Nerz, Otto
Otto Nerz ( 21. Oktober 1892 in Hechingen; 26. Februar 1949 im kommunistischen Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen) war ein deutscher Pädagoge, Volksschullehrer, Soldat, Fußballspieler, Diplom-Sportlehrer, von 1928 bis 1936 Reichstrainer der Fußballnationalmannschaft des Deutschen Reiches, Mediziner und Sanitätsoffizier der Wehrmacht und zuletzt SA-Obersturmbannführer ehrenhalber. Nerz gilt als wichtigster Modernisierer des deutschen Fußballs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Inhaltsverzeichnis
Leben und Wirken
Nerz, Sohn von Georg Nerz (1853–1930; Landwirt) und dessen Gemahlin Josefine (1863–1949), stammte aus der kinderreichen Familie und hatte elf (nach anderen Quellen 12) Geschwister. Nach dem Abitur studierte er Pädagogik. Er war von 1910 bis 1919 aktiver Fußballer in Mannheim (Abwehrspieler beim VfR Mannheim) sowie von 1919 bis 1924 in Berlin (TeBe) und diente im Ersten Weltkrieg im Kaiserlichen Heer.
- „Geboren wurde Nerz am 21. Oktober 1892 in Hechingen, einer kleinen Stadt in der preußischen Enklave Hohenzollern. Er entstammte bescheidenen, einfachen Verhältnissen. Der Vater betrieb ein Seilergeschäft, später verkaufte er auch Bürsten und Schuhe, bis die Familie im Januar 1901 nach Mannheim umsiedelte. Dort lernte Nerz beim VfR Mannheim das Fußballspielen, aber seine Karriere als rechter Läufer blieb überschaubar. Das Realgymnasium verließ er mit dem ‚Einjährigen‘, ging an das Lehrerseminar Ettlingen, das er 1910, 18 Jahre alt, als jüngster Volksschullehrer Badens abschloß. 1914 zog er als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg. Sein verehrter Bruder Robert fiel bald in Flandern, er selbst erlitt 1916 in Galizien einen Bauchdeckendurchschuß und wurde ein halbes Jahr später als Vizefeldwebel der Reserve aus dem Militär entlassen.“
Ab 1919 arbeitete Nerz in Berlin als Volksschullehrer. 1922 siedelte er um nach Berlin, um sich an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen (DHfL), der ersten Sportuniversität der Welt, einzuschreiben. Nerz war so lernwillig und auffassungsschnell, daß er noch während des Studiums als Dozent lehrte. Seine Diplomarbeit, die er 1925 vorlegte und die er seinem gefallenen Bruder Robert widmete, hieß „Fußball-Wintertraining“. In der Einleitung bekannte er sich als Anhänger der damals populären Luftbad-Bewegung; durch seine Studien an der DHfL und der Universität, bekannte er, habe er seinen Gesichtskreis wesentlich erweitert. Seine Prüfung zum Diplom-Sportlehrer legte er allerdings erst 1929 ab. Nerz erlernte das Trainerhandwerk bei den „Veilchen“ von Tennis Borussia von der Pike auf. Als seinen Trainer-Nachfolger bei Tennis Borussia empfahl er Sepp Herberger.
1926 trat er in die Dienste des DFB, wurde 1930 erster DFB-Nationaltrainer (Reichstrainer) und führte das moderne Trainingswesen im deutschen Fußball ein. Sepp Herberger hatte Otto Nerz bei dessen Lehrgängen der Nationalmannschaft, bei denen Nerz täglich eine Stunde unter SA-Kommando exerzieren ließ, in den 1930er Jahren assistiert. Nerz war seit 1933 SA-Scharführer und trat am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein.
1934, bei der Fußballweltmeisterschaft in Italien, führte Nerz die deutsche Mannschaft bis ins Halbfinale, wo sie gegen die Tschechoslowakei verlor, aber im Spiel um den 3. Platz Österreich schlug. Nach den Olympischen Spielen 1936, wo die Mannschaft überraschend früh ausschied, wurde er von Sepp Herberger abgelöst.
- „In die Nachkriegsjahre fallen auch die Darstellungen über Nerz’ Ausscheiden als Reichstrainer, das in einem indirekten Zusammenhang mit der 0:2-Niederlage gegen Norwegen bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gebracht wurde – was jedoch falsch ist. Nerz, das geht zweifelsfrei aus seinen persönlichen Unterlagen, die sich im Besitz des Autors befinden, hervor, war bereits am 1. Juni 1936, also acht Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele als Reichtrainer aus dem Fachamt Fußball ausgeschieden, weil er im April zum Direktor des sportpraktischen Instituts an der Reichsakademie für Leibesübungen berufen worden war und zwei Vollerwerbsstätigkeiten im Staatsdienst nicht möglich waren. Weil eine Umstellung an der Spitze der Nationalmannschaft kurz vor Beginn der Olympischen Spiele problematisch gewesen wäre, wurde Nerz von der Reichsakademie auf Wunsch des Fachamts Fußball bis nach den Olympischen Spielen freigestellt. Das erste Spiel gewann Deutschland gegen Luxemburg souverän mit 9:0. Einen Tag vor dem zweiten Spiel nun gegen Norwegen kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Nerz und Fachamtsleiter Linnemann. Nerz wollte mit der stärksten Mannschaft antreten, Linnemann plädierte für den Einsatz von jungen Spielern. Der Fachamtsleiter setzte sich in Anwendung des Führerprinzips durch, Nerz lehnte die Verantwortung für diese Mannschaft ab, was einem Rücktritt gleichkam, und Deutschland unterlag in Anwesenheit von Adolf Hitler mit 0:2. Danach ging es hinter den Kulissen drunter und drüber, und draußen brodelte die Gerüchteküche. Am 4. November 1936 erschien dann eine offizielle Erklärung von Fachamtsleiter Felix Linnemann in der Fußballwoche. Darin heißt es ‚… wird Dr. Nerz Referent für die Schulung, Betreuung und Aufstellung der Nationalmannschaft sowie die fachtechnische Anleitung der Sportlehrer unter unmittelbarer Verantwortung dem Reichsfachamtsleiter gegenüber.‘“[1]
Unter seiner Regie gewann die Nationalmannschaft 42 von 70 Länderspielen. Nach seiner Trainertätigkeit übernahm Otto Nerz das „Fachamt Fußball“. Am 12. Mai 1938 trat er von seinem Posten als Referent der Nationalmannschaft im Fachamt Fußball zurück, und Sepp Herberger wurde zum amtlichen Reichstrainer ernannt.
Nerz studierte neben Pädagogik auch Medizin und promovierte 1936 als Dr. med. Sein Doktorvater war Prof. Ferdinand Sauerbruch. Nerz, der Hegel las, Lehrbücher zum Fußball schrieb und sich als Journalist betätigte, wurde 1938 Professor für Leibesübungen und war bis 1945 Direktor des Sportpraktischen Instituts der Reichsakademie für Leibesübungen in Berlin sowie von 1939 bis 1945 Stabsarzt der Wehrmacht.
Stabsarzt
Seit 1939 war Nerz neben seiner Dozententätigkeit an der Reichsakademie Stabsarzt der Wehrmacht. 1943 und 1944 wurde er im Reserve-Lazarett 124 Berlin-Britz unter Arthur Mallwitz eingesetzt. Im Februar 1943 schlug das Reichssportamt Nerz als neuen Dienststellenleiter der „Uebungsgemeinschaft Versehrtensport“ auf dem Reichssportfeld vor, vorbehaltlich allerdings der „Zustimmung von Dr. Gebhardt“, wie das Protokoll einer Besprechung im Reichsinnenministerium ausweist. Ebenfalls aus dem Protokoll geht hervor, daß Nerz zu dieser Zeit am Reichsportfeld wohnte. Die Wehrmacht hatte jedoch Einwände und schlug vor, Nerz lediglich mit der „Oberaufsicht“ zu betrauen und ihn weiter im Reservelazarett zu belassen.
Im Dezember 1944 war Nerz an der Konzeption einer täglichen Sportstunde für die verwundeten Soldaten in den Lazaretten beteiligt, wie eine weitere Akte ausweist. Der tägliche Sport sei für die Kriegsversehrten, hieß es hier, „ein Hilfsfaktor, der für die körperliche und seelische Wiederherstellung der Verwundeten und Kranken nicht entschieden genug eingesetzt werden kann“.
In den letzten Wochen des Endkampfes um Deutschland während der Schlacht um Berlin war Prof. Dr. Nerz in einem Notlazarett im U-Bahnhof Zoo tätig.
Gefangennahme
Nach der „Befreiung“ wurde er am 12. Juli 1945 von den Sowjets verhaftet und durch die Bolschewisten im Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen in Oranienburg interniert.
Chronologie
- 1901 Umzug der Familie von Hechingen nach Mannheim
- 1901–1907 Realgymnasium Mannheim
- 1907–1910 Lehrerseminar in Ettlingen
- 1910–1924 Lehrer in Mannheim mit Unterbrechung durch Militärzeit
- 1914–1917 Soldat, verwundet an der Ostfront
- 1921 Besuch der Landesturnanstalt Karlsruhe, Fachturnlehrer
- 1923 Erwerb des Reifezeugnisses für das Hochschulstudium
- 1924 Berufung an die Deutsche Hochschule für Leibesübungen in Berlin als Lehrer für das Fach „Fußball“
- 1926 Berufung zum Reichstrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft
- 1927–1933 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin
- 1936 Promotion zum Dr. med. mit der Arbeit „Unfallschäden des Kniegelenks unter Belastung durch Arbeit und Sport“
- 1936 Berufung zum Direktor des Sportpraktischen Instituts der Reichsakademie für Leibesübungen
- 1936 Ausscheiden als Reichstrainer; Ernennung zum Referenten für die Nationalmannschaft im Fachamt Fußball
- 1938 Berufung zum Professor der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität
- 1939–1945 Stabsarzt bei der Wehrmacht
- 1945–1949 Interniert im Speziallager des sowjetischen NKWD in Sachsenhausen
Tod
Prof. Dr. Otto Nerz starb an Lungenentzündung und Entkräftung, er verhungerte wie so viele in den Lagern der alliierten Invasoren.[2] Er wurde in einem Massengrab auf dem Lagergelände bestattet, die genaue Grablage ist deshalb unbekannt. Richard Girulatis schrieb in der Festschrift zum 50. Jubiläum von Tennis Borussia:
- „Otto Nerz ist tot, er starb den Hungertod in Sachsenhausen. So wurden wertvollste Kräfte in unsinnigster Weise vernichtet, auch nach 1945.“
Familie
Nerz heiratet 1931 in Berlin seine Verlobte Elli Böhme ( 1906). Herbert Pahlke, Spieler bei Tennis Borussia Berlin, nannte sie „das schönste Mädchen von ganz Berlin“. Trauzeuge des Bräutigams war Sepp Herberger. Aus der Ehe sind zwei Kinder entsprossen:
Zitate
- „Auch auf dem Gebiet des Sports konnte sich der Jude nur so betätigen, wie es seinem Blut und seiner Rasse entspricht. Nirgends sehen wir den Juden aufbauend. Überall nutzt er die Konjunktur aus, verdrängt die eigentlichen Pioniere und setzt sich an ihre Stelle. Genau wie im Wirtschaftsleben.“ — Otto Nerz, 1943 in „Das 12 Uhr Blatt“; Karlheinz Schwarz-Pich, Nerz’ Biograph 1996, gibt an, daß Nerz den Artikel nicht verfaßt hat, sondern es wurde nur der belkannte Name „Nerz“ darüber gesetzt. Der Historiker Rolf Vogt mutmaßt, daß Nerz doch der Verfasser war, aber um seinen Bruder Friedrich zu beschützen, der mehrfach in Konflikt mit der Gestapo geraten sein soll.
Auszeichnungen (Auszug)
Bilanz als Reichstrainer
- 70 Länderspiele
- 42 Siege
- 10 Unentschieden
- 18 Niederlagen
Schriften
- Otto Nerz / Carl Koppehel: Der Kampf um den Ball. Das Buch vom Fußball, 1933
- Otto Nerz: Fußball der Jugend. Grundschule des Fußballspiels in der Leibeserziehung in Jungenschulen, Weidmann, Berlin 1939