Waßmuß, Wilhelm
Wilhelm Waßmuß, auch Wasmus oder Wassmuss ( 14. Februar 1880 in Ohlendorf in Salzgitter; 29. November 1931 in Berlin), war ein deutscher Konsul in Persien im Ersten Weltkrieg und als „Engländerschreck“ bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Jugend
Waßmuß wurde als Sohn eines Bauern geboren und trat nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Orientalistik im Jahr 1906 in den deutschen diplomatischen Dienst ein. Seine erste Auslandsstation war Madagaskar, 1909 wurde er Vize-Konsul in Buschehr/Persien. Von 1910 bis 1912 war er wieder in Madagaskar und wurde 1913 abermals nach Buschehr entsandt, diesmal als deutscher Konsul.
Als Walmuß 1914 an die deutsche Botschaft in Kairo versetzt werden sollte, brach auf dem Weg dorthin der Erste Weltkrieg aus. Waßmuß eilte nach Berlin, um seine Kenntnisse über Persien zur Verfügung zu stellen.
Erster Weltkrieg
Nach Eintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg auf seiten der Mittelmächte wurde Waßmuß Leiter der deutsch-türkischen Afghanistan-Expedition (Niedermayer-Hentig-Expedition). In Bagdad trennte er sich jedoch von der Expedition, um allein in den Süden Persiens weiterzureisen. Dort organisierte er auch in deutschem Interesse den Widerstand der Tangsir, Kaschgai und weiterer Stämme gegen britische Truppen, die in das neutrale Persien einmarschiert waren. Die Parallelen zu Lawrence von Arabien führten dazu, daß Waßmuß von den Engländern als „deutscher Lawrence“ bezeichnet wurde.
Für Kaiser Wilhelm durch die Salzwüste
- „Berlin war schon drauf und dran, die aberwitzige Sache abzusetzen, als im Frühjahr 1915 das Unternehmen eine neue Qualität bekam: Eine durch die Kabul-Begeisterung inspirierte Berliner ‚Nachrichtenstelle für den Orient‘ meldete dem AA zwei prominente indische Nationalistenführer, die gerade in die Schweiz gekommen seien. Die beiden Emigranten wurden umgehend nach Berlin geholt und verstanden es schnell, den um ihr Prestige besorgten Orientalisten im Auswärtigen Amt neue Hoffnungen zu geben. Der eine, der Hindu Mahendra Pratap, 28, nannte sich ‚Kumar von Hathras und Mursan‘, was soviel wie Prinz bedeutet, und stellte sich als ‚Abgesandter der indischen Fürsten‘ vor, die für ihre nationale Befreiung vom britischen Kolonialjoch kämpften. Er hatte von seinem Stiefvater zwei verfallene Dörfer mit Namen Hathra und Mursan geerbt und die zu erwartenden Einkünfte für den Bau einer Berufsschule ausgegeben. Nun zog er, eine Mischung von politischem Schwärmer und Hochstapler, durch die Welt, um für seine Weltbeglückungs-Partei, die ‚Happiness Party‘, zu werben. Sein Begleiter Maulana Barkatullah, der über Tokio und die USA in die Schweiz gekommen war, nannte sich ‚Professor für Islamistik‘, war aber, so die Erfahrung, vor allem an Barem interessiert. Beide erklärten sich sofort bereit, den Emir von Afghanistan für die deutsche Sache zu gewinnen. Das AA, froh, endlich Fortschritte in der geheimen Reichssache Kabul melden zu können, arrangierte es, daß sogar Seine Majestät den freiheitsliebenden Inder-Prinzen empfing und ihm den Roten Adlerorden verlieh – sozusagen als Vorschußlorbeer. Mit einem von Wilhelm II. diktierten Brief, in dem der Kaiser den Emir um Anerkennung des deutschen Reiches durch Afghanistan bat und einen Bündnisvertrag zur gemeinsamen Krieg-Führung vorschlug, machten sich die zwei auf die 11.000 Kilometer lange Reise. Als Führer dieser erneuten deutschen Kabul-Expedition, als Beschützer und Ordonnanz für den wichtigen Prinzen, wählte das AA einen Mann aus seinen eigenen Reihen: den damals 29jährigen Legations-Sekretär Werner Otto von Hentig, der als diplomatischer Anfänger schon in China und Persien gewesen war und seit Kriegsausbruch als Leutnant im 3. Kürassier-Regiment an der Ostfront kämpfte. Hentig konnte mit Mühe verhindern, daß die Kabul-Karawane ähnlich wie die vorhergegangenen die Riesensumme von zwei Millionen Goldmark (heutiger Wert: etwa 60 Millionen Mark) gleich mitbekam und zu deren Schutz Soldaten in Bataillonsstärke. Offensichtlich glaubten die Spitzenbeamten im AA – darin sicher vom Prinzen bestärkt –, die deutsche Delegation könne sich die Zustimmung des Emirs von Afghanistan erkaufen. Statt dessen wählte der Diplomaten-Leutnant aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager sechs paschtunische Überläufer aus, die auf britischer Seite gekämpft hatten. Gegen das Versprechen, bei geglückter Mission mit einem Gewehr entlohnt zu werden, wollten sie das gefährliche Abenteuer wagen. Wegen der dunklen Hautfarbe der meisten Mitreisenden zog die Hentig-Expedition als Wanderzirkus getarnt durch den Balkan. Die Türken, von dem Erfolg des neuen Unternehmens wohl wieder stärker überzeugt, stellten den Hauptmann Kasim Bey als regionskundigen Begleiter. Teils mit der anatolischen Bahn, teils zu Pferd, drangen die Orient-Ritter über den Taurus bis nach Aleppo vor und fanden unterwegs überall Spuren ihrer gescheiterten Vorgänger. Weil die Bagdad-Bahn noch nicht auf ganzer Länge betriebsfertig war, schipperte die Gesellschaft dann mit Hilfe selbstgebauter Prahme den Euphrat hinunter bis nach Faludscha, dann zog sie mit der Pferdebahn nach Bagdad. Dort war für moderne Verkehrsmittel endgültig Endstation, per Pferd ging die Reise weiter bis nach Teheran.
- Hier traf Hentig die Reste der Wasmus-Niedermayer-Expedition, der persische Straßenräuber schon unterwegs den Großteil ihrer goldenen Reisekasse abgenommen hatten. Wasmus, der an die Kabuler Mission nicht mehr so recht glauben wollte, war in das von den Engländern besetzte Südpersien abgereist. Dort lieferte er, von persischen Nomaden unterstützt, als deutscher ‚Lawrence von Buschihr‘ den Briten kühne Guerilla-Scharmützel. Niedermayer, der als Moslem verkleidet [...]. War das von Stammesfehden und Räuberbanden beherrschte Persien schon in Friedenszeiten unsicher, die Besetzung des Landes im Norden und Osten durch die Russen sowie im Süden und Osten durch die Briten machte einen Durchmarsch fast aussichtslos. Um dem Feind zu entgehen, entschied sich Hentig für den gefährlichsten Weg: den Ritt durch die Salzwüste Kewir mitten im Sommer. Nur ein Europäer, Sven Hedin, hatte bisher diese Tour gewagt, aber in den kalten Wintermonaten. Ständig von Verrat ihrer persischen Maultiertreiber und von räuberischen Nomaden bedroht, durch Durst, Strapazen und Malaria geschwächt, erreichte die Hentig-Expedition nach über 60 Nachtmärschen durch die Salzwüste die afghanische Grenze. Die größte Schwierigkeit stand den Orientfahrern aber erst bevor: den britischen Kamel-Reitern aus Belutschistan zu entgehen, die, vorgewarnt, alle Grenzwege und Wasserstellen überwachten. Dank einer Kriegslist gelang auch dies: Niedermayer teilte die Truppe in kleine Gruppen auf, die das Grenzkorps der Briten in die Irre führten. Mit 37 Mann und 79 Tieren ritten die Berliner Emissäre am 22. August 1915 in die afghanische Grenzstadt Herat ein, an der Spitze Leutnant von Hentig mit weißem Kürassierrock und dem Adlerhelm des deutschen Kaiserreiches. Doch den ungestümen Drang, so schnell wie möglich den Emir Habibullah in Kabul zu sehen, bremsten afghanisches Zeremoniell und orientalische Schläue.
- Der Emir, durch eine Sonderbotschaft des besorgten Vizekönigs von Indien, Lord Hardinge, über den anreitenden Besuch aus Berlin informiert, wollte sich die möglichen Folgen erst gründlich überlegen. Die Deutschen zu internieren, wie die Engländer es verlangt hatten, war er aber nicht bereit. So waren die Deutschen und Inder – später kam noch eine Gruppe österreichischer Offiziere dazu, die aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen waren – Staatsgäste in einem der Königspaläste in Kabul, aber auch gut bewacht: Kontakt mit der Bevölkerung sollten sie auf keinen Fall aufnehmen. Besser wurde die Lage erst, als sich nach monatelangem Warten der Emir Ende Oktober endlich bereit erklärte, die merkwürdigen Polit-Reisenden zu sehen. Drei Rolls-Royce fuhren die Gäste aus dem Abendland zu dem wenige Kilometer vor Kabul gelegenen Sommersitz des Herrschers, auf der einzigen befestigten Straße. Als Zeichen der Macht waren vor dem Sommersitz fünf Elefanten angekettet. Im Gehrock, auf einen Spazierstock mit goldener Krücke gestützt, empfing der Monarch die Delegation und machte unmißverständlich deutlich: ‚Ich betrachte euch gewissermaßen als Kaufleute, die ihre Waren vor mir ausbreiten. Von diesen werde ich wählen, was mir paßt und gefällt‘. Am wenigsten gefielen ihm die beiden Inder. Spätestens am Hof des Emir von Afghanistan ging auch den deutschen Emissären auf, daß der angebliche indische Fürsten-Freund Pratap im Orient so gut wie unbekannt war und sein Begleiter, der Islam-Kenner Barkatullah, auf die strenggläubigen Moslems in Kabul wenig Eindruck machte. [...] Um so mehr Erfolg hatten Hentig und Niedermayer durch geschickte Gespräche und geduldiges Zuhören beim Hofstaat. Besonders der Kanzler des Reiches, Nasruhllah, ein Bruder des Emir, und des Emir drittältester Sohn, der damals 23jährige Amanullah, fanden an den Deutschen und ihren Berichten viel Geschmack und brachten sie mit antibritisch eingestellten afghanischen Nationalisten zusammen. Doch auch dem Emir konnten sie sich nützlich machen. Hentig hielt regelmäßig vor dem Thronrat Vorträge über die Weltlage und machte die Afghanen mit dem Völkerrecht bekannt. Er empfahl eine weltliche Schulordnung und eine geregelte Ausbildung für das Militär. Artillerist Niedermayer brachte der Garde das Schießen und Treffen mit Kruppschen Kanonen auf nicht einsehbare Ziele bei, die deutsche Delegation gab in Kabul eine Zeitung heraus, die über die Kriegslage informierte. Nur Prinz Pratap war mehr mit seinem eigenen Vorteil beschäftigt. Der indische Revolutionär ließ sich auf Kosten der Reisekasse im Basar massive Goldplatten anfertigen, auf denen er Botschaften an den König von England und den russischen Zaren verschickte – von ‚Souverän zu Souverän‘. Für das von ihm noch zu befreiende Indien entwarf er als erstes eine neue Nationalfahne und eine Kaiserstandarte.
- Doch mehr und mehr setzte sich bei allen Expeditions-Teilnehmern die Überzeugung durch, daß die politische Mission gescheitert war. Zudem kühlte das Verhältnis des Emir zu seinen ungebetenen Gästen merklich ab, nachdem bekannt wurde, daß ein Transport aus Indien mit 200 Millionen Rupien in Gold und Silber unterwegs war. Ende Mai 1916 ging die Berliner Orient-Expedition auf Heimatkurs – auf getrennten Wegen. Oskar Niedermayer wollte sich durch das russisch bewachte Turkestan nach Persien durchschlagen, der Haupttrupp unter Wagner über das persische Sistan nach Teheran marschieren, Hentig wählte einen Weg, den noch kein Europäer gegangen war: Er wollte versuchen, über das bis zu 5.500 Meter hohe Hochland von Pamir nach China vorzustoßen. Auch dieser Gewaltmarsch auf den Trampelpfaden der Opiumschmuggler durch Eis und Geröll glückte, aber Hentig, der auch noch die Wüste Gobi und halb China zu Pferd durchquerte, kam über die USA erst ein Jahr später nach Deutschland zurück. Dort galt er als verschollen, den Ruhm dieser wohl einmaligen Reise in diplomatischer Mission versuchte der Widersacher Niedermayer zu ernten. Bis auf den heutigen Tag hat der inzwischen 93 Jahre alte Pensionär, der in Seibersbach im Hunsrück lebt, viel Zeit und Aufwand damit verbracht, die umstrittene Frage der Kommando-Gewalt zwischen ihm und Niedermayer zu klären. Höchstes Lob bekam Hentig aus berufenem Munde. Sven Hedin, der weltberühmte Forscher, nannte den 22.000 Kilometer langen Weg ‚die schwierigste Reise um die Welt‘. Selbst der britische General Dickson, der die Deutschen an der persischen Ostgrenze abfangen sollte, konnte ‚der Tätigkeit dieser Leute, der Tollkühnheit, die viele von ihnen zeigten, nur Bewunderung zollen‘. Oskar Niedermayer wurde bayrischer Hauptmann, bekam den militärischen ‚Max-Josef-Orden‘ verliehen und durfte sich seither Oskar Ritter von Niedermayer nennen. Der indische Prinz Pratap fuhr nach der russischen Revolution nach Moskau und kehrte im Frühjahr 1918 noch einmal nach Deutschland zurück, um dem deutschen Kaiser eine im Ton höfliche, in der Sache aber nichtssagende Antwort des Emir zu überreichen.“[1]
Geschichte des Widerstands
1915 versuchten die Engländer, den als deutscher Konsul nach Persien entsandten Waßmuß in Gefangenschaft zu nehmen und bestachen hierzu den Stammesfürsten Haider Khan. Waßmuß wurde von diesem zwar gefangengenommen, es gelang ihm aber, noch bevor er an die Engländer ausgeliefert werden konnte, zu fliehen und durch von den Engländern besetztes Gebiet nach Persien zu entkommen. Über Nacht wurde der Name „Waßmuß“ bekannt und berühmt und galt fortan bei den Einheimischen als der große Deutsche, der den englischen Eindringlingen entkommen war. Als Waßmuß nach übermenschlichen Anstrengungen, zerlumpt und ausgehungert, schließlich im persischen Schiras angelangte, war die ganze Stadt zu seinem Empfang auf den Beinen. Sein Begleiter Dr. Lenders war allerdings von den Engländern gefangengenommen worden.
Infolge antibritischer Unruhen in Südpersien sagte sich Waßmuß vom Konsulat in Schiras los und wurde zur führenden Kraft des Aufruhrs, so daß die Engländer – allerdings ohne Erfolg – eine hohe Geldprämie für die Ergreifung von Waßmuß aussetzten. Nachdem schließlich die ganze Provinz Fars gegen England Krieg führte, marschierte eine modern ausgestattete britische Armee in Persien ein, um Schiras zu besetzen, wurde aber durch Waßmuß’ guerillaähnliche Kriegsführung zu einem Umweg von rund 1.000 Kilometern gezwungen. In Schiras angekommen, war die englische Invasionsarmee dann in abgeschnittener Lage, da Waßmuß mit den verbündeten Gebirgsvölkern die Verbindungsstraße sperrte. Die Engländer erhöhten die Kopfprämie für die Ergreifung Waßmuß’ nun auf 400.000 Mark.
Waßmuß blieb bis zum Kriegsende unbesiegt. Erst als die Engländer nach dem europäischen Waffenstillstand die Ortschaften der zu dem Deutschen haltenden Stämme mit Flugzeugen bombardierten, verließ der Freischarführer seine Waffenbrüder. Mit einem deutschen Gefährten, der aus russischer Gefangenschaft zu ihm geflohen war, gelang es ihm, sich nach Teheran zur deutschen Gesandtschaft durchzuschlagen. Unterwegs geriet er vorübergehend in englische Gefangenschaft, konnte aber erneut entkommen. Schließlich stellte er sich aufgrund englischer Zusicherungen. Die Engländer hatten ihm freies Geleit in die Heimat versprochen, hielten aber ihr Wort nicht: Waßmuß wurde als Gefangener nach Deutschland geschafft und war im September 1920 wieder in seiner niedersächsischen Heimat.
Wie sehr die britische Heeresleitung Waßmuß fürchtetete, beweisen die von den Engländern verwendeten Generalstabskarten. Auf ihnen findet sich der Name des Deutschen als Gebietsbezeichnung für das gesamte aufrührerische Südpersien.
Nachkriegszeit
In der Nachkriegszeit kämpfte Waßmuß mit deutschen Behörden um die Freigabe von Geldern, die er den persischen Stämmen für die Teilnahme am Aufstand versprochen hatte. Als dies negativ beschieden wurde, kehrte er 1924 nach Buschehr zurück, kaufte Land und gründete eine Farm, aus deren Erlös er die Stämme bezahlen und sein Versprechen einlösen wollte. Da aber viele der mit ihm verbündeten Anführer inzwischen in den weiteren kriegerischen Wirren oder in persönlichen Fehden gefallen waren, stieß er jetzt überall auf Mißtrauen und Mißgunst und kehrte nach sieben Jahren wieder nach Deutschland zurück. In Berlin bat er wieder um Verwendung im diplomatischen Dienst, woraufhin ihm ein Konsulat in Aussicht gestellt wurde, welches er durch einen tödlichen Herzinfarkt am 29. November 1931 nicht mehr antrat.
Bereits bei seinem Tod kannten Waßmuß nur wenige in Deutschland, jedoch war er in England und Persien weithin bekannt. In Persien trug er den Beinamen „Almani Marschallah“ („der deutsche Feldherr“). In der BRD ist Waßmuß restlos vergessen.