Delmer, Sefton
Denis Sefton „Tom“ Delmer ( 24. Mai 1904 in Berlin; 4. September 1979 in Lamarsh, Essex) war ein britischer antideutscher Lügenspezialist und zuständig für die Schwarze Propaganda gegen Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Herkunft
Delmer war der Sohn eines australischen Anglisten, der damals als Lehrbeauftragter an der Universität Berlin tätig war. Delmers Mutter war Engländerin. In seiner Autobiographie „Die Deutschen und ich“ (1962; dt. 1963/64; s. u.) erzählte er später, daß er sich jahrelang geschämt habe, als englischer Junge gerade in der deutschen Hauptstadt geboren und aufgewachsen zu sein. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Familie in Bad Nauheim interniert und schließlich 1917 als Zivilinternierte im Austausch nach England abgeschoben.[1]
Ausbildung
In London besuchte Sefton Delmer die St. Pauls School und anschließend das Lincoln College in Oxford. Nach Abschluß seines Studiums wurde er Journalist und trat 1927 in den Mitarbeiterstab des „Daily Express“ ein, dessen Chef, Lord Beaverbrook, schon bald Delmers hervorragendes Reportertalent erkannte.
Wirken
1928 ging Sefton Delmer als Korrespondent seiner Zeitung nach Berlin. Seine große Zeit kam, als er den damals politisch aufstrebenden Adolf Hitler auf dessen Wahlkampfreisen begleiten durfte. Hitler war ihm anfänglich nicht unsympathisch. Nach den Maßstäben der englischen Demokratie verurteilte Sefton Delmer die Bemühungen von Brüning, von Papen und von Schleicher, Hitler als den Führer der stärksten Partei von der Leitung des Staates vollkommen auszuschließen, als undemokratisch. Nach der Machtübertragung an den Führer der NSDAP im Jahre 1933 war Sefton Delmer einer der ersten Auslandsjournalisten, dem Hitler ein großes Interview gab. Er war auch der einzige Reporter, der in Begleitung Hitlers den brennenden Reichstag betreten durfte. Delmer galt damals als der am besten unterrichtete Auslandskorrespondent in Berlin.
Von 1933 bis 1936 leitete Sefton Delmer das Pariser Büro seiner Zeitung und wandelte sich während dieser Zeit zum scharfen Gegner des deutschen Nationalsozialismus. Wegen seiner zweifelhaften Reportagen über die Morde nach dem sogenannten Röhm-Putsch wurde er 1934 aus dem Deutschen Reich ausgewiesen. Ab Juli 1936 berichtete Sefton Delmer vom spanischen Kriegsschauplatz, zunächst auf seiten Francos, dann bis September 1938 als Kriegsberichterstatter beim Stab einer Internationalen Brigade. Bereits 1937 war er europäischer Chefreporter seiner Zeitung geworden.
Nach dem Spanienkrieg war Sefton Delmer vorübergehend wieder in London tätig. Er war führender Mitarbeiter des britischen Informationsministers Duff Cooper und leitete ab 1940 die deutschsprachigen Rundfunksendungen des BBC. Im Zweiten Weltkrieg nahm er ab 1939 als Kriegsberichterstatter an den Kämpfen in Polen und dem sich in Frankreich abspielenden Westfeldzug teil. Danach leitete er im Auftrag des Foreign Office von 1941 bis 1945 die gesamte deutschfeindliche Rundfunkpropaganda, die er auf ungewöhnlich geschickte Art und Weise aufzog. Er wurde der Erfinder der sogenannten schwarzen Propaganda mit Erstellung von Sendungen, bestehend aus einer sorgsam ausgeklügelten Mischung von Tatsachenberichten, Halbwahrheiten und gefälschten Informationen; die Medienbeiträge wurden über die Sender „Gustav Siegfried 1“ und „Soldatensender Calais“ (fr. „Atlantik“) ausgestrahlt, um die deutsche Bevölkerung sowie die deutschen Soldaten zu demoralisieren.
Über seine erste BBC-Sendung schreibt S. Delmer: „Denn Hitler hat sich ausgerechnet meinen ersten Freitag - den 19. Juli 1940 - ausgesucht, um anläßlich seines Sieges über Frankreich seine triumphale Rede im Reichstag zu halten. Und was noch wichtiger war, er hatte diese Gelegenheit wahrgenommen, um seinen allerletzten Friedensappell' an England zu richten. Ich saß mit gespitzten Ohren am Lautsprecher im BBC-Studio. ,So tut mir fast weh', hörte ich Hitler salbungsvoll sagen, ,wenn mich das Schicksal dazu ausersehen hat, das zu stoßen, was durch diese Menschen zu Fall gebracht wird . . . Und Herr Churchill sollte mir dieses Mal vielleicht ausnahmsweise glauben, wenn ich als Prophet jetzt folgendes ausspreche: es wird dadurch ein großes Weltreich zerstört werden. Ein Weltreich, das zu vernichten oder auch nur zu schädigen niemals meine Absicht war ... In dieser Stunde fühle ich mich verpflichtet, vor meinem Gewissen noch einmal einen Appell an die Vernunft auch in England zu richten . . . ich sehe keinen Grund, der zur Fortsetzung dieses Kampfes zwingen könnte!' . . . Eine Stunde nach Hitlers Rede ging meine Antwort bereits durch den Äther. Und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, lehnte ich sein Friedensangebot ab. Meine Kollegen bei der BBC hatten dem, was ich sagen wollte, zugestimmt. Und das genügte mir als Vollmacht . . . Herr Hitler . . . lassen Sie mich Ihnen sagen, was wir hier in England von Ihrem Appell an das denken, was Sie unsere Vernunft zu nennen belieben. Herr Führer und Reichskanzler, wir werfen Ihnen diese unglaubliche Zumutung zurück, mitten in Ihre übelriechende Führerfresse." (Sefton Delmer, „Die Deutschen und ich" S. 421) „Duff Cooper kam mir mit all seiner gewiegten Autorität zu Hilfe. Er versicherte dem Parlament, meine Rede habe die volle Zustimmung des Kabinetts. Und als einige Tage später Außenminister Lord Halifax Hitler antwortete, sagte er sinngemäß das gleiche, was ich gesagt hatte." (S. 423)
Ab 1945 arbeitete Sefton Delmer wieder ausschließlich für den „Daily Express“ und berichtete wie früher über Brennpunkte der internationalen Politik: Korea-Krieg, Ungarn-Aufstand u. a. Unter der Labour-Regierung fand er jedoch nicht mehr die Würdigung, die er unter Churchill genossen hatte. Lange Zeit gehörte er noch zu den eifrigsten Warnern vor einem „neuen deutschen Abenteuer“, einer deutschen Wiederbewaffnung und vor einem Erstarken neuer nationalsozialistischer Strömungen in der deutschen Verwaltung. Während der Nachkriegszeit erregte Delmer Aufsehen im Rahmen der Affäre um Otto John, welchen er von England her gut kannte. Er war 1954 bei Johns Pressekonferenz in Ost-Berlin zugegen und trat im Dezember 1956 auch beim John-Prozeß in Karlsruhe als Verteidiger seines Freundes auf. Zielscheibe der Angriffe Delmers war häufig auch Konrad Adenauer, der sogenannte „Profitmacher Nr. 1 des Kalten Krieges“, der einen Friedensvertrag für Deutschland deshalb verzögere, um keine Kriegsreparationen zahlen zu müssen (Februar 1959). Von 1966 an setzte er sich aber auch wiederholt dafür ein, den letzten Häftling des Spandauer Kriegsverbrechergefängnisses, Rudolf Heß, auch ohne Zustimmung der Sowjets zu entlassen. 1959 schied Sefton Delmer aus dem „Daily Express“ aus und zog sich auf seine kleine „Valley-Farm“ in Südostengland zurück.
Veröffentlichungen
1962 erschienen seine Bücher „Trail Sinister“ und „Black Boomerang“, die ersten Bände seiner Autobiographie, deren deutsche Ausgabe den Titel „Die Deutschen und ich“ trägt (Nannen-Verlag 1963/64). Das Buch ist eine gute Quelle über ein wesentliches Stück Zeitgeschichte, ein Anschauungsunterricht über Propagandamethoden, wie sie kaum raffinierter hätten sein können.
1973 erschien „Die Geisterarmee oder die Invasion, die nicht stattfand“. In diesem Buch wird von einer englisch-amerikanischen „Täuschungseinheit“ berichtet, die mit „umgedrehten“ Spionen (scheinbaren Doppelagenten), militärischen Attrappen, simuliertem Funkverkehr und ähnlichen Raffinessen das Hauptquartier Hitlers irreführen sollte über Ort und Termin der alliierten Invasion. In einem weiteren Buch berichtete Sefton Delmer über das Deutschland der Weimarer Republik.
Familie
Sefton Delmer wurde 1946 von seiner Frau Isabel, geb. Nicholas, geschieden und war in zweiter Ehe ab 1948 mit Zoe Ursula, geb. Black, verheiratet. Er hinterließ einen Sohn und eine Tochter. Delmer, der in seinen letzten Lebensjahren in völliger Zurückgezogenheit lebte, starb am 5. September 1979 im Alter von 75 Jahren auf seiner Farm in Lamarsh/Suffolk.
Schriften (Auswahl)
- Die Deutschen und ich, Hamburg 1963
- Weimar Germany, London 1972
Zitate
- „Mit Greuelpropaganda haben wir den Krieg gewonnen […]. Und nun fangen wir erst richtig damit an! Wir werden diese Greuelpropaganda fortsetzen, wir werden sie steigern bis niemand mehr ein gutes Wort von den Deutschen annehmen wird, bis alles zerstört sein wird, was sie etwa in anderen Ländern noch an Sympathien gehabt haben, und sie selber so durcheinander geraten sein werden, daß sie nicht mehr wissen, was sie tun. Wenn das erreicht ist, wenn sie beginnen, ihr eigenes Nest zu beschmutzen, und das nicht etwa zähneknirschend, sondern in eilfertiger Bereitschaft, den Siegern gefällig zu sein, dann erst ist der Sieg vollständig. Endgültig ist er nie. Die Umerziehung (Re-Education) bedarf sorgfältiger, unentwegter Pflege wie englischer Rasen. Nur ein Augenblick der Nachlässigkeit, und das Unkraut bricht durch, jenes unausrottbare Unkraut der geschichtlichen Wahrheit.“ — Sefton Delmer, ehemaliger britischer Chefpropagandist nach der Kapitulation 1945 zu dem deutschen Völkerrechtler Prof. Grimm
- „Die schwarze' Propaganda, hat sich als schwarzer Bumerang erwiesen.“[2]
- „Man mag heute darüber sagen, was man will: Deutschland war im Jahre 1936 ein blühendes, glückliches Land. Auf seinem Antlitz lag das Strahlen einer verliebten Frau. Und die Deutschen waren verliebt – verliebt in Hitler… Und sie hatten allen Grund zur Dankbarkeit. Hitler hatte die Arbeitslosigkeit bezwungen und ihnen eine neue wirtschaftliche Blüte gebracht. Er hatte den Deutschen ein neues Bewußtsein ihrer nationalen Kraft und ihrer nationalen Aufgabe vermittelt.“ — Sefton Delmer in seinem Buch „Die Deutschen und ich“, Hamburg 1963, S. 288
Siehe auch
- Mölders-Brief
- Entnazifizierung
- Psychologische Kriegführung
- Verbrecher-Album der Sieger
- Kriegsschuldfrage
- „Gustav Siegfried 1“, war der Deckname eines ehemaligen britischen Schwarzsenders, der neben dem Soldatensender Calais einer der bekanntesten Feindsender des Zweiten Weltkrieges war.
Verweise
- Hitler im Visier: Sefton Delmers „Schwarze Propaganda“ (NZZ Folio 10/93)
- Sefton Delmer: Schwarze Propaganda (DER SPIEGEL 37/1954)
- Nils Aschenbeck: Gezielte Desinformation, PAZ, 30. Juli 2013
- Paul Bourdin: Wie tot ist Sefton Delmer? Die Zeit, 1. April 1954 Vorsicht! Umerziehungsliteratur im antideutschen Sinne!