Wandervogelbewegung

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Als Wandervogel (kritisch zuweilen auch Wanderflegel) wird eine 1896 in Berlin-Steglitz entstandene Bewegung hauptsächlich von Schülern und Studenten bürgerlicher Herkunft bezeichnet, die sich in einer Phase fortschreitender Industrialisierung der Städte und angeregt durch Ideale der Romantik von den engen Vorgaben des schulischen und gesellschaftlichen Umfelds losmachten, um in freier Natur eine eigene Lebensart zu entwickeln. Damit stellte der Wandervogel den Beginn der Jugendbewegung dar, die auch für Reformpädagogik, Freikörperkultur und Lebensreformbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse setzte. Die im Jahre 2019 gegründete Wandervogel-Kunsthandwerkergilde erneuert diese Impulse.

Wandervogel-Aushängeschild 1909 mit dem symbolhaften Wappentier der Bewegung, dem Kranich; ihr Gruß war das „Heil!“, ihre Leiter waren stets „Führer“.

Erläuterung

Durch Wald und Heide mit einem Lied auf den Lippen wird der Industrialisierung der Großstädte eine Absage erteilt.
Wandervogel VII.jpg
Wandervogel-Mädel, 1913

Der Anstoß zu einer auf Dauer angelegten Organisation der Wanderaktivitäten am Gymnasium Steglitz ging von Karl Fischer aus, der am 4. November 1901 im Steglitzer Ratskeller mit dem „Ausschuß für Schülerfahrten“ für die Gründung des Wandervogels als Verein sorgte. Wie andere nach ihm prägte Fischer als Führungspersönlichkeit die Aktivitäten der von ihm geleiteten Gruppierung. Mit dem Anwachsen der Bewegung, die sich binnen weniger Jahre über den ganzen deutschsprachigen Raum ausbreitete, kam es oft zu abweichenden Leitvorstellungen und Schwerpunktsetzungen, die zu vielfältigen Abspaltungen und Neugründungen führten. Umstritten waren beispielsweise Fragen der Mädchenbeteiligung und der Alkoholabstinenz.

Gegenüber Versuchen der politischen Einflußnahme und Vereinnahmung suchten die Wandervogel-Verantwortlichen meist Neutralität zu wahren. So fand der Erste Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913, für den der Wandervogel den Boden bereitet hatte, offiziell ohne seine Beteiligung statt. Der Erste Weltkrieg schuf neue Verhältnisse auch für Wandervogel und Jugendbewegung. Den entscheidenden Einschnitt bildete aber erst die nationalsozialistische Auflösung bzw. Zwangseingliederung der Jugendbünde in die Hitlerjugend. Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Nachfolgeorganisationen sind dem Erbe des Wandervogels verbunden. Eine Gedenktafle zu seiner Gründung ist am Rathaus Steglitz zu finden.

Das Vorspiel – Die Phase Hermann Hoffmann (1896–1900)

Vor der Gründung des Wandervogels als Verein gab es eine Auftaktphase, die wesentlich im Zeichen Hermann Hoffmanns (1875–1955) stand. Dessen Wanderaktivität war durch ein Schulerlebnis als Fünfzehnjähriger 1890 in Magdeburg ausgelöst worden. Die in sommerlicher Wärme dösende Klasse, befaßt mit dem Lesestück „Hoch auf das Wandern“, wurde durch einen Schlag ihres Deutschlehrers Sträter auf das Pult aus der Schlafmützigkeit gerissen und eindringlich darüber ins Bild gesetzt, wie Sträter selbst und seine Altersgenossen in ihrer Jugend die Groschen angespart hatten, um zu Pfingsten oder in den großen Ferien Wandertouren zu unternehmen. Hoffmann hielt dazu in dem Manuskript „Aus der Frühzeit des Wandervogels“ fest:

„Das packte! Wenigstens einige von uns. In den nächsten Sommerferien wanderte ich mit meinem jüngeren Bruder und einem Klassenkameraden zum Magdeburger Tor hinaus, den Tornister auf dem Rücken – die Zeit der Rucksäcke war für Norddeutschland noch nicht gekommen –, wanderte in Tagesmärschen von vierzig Kilometern zum Harz, im Zickzack durch diesen und nach achtzehn Tagen heimwärts durch das gleiche Tor.“

Nach dem Abitur 1894 ließ sich Hoffmann in Berlin für Philologie (orientalische Sprachen) und Rechtswissenschaften immatrikulieren und gab unter anderem am Gymnasium Steglitz ab 1895/96 halbjährige Stenographiekurse für die Schüler. Er selbst berichtete, daß ihn gelegentlich Kursteilnehmer in seiner Studentenwohnung besuchten, unter ihnen auch Karl Fischer. Bei gemeinsamem Stöbern in seinen Büchern stieß man auf Hoffmanns Wanderbeschreibungen, und sogleich hieß es: „Das müssen Sie auch mit uns machen!"

Daraufhin folgten erste Fahrten: 1896 eine eintägige „Testwanderung“ in den Grunewald, im Sommer zwei Tage in die Teupitzer Gegend, 1897 bereits eine zweiwöchige „Fahrt“ in den Harz mit 15 Teilnehmern, 1898 eine vierwöchige Fahrt von Thüringen über den Spessart bis nach Köln mit 11 Teilnehmern und schließlich 1899 die vierwöchige „Böhmerwaldfahrt“, die durch Blühers Chronik bekannt wurde und die dadurch eine große Bedeutung erlangte, daß die Teilnehmer dieser Fahrt später maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung des Wandervogels nahmen. Hoffmann galt als jemand, der nichts dem Zufall überließ.

Bereits früh gab es Satzungen, welche die Unterordnung unter die Führer regelte. Hoffmann nannte sich „Oberhäuptling“, bei großen Fahrten hatte er zwei „Häuptlinge“ unter sich, die ihn unterstützten. Bei der Böhmerwaldfahrt waren dies sein Bruder Ernst und Karl Fischer, der später noch besondere Bedeutung für die Entwicklung des Wandervogel-Vereins erlangen sollte. Schon in der Vorphase ordnete sich die Hierarchie der Gruppen nach Erfahrung. Erprobte Wanderer wurden „Wanderburschen“, Anfänger „Wanderfüchse“ genannt. Die Wandergruppen hießen „Herden“. Zu dieser Zeit gab es noch keine Wanderausrüstung: Getragen wurden das Schulzeug und die Schülermütze, dazu Regenschirme gegen Regen, Sonne und Wind.

Am Ende des Jahres 1900 ernannte Hoffmann Karl Fischer zu seinem Nachfolger. Er selbst folgte einem Ruf nach Konstantinopel und begann dort eine Karriere im deutschen Diplomatenkorps. Zuvor legte er Fischer in der sogenannten „Fichtebergabrede“ am Paulsendenkmal in Steglitz nahe, diese Art des Jugendwanderns über Steglitz hinaus unter der deutschen Jugend zu verbreiten.

Die Erfolgschancen einer solchen in die Breite zielenden Jugendbewegung waren, folgt man Safranski, wesentlich einem erneuerten Begriff von „Leben“ zuzuschreiben, wie er insbesondere auf Nietzsche zurückging:

„‚Leben’ bedeutete die Einheit von Leib und Seele, Dynamik, Kreativität. Es wiederholte sich der Protest von Sturm und Drang und Romantik. Damals war ‚Natur’ beziehungsweise ‚Geist’ die Kampfparole gegen Rationalismus und Materialismus gewesen. Der Begriff ‚Leben’ hat jetzt dieselbe Funktion. ‚Leben’ ist Gestaltenfülle, Erfindungsreichtum, ein Ozean der Möglichkeiten, so unabsehbar, so abenteuerlich, daß wir kein Jenseits mehr brauchen. Das Diesseits bietet uns genug. Leben ist Aufbruch zu fernen Ufern und doch zugleich das ganz Nahe, die eigene gestaltfordernde Lebendigkeit. ‚Leben’ wird zur Losung der Jugendbewegung, des Jugendstils, der Neuromantik, der Reformpädagogik.“

Die Wandervogel-Vereinsgründung: Der Ausschuß für Schülerfahrten e. V. (1901–1904)

Hoffmanns Schüler Karl Fischer war von den gemachten Erfahrungen so begeistert, daß er beschloß, eine Wanderorganisation für Jugendliche aufzubauen. Am 4. November 1901 wurde im Ratskeller des Steglitzer Rathauses der „Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten e. V.“ (AfS) gegründet, um den Wandergruppen eine gegenüber Schule und Elternhäusern vorzeigbare juristische Form zu geben. Dabei halfen Fischer einige mit seinem Vorhaben Sympathisierende aus dem Umkreis der Steglitzer Honoratioren. Die Gründungsmitglieder waren die Schriftsteller Wolfgang Kirchbach, Heinrich Sohnrey, Heinrich Hagedorn und Hermann Müller-Bohn sowie der Arzt Anatol Hentzelt. Anwesend waren auch einige Schüler: Bruno Thiede, Wolfgang Meyen, der „Wandervogel“ als Vereinsnamen vorschlug, Siegfried Copalle und Karl Fischer sowie der Sohn Kirchbachs. Die Initiative zur Vereinsgründung soll jedoch eher auf Wolfgang Kirchbach zurückgehen.

Ursprung des Namens

Die Bezeichnung „Wandervogel“ für die Wanderbewegung wurde 1901 auf Vorschlag von Wolfgang Meyen gewählt. Nach Auskunft seines Vetters Albrecht Meyen stammt der Begriff aus einem Gedicht Otto Roquettes (1824–1896) aus „Waldmeisters Brautfahrt. Ein Rhein-, Wein- und Wandermärchen“ von 1851, das in der Steglitzer Wandervogel-Gruppe als Lied gesungen wurde. Darin wird der Begriff Wandervogel zum ersten Mal auf Personen angewendet:

Lagerfeuer und deutsche Musik
Gedichtlesung in freier Natur
Wandervogel-Mitglieder bei einer Sommersonnwendfeier
Deutsche Jugend!
Ihr Wandervögel in der Luft,
im Ätherglanz, im Sonnenduft
in blauen Himmelswellen,
euch grüß’ ich als Gesellen!
Ein Wandervogel bin ich auch
mich trägt ein frischer Lebenshauch,
und meines Sanges Gabe
ist meine liebste Habe.

Eine andere Deutung führt die Herkunft auf Walt Whitmans Gedichtsammlung „Grashalme“ (1855) zurück, deren Buch XVII den Titel „Birds of Passage“ = Wandervögel trägt. Johannes Schlaf überschrieb 1907 in seiner Auswahlübersetzung für Reclam den zweiten Gesang, den Gesang der Pioniere, mit Wandervögel:

Alle Pulse dieser Erde
Fallen ein und schlagen mit uns, schlagen mit des Westen Vormarsch;
Einzeln und allzusammen; immer vorwärts, alles für uns!
Pioniere! Pioniere!

Eine dritte Herleitung verweist auf einen Grabstein auf dem Friedhof Dahlem. Er schmückt das Grab von Kaethe Branco (Todesrune.png 1877), einer früh verstorbenen Tochter Hermann von Helmholtz’. Die Grabinschrift lautet:

Wer hat Euch Wandervögeln
Die Wissenschaft geschenkt,
Daß Ihr auf Land und Meeren
Nie falsch die Flügel lenkt?
Daß ihr die alte Palme
Im Süden wieder wählt,
Daß ihr die alten Linden
Im Norden nicht verfehlt?

„Oberbachant“ Karl Fischer

Fischer bekam als selbständiger Geschäftsführer durch die Vereinssatzung umfassende Autorität zugestanden. Er konnte nach § 7 der Satzung Ergänzungsbestimmungen erlassen und hatte lediglich die Pflicht, dem Vereinsausschuß einmal im Monat Bericht zu erstatten. Der Ausschuß selbst übte Zurückhaltung und fungierte hauptsächlich als „Schutzschild gegen die Öffentlichkeit“. Nach Blüher handelte es sich um die denkbar loseste Organisation, die nichts weiter zu tun hatte als „zu schützen, zu vertreten und Geld zu zahlen“. Wohl wurden gelegentlich „ein paar gute Ratschläge“ erteilt. Auch Wolfgang Kirchbach aber habe berücksichtigt, daß die Jugendlichen am liebsten unter sich blieben, und habe ihnen diesen begrenzten erziehungsfreien Raum gegönnt.

Als romantisches Vorbild seiner Wanderorganisation diente Fischer das Ideal der fahrenden Schüler aus dem Mittelalter. Aus den Wanderfüchsen und Burschen wurden „Scholaren“, die Wanderführer nannte er „Bachanten“. Er selber ernannte sich zum „Oberbachanten“ und beanspruchte eine unangefochtene Führungsrolle. Wer als Neuling aufgenommen wurde und mitwandern durfte, entschied er. Eine Voraussetzung war die Ablegung eines Treuegelöbnisses vor Fischer.

Ein spezifischer Wandervogel-Habitus

In ihrer Wanderkluft und in der Art, sich auf Fahrten zu geben, orientierten sich die Wandervögel anfänglich vielfach an den sich ebenfalls oft zu Fuß fortbewegenden „Kunden“ und fahrenden Handwerksburschen. Die sich auf ihre Weise außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft durchschlagenden Kunden faszinierten insbesondere Wolf Meyen, der ihre Sprache und ihre Bräuche übernahm und in der Wandervogelbewegung popularisierte:

„Jene Kerle, die vom Sonnenbrande halb blödsinnig geworden waren mit wankenden Knien von Flohstichen blutentsaugt, die liebte er und machte gerne ihre Gebärden nach und schnappte ihre Weisheiten auf. Das wirkte auf die anderen und so pflanzte es sich fort. Es kam zu einer Art Bastardisierung. Der Wandervogel von echtem romantischem Blute ist eine Mischung aus einem deutschen Schüler, einem Kunden und einem fahrenden Scholasten aus dem Mittelalter. […] Ein brauner dreckiger Kerl mit einem Schlapphut, ein paar grün-rot-goldenen Bändern irgendwo, den Rucksack auf dem Buckel, draußen einen rußigen Kochtopf und auf der Schulter eine Guitarre, – dieses Bild ging nie verloren, und wenn so ein Bengel des Mittags am See stand, das ausgebrannte Feuer hinter sich, die krumme Tabakspfeife zwischen den Zähnen und trotzig die Schultern emporgereckt, so war es, als ob die Natur ihr Versöhnungsdenkmal schmückt.“

Vereinsstabilisierung und Zerwürfnis

Der Lehrer Ludwig Gurlitt, der dem Ausschuß für Schülerfahrten 1902 beitrat, erreichte 1903 sogar die behördliche Anerkennung des Vereins durch das preußische Kultusministerium. Damit wurde der AfS der erste außerschulische Schülerverein, der aber offiziell als Verein Erwachsener auftreten mußte. Dies war notwendig, weil es nach preußischem Recht Schülern verboten war, Mitglied in außerschulischen Vereinen zu werden. Diese Tatsachen und Fischers Werbung führten zu einer Expansion des AfS. 1903 waren für die 13 Fahrten und 103 Wandertage insgesamt 250 Teilnehmer, sogenannte „Eingetragene“, registriert. Vier weitere Ortsgruppen gründeten sich in der Zeit von 1901 bis 1904 in Lüneburg, Posen, München und Rawitsch.

Dennoch kam es 1904 zum Zerwürfnis der Bachanten Siegfried Copalle, Bruno Thiede und Richard Weber mit ihrem Oberbachanten Fischer. Nach einem von Hans Blüher ausgelösten Eklat auf einer Wanderung unter Copalles Leitung und einer im März 1904 unter Ablehnung Fischers, aber mit Zustimmung des Vorstandes angesetzten Osterfahrt trat Fischer vom Posten des Oberbachanten zurück. Der AfS zerbrach in zwei Vereine, zum einen den „Wandervogel – eingetragener Verein zu Steglitz“ (Steglitzer e. V.), um den sich die Gegner Fischers scharten, und zum anderen den „Alt-Wandervogel“ (AWV), der Fischers Vorstellungen übernahm. Die Sitzung zur Auflösung des AfS fand am 29. Juni 1904 statt und markiert den Anfangspunkt für die dritte Phase der Wandervogelgeschichte.

Spaltung und Expansion (1904–1911)

Die dritte Phase des Wandervogels ist dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Wandervogelvereine mit unterschiedlichen Programmen und Strukturen parallel existierten.

Der Wandervogel – eingetragener Verein zu Steglitz (1904–1912)

Der „Steglitzer e. V.“ blieb im Gegensatz zum AWV immer ein lokaler Verein, und von den größeren Bünden war er stets der kleinste. Im Dezember 1912 hatte er nur 715 „Eingetragene“ (darunter 216 Mädchen) und 414 erwachsene Mitglieder. Fast alle Mitglieder des AfS, vor allem aber die Honoratioren, wechselten in den Steglitzer e. V. Dieser konstituierte sich unmittelbar nach der Auflösung des AfS am 29. Juni 1904. Ludwig Gurlitt wurde Vorsitzender für die nächsten drei Jahre; Heinrich Sohnrey übernahm nach ihm das Amt. Als Grund für Fischers Cäsarismus machte man weniger seine Person als die Satzung des AfS verantwortlich. So hieß es in einer Stellungnahme der neu herausgegebenen Zeitschrift des Vereins im September 1904:

„Die ganze Organisation war so sehr auf die eine Person des Oberbachanten zugeschnitten, daß mit dieser einen Person das Ganze stand und fiel [...]. Der grundsätzliche Fehler, der bei der Einsetzung des Ausschusses gemacht wurde, bestand nun darin, daß ihm durch die Satzung, die der Organisation zugrunde gelegt wurde, nicht diejenigen Rechte und derjenige Einfluß gesichert wurden, die ihm seiner Bedeutung wegen zukamen.“

Man schaffte das Amt des Oberbachanten ab und setzte statt dessen ein siebenköpfiges Führerkollegium ein, in dem anfangs Copalle, Thiede, Weber und deren Schulkameraden Richard Schumann, Lothar Lück, Sohn des Direktors des Steglitzer Gymnasiums, sowie Rudolf Hartmann und Günter Wendland saßen. Der Geschäftsleiter wechselte nun vierteljährlich. Als Vermittler zwischen Vereinsvorstand und Führerkollegium wurde ein „Obmann“ eingeführt. Fast durchgängig Obmann des Steglitzer e. V. und zugleich auch lange Zeit Schatzmeister war Prof. Heinrich Albrecht. Führerkollegiumssitzungen hießen „Konvente“. Die Begriffe Scholar und Bachant wurden fallengelassen. Statt dessen hieß es „Schüler“ und „Führer“ bzw. „Hilfsführer“. Studenten waren als Führer bevorzugt. Statt dem „Klotzen“ als Wanderstil, wie es Fischer von Copalle vorgeworfen wurde, war besinnendes Erleben der Natur durch ruhiges Wandern angedacht. Der Führer sollte dabei die Aufgabe des Dolmetschers zwischen Natur und Wandergesellschaft übernehmen.

Der Alt-Wandervogel e. V. (1904–1926)

Der „Alt-Wandervogel“ wurde später als der Steglitzer e. V. konstituiert. Eine Neugründung fand nie statt, die Vereinssatzung des AfS blieb bewußt als Zeichen erhalten, als sich am Ende des Jahres die Befürworter von Fischers Stil um diesen scharten, um den „alten Wandervogel“ wieder aufzubauen. Wolfgang Kirchbach war einer der wenigen Honoratioren, die sich dem AWV anschlossen. Der AWV ist der Wandervogelbund, der die größte Ausbreitung im Deutschen Reich erreichte und von dem sich am häufigsten kleinere Gruppen abspalteten. Die Namensgebung fällt auf Ende Oktober 1904 zurück. Fischer war zuvor nach Halle umgezogen, um dort einem Jura- und Sinologiestudium nachzugehen. Hier entstand die neue Zentralstelle des AWV, in der Fischer nunmehr „Groß-Bachant“ genannt wurde. Fischer regte zugleich mit Kirchbach die Etablierung eines „Ehren- und Freundesrates“ (Eufrat) an, dessen Gründung die befreundeten Eltern unter der Leitung Kirchbachs am 18. November 1904 zustimmten.

Auch hier zeigte Fischer wieder starkes Engagement, um neue Mitglieder und Freunde für den AWV zu werben. Zu seiner Unterstützung ernannte er Hans Breuer, Wolfgang Meyen und Ernst Anklam zu „Oberbachanten“. Mit vermehrten Neugründungen im gesamten Kaiserreich erlebte der AWV eine starke Ausbreitung. Von 681 eingetragenen Schülern im Jahre 1905 stieg die Zahl bis 1908 auf 2.076 Eingetragene in 44 Ortsgruppen. 1912 hatte der AWV rund 15.000 „Eingetragene“ in etwa 300 Ortsgruppen.

Der autoritäre Führungsstil Fischers mit der Zentralisierung des AWV auf seine Person geriet schnell erneut zu einem Problem. Der Rittergutsbesitzer Wilhelm Jansen, seit 1905 Oberbachant im AWV, überzeugte Fischer schließlich vom Rücktritt. Am 1. Januar 1906 trat er zurück, wenig später folgte auch Wolfgang Kirchbach und gab seinen Vorsitz beim Eufrat auf. Nur kurz übernahm Jansen das Amt des Großbachanten, da es bereits am 4. April 1906 zu einer Generalversammlung des Eufrat kam, auf der eine neue Satzung erlassen wurde. Das autokratische System Fischers ersetzte man durch eines, das dem Steglitzer e. V. nicht unähnlich war. Ein fünfköpfiges Führerkollegium erhielt die Bundesleitung des AWV. Als zweites wichtiges Organ trat das Kollegium zum Eufrat hinzu. Jansen wurde Vorstandsvorsitzender des Eufrat, Ernst Semmelroth am 18. Mai 1906 Vorsitzender der Bundesleitung. Alle mittelalterlichen Bezeichnungen entfielen.

Aus Bachanten wurden wieder Führer etc. Da das auch für Karl Fischer galt und eine von ihm angemeldete Fahrt von der Bundesleitung nicht genehmigt wurde, trat dieser entmachtet im August 1906 aus dem AWV aus und ging wenig später in den militärischen Dienst, der ihn bis nach Kiautschou in China führte. Vom AWV spalteten sich zwei Gruppierungen ab, die sich zu größeren Wandervogelbünden entwickelten: der „Wandervogel, Bund für Jugendwanderungen“ (DB) und der „Jung-Wandervogel“ (JVW).

Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen (1907–1911/13)

Nerother Wandervogel

1907 trat die gesamte Jenaer Ortsgruppe aus dem AWV aus, da die Bundesleitung den Antrag nach Abstinenz von Alkohol und Nikotin auf den Fahrten abgewiesen hatte. Der Leiter dieser Ortsgruppe, der Dipl.-Ing. und Lehrer Ferdinand Vetter, hatte einen entsprechenden Antrag am 3. Januar 1907 gestellt. Zusammen mit dem Marburger Studenten Wilhelm Erhardt gründete er daher am 20. Januar den „Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen“.

Zunächst hatte der DB nur 42 „Eingetragene“, also Schüler, die in den Listen des Wandervogels registriert waren. Zum Jahresende umfaßte er bereits 16 Ortsgruppen (ca. 170 Eingetragene). Auf dem ersten Bundestag des DB vom 6. bis 8. April wurde der Lehrer Kurt Haehnel zum Bundesleiter und Vetter zum Schatzmeister gewählt. Viele Mitglieder anderer Wandervogelvereine schlossen sich dem DB an, darunter befanden sich auch Ludwig Gurlitt, Frank Fischer, Hans Lißner und Hans Breuer. Breuer wurde 1909 zum Bundesleiter gewählt.

Während er in Heidelberg sein Medizinstudium mit dem Prädikat „summa cum laude“ abschloß, avancierte er zusammen mit seinem Freund Lißner zum neuen geistigen Führer der gesamten Bewegung. So gab er unter anderem den „Zupfgeigenhansl“ heraus, eine Sammlung von Volksliedern, die er vermutlich aus den Beständen der Universitätsbibliothek von Heidelberg und aus den Einsendungen engagierter Wandervögel zusammengestellt hatte.

Die Programmatik des DB wich in vielen Punkten von den anderen Bünden ab. Sie folgte einem scharfen Abstinenzgebot und trat entschieden für das gemischte Wandern von Jungen und Mädchen ein. Weiterhin verfolgte sie den Wunsch, das Wandern auf alle „Stände“ hin auszudehnen. Durch die starke Dezentralisierung des DB zugunsten der einzelnen Ortsgruppen unterschied er sich auch strukturell erheblich von den anderen Bünden. Die Ortsgruppen besaßen das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung im Rahmen der Bundessatzung. Zuletzt gab er sich das Ziel, die Einheit der gesamten Bewegung wiederherzustellen. Der DB hatte Ende 1911 in 210 Ortsgruppen 8.138 eingetragene Schüler.

Der Jung-Wandervogel (1910–1916)

Wandervogelsoldaten mit einem Hakenkreuzwimpel vor Verdun 1916

Eine zweite große Abspaltung vom AWV erfolgte Ende November 1910. Unter der Leitung von Wilhelm Jansen und Ellie Jahn löste sich die Hamburger Gruppe auf und gründete den „Jung-Wandervogel“. Er entstand aus einer Diskussion über den Einfluß der Älteren und das Eindringen dieser in die „Wandervogelwelt“. Mit der Devise „Weg mit den Oberlehrern!“ löste man sich vom „unjugendlichen“ AWV, der von Lehrern dominiert zu sein schien. Der JWV besaß, wie der DB, eine föderale Struktur. Ortsgruppen konnten „sich nicht direkt dem Bunde anschließen“, sondern mußten einem Kreis angehören. Weiterhin versuchte der JWV erfolgreich, die Ortsgruppen unter 40 „Eingetragenen“ zu halten. So hatte der JWV 3.700 Schüler in 112 Ortsgruppen organisiert, was einer Ortsgruppengröße von durchschnittlich 33 Schülern entsprach.

Ein gemeinsamer Bund in den Vorkriegsjahren, der „Wandervogel e. V.“

Ausgehend von einer Initiative des DB unter Hans Lißner und Hans Breuer kam es vom 14. bis 16. Mai 1910 zur „Sachsenburger Pfingsttagung“, an der auch Vertreter des AWV und Steglitzer e. V. teilnahmen. Auf dieser forderte Breuer den Zusammenschluß der Wandervogelbünde. Beim Steglitzer e. V. löste das bevorstehende Treffen eine Krise zwischen dem Vorstand und dem Führerkollegium aus, da der Vorstand einer Vereinigung eher skeptisch gegenüberstand. Dies hatte zur Folge, daß Prof. Albrecht von seinen Ämtern als Obmann und Schatzmeister zurücktrat. Er wurde von Conradin Brinkmann abgelöst.

Auch der Vorstand des AWV hatte eine ablehnende Haltung gegenüber den Einigungsbestrebungen eingenommen und wußte einen großen Teil der Führerschaft hinter sich. Beide Vereine, sowohl der AWV als auch der Steglitzer e. V., fürchteten eine Vereinnahmung durch den DB. Dennoch nahmen etwa 500 Wandervögel an dem Treffen teil, darunter auch 100 Führer. Aus diesem Kreis wurden sieben Vertreter in einen Ausschuß gewählt, der die Einigungsbestrebungen vorantreiben sollte. Am 8. Januar 1911 gründete sich der „Verband Deutscher Wandervögel“ (VDW), eine Interessengemeinschaft aus den beiden größten Bünden AWV und DB, der sich im Laufe des Jahres neben weiteren Bünden im März auch der Steglitzer e. V. anschloß. Es setzte nun eine Entwicklung ein, der die Bundesleitungen teilweise machtlos gegenüberstanden. Viele DB- und AWV-Ortsgruppen schlossen sich eigenmächtig zu geeinten Ortsgruppen zusammen, auch wenn auf einem gemeinsamen Bundestag vom 8. bis 10. April 1911 in Marburg keine inhaltlichen Einigungen zum Mädchenwandern, zur Abstinenzfrage und zur Ausdehnung der Bünde auf Volksschüler erzielt wurden.

Eher inoffiziell war auch die Gründung des „Wandervogel e. V., Bund für deutsches Jugendwandern“ (Wandervogel e. V.) im Juni 1912. Der damalige Bundesleiter des DB, Dr. König, gab eine Satzung vor und ließ diese ins Vereinsregister eintragen, noch bevor die Gegensatzung des AWV berücksichtigt werden konnte. Daraus ergab sich, daß der AWV niemals offiziell dem Wandervogel e. V. beitrat, obwohl sich zwei Drittel der Ortsgruppen eigenmächtig angeschlossen hatten. Auch der JWV blieb unabhängig von dem großen Einigungsbund, nicht zuletzt aufgrund der Differenzen in der Erwachsenenfrage. Dagegen ging der Steglitzer e. V. nach einem Auflösungsbeschluß vom 29. Dezember 1912 vollkommen im neuen Bund auf. Der DB folgte am 5. Januar 1913 und der „Verband deutscher Wandervögel“ im Februar 1913. Damit hatte sich der zahlenmäßig größte Teil der Wandervögel im Bund Wandervogel e. V. zusammengeschlossen. Sein Leiter wurde am 21. September 1913, kurz vor dem ersten „Freideutschen Jugendtag“ auf dem Hohen Meißner, der Schuldirektor Dr. Edmund Neuendorff.

Wandel und Bedeutungsverlust: Vom Meißner-Treffen 1913 bis zur Gegenwart

Jugendliche der Wandervogel-Bewegung, 1931

Auf dem Ersten Freideutschen Jugendtag am 11. und 12. Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner bei Kassel trat der Wandervogel e. V. offiziell nicht auf, obwohl er mit dazu eingeladen hatte. Offiziell verhielt man sich abwartend gegenüber der Freideutschen Jugendbewegung und kritisierte den Einfluß der Reformer und Lenker auf diese Bewegung. Dennoch nahmen viele Vertreter des Bundes an dem Treffen teil.

In einer eigenständigen Gegenveranstaltung der organisierten Jugend setzte man sich bei diesem Treffen ab von den patriotischen Veranstaltungen des Kaiserreiches zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig. Mit der in Vorberatungen von den Beteiligten erarbeiteten Meißner-Formel wurde ein spezifisches jugendliches Ideal zum Ausdruck gebracht; maßgeblich beteiligt daran war u. a. der Reformpädagoge Gustav Wyneken.

Insbesondere in und nach dem Ersten Weltkrieg kam es unter Mitgliedern von Wandervogelbewegung und Pfadfindern zu einer Neugruppierung und Vermischung. Daraus entstand in einer zweiten Phase der Jugendbewegung die Bündische Jugend. Zu den eigentlichen Wandervogel-Schwerpunkten, den Fahrten, dem Naturerleben und einer romantisch verklärten Rückbesinnung auf die als ursprünglich empfundene Volkskultur traten in der bündischen Jugend vermehrt gesellschaftliches und politisches Engagement hinzu.

In einem 1928 verfaßten Beitrag zur Wandervogelkultur skizzierte Erich Weniger auch Merkmale eines Wandels im äußeren Erscheinungsbild der Gruppen, die auf Fahrt gingen:

„Vieles, was als ‚zünftig‘ für alle Zeiten festzustehen schien, hat sich allmählich und für viele unmerklich gewandelt, die Jugendherberge hat das Heulager und Zelt abgelöst, in der Kleidung ist man von wahllos romantischer Buntheit über allerlei Stilexperimente zu sachlicher Schlichtheit gekommen, die eigentümlich aufgelöste Form des Tippelns – die weit auseinandergezogene Gruppe […], von Ferne an den Zug von Wildvögeln erinnernd und ein merkwürdiges Ineinander von trotzigem Individualismus und von selbstverständlicher Gebundenheit – ist unter dem Einfluß der Pfadfinder, aber wohl aus tieferen Notwendigkeiten heraus, abgelöst durch die geschlossene, marschierende Gruppe mit dem vorausgetragenen Wimpel.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden viele dieser Gruppierungen neu; sie existieren noch heute in verschiedensten, voneinander unabhängigen Organisationen. Die ausstrahlende Bedeutung der Wandervogelbewegung vor dem Ersten Weltkrieg war und ist ihnen aber nicht beschieden.

Wirkungsgeschichte des Wandervogels

Wandervogelgruppe aus Berlin

Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, 1912, hat Hans Blüher unter dem Titel „Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung“ mit starken persönlichen Akzenten eine erste Bilanz der Wandervogelbewegung vorgelegt, in der nicht nur der „Aufgang“, sondern auch bereits ein „Niedergang“ der Bewegung thematisiert wurde. Der Erste Weltkrieg bedeutete für die Wandervogelbewegung dann tatsächlich eine Zäsur hin zu etwas neuem.

Als wirkungsgeschichtlicher Rückblick und programmatischer Ausblick in einem ist zu verstehen, was 1920 der Altwandervogel Ernst Buske in der Übergangsphase der Jugendbewegung von der Wandervogel- zur bündischen Zeit geschrieben hat. Buske, der späterhin als Bundesführer der Deutschen Freischar den nach Mitgliederzahl wichtigsten Jugendbund der Weimarer Zeit leitete, sah im Wandervogel vor allem ein wertvolles Bindeglied zwischen dem Individuum und seinem natürlichen und gesellschaftlichen Umfeld:

„Wen es jahraus, jahrein, Sonntag für Sonntag und in den Ferien auch für mehrere Wochen aus Unnatur und Zwang, aus Hast und Gier des lebenstötenden Stadtgetriebes hinaus in die ewigjunge, spannungauslösende Natur getrieben hat, wer durch das geheimnisvolle Weben eines Sommermorgens im steilen Walddom geschritten ist, wer über blühende Heide bei totenstiller Mittagszeit durch flimmernde Sonnenstäubchen wanderte, wer auf ragender Bergeshöh oder am rauschenden Meer oder auf stiller Schneehalde die Sonne sinken sah, wer aus dumpfem Gemäuer verfallener Burgen zum sternenübersähten Nachthimmel aufschaute, wer, wenn das Sonnwendfeuer allmählich verglommen, über den Bergen das Frührot aufsteigen sah – wer so sich selbst als Teil der Natur und die Natur als Teil seines Selbst fühlt, der ist nicht mehr wurzellos wie der Städter, seine Wurzeln senken sich tief hinein in das Land, das er durchwandert, und er umfaßt die Heimat mit seiner ganzen Liebe. – Aber nicht nur das Land, auch seine Bewohner und ihre Art werden dem Wanderer Leben und Erleben. Wer heut beim Bauer, morgen beim Dorfhandwerker, übermorgen beim Förster, Lehrer oder Pfarrer sein einfaches Nachtlager findet, wer heut hier am Herd sitzt und sich von der freundlichen Großmutter von alten Sagen und Gebräuchen und wunderbaren Menschenschicksalen erzählen läßt, wer morgen mit der Dorfjugend unter der weitausladenden Dorflinde die alten Volkslieder singt oder in lustigen Reigen sich schwingt, wer übermorgen mit dem Bauern aufs Feld geht und bei dringlicher Arbeit fleißig mit Hand anlegt – wer so mit freundlichem Blick und mit helfender Hand den Menschen begegnet, dem bleiben sie nicht fremd. Und aus dem Verstehen der Menschen, ihrer Art und Arbeit kommt Achtung und Liebe, kommt das tiefe Gefühl des Teilseins, das Bewußtsein eines übernatürlichen Zusammenhangs, in dem wir alle umfangen sind.“

In der Abgeschiedenheit unter Eingeweihten hatte der Wandervogel seine Bräuche entwickelt, unterstreicht Barth. Dann aber wurden sie von der gesamten Jugendarbeit kopiert; nahezu alle Welt ging nun auf Fahrt. Der daraus entstehende Organisationsbedarf verschaffte Erwachsenen mehr und mehr Gelegenheit zur Einflußnahme auf die Bewegung. „So fingen dann auch Parteien an, Jugendabteilungen aufzubauen, nach dem Motto ‚Wer die Jugend hat, hat die Zukunft‘“.

In der Wandervogelbewegung entstand 1909 Der Zupfgeigenhansl (Hrsg. Hans Breuer), eines der einflußreichsten und am weitesten verbreiteten deutschen Volksliederbücher. Das heute weltumspannende Jugendherbergswerk und die Reformpädagogik haben zu einem erheblichen Teil ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung. Ein studentischer Ableger der Wandervogelbewegung ist die 1923 gegründete Deutsche Gildenschaft (siehe auch: Studentenverbindung).

Kritik der zeitgenössischen Öffentlichkeit hatte der Wandervogel im Umfeld einer Affäre mit homosexuellem Hintergrund auf sich gezogen, in deren Mittelpunkt Fürst Philipp zu Eulenburg stand, ein Freund Kaiser Wilhelms II. Denn im Wandervogel gab es, insbesondere nach dem Zeugnis Hans Blühers, homoerotische Tendenzen von nicht näher bestimmbarem Ausmaß, die nun skandalisiert wurden. Die Wandervogel-Verantwortlichen waren zeitweise Schmähreden ausgesetzt, wurden gar als „Päderastenklub“ bezeichnet. Nach vehementer allgemeiner Distanzierung von diesem Vorhalt seitens der meisten Wandervogel-Führer und -Mitglieder verebbte schließlich die Diskussion darum.

In dem Erinnerungssammelband des Wandervogels „Die Blaue Blume“ verteidigte Werner Helwig als Zeitzeuge und prominentes Mitglied des Nerother Wandervogels die Bewegung gegen den Vorwurf, dem Nationalsozialismus Vorreiterdienste geleistet zu haben, indem er noch für die Zeit der Weimarer Republik befand: „Abirrungen nach Extrem-Rechts kamen nicht häufiger vor als nach Extrem-Links.“ Wo Einzelne sich in parteipolitischen Engagements versucht hätten, seien sie meist sehr schnell kaltgestellt worden. Der Nationalsozialismus hingegen habe alles in sich aufgesogen, „was irgend den Charakter von Bewegung hatte. […] Die Träger der adoptierten Bewegung wurden ausgerottet, bevor sie sich als Fermente auswirken konnten. Die Formen, die sie mitgebracht hatten, blieben gleichsam sinnentleert übrig…“

Auch Helwig sah die Wirkung dessen, was der Wandervogel in Gang gebracht hatte, hauptsächlich in dem, was er Mitgliedern und Nachfolgern vermittelte und bedeutete:

„Die Jugendbewegung förderte Askese, liebte schlichte Lebensformen, pflegte den Geist der Selbstverantwortung, half die Welt erschließen mit den einfachsten Mitteln. Mied die Hotels, verachtete in einer guten Periode ihrer späten Phase sogar die selbstgeschaffenen Jugendherbergen, schätzte Abhärtungen, schwierige Dichter, Denker, Weltbildrevolutionäre und – auf dem Umweg über das wiederentdeckte Volkslied – strenge musikalische Formen. […] Freuen wir uns der Tatsache, daß es den Wandervogel gab. Denn wer – wann immer er von dessen musischem Bann ergriffen war – wer von uns möchte ihn missen?“

Aus grauer Städte Mauern

Speyerer Wandervogel

Dieses Wander- oder Fahrtenlied gehört zu den bekanntesten Liedern der Jugend- und Wandervogelbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts das Volkslied wieder populär machte. Als Gegenreaktion auf die negativen Folgen der Industrialisierung wünschte man den Rückzug aus den grauen Städtemauern und suchte die Nähe zur Natur, vor allem zum deutschen Wald. Robert Götz schrieb die Musik 1920/21. Das Lied wurde dann erstmals 1932 in einem von Robert Götz zusammengestellten Liederbuch veröffentlicht. Der Text stammt von Hans Riedel, die letzte Strophe von Hermann Löns.

Aus grauer Städte Mauern
Ziehn wir durch Wald und Feld,
Wer bleibt, der mag versauern,
Wir fahren in die Welt.
Halli hallo, wir fahren,
Wir fahren in die Welt


Der Wald ist uns’re Liege,
Der Himmel unser Zelt,
Ob heiter oder trübe,
Wir fahren in die Welt.
Halli hallo, wir fahren,
Wir fahren in die Welt


Ein Heil dem deutschen Walde,
Zu dem wir uns gesellt,
Hell klingt’s durch Berg und Halde,
Wir fahren in die Welt.
Halli hallo, wir fahren,
Wir fahren in die Welt


Die Sommervögel ziehen
Wohl über Wald und Feld,
Da heißt es Abschied nehmen,
Wir fahren in die Welt.
Halli hallo, wir fahren,
Wir fahren in die Welt

Wanderflegel

Turner bezeichnen falsche Wandervögel als „Wanderflegel“ und „Rüpel beiderlei Geschlechts“, Bergedorfer Zeitung vom 14. August 1916
Sechs Tage Arbeit und Kultur,
am Sonntag aber nur Natur!
Zieh frank und frei ins Land hinaus,
Schliff, Schick und Bildung laß zu Haus!
Des Waldes feierliche Stille,
belebe kräftig mit Gebrülle!
Laß bitte keine Blume stehen,
was brauchen and’re sie zu sehen?
Das Gras, die Saat tritt ruhig nieder,
im nächsten Jahr wächst alles wieder.
Durch Rindenschnitt in jedem Stamme,
verew’ge Dich und Deine Flamme!
Blechbüchsen, Scherben und Papier,
laß liegen zu des Waldes Zier!
Wen stört der Waldestiere Not?
Wirf, hetze, fange, schlage tot!
Rauch flott im Holze, schür ein Feuer!
Den Förster freut das ungeheuer.
Wo freundlich Rast und Stille winken,
laß knatternd Deinen Auspuff stinken!
Hältst Du Dich stets an diese Regel,
bist Du ein zünft’ger Wanderflegel.

Bekannte Mitglieder (Auswahl)

Siehe auch

  • Wille zum Reich („Führerzeitschrift/-blatt des Deutschen Wandervogels“)

Literatur