehr gewöhnt sind. Ursprünglich wurden Anglizismen für Fachsprache (etwa im Rechnerbereich) verwendet, inzwischen sind sie aber in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft vorzufinden.
Häufig wird als Argument für diese Entwicklung vorgebracht, daß sich die deutsche Sprache in ihrem Bestehen schon immer verändert hat, so wurden eine Menge Wörter aus der lateinischen Sprache übernommen und entsprechend germanisiert. Allerdings hatte man es im Fall des Römischen Reiches mit einer doch auf vielen Gebieten fortgeschrittenen Hochkultur zu tun, woran bei England oder den VSA Zweifel angemeldet werden. Ebenso wird immer wieder vorgebracht, daß es für manche Sachen im Deutschen (noch) keine eigenen Begriffe gebe. Früher wurden in diesem Fall aber entsprechende neue Bezeichnungen geprägt, wie zum Beispiel Straßenbahn oder Fernsehen, bzw. fremde Ausdrücke der deutschen Schreibung und Aussprache angepaßt und damit zu Lehnwörtern umgeformt, wie z. B. Kekse aus engl. cakes. Vollkommen überflüssig und identitätsverleugnend ist die Einführung englischer Ausdrücke aber, wenn damit deutsche Begriffe wie „Laden“ oder „Fahrschein“ immer mehr durch englische ersetzt und zunehmend verdrängt werden.
Gefördert wird diese Entwicklung vor allem durch die Werbung, die mit der Verwendung von Anglizismen und Sprachvermischungen den Anschein von Modernität und Weltbürgertum erwecken will.
2008 störten sich laut einer Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache 39 % der Befragten an Lehnwörtern aus dem Englischen. Die Ablehnung war in den Bevölkerungsgruppen am größten, die Englisch weder sprechen noch verstehen (58 % Ablehnung bei der Gruppe der Über-59jährigen, 46 % Ablehnung bei mitteldeutschen Umfrageteilnehmern).[1]
Wer in seiner Sprache besser als nur flüchtig verstanden werden will, muß sich an deren Regeln halten. Schon deshalb kann sie nicht einfach nur dem neuesten Schrei gehorchen. Die flüchtige Ausdruckskraft des „Denglischen“ zehrt von der Mißachtung und Verletzung tradierter sprachlicher Regeln und Bezeichnungen. Es ist eine (Anti-)Konvention zur Bezeichnung alles dessen, was uns per „neuestem Schrei“ überraschen soll, damit wir es als weltoffen, zeitgemäß, interessant – kurz: als modern und erwerbenswert fraglos anerkennen. Sprachschwache Werber, aufgeblasene Großsprecher, gedankenlose Schnellschreiber, Szenehaie und denkfaule Bürokraten beschwatzen uns auf „Denglisch“, wenn sie uns nicht überzeugen können, warum wir eine neue Ware, eine Mode, einen neuen Gedanken oder die neueste Verwaltungsmaßnahme ohne Murren als „unkonventionell“ anerkennen oder hinnehmen sollen. Kaum etwas hinter ihrem falschen Englisch ist im Deutschen neu. Meist ist es nur zeitgeistig auf modern geschminkt. Dies läßt dieselben Dinge, auf deutsch bezeichnet, zwangsläufig als altbacken erscheinen. Der Zeitpunkt, zu dem alle anderen Sprachen zugunsten des Englischen endgültig außer Mode sind, wäre auch das Ende der Modernität des Englischen. Denn gegen welche Sprache könnte es sich denn dann noch als modern abheben? Es hat seine Modernität von denjenigen Sprachen, die ihm zuliebe sozusagen (ver)modern müssen, doch nur geliehen. Es gibt keinen sprachlichen Grund, dem Englischen von vornherein mehr Modernität und Unkonventionalität zuzusprechen als anderen modernen Sprachen.[2]
Durch Anglisierung in die kulturelle Katastrophe
- „Die Naturwissenschaftler übernehmen eine Vorreiterrolle im englischsprachigen Vorlesungsbetrieb an deutschen Universitäten. Der Linguist Pierre Frath (Uni Reims) sieht darin eine ‚kulturelle und wissenschaftliche Katastrophe‘ (Forschung & Lehre, 1/13). Schreite der Prozeß fort, gehe das nationale Bewußtsein und Gedächtnis verloren. Lernten junge Menschen nur auf englisch, fänden sie in ihrer Muttersprache keine Worte, mit denen sie ihr Wissen formulieren könnten. Dieser Identitätsverlust führe zur absoluten Dominanz angelsächsischer Weltentwürfe. Wolle man nicht ‚schon bald Bewohnern eines Koloniallandes gleichen‘, müßten die Europäer ihre Politiker jetzt zum Handeln drängen.“[3]
Anglizismen im Japanischen
Noch stärker als in Deutschland ist der Gebrauch von Anglizismen in Japan, wo es besonders in der jungen Generation als schick gilt, „moderne“ Wörter zu verwenden. So wird z. B. zu Koffer „sutsu-kesu“ (von „suitcase“) verwendet. Das ursprüngliche japanische Wort dafür ist in den meisten Wörterbüchern gar nicht mehr aufgelistet.
Gedichte
- Wer unbedacht ein Fremdwort wählt
- und deutsches Wort für ihn nicht zählt,
- wer Primetime sagt statt Hauptprogramm,
- scheint auf dem Weg zum Ami-Wahn,
- wer happy sagt und glücklich meint
- und sunshine, wenn die Sonne scheint,
- wer hot gebraucht anstelle heiß,
- Know-how benutzt, wenn er was weiß,
- wer sich mit sorry kühl verneigt
- und Shows abzieht, wenn er was zeigt,
- wer Shopping macht statt zu einkaufen
- und Jogging sagt zum Dauerlaufen,
- wer Kids gar unsere Kinder nennt,
- Madonna besser als Herrn Goethe kennt,
- der ist zwar „in“, doch merkt zu spät,
- daß er kein Wort mehr Deutsch versteht!
- Sprich Deutsch
- Sprich deutsch, mein Kind,
- wie dich’s der Mutter Mund gelehrt!
- Sprich deutsch, mein Kind,
- wie du vom Vater hast’s gehört!
- Ob grad erlebt, ob es Erinnerung:
- Es schließt im Mutterlaut grad wie
- Ein lebend Band dich ein
- Und überall im Stimmenschwall,
- wo du vertraute Worte hörst,
- wirst du zu Hause sein.
- Es lebt kein Volk,
- das seine Sprache schmäht,
- es lebt kein Staat,
- der fremde Laute pflegt.
- Die Sprache ist des Volkes Lebensgrund
- Und Kraftquell ihm zu jeder Stund’.
- Sprich deutsch drum, liebes Kind,
- sei stolz auf deiner Sprache Laut,
- weil Völker unbesiegbar sind,
- die diesem Fels sich anvertraut.
Filmbeiträge
Steffen Königer: 100 Anglizismen in 200 Sekunden
V.S.-Produktion: Sprachverfremdung... Gefahr der eigenen Identität? (2018)
Siehe auch
- Denglisch – abwertende Bezeichnung für Anglizismen und Scheinanglizismen
- Sprachschutz
- Deutscher Sprachpurismus
- Scheinanglizismus – scheinbare Anglizismen wie Handy, Showmaster
- Fetzenliteratur
- Sprachpurismus
- Sprachpolitik
- Deutsches Sprachpflegeamt
- Gesetz Toubon – Sprachschutzgesetz Frankreichs, zugleich Anglizismenschutz
- Amerikanisierung
- Anglophilie
- Liste von Anglizismen samt deutschen Äquivalenten
Literatur
- Reiner Pogarell / Markus Schröder / Rudolf Bartzsch (Hg.): Wörterbuch überflüssiger Anglizismen. IFB Verlag Deutsche Sprache, Paderborn 1999, ISBN 978-3931263331
- Myriam Grobe (Hg.): Der Anglizismen-Index – Gewinn oder Zumutung. Ausgabe 2014. IFB Verlag Deutsche Sprache, Paderborn 2014, ISBN 9783942409384
Verweise
- Wie sag’ ich’s auf Deutsch?
- Umfangreiche Liste von Anglizismen mit deutschem Gegenstück
- Auch die Schweizer Regierung ist von denglisch genervt.