Expressionismus
Der Expressionismus (deutsch: Ausdruckskunst) ist eine Kunst- und Stilrichtung, die in Literatur und Lyrik etwa bis zum Ersten Weltkrieg, in Film und bildender Kunst jedoch noch bis in die frühen 1930er Jahre bestand. Am stärksten wirkten Expressionisten im Zeitraum zwischen 1905 und 1925. Ziel des Expressionismus war es, die sogenannte Innere Gedankenwelt und das „Unterbewußte“ nach außen zu kehren, also auszudrücken (lat. expression).
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Zum einen war der Expressionismus durch seine hohe Anhängerzahl in Deutschland international als „deutsche Kunst“ angesehen, wurde aber andererseits wegen seiner abstrakten Formen, unproportionalen Körper, verzogenen Darstellungen und teilweise linksradikalen Motive besonders im Nationalsozialismus als entartet und undeutsch wahrgenommen. Jedoch gab es auch Nationalsozialisten – zum Beispiel Joseph Goebbels – welche Teile des Expressionismus nicht gänzlich ablehnten. Dr. Goebbels wollte 1933 die Expressionisten Emil Nolde und Ernst Barlach zu „Prototypen des nordischen Künstlers“ ausrufen.
Alfred Rosenberg und der Kampfbund für deutsche Kultur hingegen lehnten den Expressionismus vehement ab.[1] Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Darstellung hat der Nationalsozialismus jedoch dem Expressionismus nicht den „Todesstoß“ versetzt, da die Kunstbewegung ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre bereits wieder verschwunden war; richtig jedoch ist, daß viele expressionistische Werke als entartete Kunst eingestuft wurden.
Meistens war die Kritik auf die pessimistische Lyrik vor dem Ersten Weltkrieg, die mutlose Darstellung von Gräßlichkeiten und die Darstellung von Frauen als Prostituierte bezogen.
Expressionismus als Gegenbewegung
Der Expressionismus bildet eine Gegenbewegung zum positivistischen Naturalismus. Das größte Problem des Zeitalters des Expressionismus war die Raumnot und die Armut der Bevölkerung. Die Gründe dafür lagen in der Verstädterung, während der der Lebensraum des Einzelnen immer enger wurde. Aus diesem Verstädterungsmotiv entwickelt sich unter einigen Künstlern die Vorliebe für das negative Extrem. Die leitenden Themen waren Krankheit, Selbsttötung und Tod, sowie Untergang und Verfall.
Motive des Expressionismus
In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Europa starke politische Spannungen. Durch verschiedene internationale Krisen und die Außenpolitik Englands kam es zur Isolierung des Deutschen Reiches, und die führenden Streitmächte in Europa begannen, für einen Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten zu rüsten. Auch war das Thema der Industrialisierung ein wichtiges Motiv im Zeitalter des Expressionismus.
Expressionismus in der Schriftstellerei
Die bekanntesten Vertreter der expressionistischen Literatur und Lyrik sind
Allerdings muß angemerkt werden, daß der Jude Kafka erst nach dem Zweiten Weltkrieg weltweite Bekanntheit erlangte.
Gedicht
Als typisch expressionistisches Gedicht kann Georg Trakls letztes Werk „Grodek“ [2] aus dem Jahre 1914 angesehen werden:
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder Von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen Und blauen Seen, darüber die Sonne Düster hinrollt; umfängt die Nacht Sterbende Krieger, die wilde Klage Ihrer zerbrochenen Münder.
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle; Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain, Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter; Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
Die heiße Flamme der Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, Die ungeborenen Enkel. |
Trakl benannte dieses Gedicht nach der Stadt Gródek, in welcher er im September 1914 in einem Feldlazarett als Militärapotheker und Sanitätsleutnant die Schlacht von Gródek erlebte. Da für die nötigen Operationen Betäubungsmittel fehlten, waren Trakl nicht in der Lage, den grausam verwundeten deutschen Soldaten das Leben zu retten, woraufhin er schließlich seelisch zerbrach. Unter diesen Eindrücken verfaßte er sein letztes Werk.
Für expressionistische Kurzgeschichten und Romane ist heute vor allem der jüdisch-tschechisch stämmige Kafka bekannt, welcher seine Werke in deutscher Sprache verfaßte. Vor allem erwähnenswert sind hierbei: „Die Verwandlung“, „In der Strafkolonie“, „Der Prozeß“ und „Der Landarzt“. Die Verwandlung handelt von einem Tuchhändler und Geschäftsreisenden namens Gregor Samsa, der sich eines Morgens „in seinem Bette zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ [3] fand und anschließend immer mehr von seinem sozialen Umfeld isoliert wird, bis er schließlich an seinem Zustand zugrunde geht.
Die expressionistische Literatur – im Grunde alle expressionistischen Disziplinen – haben ausschließlich negative Grundthemen wie Zerfall, Angst, Ich-Verlust, den Weltuntergang, Wahnsinn, schmerzhafte Liebe, Rauscherlebnisse und die grausamen Aspekte der Natur. Ein positives Grundthema – wie zum Beispiel eine glückliche Liebe, die schönen Seiten der Natur oder ein bedeutender Sieg in einer Schlacht – widerspricht dem Wesen des Expressionismus. Das Krankhafte und Häßliche formt sich zu einer „Ästhetik der Häßlichkeit“. Da der Nationalsozialismus das Krankhafte und Häßliche ablehnte, war es vorhersehbar, daß der Expressionismus sich nach 1933 kaum noch durchsetzen konnte und von einer Kunst der Hoffnung, der Schönheit und der Erneuerung ersetzt wurde.
Zudem konnten im Expressionismus wie in keiner anderen Kunstrichtung zuvor Juden in das deutsche Dichtertum eindringen, zum Beispiel Else Lasker-Schüler („Die Wupper“) und Jakob van Hoddis („Weltende“).
Expressionismus in der Malerei
Henri Martisse, einer der bekanntesten französischen Expressionisten, kommentiert seine Malerei wie folgt:
- „Ausdruck entsteht nicht nur durch die Leidenschaft, die sich in einem menschlichen Gesicht widerspiegelt oder durch eine eindringliche Geste. Das gesamte Arrangement meiner Bilder trägt zum Ausdruck bei. Sowohl der Platz, der von einer Figur oder einem Gegenstand eingenommen wird, wie auch der leere Raum, der sie umgibt, die Proportion – alles spielt dabei eine Rolle“ [4]
Die expressionstische bildende Kunst war von starkfarbigen Flächen und kraftvollen Linien geprägt.
Im Deutschen Kaiserreich herrschte in der national gesinnten Kulturpolitik offene Ablehnung gegenüber den neuen Entwicklungen der Kunst in Frankreich, die Wilhelm II. als „Rinnsteinkunst“ verworfen hatte. Die Werke von Edvard Munch – 1892 erstmals in Berlin gezeigt – entfachten deshalb einen ungeheueren Skandal, da anstatt der erwarteten Erneuerung durch den Mythos des Nordens in seinen Bildern ein unerwartet übersteigerter Subjektivismus zum Ausdruck kam.
„Das Innere malen“ wurde zum Leitmotiv. Die Expressionisten malten bevorzugt Landschaftsbilder, kombiniert mit der einfachen Darstellung von Menschen. Andere beliebte Motive waren Städte, Menschen und Tiere. Neben Plakatmalerei, Tuschzeichnungen, Aquarellen, Linoleum- und Holzschnitten wurden primär Ölgemälde gestaltet. Vielen Künstlern des Expressionismus wurde von Zeitgenossen ein regelrecht schlampiger Stil vorgeworfen.
Edvard Munch zum Beispiel erhielt den Vorwurf, daß man an seinen Bildern gut erkennen könne, daß er Menschen gar nicht richtig beobachten und betrachten würde. Anhand seines Bildes „Der Schrei“ wurde ihm vorgeworfen, er hätte einfach drauf los gemalt. Das entsprach auch seiner tatsächlichen Arbeitsweise, wie auch der vieler anderer Künstler des Expressionismus. Hinzukam aber die Kritik, daß Munch sein Motiv vor dem Malen nicht studiert hätte. Man warf ihm, wie vielen anderen Expressionisten auch, einen Mangel an künstlerischen und handwerklichen Geschick vor.
Der deutsche Grafiker Otto Dix malte die extrem pervertieren gesellschaftlichen Zustände der Weimarer Republik in einem gleichermaßen pervertiertem Stil. Seine Zeichnungen von Frauen und Kriegsverwundeten strahlten weder Würde, noch Achtung aus, sondern waren schlicht respektlos und schlampig gezeichnet.
Der Kunststil Expressionismus im engeren Sinne ging von der Künstlergemeinschaft „Die Brücke“ aus, die unter anderem aus den Künstlern Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff und Bleyl bestand und 1905 gegründet wurde. Im gleichen Jahr trat in Frankreich die verwandte Kunstrichtung de Fauves hervor, der allerdings die Verinnerlichung und der soziale Pathos der Deutschen fehlte.
1911 gründete Kandinsky mit Marc die Künstlergemeinschaft „Der blaue Reiter“, der Macke, Jawlensky, Münter, Klee und andere Künstler angehörten. Ziel dieser Gruppe war es, die bisherigen Grenzen des künstlerischen Ausdrucksvermögens zu erweitern; auf diese Weise wurde die Grundlage der abstrakten Malerei – einer entarteten Kunstform – geschaffen.
Expressionismus im Film
Die wohl bekannteste deutsche Filmepoche neben den nationalsozialistischen Meisterwerken (z. B. von Leni Riefenstahl) ist der expressionistische Film. Die bekanntesten Regisseure sind Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang, Robert Wiene, Paul Wegener und Arthur Robsion.
Kennzeichen des expressionistischen Films sind gezeichnete Möbel, Fenster, Türen, Schatten und zum Teil sogar Menschen. Häufig wird mit Licht und Schatten gespielt. Die Kulissen sind meist verzerrt, als wären sie einem Alptraum entsprungen.
Die vier bekanntesten Spielfilme des Expressionismus sind „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, „Metropolis“ und „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Fritz Langs „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist zwar ebenfalls expressionistisch, jedoch mit der Besonderheit, daß dieser Film im Gegensatz zu den meisten anderen expressionistischen Filmen kein Stummfilm ist.
„Das Cabinet des Dr. Caligari“ fällt besonders durch seine markanten Kulissen auf. Der Film wurde unter anderem mit Conrad Veidt und Werner Krauß besetzt. Nosferatu, welcher im Grunde eine Verfilmung von Bram Stokers Dracula ist, dessen Monstrum jedoch aus urheberrechtlichen Gründen in Graf Orlock umbenannt werden mußte, behandelt die Angst vor Seuchen und dem Tod. Gewissermaßen ist der Vampir Orlock – gespielt von Max Schreck – die Personifikation des Siechtums.
Besondere Anerkennung jedoch wird Fritz Langs Meisterwerk „Metropolis“ zugesprochen. Das dystopische, zukunftsvisionistische Werk handelt von der Verelendung der arbeitenden Schicht und wartet mit den damals modernsten Effekten, Kulissen und Massenszenen auf.
Der deutsche Expressionismus im Film wirkte sich vorbildhaft auf ausländische Regisseure aus. Werke wie „Frankenstein“, „Frankensteins Braut“ und „Der Unsichtbare“ von James Whale, Dracula von Todd Browning, „Der Wolfsmensch“ von Georg Waggner und der Stummfilm „Das Phantom der Oper“ von 1925 standen unter dem Einfluß deutscher Expressionisten. Auch spätere Filmregisseure wie David Lynch, Werner Herzog, Tim Burton, Henry Sellick und Brad Silberling orientierten sich in Teilen an den Filmen Murnaus und Wienes. Das heutige Horrorfilm-Genre wäre ohne die expressionistische Vorarbeit deutscher Regisseure undenkbar gewesen.
Im Nationalsozialismus zeigte man vornehmlich mutbringende Reden, Sportereignisse, romantische Naturbilder, humorvolle Komödien und Herrscher- und Märtyrerbiografien. Viele expressionistische Filmemacher waren bereits in den späten 1920er Jahren ins Ausland, besonders in die VSA, ausgewandert.
Statt düsterer Darstellungen standen nun Filme über Friedrich den Großen („Der alte und der junge König“), Komödien mit Heinz Rühmann („Die Feuerzangenbowle“), aufregende Propagandafilme („Triumph des Willens“), künstlerisch hochwertige Sportdokumentationen („Olympia“) und Kulturfilme wie „Berlin '36“ auf dem Kinoprogramm, welche alle von einer erhabenen Schönheit und Eleganz sind.
Das wohl späteste Werk des expressionistischen Films war Das Testament des Dr. Mabuse (1933) von Fritz Lang, welches aber im Nationalsozialismus auf starke Ablehnung stieß und erst wieder 1953 in deutschen Kinos lief.