Lossow, Otto Hermann von
Otto Hermann von Lossow ( 15. Januar 1868 in Hof (Saale), Königreich Bayern; 25. November 1938 in München) war ein deutscher Offizier der Bayerischen Armee, des Deutschen Heeres und der Reichswehr, zuletzt Generalleutnant, Kommandeur der 7. Division, Befehlshaber im Wehrkreis VII und Landeskommandant in Bayern.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Neue Deutsche Biographie
- Nach Absolvierung des Realgymnasiums im bayer. Kadettenkorps trat L. 1886 als Fähnrich in das bayer. Infanterie-Leib-Regiment ein und besuchte bis 1888 die Kriegsakademie. 1900/01 nahm der ehrgeizige, risikofreudige Leutnant als Adjutant der 2. Ostasiat. Infanteriebrigade an der China-Expedition teil. Nach Verwendungen im bayer. Generalstab wurde L. im Oktober 1908 für zwei Jahre zum preuß. Großen Generalstab kommandiert und gleichzeitig zum ao. Mitglied des bayer. Senats beim Reichsmilitärgericht bestimmt (1908 Major). Anschließend wurde er Bataillonskommandeur im 8. Infanterie-Rgt. Anfang 1911 ging L. für drei Jahre als Militärinstruktor in die Türkei. Er übte eine Lehrtätigkeit an der türk. Kriegsakademie aus und gehörte als Oberstleutnant dem türk. Generalstab an. Im Stab des Oberkommandierenden der Armee in Thrakien, Abdulla Pascha, nahm er 1912/13 als Kommandeur einer Infanteriedivision am Balkankrieg teil, den die Türkei verlor. Sein Urteil über die Schlagkraft und Kampfmoral der türk. Armee war vernichtend. Im Mai 1913 legte er seine „Gedanken über Reformen in der Türkei“ in einer Denkschrift nieder, die zur Berufung Otto Liman v. Sanders' zum Missionschef in Konstantinopel beigetragen hat. Im 1. Weltkrieg stand L. zunächst als Generalstabschef des 1. bayer. Reservekorps an der Westfront (1914 Oberst). Im Juli 1915 ging er als Militärattaché an die deutsche Botschaft in Konstantinopel; am 19.4.1916 wurde er hier als Generalmajor zum Militärbevollmächtigten ernannt. Zusammen mit Kriegsminister Enver Pascha, der ihn gern auf dem Posten des beiden gleichermaßen verhaßten Liman v. Sanders' als Missionschef gesehen hätte, besuchte er die Kriegsschauplätze der türk. Armee. Er unterrichtete Berlin laufend über die militärische Lage in der Türkei, wachte eifersüchtig über die Besetzung der Stellen, die sich in deutschen Händen befanden, und vermittelte Rüstungsaufträge für die deutsche Industrie. Er erreichte die Einsetzung eines deutschen Finanzfachmanns als Berater des Kriegs- und Finanzministeriums und die Betrauung Falkenhayns mit der 6. Armee (1917). Der politische und militärische Zusammenbruch Deutschlands erschütterte L. ungemein. Aus diesem Grund und wegen eines Herzleidens infolge einer mehrmaligen Malariaerkrankung trug er sich mit dem Gedanken, seinen Abschied zu nehmen. Doch dann schloß er sich jenen Kräften an, die hofften, das politische Blatt wenden zu können. Er wurde Generalstabschef beim Oberbefehlshaber des Heimatschutzes Süd, im Januar 1919 Chef des Ingenieurkorps und im Oktober 1919 Kommandeur der Infanterie-Schule in München. Am 28.9.1921 wurde L. als Generalleutnant Wehrkreisbefehlshaber und Kommandeur der in Bayern stationierten 7. Division und damit bayer. Landeskommandant. Er war ein entschiedener Verfechter des aktiven Widerstands gegen Frankreich, das Anfang 1923 das Ruhrgebiet besetzt hatte. Für den Fall eines Krieges mit Frankreich oder eines Bürgerkrieges wollte er die 7. Division um Angehörige der Wehrverbände vergrößern; zu diesem Zweck wurden diese von der Reichswehr ausgebildet und teils mit Waffen versorgt. Von →Adolf Hitler war L. anfangs sehr beeindruckt. Erst als es dieser am 1. Mai 1923 entgegen vorherigen Versprechen zu einer Machtprobe mit dem Staat kommen ließ, indem er durch eine „nationale Demonstration“ die Konfrontation mit den Sozialisten suchte, wurde L. gegenüber den Wehrverbänden und den Nationalsozialisten vorsichtiger. Am 26.9.1923 wurde der passive Widerstand an der Ruhr aufgegeben. Am selben Tag erließ die bayer. Regierung eine Verordnung zum Schutz und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit; Gustav v. Kahr wurde zum Generalstaatskommissar ernannt, auf den die gesamte vollziehende Gewalt im Staat überging. Die Reichsregierung beantwortete den bayer. Schritt noch am selben Tag mit der Verhängung des Ausnahmezustands über das ganze Reich und übertrug die vollziehende Gewalt Reichswehrminister →Otto Geßler. Tags darauf befahl dieser L., den „Völkischen Beobachter“ wegen beleidigender Behauptungen zu verbieten. Der „Diener zweier Herren“ setzte sein Amt des Landeskommandanten über jenes des Wehrkreisbefehlshabers und verweigerte mit Berufung auf die bayer. Verordnung die Ausführung des Befehls. Daraufhin wurde L. am 20.10.1923 von der Reichsregierung seines Dienstes enthoben. Nun nahm die bayer. Regierung die 7. Division in Pflicht. L., Kahr und Polizeioberst Hans v. Seißer bildeten in diesen Wochen gleichsam ein Triumvirat, das die Macht im Staate innehatte. Sie nahmen Fühlung auf mit norddeutschen Rechtsradikalen, die an die Stelle der rechtmäßigen Regierung in Berlin ein Direktorium setzen wollten. Hitler nützte diese Bestrebungen sowie die Spannungen zwischen Berlin und München infolge der „Affäre Lossow“ für seine Umsturzpläne: Am Abend des 8. Nov. 1923 unternahm er im Münchener Bürgerbräukeller, wo Kahr die Ziele seiner Politik hatte darlegen wollen, einen Putsch. Die bayer. Regierung und die Reichsregierung wurden für abgesetzt erklärt; Kahr, L. und Seißer wurden genötigt, sich dem Putsch anzuschließen und mit Hitler und Ludendorff eine Regierung zu bilden. Anschließend begab sich L. nicht – wie vereinbart – in das von Röhm besetzte Wehrkreiskommando, um mit Hitler und Ludendorff zu konferieren, sondern in die Infanteriekaserne. Er widerrief – ebenso wie Kahr und Seißer – die erzwungenen Zusagen und organisierte die Niederwerfung des Aufstandes. Als die Putschisten am Morgen des 9. November mit Hitler und Ludendorff an der Spitze bewaffnet durch die Stadt marschierten, trat ihnen bei der Feldherrnhalle die Landespolizei entgegen. Während des kurzen Feuergefechts wurden ein Polizist und sechzehn Putschisten getötet; die Rädelsführer wurden verhaftet. – L. war nun auch als Landeskommandant unhaltbar geworden. Die bayer. Regierung hielt aus taktischen Gründen zunächst noch an ihm fest, um durch Verhandlungen mit der Reichsregierung über die „Affäre Lossow“ einige Zugeständnisse zu erreichen. Noch vor Beginn des Prozesses gegen Hitler und die Putschisten trat L. zurück. Mit Wirkung vom 29.2.1924 wurde er vom Reichspräsidenten der Stellung als Landeskommandant in Bayern enthoben und aus dem Heeresdienst entlassen. Während des Hitlerprozesses (26.2.-27.3.1924) wurde L. ausführlich vernommen, jedoch nicht unter Anklage gestellt. Er lebte fortan völlig zurückgezogen.[1]
Familie
Abstammung
Otto war der Sohn von Oskar von Lossow ( 31. Mai 1832; 1874) und dessen Ehefrau Johanna, geborene Schrön (1834–1926). Sein Vater, einer von sieben Söhne des Großkaufmanns in Hof an der Saale Karl von Lossow[2] ( 9. Januar 1796; 31. Januar 1861) und der Eduardine Karoline Renate Camilla, geb. Hagen ( 11. April 1809; 16. Juni 1882 ), war von 1873 bis zu seinem Tod Bürgermeister von Lindau und Präsident des Landrats von Bayerisch-Schwaben. Seine Mutter war die Tochter von Dr. med. Friedrich Ludwig Schrön ( 28. April 1804; 4. Februar 1854), Gerichtsarzt in Hof an der Saale, [3] und der Emilie, geb. Palm aus Erlangen.
Bruder Paul
Ottos älterer Bruder Dipl.-Ing. Paul von Lossow (1865–1936), Geheimrat, Professor der Maschinenbaukunde an der TH München und leidenschaftlicher Ahnen- und Familiengeschichteforscher.
Vettern
Der spätere Oberst Maximilian von Lossow und der Landrat (1921 bis 1939) im Landkreis Rotenburg (Wümme) Rittmeister d. R. a. D. Balthasar Friedrich Ludwig Armin von Lossow ( 11. Mai 1876 in Bremen; 28. März 1945 in Berlin-Zehlendorf) von der norddeutschen Linie gehörten zu den vielen Vettern.
Ehe
Trotz der großen Familie in Hof, Bremen und Berlin blieb Otto ledig. Seine Liebe galt dem Militär.
Beförderungen
- 21.7.1886 Portepee-Fähnrich
- aus dem Kadettenkorps kommend Eintritt in das renommierte Königlich Bayerische Infanterie-Leib-Regiment
- 9.3.1888 Sekonde-Lieutenant
- 20.6.1896 Premier-Lieutenant
- 28.10.1902 Hauptmann
- bis 1904 im Generalstab des I. Armee-Korps verwendet. Anschließend war er für zwei Jahre Kompaniechef in seinem Stammregiment, bevor er wieder in den Generalstabsdienst wechselte.
- 9.3.1908 Major ohne Patent
- zum Großen Generalstab nach Berlin kommandiert; auch militärisches Mitglied des bayerischen Senats beim Reichsmilitärgericht
- 7.3.1909 Patent als Major erhalten
- 1911 Oberstleutnant der Osmanischen Armee (Militärinstruktor); Die Schlacht von Lüleburgaz war die größte Schlacht in Europa zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg. Als Kommandeur einer osmanischen Infanterie-Division sammelte Lossow nach der Niederlage der osmanischen Armee bei Lüleburgaz in Ost-Thrakien am 31. Oktober 1912 die sich in Unordnung zurückziehende Armee in der letzten Verteidigungslinie, 25 km westlich der Hauptstadt Konstantinopel bei Çatalca. Erst dort konnte der Vormarsch der bulgarischen Armee aufgehalten werden.
- 26.1.1914 Oberstleutnant mit Patent vom 1.10.1913
Erster Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg zuerst Generalstabschef des I. bayerischen Reserve-Korps an der Westfront (Reichsland Elsaß-Lothringen, Frankreich).
- 30.11.1914 Oberst
- 1915 Militärattaché an die deutsche Botschaft in Konstantinopel
- 1916 Militärbevollmächtigter an der Deutschen Botschaft in Konstantinopel; Als solcher protestierte er, wenn auch erfolglos, gegen die Völkermordpolitik der Jungtürken gegenüber den Armeniern, „eine neue Form des Massenmordes, d. h. die ganze armenische Nation durch völlige Abschließung verhungern zu lassen.“
- 14.12.1917 Generalmajor ohne Patent
- später Patent als Generalmajor vom 12.[4] bzw. 19.4.1916[5] erhalten
- 1918 Vertreter des Deutschen Reiches auf der Friedenskonferenz von Batum
Reichswehr
Im Januar 1919 wurde von Lossow Chef des Ingenieurkorps und dann ab Oktober 1919 Kommandeur der Infanterie-Schule in München.
- 1.7.1921 Generalleutnant
- mit Wirkung vom 29.2.1924 verabschiedet
Auszeichnungen und Ehrungen (Auszug)
- China-Denkmünze für Kämpfer in Bronze mit zwei Gefechtsspangen für „Fouphing“ und „Huolu“ (Boxeraufstand)
- Bayerischer Militärverdienstorden, IV. Klasse mit Schwertern
- Orden Franz I., Ritterkreuz II. Klasse (ScF3b) vom exilierten König Franz II. (Schloß Garatshausen, Starnberger See)
- Orden der Aufgehenden Sonne, Ritterkreuz II. Klasse (JpS5b)
- Roter Adlerorden, IV. Klasse (PrA4)
- Preußischer Kronenorden, IV. Klasse (PK4)
- Albrechts-Orden, Ritterkreuz I. Klasse (SA4a)
- Orden vom Zähringer Löwen, Ritterkreuz I. Klasse (BdZL4)
- Jubiläumsmedaille für die Armee 1905
- Militär-Verdienstorden (Spanien), weiße Abteilung, I. Klasse (SpMV1)
- Leopold II. Regentschaftsmedaille, 1909
- Bayerisches Dienstauszeichnungskreuz, II. Klasse für 24 Jahre, 1910
- Militärverdienstorden (Bayern), III. Klasse mit der Krone
- Eisernes Kreuz (1914), II. und I. Klasse
- Militärverdienstorden (Bayern), Offizierskreuz mit Schwertern und der Krone am 11. September 1914
- Osmanischer Ehrendolch für Offiziere (Enveriye-Dolch)
- Eiserner Halbmond
- Osmanie-Orden
- Medschidie-Orden
- Liakat-Medaille in Gold mit Säbeln
- Militärverdienstkreuz (Österreich), II. Klasse mit der Kriegsdekoration
- Roter Adlerorden, II. Klasse mit Schwerter und der Krone
- Porträtbüste von Georg Kolbe, 1917
- Goldene Hochzeits-Erinnerungsmünze
- Militärverdienstorden (Bayern), II. Klasse mit Schwertern am 2. August 1919
- Kronprinz-Rupprecht-Medaille in Silber
- Ehrenkreuz für Frontkämpfer
- Porträtbüste von Arno Breker, 1935
Fußnoten
- Geboren 1868
- Gestorben 1938
- Deutscher
- Generalmajor (Bayern)
- Absolvent der Bayerischen Kriegsakademie
- Person im Boxeraufstand
- Person im Ersten Weltkrieg (Deutsches Reich)
- Generalleutnant (Reichswehr)
- Deutscher Militärattaché
- Politiker (Bayern)
- Träger des Eisernen Kreuzes I. Klasse (1914)
- Träger des Ordens der Aufgehenden Sonne
- Träger des Osmanje-Ordens