Oberdörffer, Manfred

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Dr. med. Manfred Oberdörffer

Manfred Oberdörffer (Lebensrune.png 6. Dezember 1910 in Lübeck; Todesrune.png 19. Juli 1941 in Afghanistan) war ein früher Anhänger der Wandervogel-Bewegung, Burschenschafter, Wissenschaftler, Tropenarzt, Lepraforscher in Afrika sowie Südostasien, Geheimagent der Abwehr in Afghanistan und Offizier (zuletzt Major)[1] der Brandenburger während des Zweiten Weltkrieges.

Leben und Krieg

Oberdörffer kam am 6. Dezember 1910 in Lübeck als Sohn des Kaufmannes Ernst Oberdörffer und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Alfeis, zur Welt. Die Familie siedelte später nach Hamburg über, wo Oberdörffer erst die Bieberschule, dann die Oberrealschule auf der Uhlenhorst, und zuletzt die Oberrealschule St. Georg besuchte. Hier bestand er in Jahre 1929 die Reifeprüfung.

Schon als Fünfzehnjähriger war er wegen dichterischer Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Jugend“ von der Schule geflogen, hatte sich Geld in Hafenkneipen verdient, war als Tellerwäscher zur See gefahren, durch viele Länder getrampt, hatte Prügeleien und Messerstechereien mitgemacht und das Abitur nachgeholt.

Oberdörffer schreibt später anläßlich seiner Dissertation 1937 über seinen Vater, dessen Verlust er nie überwand:

„Mein Vater leitete vor dem Kriege eine Schamottfabrik bei Lübeck. Er ging 1914 als Unteroffizier ins Feld, wurde vor dem Feind zum Leutnant der Reserve befördert, mit dem Eisernen Kreuz, dem Verwundetenabzeichen und anderen Orden ausgezeichnet. Er stand trotz schwerer im Kriege erworbener Leiden bis 1919 im Heeresdienst, zum größten Teil an der Front [Frankreich]. Nach dem Krieg nahm er in der Einwohnerwehr an den Kämpfen gegen die Kommunisten teil. Er erlag nach jahrelangem schweren Krankenlager seinen Kriegsleiden am 7. 7. 1925. Sein Vater war Konzertdirigent in Hamburg, seine Mutter entstammt einer alten Hamburger Kaufmannsfamilie. Die Familie meines Vaters ist nachgewiesenermaßen seit 1650 in Hamburg ansässig. Die älteste Apotheke Hamburgs heißt heute noch ‚Oberdörffer’s Apotheke‘. Die Brüder meines Vaters und meiner Mutter sind hohe Verwaltungsbeamte und leitende Kaufleute.“

Und über seine Mutter schrieb er:

„Meine Mutter hat uns vier Kinder nur unter stärksten eigenen Entbehrungen durch die schweren Kriegsjahre gebracht. Nach Verlust unseres Vermögens durch die Inflation wurden die Verhältnisse immer schwieriger. Meine Mutter brach bald nach dem Tode meines Vaters völlig zusammen und starb 1931 an Tuberkulose. Sie erhielt Kriegswitwenrente, wir Kinder Kriegswaisenrente.“[2]

Studium

Oberdörffer studierte seit dem Wintersemester 1930/31 Medizin an der Universität München und bestand am 7. Juni 1935 in Hamburg die „Ärztliche Prüfung “ mit „ sehr gut “. Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP. Er wurde u. a. in dieser Zeit mit dem Reichssportabzeichen ausgezeichnet. Bereits im Juli 1934 hatte Oberdörffer das „Seminar für Englische Sprache und Kultur Hamburg“ der Universität Hamburg besucht.

Der mit dem Preußenschild der Landsmannschaft Ostpreußen ausgezeichneter Dr. Hans Graf von Lehndorff schrieb 1980 über seinen Kommilitonen, den Waffenstudenten Oberdörffer, in dessen Werk Menschen, Pferde, weites Land. Kindheits- und Jugenderinnerungen:

„... blond, blauäugig, robust, kompromißlos ... eine vulkanische Seele ... Tiefe und Zartheit des Gefühls ... ein ebenso genialer wie gefährdeter Mensch.“

Lehndorff schreibt in seinen Lebenserinnerungen, die genau 50 Jahre nach der ersten Begegnung der beiden Medizinstudenten in München und 40 Jahre nach ihrem letzten Zusammentreffen erschienen, daß das „stärkste Erlebnis meiner Münchener Studienzeit die Begegnung mit Manfred Oberdörffer“ gewesen sei. Diesem, schon ein halbes Jahrhundert zurückliegenden, „Erlebnis“ widmet er immerhin zehn Seiten in seinen Lebenserinnerungen. Graf Lehndorff besuchte wenige Wochen nach der ersten Begegnung seinen erkrankten (verdacht auf Tuberkolose) Kommilitonen im Krankensaal in einer Münchener Klinik:

„... ich setzte mich an sein Bett. Dann vergaß ich Raum und Zeit und alles um mich herum. Denn zum ersten Mal in meinem Leben ergoß sich das Schicksal eines Menschen wie eine Lawine über mich, und ich kam mir vor wie ein leeres Gefäß, das einem Sturzbach standhalten muß .“ [...] Ich konnte vorerst nichts weiter tun als stillzuhalten und mich insgeheim der Harmlosigkeit zu verwundern, mit denen mein zwanzigjähriges Dasein es bis dahin zu tun gehabt hatte. Wenige Tage später schickte er mir ein paar Gedichte, die in den letzten Jahren entstanden waren und die mich erschütterten, weil Form und Tiefe des Empfindens keinen Zweifel daran ließen, daß es sich um einen ebenso genialen wie gefährdeten Menschen handelte. Und wieder fragte ich mich, wie ich diesem Ansturm gewachsen sein sollte. Sein Gesundheitszustand erwies sich als nicht so bedenklich, wie es anfänglich ausgesehen hatte. Oberdörffer überwand die Depression schnell und startete nach kurzer Zeit schon zu seiner nächsten Reise per Anhalter, die ihn durch die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien führen sollte. Er wollte mich durchaus mitnehmen. Aber da ich seine Gewohnheiten inzwischen schon einigermaßen kannte, konnte ich mich zu einem so völlig unberechenbaren Unternehmen nicht entschließen. Ein paar Wochen später war er wieder da, hatte ein verschwollenes Auge, berichtete von herrlichen Nächten und ebenso herrlichen Raufereien. Dann arbeitete er eine Zeitlang als Krankenpfleger und schlug zur Fortsetzung seines Studiums seine Zelte in Greifswald auf. In den anschließenden Sommerferien trampte er durch die baltischen Staaten, kehrte über Finnland und Schweden zurück, langte in Hamburg mit einem vereiterten Blinddarm an und lag mehrere Wochen schwerkrank in einem Hamburger Krankenhaus. Von dieser Reise schrieb er mir einen Brief, in dem seine vulkanische Seele in einer mich überwältigenden Weise zum Ausdruck kam, die Tiefe und Zartheit des Gefühls, der Höhenflug der Phantasie und dazu die derbe Kreatürlichkeit mit ihrer Lust an der Gefahr und ihrem Hang zum Zuschlagen. Leider existiert dieses Dokument nicht mehr. Er berichtete darin auch von seinen weiteren Plänen und setzte hinzu: ‚Aber leider kann ich ja noch nicht so wie ich will, denn ich bin noch nicht mündig.‘ Und ich dachte: ‚Was passiert eigentlich, wenn so ein Mensch mündig wird?‘“

Ende Juni 1935 meldete sich Oberdörffer freiwillig zum Heeresdienst und nahm im September 1935 nach Zulassung durch einen Prüfungsausschuß bis November 1935 an einem 8-Wochenkurs der Kriegsmarine bei der 1. Kompanie/II. Marineergänzungs-Abteilung in Wilhelmshaven teil. Danach erhielt er von seinem Patenonkel (Bruder des Vaters) Dr. phil. Wilhelm Oberdörffer[3] im Foyer des Hotels Adlon fünftausend Mark, die er verwendete, um für kurze Zeit nach England zu reisen, um seine Krebsforschung fortzusetzen.

Tropenarzt

Der mehrsprachige Manfred Oberdörffer ging im Anschluß an sein Münchener Medizinstudium und Promotion[4] 1937 als Lepraforscher im Auftrag einer englischen Organisation nach Afrika und Asien. Es handelte sich um die in London ansässige „The British Empire Leprosy Relief Association“. Laut Zeugnis des „General & Medical Secretary E. Muir“ der Gesellschaft in London vom 22. März 1938 arbeitete Dr. Oberdörffer bei dieser Gesellschaft für ein Jahr von 1937 bis Frühjahr 1938. Er verließ die Gesellschaft auf eigenen Wunsch, da er offenbar Probleme mit der von ihm zusätzlich geforderten „religiösen Missionierung der Eingeborenen“ hatte, die der humanistische Atheist als unmenschlich und kontraproduktiv betrachtete.

Oberdörffers Name war in der Forschung hinlänglich bekannt, und er wurde Anfang des Jahres 1938 zu dem Internationalen Leprakongreß nach Kairo eingeladen, um dort über seine Beobachtungen zu berichten. Er benutzte diese Gelegenheit zu einer scharfen Kritik an der Einstellung der englischen Behörden und besonders der Missionare zur Bekämpfung der Lepra und wurde deshalb von seinen Geldgebern seines Postens enthoben. Da jedoch seine Arbeit erhebliches Aufsehen erregt hatte, bildete sich ein Gremium von wohlhabenden Privatleuten, die ihm die Mittel zur Verfügung stellten, seine Forschungen an anderer Stelle weiterzutreiben. Federführend war dabei eine Mrs. Russell, die Oberdörffer bei Albert Schweitzer in Lambarene kennen und schätzen gelernt hatte. Im Auftrage dieser Gruppe ging er von Kairo aus nach Ceylon, bereiste die ganze Insel und lernte die dortige Leprabekämpfung kennen. Anschließend begab er sich nach Indien, reiste durch weite Teile des Landes und arbeitete in den dortigen Instituten, über die er sich anerkennend äußerte. Schließlich schlug er sein Hauptquartier in Bangkok auf, wo man ihm auf Betreiben der Deutschen Gesandtschaft ein umfangreiches Laboratorium und mehrere Assistenten zur Verfügung stellte. In Siam erkrankte er schließlich schwer an Malaria und kehrte zur Behandlung nach Deutschland zurück. Vom 12. bis 16. Mai 1939 flog Oberdörffer von Bangkok nach Leipzig mit einer Douglas-Fokker DC 3 der niederländischen Fluggesellschaft KLM über Rangoon (Burma), Djask (Iran), Basra (Irak), Bagdad, Alexandria und Athen-Tatoi.

1940 war Oberdörffer dann Mitarbeiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie in Berlin. Ende 1939 hatte sich der genesene Oberdörffer beim Nobelpreisträger (verliehen 1939; überreicht 1949) Prof. Dr. Adolf Butenandt gemeldet, der sich sofort beriet erklärte, ihn einzustellen. Oberdörffer wurde Leiter der „Arbeitsgemeinschaft Lepra“ des Reichsforschungsrats, die von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ finanziert wurde. Das Kaiser-Wilhelm-Institut stellte ihm sofort ein großes Labor und mehrere Assistenten zur Verfügung, um seine Forschungsergebnisse weiter auswerten zu können.

Er hielt zunächst vor Wissenschaftlern eine Reihe von Vorträgen über seine Entdeckungen. Vor allem anderen aber stand bei ihm der Wunsch, sich auf militärischem Gebiet hervorzutun, denn Deutschland stand inzwischen im Krieg.

Brandenburger

Im späten Frühling meldete sich der hochqualifizierte Oberdörffer bei Wilhelm Canaris, der von dessen weltweiten Erfahrungen und Sprachkenntnissen sowie seiner Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und gegebenenfalls auch gegen andere mehr als fasziniert war. Oberdörffer wurde im Juni 1940 zum Bau-Lehr-Regiment z. b. V. 800 „Brandenburg“ einberufen und kam nach Brandenburg an der Havel zuerst als Sanitätsgefreiter in die 9. Kompanie des Regimentes und dann zur Spezialausbildung in die geheime Ausbildungsstätte der Schattenkrieger. Als Dr. Oberdörffer Tage davor in Berlin von dem dort tätigen Truppenarzt auf Tauglichkeit untersucht wurde, traf er auf den damaligen Unterarzt Dr. H. Gerlach. Dieser kannte Oberdörffer von seiner Tätigkeit in Bangkok her. Hier eine bezeichnende Charakterisierung Oberdörffers von Dr. Gerlach:

„Im Jahre 1939, an die genaue Zeit kann ich mich nicht mehr erinnern, besuchte mich in mei­ner Bangkoker Klinik Talat Noi ein junger deutscher Arzt, der sich als Dr. Manfred Oberdörffer vorstellte. Er sagte mir, er sei mit Untersuchungen über Lepra befaßt und berichtete, daß Deutschland für seine Forschungen kein Geld zur Verfügung gestellt habe. Im Gegensatz dazu habe das Londoner ,British Medical Council' ihm eine Summe von mehreren Tausend Pfund bewilligt. Damit solle er – in Sachen Lepra-Forschung – eine Reise rund um Afrika unternehmen. Diese Reise, die in Alexandria endete, habe er bereits hinter sich gebracht und seine Lepra-For­schungsarbeit begonnen. Er sei auch bereits in Angkor Wat gewesen und habe dort festgestellt, daß der so genannte Roi Lepreux in Angkor mit Namen Tom nicht an der Lepra gelitten habe. Oberdörffer berichtete über Schlangenbeschwörer, die er in Indien kennen gelernt und über die er veröffentlicht habe. Zuletzt sei er in Chiengai (Nord-Thailand) gewesen, um am dortigen Lepra-Asyl einen Beitrag der unspezifischen positiven Luesreaktionen bei Lepra vorzubereiten. (Dieser erschien in der Dermatologischen Wochenschrift, Bd. 111, Nr. 37, am 11. September 1940.) Dr. Oberdörffer selber war recht krank und mußte überraschend heimreisen. Er wurde im Hamburger Tropeninstitut von einer Milzschwellung durch unerkannte Malaria rasch geheilt. Als der Krieg begonnen hatte, verlor ich Oberdörffer aus den Augen. Ich selbst reiste über Japan, Korea und die Mandschurei durch Sibirien nach Berlin und wurde im März 1940 Soldat. Was lag näher, als daß ich zur Division „Brandenburg“ (dem damaligen Bau-Lehr-Bataillon z. b. V. 800 „Brandenburg“), ging. Bei einer Freiwilligenmusterung, die ich durchführte, sprach mich ein Rekrut im Adams­kostüm an: ,Erkennen Sie mich nicht, Herr Unterarzt?' Nein, im Adamskostüm erkannte ich ihn nicht. Als er aber angezogen war, sah ich, wer er war: Dr. Oberdörffer. Dieser führte mich dann bei Professor Butenandt in Berlin-Dahlem ein. Dort hatte er in den Räumen im Butenandtschen Institut gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Dr. med. Emmo Gehr eine Flucht von Räumen für seine Versuche, wässerige Extrakte von Nebennieren zu erhalten. Als Oberdörffer mir eine Stelle als Mitarbeiter in der Lepra-Forschung anbot, lehnte ich ab, denn ich war Allgemeinme­diziner und würde ihm und seinem Mitarbeiter nur im Wege sein. Danach verlor ich Manfred aus den Augen. Erst als ich als Truppenarzt dem Unternehmen „Seelöwe“ zugeteilt wurde und dort Hauptmann Hollmann[5] unterstand, kam eines Abends, wir saßen in einem feschen Strand-Restaurant, ein Mann auf uns zu und meldet sich: ‚Gefreiter Oberdörffer zur Einheit komman­diert!‘ Wir begannen nun nach alter Kasinositte, ihn auf seine Trinkfestigkeit zu testen. Er trank doppelt soviel Cognac wie wir. Als er 120 Puls hatte und blaß und in Schweiß gebadet war, fragte Hollmann: ‚Wie fühlen Sie sich?‘ Oberdörffers Antwort lautete: ‚Herr Hauptmann, ich bin volltrunken, aber meine Haltung habe ich in einem solchen Zustand nie verloren, und das wird auch diesmal nicht geschehen.‘ Alle waren von seiner Charakterstärke tief beeindruckt. Wenig später erfuhr ich, daß man Dr. Manfred Oberdörffer nach Kabul geschickt hatte. ...“

Agent der Abwehr

Im Mai 1941 wurde Oberdörffer u. a. gemeinsam mit Dr. Fred Brandt im Rahmen des Langzeit-Unternehmens „Tiger“ über Afghanistan nach Indien geschickt, wo sie die indischen Widerstandskämpfer um Subhash Chandra Bose gegen die verhaßte und gewalttätige britische Besatzung unterstützen sollten. Sie sollten die Angehörige der Unabhängigkeitsbewegung ausbilden, Waffenlieferungen organisieren, Sabotage vorantreiben, aber auch medizinisch beim leidenden indischen Volk eingreifen. Der Einsatz wurde jedoch verraten, und die Männer um Oberdörffer gerieten in ein Hinterhalt.

Franz Kurowski schrieb in seinem Buch Deutsche Kommandotrupps 1939 - 1945. „Brandenburger“ und Abwehr in weltweitem Einsatz über den Tod Oberdörffers:

„1941 wurden der Oberleutnant der Abwehr Dr. Oberdörffer und der Abwehrführer Brandt nach Afghanistan ent­sandt. Getarnt als Studiengruppe zur Erforschung der Lepra reisten sie mit der sogenannten Afghanischen Kompanie 32 Tage lang durch Afghanistan, und führten die ersten antibritischen Aktionen durch. Die Angehörigen der Afghanischen Kompanie waren von Rittmeister Walter Harbich ausgebildet worden. Dieser hatte auch alle flankierenden Maßnahmen getroffen und das Unternehmen best­möglich vorbereitet. Aber noch bevor das Unternehmen startete, hatte die Abwehr den Rittmei­ster abberufen und ihn mit der Aufstellung der Legion „Azad Hind“ beauftragt. Mirza Ali Khan, der Fakir von Ipi, sagte den Brandenburgern Hilfe zu. Die kleine Gruppe der Abwehr zog durch Afghanistan bis zur Nordwestgrenze Indiens. Dort setzte sich Dr. Oberdörffer mit dem Fakir von Ipi, dem anerkannten Führer der afghanischen Bergstämme an der Grenze, deren einzelne Stämme bis nach Indien hineinreichten, in Verbin­dung. Der Fakir von Ipi sagte den Deutschen seine Unterstützung bei einigen Einsätzen gegen bri­tische Einrichtungen zu. Er stellte den Männern der Abwehr drei Führer zur Verfügung, welche die Gruppen zu den ersten Sabotagezielen führten. Sie kamen in den Hütten eines verlassenen Bergdorfes unter und unternahmen am nächsten Tage die ersten Erkundungsgänge in diesem schwierigen Gelände. Zweimal stießen die beiden Gruppen auf britische Patrouillen. Dank der Geschicklichkeit ihrer Führer konnten sie sich ihnen entziehen. Als sie die erste Brücke über eine schmale Schlucht fanden, unter der ein reißender Wildbach bergab strömte, hielten sie dies für ein geeignetes Ziel. Sie kehrten um und berichteten Dr. Ober­dörffer. Dieser entschied sich für einen Einsatz. Die Sprenggruppe unter Führung des Pionier-Feldwebels Gerd Kessler brach am folgenden Abend auf. Wieder war ihr Führer Amah Singh dabei, als sie sich auf den Weg machten. Kurz vor Erreichen der Brücke ging Amah Singh allein weiter vor. Er kam nach einer Viertelstunde zurück und sagte, daß sie in Aktion treten könnten. Sie arbeiteten sich vor, erreichten die Brücke und brachten die erste Sprengladung unter dem jenseitigen Stützpfeiler an. Dann gingen sie über die Brücke zurück, rollten die Zündschnur aus und verbanden sie mit der zweiten Sprengstelle am diesseitigen Ende der Brücke. Aus der sicheren Deckung der Felsbarriere, wo der Weg einen Knick beschrieb, zündeten sie die Sprengung. Mit Donnergetöse flogen beide Widerlager der Holzbrücke in die Luft. Die Brücke selbst stürzte in die Schlucht. Sie überzeugten sich davon, daß das Werk auch gründlich getan war. Als sie gerade den Rückweg antreten wollten, erhielten sie aus erhöhter Stellung jenseits des Flusses Feuer. Heinz Schultze wurde von einer Kugel in den Hals getrof­fen und stürzte zu Boden. Feldwebel Kessler kroch zu ihm hinüber und zog ihn in die Deckung der Felsen zurück. Schultze versuchte noch etwas zu sagen, aber der Blutstrom, der aus dem Ausschuß an der linken Halsseite stob, erstickte jedes Wort. Noch ehe der Druckverband angelegt werden konnte, war Schultze bereits tot. Kessler trug den Kameraden auf dem Rücken zum Lager zurück. Sie hatten den ersten Erfolg errungen, aber auch den ersten Verlust erlitten. In den nächsten Wochen gelang es ihnen, eine vorgeschobene Funkstation der britischen Grenzwachen zu zerstören. Der Gegner hatte sich unmittelbar nach dem Feuerüberfall zurück­gezogen. Die Funkstelle flog nach Sicherstellung aller dort gefundenen Unterlagen in die Luft. Vier Tage darauf meldete einer der vorgeschobenen ortsansässigen Späher, daß eine engli­sche Patrouille unterwegs sei. Am Nachmittag dieses Tages stieß ein englisches Aufklärungs­flugzeug tief auf ihr Dorf herunter, das sie gut getarnt hatten und das als Bergdorf eines Stam­mes angesehen werden konnte. Sie gingen sofort in Deckung. Die Maschine drehte eine weite Schleife und die Späher und Führer winkten zum Flugzeug hinauf. ‚Die haben nichts gemerkt‘, meinte Sonderführer Brandt. Aber Dr. Oberdörffer schüttelte nur den Kopf. ‚Sie haben erkannt, daß dies kein normales Dorf ist. Hier fehlen Frauen und Kinder. Sie wer­den wiederkommen und uns hinausbomben.‘ Eine Stunde später waren die Späher unterwegs, um einen neuen Lagerplatz zu suchen. Sie fanden ein weiteres Bergdorf, in dem einige Hütten leergeräumt wurden, die unbewohnt waren. Darin richteten sich die Männer ein. Am selben Nachmittag meldeten die Späher Flugzeuge. Sie eilten auf den Adlerhorst, wie sie den hochgelegenen Spähplatz nannten, und sahen, wie drei Flugzeuge tief auf das Dorf herun­terstießen und dann ihre Bomben in die Hütten warfen. Explosionen grollten, Staub und Rauch und Flammen stoben empor. Dann drehten die drei Flugzeuge wieder ab. An diesem Abend feierten sie ihren ‚Geburtstag‘, Dr. Oberdörffer hatte sie gerettet. Als sie sich wenige Tage darauf 30 Kilometer weit auf indisches Gebiet vorwagten, um in einer nächtlichen Unternehmung einen britischen Telegraphenposten zu vernichten, hatten sie Pech. Sie liefen einer Grenzpatrouille in die Arme und wurden in ein stundenlanges Gefecht verwickelt, in dessen Verlauf sie sich schrittweise auf die afghanische Grenze zurückzogen. Sie hatten noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als es bereits hell wurde. Eine Stunde spä­ter flogen sechs Flugzeuge über sie hinweg und dann sahen sie hinter sich, zwischen ihrer Vor­hut und der Grenze, der sie zustrebten, die weißen Glocken vieler Fallschirme aufblühen. Engli­sche Fallschirmjäger waren in ihrem Rücken abgesprungen und versuchten, ihnen den Rück­zugsweg abzuschneiden. Eine Stunde später trafen sie auf die ersten von ihnen und damit standen sie zwischen zwei Feuern. Mit seiner Maschinenpistole sicherte Dr. Oberdörffer den Rückzug. Er schaffte es, daß das Gros seiner Männer durchkam. Mit Feldwebel Kessler wurde er beim entscheidenden Sprung durch die Linie der Fallschir­mjäger in ein Feuergefecht verwickelt, bei dem Dr. Oberdörffer einen Brustschuß erhielt und fiel. Kessler geriet in Gefangenschaft. Nach diesem Zwischenfall, bei dem auch zwei Späher fielen, war es mit der Arbeit in diesem Raum zu Ende. Die Afghanische Kompanie löste sich auf. Die Männer verstreuten sich in alle Winde und die Deutschen der Gruppe schlugen sich unter Führung von Sonderführer Brandt nach Kabul durch, wo sie zunächst in der deutschen Botschaft Unterschlupf fanden, ehe sie auf verschlungenen Wegen nach Hause geschickt wurden.“
Grab Dr. Manfred Oberdörffer.jpg

Ob diese Version jedoch stimmt, ist fraglich, denn es gibt mehrere Varianten, und die Akten gelten als verloren. Andere Quellen berichten, die Schützen waren Polizei- oder Militärposten nahe Pul-i-Alam im Auftrag der Briten, wieder andere behaupten, es waren eine „Meute von Banditen“. Fest scheint zu stehen, daß der italienische Legationsrat Enrico Anzilotti die Deutschen verraten hatte und das Geld für die Vermittlung eines Kontaktes zum Paschtunen-Stammesführer Fakir von Ipi (genannt der „Tiger von Wasiristan“) einbehalten bzw. mit der Frau des italienischen Gesandten Pietro Quaroni (1898–1971) in Kabul geteilt hat.[6] Die Italiener sollen einen Kontakt der Deutschen zum Fakir verhindern haben wollen, da er für ihre Zwecke im Kampf gegen die Briten weiterhin eingespannt werden sollte. Fred Brandt wurde, je nach Quelle, leicht bis sehr schwer verletzt und mußte vor dem britischen Geheimdienst bis zu seiner Ausreise vom afghanischen Militär beschützt werden. Sicher ist, daß Dr. Oberdörffer am 19. Juli 1941 seiner schweren Verwundung (Bauch- und Brusttreffer) erlegen war und am 20. Juli 1941 mit militärischen Ehren auf dem kleinen Ausländerfriedhof von Kabul beigesetzt wurde.[7]

Abwehragent Dietrich F. Witzel blieb in Kabul und führte das Unternehmen „Tiger“ bis Mitte 1943 teilweise erfolgreich weiter.

Grabpflege

Das Einzelgrab des verdienten Deutschen auf dem Friedhof (Christ Cemetery) im Stadtteil Schar-e Nau nördlich des Regierungsviertels von Kabul wird seit 2000 wieder stark gepflegt, auch rege Ehrenbesuche durch Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan finden statt.

Werke und Schriften

  • Ernährungsstudien unter den Ibostämmen Südost-Nigeriens. Aus: „Archiv für Schiffs- u. Tropenhygiene“. 42, 1938
  • Unterschiedliche Gesundheitsschädigung von Europäern in verschiedenen Tropenländern. In: „Koloniale Rundschau“, XXX. Jg., H. 1, April 1939, S. 39.
  • Die Zusammenhänge zwischen sapotoxinhaltigen Nahrungspflanzen und der Lepra (gemeinsam mit Dr. med. Emmo Gehr). In: „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten“ vom 7. April 1940, 30 Seiten[8]

Literatur

  • Michael Sachs (Hg.): Leben und Sterben des Dr. med. Manfred Oberdörffer (1910-1941), alcorde Verlag (2007), ISBN 978-3939973034
  • Franz Kurowski: Deutsche Kommandotrupps 1939 - 1945. „Brandenburger“ und Abwehr in weltweitem Einsatz, Motorbuch 2003, ISBN 978-3613020184
  • Bernhard Chiari: Afghanistan. Wegweiser zur Geschichte, Schöningh (2007), ISBN 978-3506756640

Verweise

Fußnoten

  1. Hier gibt es verschiedene Quellen, er war entweder Oberleutnant oder, wie Fred Brandt berichtet, Major. Zuweilen wird angegeben, daß Oberdörffer offiziell Sanitätsgefreiter geblieben ist, allerdings als Abwehr-Offizier mit einem zur Förderung der Befehlsautorität entsprechenden Charakter eines Einsatz-Majors ausgestattet wurde. Ebenfalls waren Tarn- bzw. Decknamen sowie Tarndienstgrade Usus bei den Abwehrkommandos. Auch die erst 2002 von den Briten freigegebenen Geheimakten zu „Hauptmann“ Dr. Fred Brandt geben diesbezüglich wenig Aufschluß.
  2. MPG-Archiv, III. Abt., Rep. 74, Nr. 12, Brief Oberdörffers an das Amt für Sippenforschung Berlin vom 30. März 1936.
  3. Die Stiftung zur Förderung der Hamburger Staatsoper vergibt seit 1966 einen „Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis“ an junge künstlerische Nachwuchsbegabungen aus den Bereichen Musik und Ballet zum Andenken an W. Oberdörffer, der sich um die kulturellen Belange Hamburgs verdient gemacht hat.
  4. Referent seiner 1936 verfaßten Dissertation war Prof. Dr. med. Hugo Schottmüller (1867–1936), Ordinarius für Innere Medizin und Direktor der III. Medizinischen Universitätsklinik und Poliklinik an der Universität Hamburg. Betreuer seiner Arbeit war Dr. med. Hermann Lenhartz (Approbation 1920), seinerzeit Leitender Oberarzt (d. h. Leiter) der Inneren Abteilung des Vereinshospitals vom Roten Kreuz zu Hamburg, bei dem Oberdörffer wissenschaftlich tätig war und Untersuchungen mit „weißem Phosphor“ als Chemotherapie an Karzinompatienten vornahm.
  5. Hollmann war später Bataillonskommandeur I./4. Regiment „Brandenburg“, danach wurde sein Stellvertreter Dr. Gerlach Kommandeur des Bataillons.
  6. Jeffery J. Roberts: The Origins of Conflict in Afghanistan, 2003, ISBN 978-0275978785
  7. Jan Kuhlmann: Subhas Chandra Bose und die Indienpolitik der Achsenmächte, epubli GmbH (2012), ISBN 978-3844237368
  8. „Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung von Mitteln, Herrn Prof. Butenandt vom Kaiser Wilhelm-Institut für Biochemie, dem Hamburger Tropeninstitut, Herrn Prof. Diepgen vom Institut für Geschichte der Medizin der Universität Berlin, Herrn Dr. H. Nevermann, Kustos am Museum für Völkerkunde in Berlin, Frl. Ida Hahn, Berlin, der Reichsstelle für Getreide- und Futtermittel in Berlin und den verschiedenen Instituten und Bibliotheken, die unsere Arbeit förderten, für verständnisvolle und ergebnisreiche Unterstützung bei der Durchführung dieser Arbeit.“